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- Das Osmanische Reich und seine Minderheiten: Der ökonomische Wandel im 19. Jahrhundert
Sozialwissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 46
Abb.: 6
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Osmanische Reich bestand von 1299 bis 1923 und war damit eines der langlebigsten Imperien der Geschichte. Es erstreckte sich, auf dem Höhepunkt seiner Macht, auf drei Kontinenten einschließlich des Balkans, des Maghrebs, Kleinasiens und des Nahen Ostens. Folglich war es in seiner ethnischen Zusammensetzung ein Vielvölkerstaat und hatte dabei enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zu anderen europäischen Mächten. Um die wirtschaftlichen bzw. ökonomischen Beziehungen zu analysieren, ist es unumgänglich, die Tätigkeiten und Handelsbeziehungen der christlichen und jüdischen Minderheiten im Reich zu betrachten. So waren die osmanischen Minderheiten vor allem als Steuerpächter und im internationalen Handel erfolgreich, während die muslimischen Kaufleute den Binnenhandel dominierten. Es bestand bis ins 18. Jh. ein gewisses Gleichgewicht zwischen den muslimischen und den nicht-muslimischen Handelsaktivitäten. Erst im 19. Jh. hatten die Nicht-Muslime des Osmanischen Reiches einen enormen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der muslimischen Mehrheit erlangt. Diese Vorteile resultierten aus der Rechtswahl, die den Minderheiten aus dem islamischen Rechtspluralismus entstanden. Durch das Millet-System hatten die einzelnen Konfessionen ihre eigene Gerichtsbarkeit. Bis ins 18. Jh. übten die Minderheiten dennoch ihr Wahlrecht bezüglich ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten zugunsten des islamischen Rechtssystems aus. Die Folge war, dass sich die konfessionellen Gerichte der Nicht-Muslime an die islamische Rechtspraxis anglichen. Durch die organisatorische Stagnation der Region erwuchsen auch den Minderheiten erhebliche ökonomische Nachteile. Keine der konfessionellen Gruppen konnte fortschrittliche Organisationen entwickeln. Als jedoch die westeuropäischen Staaten im 19. Jh. durch ihre organisatorischen Institutionen endgültig den Nahen Osten dominierten, entstanden für die christlichen und jüdischen Minderheiten neue Möglichkeiten ihren Handel zu organisieren. Sie wurden zu Protegés der europäischen Mächte und stellten sich unter Ihren Schutz. Ihre Rechtswahl übten sie nun zugunsten der westlichen Rechtssysteme aus. Dadurch konnten sie ihre Handelsnetzwerke im Westen ausbauen und große bzw. komplexe Unternehmen nach westlichem Vorbild gründen.
Textprobe: Kapitel 4.1, DER ISLAMISCHE RECHTSPLURALISMUS: Wie im zweiten Kapitel beschrieben, waren die Minderheiten als Millets mit eigenständigen Gerichten organisiert. Obwohl einigen Restriktionen unterworfen, hatten die Dhimmis ein entscheidendes Recht, welches den Muslimen verwehrt blieb. Sie waren dazu berechtigt, zwischen ihren eigenen und den islamischen Gerichten frei zu wählen. Ausgenommen hiervon waren einzig strafrechtliche Angelegenheiten, welche ausschließlich in die Zuständigkeit der islamischen Gerichte fielen. Die Wahl zwischen den Gerichten bedeutete hier auch die Wahl zwischen Rechtsordnungen. Die Religionen bzw. konfessionellen Gerichte der Minderheiten übten ihr spezifisches eigenes Gesetz aus. Diese konfessionellen Gerichte trugen auch dazu bei, die individuellen kommunalen Identitäten der osmanischen Christen und Juden zu bewahren (vgl. Kuran 2004, S.484). Diese Rechtswahl hat ihren Ursprung in dem 'Pakt von Umar' und entstand in der Frühphase des Islams. Nach der islamischen Expansion im Nahen Osten wurde den Dhimmis u.a. folgende Anweisung erteilt: We shall supervise all your dealings with Muslims.... We shall not supervise transactions between you and your coreligionists or other unbelievers nor inquire into them as long as you are content. If the buyer or the seller among you desires the annulment of a sale and comes to us to ask for this, we shall annul it or uphold it in accordance with the provisions of our law. But if payment has been made and the purchase consumed, we shall not order restitution.... If one of you or any other unbeliever applies to us for judgment, we shall adjudicate according to the law of Islam. But if he does not come to us, we shall not intervene among you. Nach diesen Bestimmungen waren Christen und Juden in allen wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen mit Muslimen an die islamischen Gerichte gebunden. Lediglich in ihren wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Nicht-Muslimen waren sie frei zwischen den Rechtssystemen zu wählen. Die Rechtswahl konnte entweder ex ante, d.h. während den Vertragsverhandlungen oder ex post, also nach den Vertragsverhandlungen durchgeführt werden. Die ex ante Rechtswahl erhöhte für beide Parteien die Effizienz, da keiner der Streitparteien dem Gesetz A gegenüber dem Gesetz B bevorzugen würde, es sein denn, das Gesetz A ist mindestens genau so gut oder besser. Die Entscheidung über eine ex post Wahl wäre im Gegensatz für eine der Parteien vorteilhafter und würde dabei den anderen schlechter stellen. Es sei angenommen, dass zwei Händler eine Partnerschaft nach jüdischem Recht schließen. Am Ende der Laufzeit streiten sie über die Verteilung des Gewinns und der eine Händler bringt den Fall vor das islamische Gericht. So handelte er opportunistisch und erwartete einen Vorteil für sich, da Verträge die außerhalb des islamischen Rechts abgeschlossen, vor einem islamischen Gericht als nichtig erklärt werden. Dafür reichte es aus, einfach vor einem islamischen Richter (kadi) Anklage zu erheben. Sobald jedoch ein Vertrag unter islamischem Recht geschlossen wurde, konnte es später nicht mehr an ein konfessionelles Gericht abgegeben werden. Das Wechseln von einem islamischen Gericht war den Dhimmis nur möglich, wenn beide Parteien diesem ausdrücklich zustimmten. Den Muslimen blieb eine Rechtswahl ausgeschlossen (vgl. Kuran 2004, S.486). Somit konnten die Minderheiten, wenn sie es vorteilhafter fanden, den Regeln ihrer eigenen Gemeinde folgen. Daneben waren sie frei in der Anwendung von islamischen Handelsmethoden oder den islamischen Nachlassregelungen und konnten alle Streitfragen vor einem Kadi bringen. Anders gesehen, hatten die Muslime kurioserweise durch den islamischen Rechtspluralismus weniger rechtliche Möglichkeiten als die Gemeinden die ihnen 'Untertan' waren. Der natürliche Bereich der konfessionellen Gerichte bestand hauptsächlich aus religiösen Angelegenheiten wie z.B. Heirat, Scheidung, Erbschaft oder auch Sklaverei. Trotzdem waren sie auch berechtigt kommerzielle und finanzielle Streitfälle zu behandeln. Dabei hatten die konfessionellen Gerichte durch ihre gegenseitige Unabhängigkeit unterschiedliche Funktionen. So gründete jede jüdische Gemeinde ihren eigenen Gerichtshof, aufbauend auf dem jüdischen Recht halakhah, die Gesetze auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten erließen (vgl. Shmuelevitz 1984, S.41). Die Richter halfen den Investoren, Kreditgebern und Händlern ihre Verträge zu erstellen und waren zwischenzeitlich auch in Messen anwesend, um die Händler bei Handelsabkommen und Partnerschaften zu unterstützen. Die orthodoxen Christen begründeten dagegen Kirchengerichte, die ihren Glaubensgenossen bei der Erstellung von Urkunden, Testamenten und Handelsabkommen halfen (vgl. ebd.). Trotz der freien Rechtswahl, tendierten die jüdischen und christlichen Bürger dennoch zu der islamischen Rechtsordnung. Außer in den Fällen, wo mindestens ein Muslim beteiligt ist, klagten die Nicht-Muslime auch gegen ihre Glaubensgenossen vor einem Kadi. In einigen Regionen gibt es zudem keinen Beweis, dass es überhaupt konfessionelle Gerichtshöfe gab. So konnte in den islamischen Gerichtsregistern (sijills) von Damaskus zwischen 1775-1860 kein einziger Hinweis für konfessionelle Gerichte gefunden werden. Dagegen brachten im 17. Jh. Griechen und Armenier aus Kayseri ihre finanziellen und Handelsunstimmigkeiten im gleichen Verhältnis wie die türkischen Bewohner vor einem islamischen Gericht. Zur gleichen Zeit in Nikosia, Zypern war in eindrittel der Fälle, die in islamischen Gerichten behandelt wurden, mindestens ein Nicht-Muslim beteiligt. In dieser Zeit war weniger als die Hälfte der Bevölkerung Nicht-Muslime (vor allem Christen). Somit muss ein beträchtlicher Anteil der Minderheiten die islamischen Gerichte für vorteilhafter als ihre eigenen Gerichte gehalten haben. Daneben gibt es verschiedene Studien die belegen, dass viele jüdische Kaufleute im 15. und 16. Jh. regen Gebrauch von islamischen Gerichtshöfen machten (vgl. Kuran 2011, S.178 f.). Die Dhimmis nutzten die islamischen Gerichte vor allem für die Registrierung von Finanztransaktionen und der Eintragung von Besitzansprüchen. Bei Streitfragen war für die Minderheiten das am meisten verbindlichste Gericht im Reich am sichersten. Außerdem erhofften sie sich mit der Registrierung, dass ihre Interessen gegenüber dem Staat oder anderen muslimischen Händlern besser geschützt waren. Daneben spielten auch die Gerichtskosten eine Rolle. In den Fällen, wo die konfessionellen Gerichte mehr Gebühren verlangten, wurden die islamischen Gerichte zur Kostenminimierung bevorzugt. Ebenfalls entscheidend war das höhere Durchsetzungsvermögen des islamischen Rechts. So fehlte den meisten konfessionellen Gerichten die Berechtigung um staatliche Strafen zu verhängen. In Fällen wo die Parteien verschiedenen Glauben anhingen, waren die Gerichte sogar machtlos (vgl. Kuran 2011, S.180 f.). Andere Gründe für die Bevorzugung der islamischen Gerichte lagen in der Substanz des islamischen Rechts. Bis in moderne Zeiten boten die Bestimmungen der islamischen Partnerschaften mindestens ebenso sehr Flexibilität wie die der christlichen Gemeinden im Nahen Osten. In Bezug zur jüdischen Vertragsform, der Isqa, bot es sogar klare Vorteile. So benötigte die Isqa Gleichheit zwischen den Partnern entweder hinsichtlich der Gewinnverteilung oder der Haftungsverteilung. Die Mudarba dagegen erlaubte es den Partnern, die Verteilung des Risiko/Rendite Verhältnisse nach ihren eigenen Erfordernissen zu wählen (vgl. Udovitch 1970, S.170 f.). Daher wählten jüdische Händler bis ins 18. Jh. laufend islamische Partnerschaften, selbst wenn ihre Geschäftspartner ebenfalls jüdisch waren. Sogar in Fällen wo das islamische Recht eher nachteilig war, wurde es dennoch zur Vorbeugung von opportunistischem Gerichtswechsel bevorzugt.
Safak Kirkkanat, B.Sc., wurde 1982 in Berlin geboren. Sein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin schloss der Autor im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Science erfolgreich ab. Bereits während des Studiums war der Autor Mitbegründer des u.a. in der Jugendsozialarbeit tätigen Vereins Entegre e.V., wo er besonders an Projekten mit Migranten aus den Nahöstlichen Regionen mitwirkte. Sein Interesse an sozioökonomischen Vorgängen und seine zahlreichen Auslandsaufenthalte in der Türkei motivierten ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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