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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Spätestens seit dem Bundestagswahlkampf von 1961 ist in regelmäßigen Abständen von einer Amerikanisierung bundesrepublikanischer Wahlkämpfe die Rede. Doch was bedeutet Amerikanisierung eigentlich? Welche Charakteristika machen einen ‚amerikanisierten’ Wahlkampf aus? Und trifft die Annahme, deutsche Wahlkämpfe würden verstärkt Anleihen am amerikanischen Prototyp als ‚leading edge’ innovativer Wahlkampfführung nehmen, wirklich zu? Auf jene Fragen will diese Studie eine Antwort geben. Auf der Basis zweier von Fritz Plasser entwickelter Transfermodelle wird dabei am Beispiel des Bundestagswahlkampfes 2009 geprüft, ob und in welchem Umfang von einer Amerikanisierung bundesrepublikanischer Wahlkampfpraktiken gesprochen werden kann. Erstmals werden dabei ein System- mit einem Einzelmerkmalsvergleich kombiniert und in größerem Umfang zugleich sekundäranalytisch ermittelte empirische Belege herangezogen. Ferner leistet das Buch durch ein eigens weiterentwickeltes Transferfiltermodell einen Beitrag zur besseren Modellierung des Transferprozesses und besticht durch einen umfassenden Merkmalskatalog, der ein umfangreiches und zugleich ausbaufähiges analytisches Fundament für künftige Studien bietet.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5.2, Geografisch-sozialstrukturelle Rahmenbedingungen: Eine wichtige, nicht zu unterschätzende Rahmenbedingung der Wahlkampfführung stellt die räumliche Weite eines Landes dar. Schnell wird dabei deutlich, dass die flächenmäßige Ausdehnung der USA (9.809.155 km2) und die ungleiche Verteilung der Gesamtbevölkerung (309.349.000 Ew.) auf stark urbanisierte Gebiete in Küstennähe sowie eine eher dünne Besiedlung des Landesinneren (31,5 Einwohner/km2) einer vergleichsweise kleinflächigen (357.123 km2), aber bevölkerungsreichen (81.777.000 Ew.) und sehr dicht besiedelten (229 Einwohner/km2) Bundesrepublik gegenübersteht. Aber auch in sozialstruktureller Hinsicht treten fundamentale Unterschiede offen zutage. Während Deutschland über 'vergleichsweise zusammenhängende, übersichtliche Klassen- und Schichtstrukturen' verfügt, also ein relativ hohes Maß sozialer Kohärenz und Homogenität aufweist, bestechen die Vereinigten Staaten, so Jochen W. Wagner, durch eine 'umfassende gesellschaftliche Segmentierung, die auch als ‚ethnokulturelle und regionale Fragmentierung’ bezeichnet wird, sprich eine soziale, territoriale, ethnische, religiöse und kulturelle Zergliederung der US-Gesellschaft in viele unabhängige Subkulturen' . Nicht selten hört man auch von der Struktur des ‚dualen Amerika’, die nach Ansicht der deutschen Humangeographin Rita Schneider-Sliwa nicht nur offensichtliche Gegensätze (Wohlstand, Ethnizität, Religiosität), sondern eine Vielzahl diffizilerer Konfliktlinien (Stadt-Land-Vorstadt oder innerstädtisch: Wohlstandsenklaven-Armutsviertel) umfasst, die jene 'nation of nationalities' durchziehen. Peter Lösche spricht diesbezüglich ferner von 'Inseln der Gleichheit und Glückseligkeit' und meint damit die unzähligen heterogenen, parallel existierenden, voneinander weitgehend isolierten, aber in sich höchst homogenen Nachbarschaften wie Stadtviertel, in denen gemeinsame Werte und Überzeugungen geteilt und das Zusammenleben sozialräumlich organisiert wird. Im Verbund mit den Vorgaben des Wahlsystems führen jene Rahmenbedingungen fast schon zwangsläufig zu einem stark regionalisierten, um spezifische Zielgruppen buhlenden und damit Ressourcen konzentrierenden amerikanischen Wahlkampfstil, wohingegen in Deutschland eher ein auf die Gesamtbevölkerung ausgerichteter ‚catch-all’-Wahlkampfstil vorherrscht, obgleich beide Länder relativ ähnliche, der allgemeinen Modernisierung westlicher Industrienationen geschuldete, soziale und technologische Wandlungsprozesse durchlaufen. 5.3, Politisch-Kultureller Filter: Neben der empirisch leicht belegbaren sozialstrukturellen und geografischen Differenzen spielt auch die vergleichsweise schwer fassbare politische Kultur, in dieser Arbeit verstanden als Summe 'kognitiver, affektiver und wertender Einstellungen gegenüber dem politischen System und politischen Rollen, d.h. die psychologische Dimension eines politischen Systems [sowie] typische Verhaltensmuster (...), d.h. nicht normativ fixierte, gleichwohl ebenfalls ein politisches System charakterisierende Verhaltensweisen' , eine bedeutsame Filterrolle. Die weit zurückreichende, im Kern den Geist des angelsächsischen Liberalismus und die Ideen der frühen Sozialvertragstheoretiker in sich tragende Demokratietradition der USA erklärt, wieso sich bereits in der Kolonialzeit ein hochgradig individualistisches, weitgehend staatsfernes und –skeptisches, auf lokaler Selbstverwaltung (Republikanismus) beruhendes Herrschaftsverständnis etablierte. Resultat ist auch heute noch eine zutiefst liberale politische Kultur, bei der Freiheit und Verantwortung des Einzelnen und das Prinzip der Gleichheit (‚equality of opportunities’) in Verbindung mit der Kultivierung eines puritanisch-calvinistischen Erbes, also dem religiös motivierten Streben nach individuellem Wohlstand und Nähe zu Gott, das Fundament für eine 'sozial akzeptierte Verfolgung des eigenen Interesses' (radikaler kompetitiver Individualismus) sowie eine besondere Wertschätzung des Kapitalismus bilden. Es scheint deshalb nachvollziehbar, wenn Louis Hartz Amerikaner als 'natürliche Lockeaner' bezeichnet. Dem fast schon diametral gegenüber steht die vergleichsweise junge deutsche Demokratie und eine politische Kultur, welche sich historisch bedingt durch eine weitaus stärkere Staatsorientierung, in Teilen gar das Fortwirken einer 'obrigkeitsstaatlichen Tradition' als Erbe einer konfessional-etatistischen Symbiose des preußischen Staatsideals und der lutheranisch-protestantischen Geisteshaltung auszeichnet (ausgenommen Süddeutschland), die eine besondere Wertschätzung der (Sozial-)Staatlichkeit sowie einer auf solidarischen Maximen beruhenden Wirtschaftsordnung mit sich führt. Als weiteres Distinktionsmerkmal kann festgehalten werden, dass sich in Deutschland zwar eine gewisse konfessionelle Prägung durch die (partei-)politische Landschaft zieht, diese jedoch bei weitem nicht mit der Bedeutung der Religion für das öffentliche Leben in den USA vergleichbar ist, die weit über den Rahmen des Privaten hinausreicht. Darüber hinaus weisen die USA eine weitere Besonderheit auf. Während in der Bundesrepublik politische Symbole und Zeremonien auch und vor allem aufgrund historischer Erfahrungen sehr zurückhaltend Verwendung finden, strotzt Amerika nur so vor derartigen Ritualen und einem Grad der Ausdrucksstärke politischer Symbolik, der weltweit seinesgleichen sucht. Versuche dieses Spezifikum zu erklären, münden meist in den auf Jean-Jacques Rousseau zurückgehenden und vom amerikanischen Soziologen Robert N. Bellah geprägten Begriff der amerikanischen Zivilreligion. Nach Ansicht des deutschen Politologen Hans Vorländer ist damit eine einzigartige 'weltliche Integrationsideologie mit sakralen Zügen' gemeint, die sich über alle sozialen Schichten, Klassen und Gruppen wölbt und damit die ansonsten zutiefst gespaltene Nation zu einer ideologischen Einheit ('one ideology-society' ) formt, was wunderbar am Leitspruch der USA: ‚E Pluribus Unum’ – ‚Out of many, one’ ablesbar ist. Die symbolstarken Inszenierungen (Staatsbegräbnisse, Amtsantrittsreden etc.), rhetorische Rekurse auf biblische Archetypen, demokratische Kultstätten (Denkmäler, Friedhöfe etc.), die Verehrung von Gründungsdokumenten (Verfassung, Unabhängigkeitserklärung etc.), die kollektive Ikonisierung von Gründervätern, Patrioten und Märtyrern sowie gemeinsam geteilte Glaubensbekenntnisse (American’s Creed) sind es demnach, die jene sonst so heterogene und zutiefst gespaltene Nation im Kern zusammenhalten. Die Zivilreligion erfüllt im Inneren also eine identitäts- und einheitsstiftende und damit stabilisierende Funktion. Nach außen hingegen äußert sich die spezifisch amerikanische Ideologie, gerne auch als 'Ideologia Americana' oder 'Amerikanismus' bezeichnet - ganz im Sinne Wilsons - als ein jedes Interventionsverhalten begleitendes Versprechen die universellen (amerikanischen) Ideale von Freiheit, Erfolg und Glück in der Welt zu verbreiten. Als Konsequenz für die Wahlkampfpraxis kann diesbezüglich festgehalten werden, dass die hochgradig individualistische Kultur der Vereinigten Staaten stark wettbewerbsorientierte und in höchstem Maße personenzentrierte Wahlkämpfe begünstigt, die von (zivil-)religiösen Elementen durchtränkt sind und damit einen hohen symbolischen Gehalt aufweisen. In der Bundesrepublik hingegen ist eine solche Praxis undenkbar. Religiosität bleibt in der Sphäre des Privaten. Auch eine besondere Integrationsfunktion politischer Ideologien oder eine derart starke Verwendung politischer Symbolik gibt es nicht. Die stärkere Staatszentrierung findet ihren Niederschlag dabei indirekt in der relativen Bedeutungslosigkeit des Einzelnen im Schatten wirkungsmächtiger politischer Parteien. Das Resultat ist eine politische Kultur und Handlungslogik, die sicherlich deutlich weniger Gemeinsamkeiten als Unterschiede zum amerikanischen Modell kennt und deswegen auch eine starke Filterwirkung entfaltet. 5.4, Medial-Struktureller Filter: Bei der Betrachtung des elektronischen Mediensektors weißt die Bundesrepublik aufgrund des dualen Rundfunkwesens ebenso einige Spezifika auf. Die der Grundversorgung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten stehen in der 'Tradition des Public Service' und verfügen nicht nur über eine üppige Kapitalausstattung, sondern können nach wie vor hohe Zuschaueranteile auf sich vereinen. Auf Wahlkämpfe wirkt sich dies insofern aus, als das die Karlsruher Rechtsprechung ein gewisses Mindestmaß an Informationsgehalt im Programmangebot vorschreibt, was eine stärker sachlich-informativ gehaltene denn unterhaltungsorientierte Berichterstattung nach sich zieht. Ferner hat das Verfassungsgericht dafür gesorgt, dass öffentlich-rechtliche Sendeanstalten nunmehr verpflichtet sind, den zur Wahl stehenden Parteien kostenfreie Sendezeiten anzubieten. Zeitgleich kann von selbigen auch Anspruch auf eine Rabattierung der Fernsehwahlwerbung gegenüber den Privaten geltend gemacht werden. Die Wahlwerbung bleibt in beiden Fällen jedoch auf die letzten vier Wochen des Wahlkampfes beschränkt und muss mit einem Hinweis versehen werden. Dem gegenüber steht der 'marktwirtschaftlich-kapitalistische Prototyp' der USA. Hier werden weder Nachlässe gewährt noch Gratiswerbung zur Verfügung gestellt. Auch eine Hinweispflicht existiert nicht. Wahlkämpfer haben theoretisch unbegrenzten Zugang zur Wahlwerbung, wobei die einzige Einschränkung darin besteht, dass allen Akteuren zu gleichen Teilen der Ankauf von Werbezeiten ermöglicht werden muss (Access and Equal Time Provision des FCA). Ursache der vergleichsweise geringen politischen Regulierung ist die radikale Auslegung der im ersten Verfassungszusatz enthaltenen ‚freedom of speech’-Klausel, die nebenbei bemerkt auch dazu führt, dass meist das öffentliche Informationsinteresse die Persönlichkeitsschutzrechte des Einzelnen überwiegt, wohingegen das deutsche Presserecht eher um einen 'Mittelweg [bemüht ist], der grundsätzlich beiden Positionen gleiches Gewicht beimisst' . Hans Kleinsteuber schlussfolgert: 'Das Angebot des so strukturierten Rundfunks ist naturgemäß vor allem unterhaltungsorientiert, weil damit der größte Zuspruch – sprich die höchste Quote – erreicht wird' . Neben dem Unterhaltungsschwerpunkt muss auch die außergewöhnliche Rolle des Fernsehens für den politischen Prozess betont werden, was mitunter daran liegt, dass Amerikaner mit 305 Minuten täglich signifikant länger fernsehen als Deutsche (223 Minuten). Zwar verfügen beide Staaten über starke Printsektoren, der Einfluss der amerikanischen Presse, deren Tradition 'vor allem in der Dezentralität und der lokalen Versorgung [liegt]' , ist jedoch bei weitem nicht mit dem der Bundesrepublik vergleichbar. Dort treten überregionale Qualitätszeitungen noch als Leitmedien auf und lösen 'Inter-Media-Agenda-Setting-Effekte' aus, weshalb sich der (Wahl-)Kampf um mediale Aufmerksamkeit ebenso stark auf die Tages- und Wochenpresse wie das TV konzentriert. Außerdem kann festgehalten werden, dass die deutschen Medien im politischen Prozess eine Art Vermittlerrolle spielen und demnach gegenüber Politikern grundsätzlich eine eher kooperative Grundhaltung einnehmen , wohingegen in den USA dank der Tradition des ‚investigative journalism’ sowohl Distanz, als auch Konfrontation und Konflikt sowie eine stärkere Betonung der Kritik- und Kontrollfunktion (Medien als ‚watchdog’) vorherrschen. Dieser kurze, höchst ausschnittartige Überblick legt nahe, dass auch vom Mediensystem Filterwirkungen ausgehen. Dabei darf allerdings nie vergessen werden, dass es trotz offensichtlicher Unterschiede auch einige Gemeinsamkeiten gibt. So ist diesseits wie jenseits des Atlantiks gerne von einer Mediatisierung der Politischen Kommunikation die Rede. Ein erster, wenn auch oberflächlicher Blick lässt daher vermuten, dass jene kraftvolle und universelle Medienlogik so manche systemischen Differenzen übergeht und je nach Einzelmerkmal in gleichem Maße als Transferfilter wie auch -verstärker fungieren kann.

Über den Autor

Thomas Beck studierte Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, an der American University in Washington D.C. und an der Freien Universität in Berlin. Er graduierte mit Prädikatsexamen (Bachelor of Arts, 12/2012). Die Themenschwerpunkte des Autors sind politische Rhetorik und Politolinguistik, Wahlkämpfe- und Wahlkampagnen, Public Affairs Management und Lobbying sowie das politische System der Bundesrepublik und das politische System der USA.

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