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Sozialwissenschaften

Jens Urbschat

Die Fernsehreportage im Wandel der Zeit

ISBN: 978-3-86341-314-9

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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 44
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Zitatauszüge aus dem Buch: ‘...45 Minuten Fernsehen kosten echt Geld...wir sind dem Zuschauer gegenüber verpflichtet ...’, ‘...hat es die Authentizität im klassischen Sinne denn je gegeben? ...’, ‘...was die Theoretiker dazu sagen, ist mir egal...’. Es steckt Zündstoff in der Diskussion mit den Machern der beiden Fernsehreportagen, die in diesem Buch im Fokus stehen: ‘Amerika zwischen Angst und Aufbruch’, von RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel in Zusammenarbeit mit Produzent Michael Ortmann und ‘Alltag einer Supermacht’, von ARD-Korrespondenten Klaus Scherer. Beide thematisieren die Präsidentschaftswahl in den USA im Jahr 2008. Ist es im heutigen Kampf um Quoten und Sendeplätze überhaupt möglich, die Reportage in ihrer klassischen Form umzusetzen? Ist sie längst zu einem neuen Genre mutiert? Wo sind die Unterschiede bei der Produktion einer Reportage zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Sender? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Buch.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1.3, Die Fernsehreportage in der Umsetzung: 1.3.1, Die Themen der Reportage: Charakteristisch für die Reportage ist das Entdecken von etwas Neuem und sei es ein Einzelfall, der anders ist als alles bisher Erzählte. Typische Situationen für die Reportage sind: 1. einmalige, unerhörte Geschichten (z.B. Katastrophen oder Unglücke). 2. Orte, von denen noch niemand berichtet hat. 3. Geschehnisse, die die Dramaturgie einer Geschichte in sich bergen (Wettkämpfe, Reisen, medizinische Behandlungen etc.). Doch häufig genug lassen sich Themen auch auf der Straße finden, so beschreiben es Witzke und Rothaus. Es kommt auf die eigene Perspektive, die eigene Neugier an. Auch bereits filmisch umgesetzte Themen können aus einem anderen Blickwinkel, einer anderen Perspektive, eine interessante Reportage ergeben. Ein Beispiel aus der Praxis erzählt Michael Schomers: ‘Spätherbst 1990. Freitagnachmittags auf der Autobahn. Wie so oft ist am Wochenende mal wieder die Hölle los…..Während ich im Schritttempo weiterfahre, bemerke ich auch eine Kolonne von Militärfahrzeugen der US-Armee. Müssen die gerade am Wochenende hier entlangfahren? … Mir schießt plötzlich die Idee einer Reportage durch den Kopf, eine Reportage über die Vorbereitungen der US-Truppen in Deutschland und ihre Verlegung an den Golf. …’. Aus dieser Idee entstand schließlich eine 7-Minuten-Reportage für ‘Stern-TV’. Reportagethema kann aber auch zum Beispiel der Alltag einer Politesse sein, oder ein Obdachloser, der unter einer Brücke lebt. Es sollen ‘…Einblicke in Milieus und Lebenswelten vermittelt werden, die dem Rezipienten ansonsten fremd bleiben’, so Claudia Mast. Entscheidend dabei sind die Emotionen. Der Zuschauer soll erfahren, wie es den Hauptpersonen geht, was sie fühlen und denken. Die Reportage ist nah am Menschen und zeigt dessen Schicksal. Das ist ihre Stärke. Das macht sie echt. 1.3.2, Die Recherche: Der erste Schritt bei der Umsetzung einer Reportage ist die Recherche. Das Wort stammt aus dem Französischen und bedeutet im Deutschen etwa ‘Untersuchung’ oder auch ‘Nachforschung’. Sie soll Informationen zu einem Thema liefern, aber auch Hintergründe und Zusammenhänge aufdecken. Der Journalist ist am erfolgreichsten, wenn er systematisch vorgeht und in drei Richtungen recherchiert: Thema. Bild. Organisation. Bei der thematischen Recherche geht es um Fakten, die der Reporter so umfassend wie möglich erarbeiten muss. Dazu nutzt er zum Beispiel das Internet und Zeitungsarchive oder er telefoniert mit beteiligten Personen. Zum Sammeln der Informationen gehört zusätzlich auch das Hinterfragen von Fakten und Aussagen. Bei der Bildrecherche klärt der Reporter, wie er sein Thema in Bildern darstellen kann. Das geht entweder mithilfe einer Vorbesichtigung oder, wie bei der Reportage meist üblicher, durch Improvisation am Drehtag. Die organisatorische Recherche ist notwendig, um einen glatten Produktionsablauf zu gewährleisten. Fragen können sein: Wo kann gedreht werden? Ist dort eine Drehgenehmigung erforderlich? Aber auch: Welches Equipment wird am Drehort gebraucht? Häufig wird die Recherche auch auf zwei Bereiche reduziert: die inhaltliche und die organisatorische, produktionstechnische Recherche. Thematische und bildliche Recherche fallen hier also lediglich unter dem Bereich ‘Inhalt’ zusammen. Die Recherche soll vor allem ‘Wissensmunition’ liefern, also so viel Hintergrundwissen, dass dem Reporter die Fragen nicht ausgehen. Eine gründliche Recherche, eine gute inhaltliche Vorbereitung, ist so etwas wie ein Augenöffner, so Spiegel-Reporter Cord Schnibben. Es ist das Sprungbrett für die Reportage. Ein fundiertes Hintergrundwissen dient dazu, die Absichten eines Protagonisten und die Beweggründe seiner Aussagen zu erkennen. Roman Brodman warnt allerdings vor zu viel Vorwissen: ‘…Nun ist es Zeit zur Feststellung, dass die journalistische Qualität auch an der Recherche zugrunde gehen kann. Ich denke dabei an die mit falschem Eifer in die falsche Richtung übertriebene Recherche, die mir Unbefangenheit nimmt, mit der ich stellvertretend für den Zuschauer neugierig zu sein habe….’. ‘Weniger ist mehr’ gilt vor allem für das Vorgespräch mit den Protagonisten. Der Reporter soll nicht so weit gehen wie später beim Dreh. Die späteren Fragen werden persönlicher sein und die wesentlichen Konflikte des Menschen berühren. Erlaubt sind höchstens kleinere Provokationen, um zu testen, wie der Protagonist darauf reagiert. 1.3.3, Das Treatment: Die Freiheit, sich Ereignisse oder Protagonisten auszusuchen sowie ununterbrochen die Kamera laufen zu lassen, gibt es in der Praxis häufig nicht. Jedes ernsthaft betriebene Reportageprojekt steht in einem Spannungsverhältnis zu Fernsehanstalten, die möglichst planvoll und kalkulierbar arbeiten müssen. Termine, Sendelängen und Budgets stehen im Mittelpunkt. Dazu kommt der Quotendruck. Schließlich und endlich geht es um Geld und damit auch um die Existenz eines Senders. Bevor die Sender Reportageaufträge vergeben, wollen die Verantwortlichen deshalb möglichst genau wissen, wofür sie ihr Geld ausgeben und was am Ende dabei herauskommt. Deshalb ist es zum Beispiel üblich, ein Treatment oder auch Storyboard zu erstellen. Das Treatment, im deutschen etwa ‘Verfahren’, ‚,Aufbereitung’, bietet einen schriftlichen Überblick über die Umsetzung eines Reportagethemas. Es erzählt etwas über den Spannungsbogen der Geschichte, die Interviewpartner, oder welche Drehorte es gibt. Das Treatment wird zum Beispiel zwischen Produktionsfirma und Sender besprochen und gibt beiden einen Eindruck davon, wie die Reportage später aussehen könnte. Dieses ‘Kopfkino’ spricht allerdings für viele Autoren gegen die Grundsätze der Reportage. Brodman in einem Brief an eine Kollegin: ‘Ich war schon immer der Meinung, dass für Dokumentarfilme keine Drehbücher geschrieben werden sollten. Jetzt weiß ich, dass man auch das Drehbuch im Kopf verbieten müsste. …. Es gibt wohl kaum einen unter uns, der der Versuchung nie erlegen wäre. Ein Gefäß aufzustellen und es im Sinne seiner Erwartungen zu füllen. Wie sollte man ohne Erwartungen überhaupt zum Thema kommen? Wie sollte man das Interesse an einem Stück dieser Welt mit der Leidenschaftlichkeit ausstatten, die unsere Neugierde fordert, wenn dieses Interesse nicht zielgerichtet sein darf?... Der Fußgänger unter den Dokumentarfilmern braucht die gezielte Erwartungshaltung schon als Legitimation seines Ansinnens…’. Auch Jens Monath, Redakteur beim ZDF, rät von einem Treatment ab: ‘Sie widersprechen der klassischen Reportage , bei der man losgeht, um etwas zu erleben. Storyboard und Reportage, das ist er größte Gegensatz, den man sich vorstellen kann.’ Michal Schomers, der hauptsächlich für das ZDF arbeitet, sieht das anders : ‘…Man braucht beim dokumentarischen Arbeiten eine Grundlage, Drehplan oder Treatment, in dem das Thema filmisch, bildlich umgesetzt wird, in welchem eine erste Fassung des Films auf dem Papier entsteht. Man sucht nach Geschichten und Bildern, die ausdrücken, was man dem Zuschauer vermitteln will. Dies ist die erste Stufe: im Kopf des Autors entstehen Bilder, entsteht ein Film.’ Authentizität, Spontaneität und Planung einer Geschichte müssen aber kein Widerspruch sein. Meist sind Zufälle bei einem Dreh häufig gar keine, sondern der intelligente Einsatz von geplanten Aktionen, Interaktionen, Konfrontationen oder angestoßenen Begegnungen. Ohne ein zielgerichtetes Interesse des Reporters endet die Beobachtung eines Geschehens im simplen Betrachten, in ‘nutzlosem Draufblicken’. Dieses zielgerichtete Interesse bedeutet auch, sich auf immer wieder neue Situationen einzulassen. Müller-Hanft beschreibt diese Momente, in denen die Geschichte eine neue Wendung erhält, aus seiner Erfahrung: ‘…Filmen ist Fragestellen an die Wirklichkeit. Man denkt sich was, sammelt Material dazu, und dann kommt der Moment, wo das ganze Konzept umkippt, dann diktiert das Material selbst, wie es bearbeitet werden muss…’ 1.3.4 Die Protagonisten Für die Reportage ist nicht nur wichtig, was jemand sagt, sondern auch wie er es sagt. Und das ist das erste Mal (fast) immer am Authentischsten. Fragen immer und immer zu wiederholen, bis der Reporter seine gewünschte Antwort erhält, ist nicht im Sinne der Reportage. Damit sich ein Protagonist beim Dreh öffnet, emotional erzählt, ist es wichtig, schon bei Recherchegesprächen mit ihm auf einer Wellenlänge zu liegen, sein Vertrauen zu gewinnen. Damit das gelingt, geben Witzke und Rothaus vier Tipps im Umgang und bei der Auswahl der Protagonisten: 1. Der Journalist darf sich nicht wichtiger nehmen als die Protagonisten und muss ehrlich sein. 2. Er darf dem Protagonisten keine falschen Versprechen geben (zum Beispiel, dass der Dreh seine Probleme löst). 3. Neugierige Protagonisten auswählen und keine bezahlten. 4. Verantwortung gegenüber den Protagonisten zeigen. Die Auswahl der Protagonisten ist elementar für eine lebendige Reportage. Hilfreich sind eine ausgeprägte Mimik, ein besonderes Aussehen, oder eine ungewöhnliche Handlung. So kann das Interesse des Zuschauers geweckt werden. Menschen, die etwas erreichen wollen, am Besten gegen Widerstände, ergeben für den Autor fast automatisch eine Geschichte. Es eignet sich nicht jeder als Interviewpartner. Nicht jeder kann vor einer Kamera emotional erzählen. Gute Interviewpartner sind: 1. Menschen, die sich nicht von einer Kamera beeindrucken oder einschüchtern lassen. 2. Menschen, die gerne plastisch und bunt erzählen. 3. Menschen, die voraussichtlich während des Drehs in Konfliktsituationen geraten. 4. Menschen, die durch spannende äußere Dinge von den Dreharbeiten abgelenkt sind (Rennfahrer vor Autorennen z.B.). Die Protagonistenauswahl ist entscheidend für die Lebendigkeit einer Reportage. 1.3.5, Der Reporter: Laut Witzke und Rothaus sind die Grundvoraussetzungen für einen guten Reporter Menschenliebe, politisches Verständnis, eine starke Psyche, Fremdsprachenkenntnisse, Gesundheit, Glück und Neugierde. Auch wenn die Aufzählung übertrieben und sicher ironisch gemeint ist, soll sie wohl dennoch zeigen, wie vielseitig ein Reporter sein muss. Zudem trägt er eine große Verantwortung, nicht zuletzt für das Gelingen und Misslingen der Reportage. Für Michael Schomers ist der Reporter aufgrund seiner vielfältigen Aufgaben ‘Mädchen für alles’. Die wichtigste Aufgabe des Reporters sei jedoch, den Film im Kopf zu haben. Er muss zum Beispiel wissen, welche Bilder benötigt werden, oder was die Protagonisten sagen sollen. Laut Witzke und Rothaus sollte der Reporter allerdings nicht zu starr an seinem Konzept festhalten. Er braucht unbedingt Mitdenker, vom Kameramann bis zum Beleuchter. Gemeinsame Diskussionen und Überlegungen seien wichtig. Statt Rechthaberei sollte der Reporter für andere, vielleicht bessere Ideen offen sein. Recht außergewöhnlich klingt Michael Schomers Vorstellung über die Führung im Team. Normalerweise sei der Reporter der Teamchef beim Dreh, wenn der Reporter jedoch freier Mitarbeiter ist, gelte der angestellte Kameramann als Teamchef. In meinen Augen ist es aber, auch wenn der Reporter freier Mitarbeiter ist, nicht Aufgabe des Kameramanns, die Geschichte zu erzählen und demnach auch nicht seine Kompetenz zu entscheiden, wann, wo und mit wem gedreht wird. In der Literatur sind zu diesem Punkt keine weiteren Aussagen zu finden. Der Reporter soll vor allem Nähe zum Protagonisten schaffen und emotionale Reaktionen hervorrufen. Trotz dieser persönlichen Nähe muss der Reporter dennoch innerlich Distanz waren, damit seine Geschichte objektiv genug bleibt.

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