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- Die EU: Auf dem Weg zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion? Integrationstheoretische Analyse ausgewählter GSVP-Strukturen
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2011
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Am 01. Dezember 2009 trat nach langen Verhandlungen der Lissabon-Vertrag der Europäischen Union in Kraft. Er brachte auch für den Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einige beachtenswerte Neuerungen und Reformen mit sich. Das Vertragswerk war jedoch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik in vielen Ausführungsbestimmungen bewusst vage oder offen gehalten worden. Zentrale Bereiche, wie der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), befanden sich noch in der Umsetzung, während der Vertrag schon in Kraft getreten war, da die genauen Ausführungsbestimmungen erst noch zäh ausgehandelt werden mussten. Den Nationalstaaten ist es dabei gelungen, ihre dominante Position in der Außen- und Sicherheitspolitik noch auszubauen. Gleichzeitig wurde durch den Vertrag aber auch die Position der Hohen Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik, die gleichzeitig stellvertretende Kommissionspräsidentin, also eine supranationale Funktionsträgerin ist, gestärkt. Die durch den Lissabon-Vertrag forcierte außen- und sicherheitspolitische Struktur- und Entscheidungsfindungsaggregation soll überdies zu mehr Kohärenz und stringenterem Handeln der EU beitragen und richtet damit den außen- und sicherheitspolitischen Fokus noch mehr als bisher auf Brüssel. Somit verlagert sich das europäische sicherheitspolitische Handeln auch wenn es um die Vertretung nationalen Interesses geht zunehmend in die belgische Hauptstadt und damit in einen europäischen Kontext. Hieraus ergeben sich nicht nur zahlreiche Implikationen für die sich verändernde Formulierung und Umsetzung nationaler Außenpolitiken, sondern auch verschiedene soziale, institutionelle, technische, psycho- und soziologische Prozesse und Vorgänge, die mit Brüsselisierung und Europäisierung umschrieben werden können und welche die Politik beeinflussen. Wohin aber führt diese sich verändernde Art der Politikformulierung und -gestaltung? Welche Auswirkungen hat die zunehmende Einbettung souveränen mitgliedsstaatlichen Handelns in einen europäischen Rahmen, der explizit die Einflussnahme supranationaler sowie nicht-staatlicher, aber an zunehmender Integration interessierter europäischer Akteure einschließt? Wird sich dadurch schließlich doch – analog zu anderen Politikbereichen in der EU – die Integration verstärken und die Außen- und Sicherheitspolitik langsam aber stetig vergemeinschaften und schließlich in eine Sicherheits- und Verteidigungsunion münden? Bei der Beantwortung dieser Fragen werden zwei Strukturen in den Mittelpunkt gestellt, die in Schlüsselstellungen wesentlich an der Entwicklung einer umfassend handlungsfähigen europäischen Sicherheitspolitik mitwirken: Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) als der Motor der GSVP, und die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) als die zentrale Koordinierungsstelle der zukünftigen europäischen Fähigkeitsentwicklungen. Diese zentralen Akteure sollen dahingehend untersucht werden, ob von ihnen Impulse für eine Weiterentwicklung und Vertiefung der Integration ausgehen und sie zur Festigung des zwischenstaatlichen Paradigmas in der Außen- und Sicherheitspolitik beitragen können.
Textprobe: Kapitel 3, European Defence Agency und europäischer Rüstungsmarkt: Parallel zur Begründung der GSVP und der Herausbildung der dafür notwendigen institutionellen Strukturen, erkannten die Mitgliedsstaaten der EU auch die Notwendigkeit, die Aufstellung und Ausrüstung ihrer Streitkräfte an den neuen Aufgaben auszurichten. Das militärische Potential der EU zu Beginn des 21. Jahrhunderts schien auf den ersten Blick beeindruckend zu sein. Zusammengenommen unterhielten die Mitgliedsstaaten ca. 10.000 Panzer, 2500 Kampfflugzeuge und fast zwei Millionen Soldaten. Sie gaben etwa 200 Milliarden Euro für die Verteidigung aus und wurden dabei nur von der Supermacht USA übertroffen. Als problematisch erwies sich jedoch, dass diese Armeen aufgrund ihrer Ausrüstung und Struktur für einen Einsatz in den zukünftigen Krisenbewältigungsszenarien denkbar ungeeignet waren. Um die notwendigen Fähigkeiten für eine autonome Krisenbewältigung zu erlangen, wurden 1999 das sogenannte European Headline Goal 2003 (EHG) und der European Capability Action Plan (ECAP) beschlossen. Die gesteckten Ziele konnten in der Folge jedoch nicht erreicht werden. Den Europäer mangelte es auch weiterhin an strategischen Luft- und Seetransportmöglichkeiten, Führungs- und Aufklärungskapazitäten, an luftgestützten Zielerfassungssystemen, modernen Präzisionswaffen, einer leistungsfähigen und einheitlichen Logistik und einer allgemeinen Fähigkeit zur Interoperabilität in gemeinsamen Operation. Kurz gesagt, es fehlte an wesentlichen Voraussetzungen, um eine eigenständige, globale, sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit zu erlangen. Daher stellte sich die berechtigte Frage, wie die europäischen Staaten, die durch EU und NATO anvisierten Aufgaben, erfolgreich angehen wollten, wenn immer deutlicher wurde, dass ihnen viele grundlegende Kompetenzen weiterhin fehlten. Aus diesem Grund musste schon 2003 der Zeitrahmen erweitert und das EHG 2010 beschlossen werden. Angesichts stagnierender Verteidigungshaushalte bei gleichzeitig steigenden Kosten für neue Systeme wurde schnell klar, dass kein Land zukünftig in der Lage sein würde, alleine alle denkbaren und notwendigen modernen Waffensysteme selbst zu beschaffen, zu entwickeln und zu unterhalten. Für die Umsetzung der beschlossenen Europäischen Sicherheitsstrategie und den Erfolg Europas bei der Entwicklung zu einem globalen sicherheitspolitischen Akteur spielt deshalb die Frage der Entwicklung und Festigung einer europäischen, europaweit agierenden, wettbewerbsfähigen und robusten Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie mit einem gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt eine herausragende Rolle. Der Weg dahin kann nur über eine kohärentere europäische Rüstungspolitik führen, will man die ehrgeizigen Ziele der GSVP erreichen. Unter diesen Vorzeichen wurde im Jahr 2003 durch eine französisch-britische Initiative die Gründung einer neuen europäischen Verteidigungsagentur angeregt, welche die Bemühungen der Mitgliedsstaaten zur Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten unterstützen und koordinieren sollte. 3.1, Die Gründung der Europäischen Verteidigungsagentur: Die Erkenntnis, dass es für Europa notwendig sei, in Rüstungsfragen zu kooperieren und diese Projekte zu koordinieren, ist nicht neu. Vorschläge für eine derartige EU-Behörde scheiterten jedoch seit Ende der 1970´er Jahre wiederholt am Widerstand der stärker transatlantisch ausgerichteten Mitglieder unter Führung Großbritanniens. Auch die bereits mehrfach erwähnte Tatsache, dass es sich beim Verteidigungsbereich um den wohl sensibelsten Bereich nationalstaatlicher Souveränität handelt, in welchem der Rüstungsindustrie mit ihren macht-, industrie- und arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen eine besondere Rolle zukommt, erschwerte die Einigungsversuche. Es kam daher zunächst zu verschiedenen Rüstungskooperationsmodellen außerhalb der EU-Strukturen. Die Erfolge dieser Organisationen über die Jahrzehnte ihres Bestehens sind jedoch eher als bescheiden zu bezeichnen. ‘Die EDA [hingegen] sollte […] keine reine Rüstungs- sondern vielmehr eine rasch arbeitsfähige Agentur mit Netzwerkcharakter innerhalb der bereits bestehenden Organisationen WEAG, OCCAR und LoI6 werden. Sie sollte sich dabei nicht nur auf Forschung, Technologie und Rüstung beschränken, sondern sämtliche militärische Fähigkeiten für die ESVP stärken und unterstützen.’ Auf dem Europäischen Rat von Thessaloniki beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU im Juni 2003 die Gründung der European Defence Agency, die schließlich nach langwierigen und schwierigen durch eine Gemeinsame Aktion unter Einbeziehung aller damaligen Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Dänemarks am 12. Juli 2004 ins Leben gerufen wurde. Die größten Hindernisse im Rahmen der Verhandlungen stellten insbesondere Fragen des Souveränitätsübertrages, die Frage der Prioritäten bzgl. transatlantischer oder europäischer Lösungsansätze, die unterschiedlichen nationalen Industriepotentiale sowie die Rolle der EDA gegenüber den nationalen Beschaffungsbehörden dar. Speziell Frankreich und Großbritannien stritten heftig über die Aufgaben, Kompetenzen und den Einfluss der neuen Agentur. Während die Briten eher eine bloße Koordinierungsstelle ohne weitergehende Befugnisse wollten, strebten die Franzosen eine starke Behörde mit weitreichenden Planungs- und Entscheidungskompetenzen an. Die Kontroverse hält bis heute an und schlägt sich u.a. in immer wiederkehrenden Streitigkeiten über das Budget und die personelle Ausstattung der EDA nieder. 3.2, Aufbau und Aufgabenbereich der EDA: Die EDA ist Teil des institutionellen Gefüges der EU. Sie untersteht der politischen Verantwortung und Kontrolle des Rates in der Zusammensetzung der Verteidigungsminister, denen damit erstmals eine unmittelbare Rolle in der Politikgestaltung der Europäischen Union über den Rat zukommt. Sie beschließen die Leitlinien und das jährliche Arbeitsprogramm. Alle drei Jahre wird zudem einstimmig über das finanzielle Budget der Organisation entschieden. Oberstes Entscheidungsgremium ist der sogenannte Lenkungsausschuss, das steering committee. Ihm gehören je ein Vertreter eines jeden Mitgliedsstaates sowie ein Vertreter der Kommission an, der jedoch kein Stimmrecht besitzt. Mindestens zweimal jährlich tagt der Ausschuss in der Zusammensetzung der Verteidigungsminister, um die besonders wichtigen Angelegenheiten zu behandeln. Bei sonstigen Treffen richtet sich die Zusammensetzung nach den Themen, die besprochen werden sollen. Hervorzuheben ist, dass im Lenkungsausschuss – im Gegensatz zu sonstigen Ratsformationen und besonders dem Bereich der GASP/GSVP – keine Einstimmigkeit benötigt wird. Es genügt die qualifizierte Mehrheit von 2/3 der beteiligten Mitgliedsstaaten. Die für die GSVP recht ungewöhnliche Flexibilität wird noch dadurch erweitert, dass es außerdem möglich ist, dass nur ein Teil der Mitgliedsstaaten eine Initiative starten und in einem bestimmten Bereich oder Projekt zusammenarbeiten. Außerdem sind die Projekte offen für die Mitarbeit von Drittstaaten, wie zum Beispiel Norwegen oder der Türkei. Geleitet wird die EDA von der Hohen Vertreterin für die GASP, was der EDA zusätzliches politisches Gewicht verleiht. Als Leiterin der EDA ist sie für die allgemeine Organisation und Arbeitsweise zuständig und legt dem Rat zweimal jährlich den Tätigkeitsbericht vor. Sie stellt sicher, dass die Richtlinien des Rates und seine Beschlüsse umgesetzt werden und unterbreitet im Gegenzug Vorschläge, Ideen und Initiativen. Zur Bewältigung der vielen Aufgaben stehen der EDA gerade einmal 90 Mitarbeiter zur Verfügung, die aus Staatsangehörigen der beteiligten Mitgliedsstaaten bestehen und in der Mehrzahl für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren angestellt sind. Diese wiederum verteilen sich auf fünf Direktorate unter der Leitung eines Hauptgeschäftsführers, dem zwei Stellvertreter und eine Planungseinheit zur Seite stehen. Die Hauptaufgaben der EDA gemäß ihrem Gründungsdokument umfassen: • die Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten im Bereich der Krisenbewältigung, d.h. insbesondere Ermittlung und Harmonisierung des künftigen militärischen Bedarfs sowie Beurteilungen zu finanziellen Prioritäten und Vorschlagen operativer Kooperationen. • die Verbesserung der Effektivität der europäischen Forschung und Technologieentwicklung im Verteidigungsbereich, u.a. durch Förderung und Koordinierung von in die Zukunft gerichteten gemeinschaftlichen Kooperationsprojekten im Bereich Verteidigung und Sicherheit. • die Förderung und Verbesserung der Rüstungszusammenarbeit, u.a. durch gezielte Vorschläge für multilaterale Kooperationsprojekte und die verbesserte Koordinierung bereits bestehender Programme. • die Stärkung und Weiterentwicklung der industriellen und technologischen Basis der europäischen Verteidigung sowie die Schaffung eines europaweiten, wettbewerbsfähigen, gemeinsamen Rüstungsmarktes, u.a. durch gemeinsame Konzepte und Maßnahmen mit der Kommission und der Industrie und die Entwicklung und Harmonisierung entsprechender Vorschriften und Regelungen. Am umfassenden Aufgabenspektrum ist erkennbar, wie breit und umfassend der Ansatz der Verteidigungsagentur ist. Sie ist der erstmalige Versuch, die Bereiche Fähigkeits- und Ausrüstungsanalyse, Forschung und Technologie sowie Rüstungsbeschaffung, Rüstungsindustrie und Programmentwicklung in einer sicherheitspolitischen Organisation europaweit zu vereinen.
Dan Krause, Jahrgang 1975, ging nach dem Abitur in Berlin zur Bundeswehr und wurde dort zum Offizier und Transporthubschrauberpiloten der Heeresfliegertruppe ausgebildet. Neben seiner fliegerischen Tätigkeit studierte er in Hamburg Geschichte und Sozialwissenschaften und wurde Presse- und Jugendoffizier seines Regimentes. Während dieser Zeit, in der er u. a. zweimal im Kosovo eingesetzt war, machte er umfangreiche praktische und theoretische Erfahrungen auf dem Feld der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Diese Erfahrungen ergänzte und vertiefte er nach dem Ende seiner Dienstzeit durch den postgradualen Masterstudiengang Peace and Security Studies am IFSH in Hamburg. Hier entstand der Wunsch, sich noch intensiver mit der Entwicklung und Zukunft der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu beschäftigen. Die vorliegende Studie ist unter integrationstheoretischen Aspekten und Fragestellungen das vorläufige Ergebnis dieser Arbeit.
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