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- Die deutsche Wahlsystemreform im interdisziplina¨ren Spannungsfeld: Kontraproduktiver Richtungswechsel des Bundesverfassungsgerichts?
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 48
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Wahlsysteme, als soziale Institutionen, entstehen gängigen Theoriediskussionen zufolge als Produkt strategisch handelnder, zweckrationaler Akteure oder in historisch einmaligen Kontexten als Resultat evolutionärer Prozesse. Die deutsche Wahlsystemreform bildet hierbei jedoch eine Ausnahme: Die Konstitution des neuen Wahlsystems ist zwar das Produkt strategisch handelnder, zweckrationaler Akteure, jedoch wurde der Prozess der Wahlsystemreform erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eingeleitet, das hierfür von seiner bisherigen Rechtsprechungslinie abwich. Die somit eingeleitete Reform bewegte sich innerhalb eines interdisziplinären Spannungsfeldes. Die Vielzahl der Spannungsfelder erschwerte und verzögerte den Reformprozess erheblich. Kann das Ergebnis der Reform den Richtungswechsel des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen oder wurde der Gesetzgeber zu einer kontraproduktiven Reform gezwungen?
Textprobe: Kapitel 3., Spannungsfelder: 3.1, Definition: Unter Spannungsfeldern sind inhaltliche Themenfelder oder politische Gegebenheiten zu verstehen, in denen keine einheitliche Position zu den darin befindlichen Inhalten existiert, sondern verschiedene Meinungen, deren Umsetzung unterschiedliche Maßnahmen innerhalb einer Wahlsystemreform forcieren oder disqualifizieren. Die unterschiedlichen Positionen können sowohl Pole als auch ein Kontinuum bilden und folglich in Richtungs- oder Konsensentscheidungen beziehungsweise dem Erhalt des Status Quo Ausdruck finden. 3.2, Spannungsfelder: Im folgenden Kapitel werden die Spannungsfelder in eine theoretische und eine praktische Dimension eingeordnet. Die theoretische Dimension umfasst Spannungsfelder, die dem politischen und wissenschaftlichen Diskurs zuzuordnen sind. Die praktische Dimension beinhaltet Spannungsfelder, die sich in der politischen Praxis ergeben. Es wird darauf verzichtet Kriterien in mehrere Spannungsfelder einzuordnen, selbst wenn dies möglich wäre. Somit wird die Gleichgewichtung der Kriterien innerhalb der 'Checklist' gewährleistet. Die Spannungsfelder dienen als Maßstab der Reformvorschläge und spiegeln Anforderungen wider, die im Rahmen des deutschen Wahlsystemprozesses zur Sprache kamen. Auch Nohlen formulierte drei Kernfunktionen und zwei Anforderungen an Wahlsysteme, namentlich Repräsentation, Konzentration, Partizipation, Einfachheit und Legitimität. Diese werden hier allerdings nicht gesondert und dezidiert evaluiert. 3.2.1, Theoretische Dimension: Die einzelnen Spannungsfelder wurden aus dem tatsächlichen politischen und wissenschaftlichen Diskurs abgeleitet. Mit einer begründeten Ausnahme wird jedem Spannungsfeld mindestens ein Kriterium zugeordnet, anhand dessen im letzten Teil der Arbeit bewertet wird, ob die Reformvorschläge der Parteien - insbesondere der Regierungskoalition - eine Verbesserung oder eine Verschlechterung im Gegensatz zum bis zur Bundestagswahl 2009 praktizierten Wahlsystem darstellen. Die Bewertung erfolgt im vierten Abschnitt anhand einer relativen 'Checklist'-Methode. 3.2.1.1, Mathematisch: Die mathematische Dimension beinhaltet die Frage, inwieweit der inverse Erfolgswert beseitigt wurde. Hierzu werden die Simulationsrechnungen des Bundesministeriums des Inneren und von 'wahlrecht.de' verwendet. Sämtliche Reformvorschläge werden im vierten Abschnitt dahin gehend untersucht, ob der inverse Erfolgswert vollständig beseitigt wurde oder nicht. Zudem findet ein Vergleich des alten und neuen Wahlsystems in Bezug auf die Häufigkeit des Effekts statt, sofern dieser nicht vollständig beseitigt wurde. Es ergeben sich in der Folge zwei Kriterien: zunächst die vollständige Beseitigung des inversen Erfolgswerts, und falls dies nicht gegeben ist, die Frage danach, ob weiterhin eine Instrumentalisierung des Effekts möglich ist. 3.2.1.2, Juristisch: Das juristische Spannungsfeld umfasst mehrere Streitpunkte, die sich allerdings nicht auf formal-rechtliche, sondern auf materiell-rechtliche Aspekte beziehen. Ist es nötig, die Überhangmandate abzuschaffen? Soll der inverse Erfolgswert komplett beseitigt werden oder ist es ausreichend, dass lediglich die Instrumentalisierung des Effekts durch die Wahlsystemreform behoben wird? Die Sachverständigen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages beantworten diese Fragen höchst unterschiedlich: Gerd Strohmeier argumentiert, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 'ausschließlich auf die Behebung des inversen Erfolgswerts und nicht - wie zum Teil suggeriert - auf eine Beseitigung von Überhangmandaten bzw. eine damit verbundene Erhöhung der Erfolgswertgleichheit' abzielt. Allerdings geht es ihm hierbei nicht um die vollständige Beseitigung des Effekts. Im Gegenteil: In 'seltenen, vernachlässigbaren Ausnahmefällen' sei das Entstehen des Effekts verfassungskonform. Auch Heinrich Lang ist der Auffassung, dass der Effekt des inversen Erfolgswerts 'nicht mehr oder nicht in überwiegendem Maße auftreten' soll. Zudem seien Überhangmandate keinesfalls für verfassungswidrig erklärt worden. Auch der Sachverständige Tim Weber erläutert, dass die Überhangmandate nicht Gegenstand des Urteils vom 3. Juli 2008 seien und der inverse Erfolgswert 'in seltenen Ausnahmefällen zulässig sei'. Hans Meyer hingegen argumentiert, dass doppelte Erfolgswerte nicht mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl vereinbar seien. Da Überhangmandate als Konsequenz des doppelten Stimmgewichts angesehen werden müssen, sind die Überhangmandate vonseiten des Gesetzgebers zu beheben. Dass Überhangmandate verfassungswidrig seien, betont auch Ute Sacksofsky. Zudem fordere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Interpretation Sacksofskys zufolge 'die Beseitigung des negativen Stimmgewichts'. Frank Schorkopf und Bernd Grzeszick erweitern das Interpretationsspektrum nochmals. Der Regelungsauftrag des Gerichts beziehe sich demnach ausschließlich auf das absolute negative Stimmgewicht, jedoch nicht auf das relative. Der Effekt muss Grzeszick zufolge jedoch nicht komplett beseitigt werden. Die Überhangmandate seien allerdings nicht beanstandet worden. Das Kriterium, welches dem juristischen Spannungsfeld zugeordnet wird, ist die Verfassungskonformität des Reformvorschlags. Im Folgenden wird nicht die Beseitigung der Überhangmandate als Indikator verwendet. Als verfassungskonform sollen die Gesetzesentwürfe gelten, die alle der drei folgenden Kriterien erfüllen: Die Problematik der 'Berliner Zweitstimmen' wird gelöst. Der inverse Erfolgswert wird derartig in seinem Auftreten beschränkt, dass dieser nur in seltenen Ausnahmefällen auftritt und nicht mehr instrumentalisiert werden kann. Zudem muss die Unmittelbarkeit der Wahl im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet sein. Es muss folglich für den Wähler erkennbar sein, was mit seiner Stimme passiert.
Thomas Meißner ist Student der Politikwissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Wahlsysteme, Wahlsystemreformprozesse, Verfassungsgerichte sowie Koalitionsaussagen in Wahlkämpfen.
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