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Sozialwissenschaften

Sascha Beljanski

Der GKV-Spitzenverband: Rolle und Funktion im Neokorporatismus

ISBN: 978-3-95820-026-5

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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 68
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Politikfeld ‚Gesundheit’ gehört in der Bundesrepublik Deutschland, wie in den meisten sozialstaatlich hochentwickelten Staaten, zu den dynamischsten und komplexesten Politikfeldern überhaupt. Unter der Prämisse sich dynamisch wandelnder Ausgangsbedingungen bedeutet Gesundheitspolitik allzuoft die Notwendigkeit zu Reformen, die jedwede Bundesregierung in einer Legislaturperiode zu bewerkstelligen hat, unabhängig davon, ob sie in einem Koalitionsbündnis eingebunden ist oder mit absoluter Mehrheit regiert, ob sie sozialdemokratisch ausgerichtet oder marktliberal orientiert ist. Das bundesdeutsche Gesundheitssystem weist dabei im Vergleich zu anderen Industrienationen eine politikspezifische Besonderheit auf: Es hat den Charakter eines neokorporatistisches Politikfeldes mit zahlreichen Akteuren, die ihre organisierten Interessen in diversen institutionalisierten Arenen zur Geltung bringen. Dabei handelt es sich um zentralisierte Verbände mit einem Repräsentationsmonopol, die öffentliche Aufgaben anstelle des Staates erfüllen, wobei der Staat sich deren organisatorischen Ressourcen zunutze macht. Bei Reformvorhaben, wie der Verabschiedung des GKV-Wettbewerbstärkungsgesetzes, stand die Bundesregierung vor der Problematik der umfassenden Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems, ohne die Beitragszahler durch Erhöhung der Sozialabgaben übermäßig zu belasten und den Leistungskatalogs allzusehr auszudünnen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen der GKV-Reform hinsichtlich der Ausgabenbegrenzung im Gesundheitssektor.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Das neokorporatistische Politikfeld Gesundheit und seine Akteure: Im folgenden werden die relevanten Akteure im neokorporatistischen Politikfeld ‚Gesundheit’ und ihre Organisationsstrukturen vorgestellt. Zu den staatlichen Akteuren gehören die Bundesregierung, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie der Bundesrat auf der Makroebene des Neokorporatismus. Auf korporatistischer Mesoebene sind dies die Vertreter der Finanzierungsträger, der GKV-Spitzenverband und die Krankenkassen, sowie auf seiten der Leistungserbringer, die niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte und der Apothekerverband ABDA als Körperschaften öffentlichen Rechts. Des weiteren sind die pluralistisch verfaßte Krankenhausgesellschaft für den stationären Gesundheitssektors und die verbandlich organisierten Arzneimittelhersteller zu nennen. Außerdem wird auf der korporatistischen Mikroebene die Rolle der Patientenvertreter in der GKV beleuchtet. Abgeschlossen wird der Abschnitt mit der Darstellung der besonderen Rolle des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) als Akteur und Verhandlungsarena. 2.1, Die Bundesregierung, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Bundesrat auf Makroebene: Zur Rolle des Staates und der Funktion der Exekutiven als hierarchischer Handlungskoordinator und Steuerungsakteur zunächst folgender Auszug aus dem Governance-Handbuch: Hierarchische Organisations- und Verfahrensabläufe sind weder aus gesellschaftlichen noch aus ökonomischen und auch nicht aus politischen Regelungszusammenhängen verschwunden, sondern gelangen – wenn auch in modifizierter Form – nach wie vor zur Anwendung (Döhler 2007: 46). Politische Steuerung und/oder Koordination in neokorporatistischen Regelungssystemen geschehen mittel- oder unmittelbar durch Institutionen der Exekutive. Der Gesetzgeber gewährt den neokorporatistischen Akteuren insoweit Handlungsfreiheit, wie sie die ihnen übertragenen politischen Vorgaben top-down umsetzen. Bei Blockadesituationen und Konfliktfällen tritt das BMG in Ersatzvornahme, d. h. daß dann das verantwortliche GKV-Ressort zum handlungsleitenden ‚Schatten der Hierarchie’ wird. Ob Gesetzgebung, Verordnung seitens des BMG oder Richtlinien der gemeinsamen Selbstverwaltung des G-BA, alle gesetzlichen Regelungen unterliegen sozialstaatlichen und solidarischen Normen. Die Bundesländer sind u. a. für die Belange der Krankenhäuser und damit für den stationären Sektor verantwortlich, dazu gehören Raumordnungsvorgaben und die Krankenhausbedarfs-planung, um die gesundheitliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Als Rechts-grundlage dienen dazu die Landeskrankenhausgesetze (Hess 2013: 384f u. Reiners 2009: 50). Darüber hinaus sind die Länder als Akteure im Gesetzgebungsverfahren zur WSG-Reform über den Bundesrat involviert (Artikel 74 GG) gewesen. Zu den weiteren Aufgabengebieten der Länder im Gesundheitssektor gehören der öffentliche Gesundheitsdienst (schulärztliche Untersuchungen, allgemeine Sozialhygiene, Impfschutz, Sucht- und Drogenprävention), der Rettungsdienst, die Aufsicht über die KVen und Krankenkassen und die psychiatrische Versorgung, um nur die wesentlichen zu nennen (vgl. Reiners 2009: 50f). Da es in den meisten Bundesländern kein eigenes Gesundheitsressort gibt, übernehmen i. d. R. die Ministerien für Arbeit und Soziales die Aufgaben, wobei die Zuständigkeiten von Bundesland zu Bundesland stark variieren. Zur länderübergreifenden Koordination der Politiken treffen sich die Gesundheitsminister der Länder einmal im Jahr zu einer Konferenz, der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), ähnlich der Kultusministerkonferenz (KMK) im Bildungssektor, die von den jeweiligen Amtschefs bzw. Staatssekretären vorbereitet werden. Dabei erfolgt die fachliche Ausarbeitung der Materie durch die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG), die zweimal im Jahr zusammenkommen. In den insgesamt zehn Arbeitsgruppen werden bspw. Fragen zur Krankenhausplanung oder zum Rettungswesen behandelt, an denen dann auch die Landeskrankenhausgesellschaften auf Seiten der Leistungserbringer beteiligt sind. Auf Bundesebene vertritt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Belange der Krankenhäuser, die sich in öffentlicher, gemeinnütziger oder privater Trägerschaft befinden. Der Bundesrat, als Länderkammer, verfügt über Vetomöglichkeiten im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung, allerdings nicht für Gesetze und Verordnungen der Krankenhausplanung. In der Praxis werden größere Gesetzespakete aufgeschnürt: Einerseits in zustimmungspflichtige Gesetze den Bundesrat betreffend und andererseits in einen Gesetzesteil, die der Bundestag mit der Kanzlermehrheit verabschiedet (vgl. Reiners 2009: 52). Daher ist es für jede Bundesregierung von Bedeutung, daß die Länderkammer einem großen Reformprojekt zustimmt und das Gesetz nicht in den Vermittlungsausschuss des Bundestages verwiesen wird, wo unter Umständen vorwiegende parteipolitische Erwägungen zum Scheitern der Vorlage führen können. In einer Großen Koalition sind die Ausgangsbedingungen folglich besser, da eine der beiden Koalitionspartner über eine Mehrheit im Bundesrat verfügt und die Ministerpräsidenten ‚auf Linie’ gebracht werden können. In der Vergangenheit kamen Reformvorhaben, wie das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 1992, aus dem Bundesrat sowie der kassenartenübergreifende Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen Kassen, aus der Feder der SPD-geführten Länderkammer (vgl. ebda.: 54). Eine gesundheitspolitische Reform, die auf Makroebene geplant wird, ist ein umfangreiches Unterfangen, da die Partikularinteressen der Länder und parteipolitische Befindlichkeiten berücksichtigt werden müssen. 2.2, Die Krankenkassen als neokorporatistische Akteure in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Die Gesetzlichen Krankenkassen sind seit Inkrafttreten des GKV-WSG in einem stetigen Konsolidierungsprozess eingebunden, was an der Reduzierung auf derzeit 132 Krankenkassen (Stand: 01.01.2014) abzulesen ist (GKV-Spitzenverband 2014). Der staatlicherseits verordnete Modernisierungsdruck soll zu effizienteren Versorgungsstrukturen innerhalb des GKV-Systems führen und gleichzeitig hohe Qualitätsstandards für die Versicherten sicherstellen. Mit dem Paradigmenwechsel in der GKV hat sich die Rolle der Kassen gewandelt die Finanzierungsträger sind vom vormaligen ‚payer’ zum ‚player’ im Gesundheitsmarkt avanciert Der Gesetzgeber schafft ein immer dichteres Netz von Vorschriften und Regeln für eine neue Wettbewerbsordnung unter Marktbedingungen in der GKV. Dabei entsteht paradoxerweise eine staatliche Re-Regulierung, die durch Maßnahmen, wie Liberalisierung der Vertragspolitik und Qualitätssicherung, flankiert werden. Entscheidend ist jedoch der Bedeutungsverlust korporatistischer Regulierung (vgl. Gerlinger 2009: 37). Nichtsdestotrotz möchte die Exekutive nicht auf korporatistische Steuerungsleistungen verzichten, besonders in Detailfragen der Mikrosteuerung, d. h. in Fragen der Bewertung medizinischer Leistungen greift sie auf das Spezialwissen der Verbände zurück. Der Neokorporatismus wird vielschichtiger und verlagert sich von der Meso- auf die Mikro-ebene – des Wettbewerbs zwischen den Akteuren (vgl. ebda. 38). In der wissenschaftlichen Literatur, anlehnend an den Begriff ‚competitive corporatism’ Martin Rhodes’, wird bereits vom ‘staatlich domestizierten Wettbewerbskorporatismus’ gesprochen (Gerlinger 2009: 39). Im gewandelten Korporatismus hat der GKV-Spitzenverband eine Schlüsselposition staatlicherseits zugewiesen bekommen es sind inkrementelle Veränderungen in Form von Individualverträgen, die den Gesundheitssektor nachhaltig verändern werden. Kernelemente der GKV sind weiterhin das Sachleistungsprinzip für die Versicherten und das verfassungsmäßig determinierte Solidaritätsprinzip. Das kasseninterne Selbstverwaltungs-prinzip wurde durch den staatlicherseits festgesetzten Beitragssatz eingeschränkt, und lediglich die Höhe des Zusatzbeitrags wird durch die Kassen selbstbestimmt festgelegt (Matusiewicz u. a. 2012: 34f). Im Gegensatz dazu ist das gemeinsame Selbstverwaltungsprinzip gestärkt worden, indem das G-BA-Gremium erweiterte Aufgabenkompetenzen zugewiesen bekam (vgl. Rau 2008: 45f).

Über den Autor

Sascha Beljanski, M. A. wurde 1969 in Loznica/Jugoslawien geboren. Sein Studium in den Fächern Wirtschaftswissenschaft, Kunstgeschichte und Geographie führte ihn u. a. an die Universitäten in Aachen, Bonn und an die Freie Universität in Berlin. 2014 beendete er das Masterstudium im Fach Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Governance. Zur Zeit ist der Autor freiberuflich tätig.

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