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- Der Sturz des Mubarak-Regimes: Ägypten unter ökonomischem Druck
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Abb.: 11
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Weniger als drei Wochen betrug der zeitliche Abstand zwischen den ersten Demonstrationen in Ägypten im Januar 2011 und dem Rücktritt von Staatspräsident Hosni Mubarak, der das Land seit 1981 ununterbrochen regierte. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine ungeahnte Dynamik und Macht der Proteste, die zu einem Politikwechsel in Ägypten führten, dessen Transformation bis heute nicht abgeschlossen ist. Im Kontext des sogenannten Arabischen Frühlings betrachtet, stellt Ägypten einen besonders relevanten Fall der aufkommenden politischen Unruhen in der arabischen Welt dar. Die im Jahr 2010 begonnenen Proteste in Tunesien, breiteten sich in der gesamten Region Nordafrikas und der arabischen Halbinsel wie ein Flächenbrand aus. Die zeitliche Aktualität dieses Themas wird deutlich, wenn man nun Mitte 2012 die unvollständigen Transformationsprozesse dieser Länder betrachtet, deren politische und gesellschaftliche Veränderungen noch im Umbruch befindlich sind. Die Dynamik der Destabilisierung von der Herrschaft einer ganzen Region, die vor kurzem noch undenkbar schien, lässt schnell die Frage nach den Ursachen aufkommen. Der Fall Ägypten hat nach meinem Verständnis eine besondere Relevanz für die politischen Verhältnisse in der MENA-Region und könnte deshalb insbesondere für eine weitere Ausweitung politischen Protests in anderen Staaten verantwortlich sein. Das Land verfügt mit 80 Millionen Einwohnern über die größte Bevölkerung in der arabischen Welt, ist dort die größte Militärmacht und die zweitgrößte Volkswirtschaft. Die Tradition und Philosophie in Religion und Kultur hat eine bedeutende Ausstrahlung auf andere Staaten in der Region. Besonders die ägyptische Entwicklung politischer Institutionen und Normen finden sich in vielen arabischen Staaten wieder. Im Kontext des Nahostkonflikts hat Ägypten als direkter Nachbar Israels eine dominante Rolle als Vermittler eingenommen. Die genannten Aspekte machen das Land als Untersuchungsgegenstand außerordentlich interessant. Dieses Buch soll sich mit der Ursachen der Revolution in Ägypten befassen. Dabei stehen vor allem ökonomische Prozesse im Fokus, nicht die Betrachtung der Proteste selbst. Primär richtet sich der Fokus auf die Zusammensetzung des ägyptischen Staatshaushalts, der in seiner Einnahmenstruktur einige Besonderheiten aufweist. Es stellt sich also die Frage, ob es ökonomischen Druck auf das ägyptische Regime gab und ob sich dieser gerade in jüngerer Vergangenheit zugespitzt hat. Proteste, Demonstrationen und Haushaltskrisen hatte es in Ägypten unter Mubaraks Herrschaft bereits gegeben. Warum aber kam es bisher zu keinem politischen Umsturz und was unterscheidet die Ursachen der Proteste 2011 von den Vorangegangenen?
Textprobe: Kapitel 3.1, Neopatrimonialismus unter Staatspräsident Husni Mubarak: Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft in Ägypten ist seit Nasser von einem Sozialvertrag zwischen Herrschern und Bevölkerung geprägt. Das Versprechen von Wohlstand und Entwicklung im Austausch gegen Loyalität garantierte die Absenz fundamentaler politischer Forderungen nach Reformen. Politische Partizipation erfolgte in kontrollierbaren Institutionen wie Einheitsgewerkschaften und -parteien (Harders 2008: 3). Herrschaftslegitimation wurde also mit umfangreichen Subventions- und Sozialleistungen erkauft. Letztere nehmen durch ökonomische Liberalisierungsprozesse und die Stärkung des Privatsektors ab, nicht zuletzt auch durch das extreme Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte (Demmelhuber 2010: 139). Der neue 'Sozialvertrag der Informalität' hingegen, bietet aufgrund neoliberaler Wirtschaftsreformen wenige wohlfahrtsstaatliche Leistungen. Besonders den sozial schwächeren Gruppen werden nun informelle Teilhabemöglichkeiten anstatt einklagbarer Rechte geboten. Informelle klientelistische Beziehungen bestimmen das tägliche Handeln der Menschen in der Gesellschaft. So leben die armen Bewohner Kairos in riesigen informellen Stadtteilen, der Strom und das Wasser werden illegal aus den Netzen abgezweigt. Netzwerke in der Nachbarschaft, der Herkunft und der Familie sind überlebenswichtig (Harders 2008: 3). Während hier gezeigt werden kann, dass die gesamte ägyptische Gesellschaft von neopatrimonialen Strukturen durchzogen ist, spielen diese im Machtzentrum der politischen Eliten eine besondere Rolle. Letztere weisen im ägyptischen System eine heterogene Struktur auf, da sie im Gegensatz zu den abgeschotteten Zirkeln sozialer Gruppen, Cliquen und Familien wie in Syrien, Irak und den meisten Golfstaaten, den Zugang zur Kernelite offen hält. Präsident Mubarak ist an der Spitze der politischen Machtelite positioniert und besitzt dort die absolute personalisierte Macht über die einzelnen Säulen des ägyptischen Staates. Die Polarisation der Eliten besteht laut Albrecht zwischen den Ministerien, der dominanten Staatspartei NDP, der Bürokratie und dem Militär, welche alle um finanzielle Ressourcen, Posten und Einfluss wetteifern (Albrecht 2005: 380). Thomas Demmelhuber erweitert die rivalisierenden Akteure zusätzlich auf Geheimdienst, Wirtschaftseliten, Gewerkschaftsfunktionäre, Gerichtsbarkeiten und religiöse Institutionen wie die al-Azhar-Universität. Die Kernelite ist laut Demmelhuber die Präsidentenfamilie mit ihrem engsten Beraterstab. Sie spielt die verschiedenen Akteure gegeneinander aus und verhindert somit die Entstehung paralleler Machtzentren zu ihrem eigenen (Demmelhuber 2010: 140). Die Logik autoritärer Überlebensstrategien beschreibt der ägyptische Kommentator Ayman al-Amir wie folgt: 'Autocracies perpetuate themselves in power through a supporting, beneficiary elite. This is not the standard electorate that votes governments and presidents in and out of office in decent democracies. Rather, they consist of exclusive special interest groups and include security officials, business tycoons, regime propagandists and self-serving political aspirants. To guarantee loyalty, the elite have to be awarded special privileges and lucrative incentives. They often stand to lose everything, and risk legal prosecution, should the alliance of interests collapse. So they are bonded to the regime and become its main apologists' (Blaydes 2011: 8). Maye Kassem zeigt anhand einer Untersuchung für die 1990er Jahre, das Mubarak über ein personalisiertes Netzwerk ihm ergebener Bürokraten, Akademiker und Militärs das gesamte politische System dominiert (Kassem 1999: 32). Jedoch nahm vor allem durch die Privatisierungsreformen der neuen Regierung seit 2004 die Bedeutung des öffentlichen Sektors ab. Die traditionell sehr starke Position der Bürokratie im politischen Machtgefüge Ägyptens erfuhr eine Schwächung. Die Beamtenschaft, die als privilegierte follower Mubaraks galten und selbst stark an der Aufrechterhaltung des Status Quo interessiert waren, ist zahlenmäßig immer kleiner geworden (Strohmayer 2007: 279). Lisa Blaydes sieht kompetitive politische Wahlen in Ägypten als einen zunehmend wichtigen Weg des Regimes, die Verteilung von Ressourcen an rent-seeking-Eliten zu steuern. Diese Perspektive steht im Kontrast zu der Annahme, ökonomische Liberalisierung würde auch gleichzeitig die Weiterentwicklung demokratischer Entscheidungsprozesse zur Folge haben. Ökonomische Liberalisierung führt zu einem Einbruch der Ressourcen des ägyptischen Regimes und dadurch zu Einschränkungen in der Fähigkeit sich politischen Support zu erkaufen (Blaydes 2011: 47). Das neopatrimoniale Herrschaftsstrukturen im ägyptischen System existieren und damit der Neopatrimonialismus einen geeigneten Erklärungsansatz liefert, konnte hier offenkundig dargelegt werden.
Leon Keller, B.A., wurde 1985 in Bremen geboren. Das Studium der Politikwissenschaft und Geschichte schloss er im Jahre 2012 erfolgreich ab. Der theoretische Teil der vorliegenden Arbeit entstand aus der Beschäftigung mit der Autoritarismusforschung während des Studiums. Internationale Beziehungen stellten ebenfalls einen Schwerpunkt im Studium dar, deren Thematik sich der Autor nun vertiefend widmet.
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