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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 64
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Ethnolekt hat viele Namen: Kanak Sprak, Türkendeutsch, Ghettoslang, Stadtteilsprache und Kiezdeutsch sind nur einige Bezeichnungen, die sich für ein und dasselbe linguistische Forschungsobjekt finden lassen. Jedoch setzen sich nicht nur Linguisten mit dem Ethnolekt auseinander, auch selbsternannte Sprachkritiker ohne einen wissenschaftlichen biographischen Hintergrund führen wieder einmal den öffentlichen Diskurs an. Das allgemeine Interesse an sprachwissenschaftlichen Themen ist groß, wie Debatten über Anglizismen, Rechtschreibreformen und Jugendsprache zeigen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden einige Mythen um den Ethnolekt benannt und anschließend aufgeklärt. Erkenntnisinteresse ist die Frage nach der aktuellen und zukünftigen Verbreitung des Ethnolekts. Das betrifft nicht nur die Dimension seiner Expansion auf unterschiedliche Sprechergruppen und unterschiedliche soziale Milieus, sondern ebenso die Frage nach der Chance auf einen langfristigen und übergreifenden Sprachwandel auf ethnolektaler Basis.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2, Die soziale Bewertung des Ethnolekts: Ethnolekte unterliegen - wie jeder Sprachgebrauch - einer gesellschaftlichen Bewertung, die folgendermaßen zusammengefasst werden kann: Sie ist ‘stark von negativen Mythen geprägt. Kiezdeutsch wird als gebrochenes Deutsch angesehen, als Ausdruck mangelnder Sprachkompetenzen, als Zeichen für Integrationsverweigerung oder gar als eine Bedrohung für das Deutsche insgesamt.’ Ethnolekte erfahren also in der öffentlichen Wahrnehmung eine Pejoration. Auch ein Akzeptanztest von Freywald zeigt das niedrige Prestige des Ethnolekts: This holds for the monoethnic neighbourhood, where nearly 20% of the comments on ‚kiezdeutsch’ sentences explicitly characterised them as ‚wrong’ or ‚bad German’. To a lesser degree this also holds for participants from the multiethnic neighbourhood, where 10% of the responses involved explicit evaluations as ‚wrong German’, with comments like ‘I hear this very often, that’s Kreuzberg after all, children are not well educated there with their languages, they keep bad company’. Im vorangegangenen Kapitel konnte gezeigt werden, dass der Ethnolekt kein gebrochenes Deutsch ist. Seine Sprecher besitzen ein weites sprachliches Repertoire und die Kompetenz, dieses kontext- und situationsgerecht einzusetzen. Auch wenn es sich um Migrantenkinder in der zweiten oder dritten Generation handelt, sprechen diese nicht das Gastarbeiterdeutsch der immigrierten Eltern oder andere Lernervarietäten. Sie beherrschen meist das Standarddeutsche, eine oder mehrere Fremdsprachen und andere Varietäten. Der Ethnolekt kann auch kein gebrochenes Deutsch sein, wenn Jugendliche ohne Migrationshintergrund ihn in ihr Varietätenrepertoire einbetten oder wenn beliebige Sprecher in Deutschland den tertiären Ethnolekt als fremde Stimme verwenden. Der Ethnolekt ist auch kein Zeichen mangelnder Sprachkompetenzen. Er ist diesem Vorwurf entgegengesetzt ein Anzeichen sehr hoher Sprachkompetenz. Hierbei muss der Begriff der Sprachkompetenz geklärt werden, denn im laienlinguistischen Gebrauch wird dieser meist mit der regelkonformen Beherrschung der Standardsprache gleichgesetzt. In der Linguistik wird unter Sprachkompetenz folgendes verstanden: Ein individueller Sprecher einer Muttersprache ist im Rahmen seiner realen Sprachverwendung mehr oder weniger fähig, eine unbegrenzte Anzahl grammatischer Strukturen zu äußern, zu verstehen und unter verschiedenen, für die Konstruktion von Grammatiktheorien relevanten Gesichtspunkten zu beurteilen, z.B. hinsichtlich der Art und des Grades von Akzeptabilität, hinsichtlich der Art und des Geltungsbereichs sprachlicher Bedeutungen oder hinsichtlich möglicher Paraphrasen. Wie gezeigt wurde, werden im Ethnolekt neue grammatische Strukturen geäußert, die dem deutschen System jedoch nicht fremd sind. Die Voraussetzungen des Deutschen bilden die Basis neuer Entwicklungen. Ein Akzeptanztest von Wiese, Freywald und Mayr zeigt, dass Sprecher mit und ohne Migrationshintergrund dazu in der Lage sind, ethnolektale Aussagen von Umgangssprache und ungrammatischen Aussagen abzugrenzen: The view that speakers in the multiethnic neighbourhood might take a difference between something like ‚wrong, but nevertheless part of our language’ and ‚just wrong’, is supported by the following comment, given by a member of the multiethnic group on a ‚kiezdeutsch’ sentence he accepted: ‘Yes, we say that [laughs], although it’s not formulated correctly. We say it anyway.’ Der Vorwurf der Integrationsverweigerung ist dahingehend besonders zweifelhaft, da ein bestimmter Sprachgebrauch selbst niemals jemanden integrieren oder dies verhindern kann - so wie Sprache selbst nicht lügen oder moralisch verwerfliche Taten vollbringen kann, sonder nur ihre Sprecher. Eine solche Überschätzung der Rolle von Sprache zeugt von einer panlinguistischen Haltung. Bedenkt man die Verbreitung ethnolektaler Sprache auf Sprecher ohne Migrationshintergrund wird dieser Vorwurf endgültig irrelevant. Im Gegensatz zur Unsicherheit mancher Ethnolekt-Sprecher existieren aber auch Versuche, das interne und externe Prestige des eigenen Sprachgebrauchs zu steigern. Es findet ähnlich wie beim Begriff Kanake eine bewusste Umwertung der negativen Abwertung in positiven Stolz statt. Besonders in der Rapmusik finden sich viele Vertreter, die selbst aus den einschlägigen Milieus stammen, wie der Offenbacher Rapper Haftbefehl mit kurdischem Migrationshintergrund oder der Kölner Rapper Eko Fresh mit türkischem Migrationshintergrund. Letzterer veröffentlichte sogar im szeneintern sehr populäre Online-TV-Format HALT DIE FRESSE von Aggro TV einen Track, welcher den Titel STRAßENDEUTSCH/TÜRKENDEUTSCH trägt. Hierbei geht es darum, sich als Sprecher dieser Varietät nach außen hin zu präsentieren. Einige fremdsprachliche Ausdrücke werden erklärt und übersetzt. Der Refrain greift dabei sogar Aspekte der ethnolektalen Historie (01), der Fremdheits-Situation (03/04) und des Lebens im Ghetto (02) sowie der allgemeinen sozialen Abwertung (06) auf: 01 Unsere Eltern waren Gastarbeiter, 02 Jetzt machen wir den Job hier als Hustler weiter, 03 Für Deutsche sind wir Türken, 04 Für Türken sind wir Deutsche, 05 Deshalb sag' ich euch, was die Wörter so bedeuten, 06 Wir werden oft als Asoziale betitelt, 07 Haben unsere eigene Sprache entwickelt, 08 Nenn es Straßendeutsch oder Türkenslang, 09 Ich mach' mehr für die Völkerverständigung als ihr. Bei der Betrachtung der Rapszene darf jedoch nicht ignoriert werden, dass es viele gegenläufige Tendenzen gibt, bei denen eine Pejoration ethnolektaler Rapper stattfindet. Das Musikstück WAS WILLST DU MACHEN von K.I.Z. ist ein Beispiel für die zeit- und ortsunabhängige parodistische Diskreditierung der kollektiven anonymen Masse der Kanaken. Äußerliche stereotype Eigenschaften und Tätigkeiten, die zur Parodie aufgegriffen werden, sind beispielsweise Hosen in den Socken, gemietete BMWs fahren und im Solarium bräunen. Des Weiteren werden den Kanaken bestimmte klischeebehaftete Verhaltensweisen vor kleinkriminellem Hintergrund unterstellt, wie beispielsweise Handys klauen und grundlose körperliche Gewaltausbrüche, vorzugsweise mit Unterstützung der zahlreichen Familienmitglieder. Als typisches Vokabular sind die durchaus jugendsprachliche Beleidigung Opfer, der romantisierte Ausdruck Ghetto und die Drohung Leben ficken hervorzuheben. Andere sprachliche Merkmale werden nicht verwendet.

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