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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Funktion eines Gerichtsverfahrens besteht aus juristischer Sicht primär in der ‘Durchsetzung der objektiven Rechtsordnung’. Das beinhaltet im Anschluss an die Feststellung des individuellen Straftatbestandes eine gerechte, also rechtmäßige Bestrafung des Täters. Somit hat ein Gerichtsverfahren, neben der juristischen Funktion, ebenso eine gesellschaftliche Funktion: Es stellt die Sühne des Verbrechens durch den Täter sicher. Der Oradour-Prozess 1953 in Bordeaux, bei dem Angehörige eines SS-Verbandes wegen Mordes an 642 Bewohnern eines kleinen französischen Dorfes - dem Massaker von Oradour - angeklagt waren, hatte große Schwierigkeiten diesen Anforderungen gerecht zu werden. Die Tatsache, dass in diesem SS-Verband Franzosen aus dem Elsass am Massenmord beteiligt waren, machte es dem Gericht, durch den sich daraus entwickelnden innerfranzösischen Eklat, beinahe unmöglich, ein von äußeren Umständen unabhängiges und vor allem rechtmäßiges Urteil zu fällen. Juristisch fußte der Prozess nämlich auf einem äußerst umstrittenen Fundament: der nach dem Oradour-Massaker benannten ‘lex Oradour’-Verordnung, die das Prinzip der Kollektivschuld ermöglichte. Die Elsässer sind zum Großteil in die SS zwangsrekrutiert worden, weshalb der Prozess in Bordeaux von Protesten von elsässischer Seite gegen die Gleichbehandlung mit den Deutschen begleitet war. Die Frage, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, lautet: Wie reagierte die deutsche Öffentlichkeit angesichts dieser widrigen Begleitumstände auf das Gerichtsverfahren in Frankreich, bei dem die Hinterbliebenen der Opfer einhellig die Todesstrafe für alle deutschen und französischen Angeklagten forderten? Um diese Frage zu beantworten, wurden die Berichterstattung und die Kommentare in der bundesdeutschen Presse zum Oradour-Prozess untersucht. Lag der Fokus der deutschen Rezeption auf dem Schicksal der deutschen Angeklagten oder auf der Rechtmäßigkeit des gesamten Verfahrens? Zeigte man sich beschämt ob des von Nazideutschland zu verantwortenden Verbrechens? Wie wurde in Deutschland auf die elsässischen Proteste reagiert? Welcher Stellenwert wurde dem Prozess im Hinblick auf die zukünftigen deutsch-französischen Beziehungen beigemessen? Diese Fragen versucht diese Arbeit zu klären.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Die Vernichtung Oradours - Akteure und Erklärungsansätze: 2.1, Das Massaker: Das Dorf Oradour-sur-Glane befindet sich im westlichen Zentralfrankreich, 22 Kilometer nordwestlich von Limoges, der Hauptstadt der Region Limousin und des Départements Haute-Vienne. 1944 zählte die Gemeine Oradour-sur-Glane ungefähr 16505 Einwohner, von denen etwa 800 im Dorf wohnten. Am 10. Juni 1944, vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, erreichte eine Einheit der 2. SS-Panzer-Division ‘Das Reich’ gegen 14 Uhr den südöstlichen Eingang von Oradour. Die Soldaten umstellten das Dorf, riegelten alle Zufahrtsstraßen ab und begannen, die Einwohner auf dem Marktplatz zusammenzutreiben, indem sie systematisch jedes Haus durchsuchten und die auf umliegenden Höfen und Feldern arbeitenden, mit Panzerwagen einsammelten. Die Dorfbewohner kooperierten, in der Annahme, es handele sich nur um eine Routineüberprüfung. Nachdem alle Bewohner auf dem Marktplatz versammelt waren, wurden die Frauen und Kinder von den Männern getrennt, in die Kirche gebracht und dort eingesperrt. Mittels eines Dolmetschers wurden die verbleibenden 200 bis 250 Männer nach sich angeblich im Dorf befindlichen Waffen und Munition befragt. Als die Männer dies verneinten, wurde eine Durchsuchung des Dorfes verkündet. Auf ein Signal hin, fingen die SS-Soldaten an, die Männer zügig in kleinen Gruppen in umliegende Scheunen und Garagen zu bringen. Ein Maschinengewehr wurde auf dem Marktplatz in Stellung gebracht, und als von außerhalb eine Detonation zu vernehmen war, gab jemand den Befehl zu schießen. Die Soldaten der SS eröffneten das Feuer auf die eingeschlossenen Männer. Verwundeten wurde der ‘Gnadenschuss’ gegeben. Nachdem die Soldaten die Leichen mit Brennmaterialien und Phosphor bedeckt hatten, zündeten sie die Scheunen an. Etwa um 17 Uhr, stellten zwei SS-Männer eine große Kiste auf den Altar der Kirche, während ein Teil der SS-Soldaten die Männer von Oradour hinrichtete. Sie verlegten eine lange Zündschnur zum Eingang der Kirche, zündeten diese an und verriegelten von außen die Tür.7 Die Kiste explodierte, brachte alle Fenster zum Bersten und setzte erstickenden Rauch frei. Die circa 350 eingeschlossenen Frauen und Kinder versuchten in Panik, aus der Kirche zu fliehen. Als die SS-Soldaten merkten, dass der Sprengsatz nicht die erwartete Durchschlagskraft hatte, schossen sie mit automatischen Waffen in die offenen Fenster und warfen Handgranaten in das Kirchengebäude. Als der Rauch verzogen war und die Schreie aus der Kirche verstummten, schafften sie Holz und Stroh in die Kirche und legten Feuer. Es gab in der Kirche nur eine einzige Überlebende: Marguerite Rouffanche. Sie konnte durch ein Fenster zunächst aus der Kirche fliehen, wurde dann von fünf Kugeln getroffen und überlebte schwer verletzt, indem sie sich im Garten hinter der Kirche versteckte. Von den Männern in Oradour überlebten lediglich fünf. Sie befanden sich alle in derselben Scheune und konnten, geschützt durch den aufsteigenden Rauch der brennenden Gebäude Oradours, über die Felder flüchten. Zwischen 21 Uhr und 22:30 Uhr postierte die SS-Kompanie Wachen im brennenden Oradour und verließ dann den Ort Richtung Nieul. An den beiden folgenden Tagen kamen Teile der Kompanie ins Dorf zurück, um die sterblichen Überreste der Dorfbewohner in Gruben zu verscharren. Nach Jean-Jacques Fouché handelte es sich hierbei für die SS nicht um eine ‘hygienische’ Maßnahme. Vielmehr ging es ihr um das Verwischen von Spuren: Niemand sollte die verbrannten Toten identifizieren können. An diesem Tag kamen in Oradour offiziell 642 Menschen ums Leben. Hauptquelle dieses Ereignisses sind Schilderungen von Augenzeugen: sowohl von den Überlebenden als auch von Personen, die nach dem Abmarsch der SS den Ort wieder betraten. Aufgrund der Tatsache, dass es für dieses Ereignis kaum andere Belege gibt, unterscheiden sich die verschiedenen Darstellungen der Geschehnisse vom 10. Juni 1944 in Oradour in der Fachliteratur nur geringfügig, da sie überwiegend auf diesen Augenzeugenberichten basieren. 1946 billigte das französische Parlament in einer besonderen Gesetzgebung die Neuerrichtung von Oradour neben den zerstörten Ruinen des alten Dorfes. Gleichzeitig stellte es die Überreste der Siedlung unter Denkmalschutz. Die Association Nationale des Familles des Martyrs d´Oradour-sur-Glane (ANFM), in der sich die Überlebenden des Massakers zusammengeschlossen hatten, unterstützten das von der Regierung de Gaulle forcierte Projekt. Dieser erklärte kurz nach seinem ersten Besuch der Ruinen im März 1945 Oradour als Symbol für das, was Frankreich im 2. Weltkrieg erleiden musste. Das Massaker von Oradour löste in Frankreich ein nationales Trauma aus. Bis in die 70er Jahre hinein war für die französische Zeitgeschichtsforschung Oradour der Inbegriff für die Abgründe des Nationalsozialismus, nicht Auschwitz. Seit 1945 findet jedes Jahr am 10. Juni in Oradour-Sur-Glane eine große Zusammenkunft in Gedenken der Opfer statt. Bisher nahm noch kein deutscher Politiker daran teil dies scheiterte stets am Widerstand der ANFM. Am 6. Juni 2004, bei der Gedenkveranstaltung für die Landung der Alliierten in der Normandie, entschuldigte sich mit Gerhard Schröder erstmals ein deutscher Bundeskanzler für die Untat von Oradour.

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