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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die bundesdeutsche Erinnerung an den zweiten Weltkrieg unterlag einem stetigen Wandel. Lange Zeit stand dabei auch das Bild der Deutschen als Täter im Vordergrund. Doch seit der Jahrtausendwende, so die Ausgangsthese des Verfassers, scheint die Erinnerung an die Deutschen als Opfer verstärkt an Bedeutung zu gewinnen. Vor allem Erfahrungen der deutschen Zivilbevölkerung während des Bombenkrieges oder Flucht und Vertreibung werden häufiger denn je in der öffentlichen Erinnerungskultur thematisiert. Diese Tendenz wurde längst von Wissenschaft und Journalismus erkannt, beschrieben und diskutiert. Meist blieb es dabei aber bei bloßen Meinungsäußerungen verschiedener Parteien. In dieser Studie werden verschiedene Darstellungsformen der neuen deutschen Opfergeschichte untersucht und mögliche Motive derjenigen, die diese Geschichte erzählen, betrachtet. Zudem wird diskutiert, inwiefern der Wandel zum deutschen Opfergedenken problematisch oder gerechtfertigt ist. Nachdem zunächst ein Überblick über die deutsche Erinnerungskultur seit Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben wird, erfolgt die Untersuchung des benannten Phänomens in den drei Teilbereichen Literatur, Film und Fernsehen und an dem Beispiel der Ausstellung Erzwungene Wege . Wer über Deutsche als Opfer spricht, gerät allzu leicht ins Kreuzfeuer von Kritikern, die einem Geschichtsrevisionismus oder Aufrechnungsgedanken unterstellen. Das vorliegende Buch soll dazu beitragen eine kontroverse Erinnerungskultur zu ermöglichen, in der das Für und Wider des deutschen Opferdiskurses fair diskutiert werden kann. Es ist somit der Versuch eines objektiven, wenn auch kritischen Blickes auf die Zukunft der Erinnerung.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Zur Problematik einer Opfergeschichte: Bestandteile der Opfergeschichte sind, wie bereits erwähnt, vor allem Erzählungen vom alliierten Bombenkrieg sowie von der massenhaften Vertreibung Deutscher aus den Ostgebieten und damit verbunden die sexuellen Vergehen von Soldaten an deutschen Frauen. Es stellt sich die Frage, worin die Problematik besteht, eben diese Geschichten, diese Erfahrungen zu teilen und im kollektiven Gedächtnis zu thematisieren. Dies ist eine wichtige Fragestellung für die vorliegende Arbeit. Haben Deutsche, die unter den Alliierten vor allem in der Endphase des Krieges gelitten haben, kein Recht darauf, diese Leiden auch darzustellen? Haben sie nicht das Recht, auch als Opfer verstanden und anerkannt zu werden? Diese Fragen lassen sich nicht ohne weiteres beantworten. Letztlich soll auch der Hauptteil dieser Arbeit helfen, Antworten zu finden. An dieser Stelle möchte ich jedoch einige Bedenken, Meinungen und Wünsche zusammenfassen, wie sie vor allem in der Fachpresse und -literatur zu finden sind. Ein wichtiger Punkt bei der Erinnerung an die deutschen Opfer ist zunächst die Frage, wie viel Platz ihr eingeräumt werden kann und darf. Jan Lohl behauptet beispielsweise, dass durch die zentrale Thematisierung der deutschen Opfer die ‘genaue Erinnerung an die NS-Verbrechen […] zum Verschwinden gebracht [werden].’ Weiter sagt er: ‘Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wird zur reinen - einer von den Opfern der NS-Verbrechen bereinigten – nationalen Selbstthematisierung […].’ Hier ist also klar die Befürchtung zu finden, dass der deutsche Opferdiskurs die deutschen Verbrechen an anderen Opfergruppen verdrängt. Ute Frevert bezeichnet die Opfernarrative sogar als ‘Entlastungsargumente’, die bereits nach dem Krieg auftauchten und jetzt wiederkehren. Der Argumentation, dass der deutschen Opfer nicht gedacht wurde und es eine Erinnerungslücke gebe, widerspricht sie. Frevert stellt allerdings auch klar, dass die Erinnerung an deutsches Leid ‘legitim und wichtig’ sei, wobei dafür einige Punkte beachtet werden müssen. Dazu gehört beispielsweise, dass die Erinnerung stets kritisch erfolgen müsse. Auch dürfe die Erinnerung nicht politisiert werden und zur Schuldaufrechnung oder -entlastung dienen. Ferner seien Analogien und Vergleiche mit anderen Diktaturen oder Volksverbrechen kritisch zu betrachten, da sie oft nicht angemessen seien und Sachverhalte ausblenden würden. Gleichzeitig könnten sie aber auch helfen, die Phänomene (z.B. den Aufstieg des Nationalsozialismus) besser zu verstehen. Helga Hirsch beschreibt ohne große Wertung, dass die Erinnerung an die zivilen deutschen Opfer (hier insbesondere Flüchtlinge und Vertriebene) bislang in zwei Extremen verlief. Entweder gehörte man zu denen, die die Vertreibung der Deutschen als gerechte Strafe für deren Verbrechen sah, oder man nutzt die Erinnerung daran, um die Schuld zu vertuschen. Hirsch impliziert damit, dass der Wandel der Erinnerung dahin geht, dass sie zwischen diesen beiden Polen liegt. Es scheint also vielmehr so zu sein, ‘dass sich das Bekenntnis zu deutscher Schuld und die Trauer über deutsches Leid nicht widersprechen müssen, sondern zwei Seiten einer Medaille sind.’ Martin Sabrow erwähnt zunächst, dass sich der Wandel zum deutschen Opfergedenken ‘nur zu leicht als geschichtspolitische Schuldentsorgung deuten [lässt].’ Er geht jedoch davon aus, dass es bei dem Opferdiskurs nicht um die Aufrechnung von Schuld geht. Die Anerkennung der traumatisierten deutschen Opfer sei lange Zeit tabuisiert worden. Sie wäre allerdings möglich, ohne die NS-Verbrechen zu relativieren oder Schuld zu verdrängen. Vielmehr richte sie sich sogar gegen den Entlastungsdiskurs. Aleida Assmann stellt fest, dass die Verschiebung der Erinnerung hin zum deutschen Opfergedenken ein Tabubruch sei. Es sei bislang tabuisiert worden, weil man die Verdrängung der Opfererfahrungen der Holocaustopfer befürchtete. Diese wären jetzt endlich gefestigt und anerkannt. Assmann sieht jedoch die Thematisierung deutscher Opfererfahrungen als möglich an, gerade weil die Anerkennung der Holocaustopfer im deutschen Gedächtnis mittlerweile verankert ist. Sie sind ihrer Ansicht nach sogar wichtig: ‘Den Erinnerungen […] sollte man keine Restriktionen und Tabus auferlegen. […] Denn die Hass- und Gewaltspirale, die durch Argumente jederzeit wieder in Gang gesetzt werden kann, lässt sich langfristig nur unterbrechen, wenn jede traumatische Geschichte erzählbar wird […].’ Gleichzeitig dürfe natürlich kein Geschichtsrevisionismus stattfinden. Diesem Wunsch Assmanns nach einer pluralen und demokratischen Gedenk- und Erinnerungskultur entgegnet Harald Welzer direkt mit Bedenken. Er befürchtet, dass die Erzählung der deutschen Opfergeschichte dominieren könnte. Seine Sorge besteht darin, dass durch sie die Frage nach Verantwortlichkeit verschwindet und die Täter unkenntlich werden. Seines Erachtens ‘läuft die neue deutsche Opferkultur [genau darauf] hinaus […]’ Jan-Holger Kirsch sieht auch zwei Seiten des Diskurses: Einerseits kämen Argumente und Tendenzen auf, wie sie bereits in den 1950er Jahren beobachtbar waren. Andererseits wäre ‘das Sprechen über die NS-Zeit und ihre Folgen inzwischen nicht mehr strikten Normierungen und politischer Korrektheit unterworfen […].’ Die verschiedenen Positionen, wie ich sie hier dargestellt habe, zeigen deutlich, wie heikel dieses Thema ist. Die Meinungen überschneiden sich oft und gehen manchmal doch auch auseinander. Die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung werden nicht bestritten. Ihre Thematisierung wird an mancher Stelle kritisch betrachtet, an anderer Stelle ausdrücklich gewünscht. Einig ist man sich in dem Punkt, dass die deutsche Opferkultur die Erinnerung an andere Opfer nicht verdrängen darf. Auch darf sie nicht der Schuldaufrechnung dienen. Möglicherweise sind die Meinungen dazu so unterschiedlich, weil es sich um ein recht junges Phänomen handelt. Es ist noch nicht klar, in welche Richtung die Erinnerung gehen wird und Probleme und Chancen sind schlichtweg noch nicht abzusehen. Aus der oben stehenden Diskussion ergeben sich sozusagen Bewertungskriterien für den Hauptteil dieser Arbeit: Soll die deutsche Opfergeschichte im kollektiven Gedächtnis Eingang erhalten, gibt es m.E. zwei wichtige Voraussetzungen, damit den Erinnernden nicht der Vorwurf des Geschichtsrevisionismus gemacht werden kann: Zum einen dürfen Tatsachen nicht verfälscht werden und zum anderen dürfen wichtige Aspekte, vor allem die der eigenen Schuld und Verbrechen, nicht ausgeklammert werden. Ferner ist es wichtig, dass die Erinnerung nicht der Schuldaufrechnung oder gar -abweisung dient. Auch darf sie die Erinnerung an andere Opfergruppen nicht verdrängen. Daher soll in dieser Arbeit auch immer der Blick auf die Motive und Ziele der Erinnernden gerichtet sein.

Über den Autor

Raimo Alsen, M. Ed., wurde 1985 im Schleswig-Holsteinischen Henstedt-Ulzburg geboren. 2011 schloss er sein Studium des Master of Education für das Lehramt an Realschulen mit den Fächern Englisch und Geschichte an der Universität Flensburg ab. Während des Studiums befasste sich der Autor verstärkt mit der Frage, wie bestimmte zeitgeschichtliche Ereignisse in der heutigen Erinnerungskultur kommuniziert werden. Die steigende Häufigkeit, mit der das Thema des Buches vor allem in populären Massenmedien vertreten ist, veranlasste ihn dazu, nach den Hintergründen zu suchen und diesen relativ jungen Wandel der Erinnerungskultur genauer zu betrachten. Die Tatsache, dass der Autor der zweiten Nachkriegsgeneration angehört, führt zu einer emotionalen Distanz zur Thematik und lässt einen möglichst objektiven Blick zu.

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