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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 68
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Eingeforderte Achtsamkeit gilt in Hochglanzprospekten von Institutionen meist nur der Adressatenseite. Dabei ist ethische Achtsamkeit ohne Selbstsorge für Sozialarbeitende auf die Dauer nicht möglich. Das Thema Achtsamkeit in der stationären Jugendhilfe ist kein Vorwurf der Unachtsamkeit an die Erziehenden, sondern ein Reflexionspunkt. Vorliegendes Buch möchte Mut machen, sich neu als Akteur einer Praxisethik zu verstehen, die beide Seiten berücksichtigt und einfordert. Alle Beteiligten im Jugendhilfeprozess kommen hierfür aus ihrer Sicht zu Wort. Als Teamkonzept ist eine dauerhafte Verwirklichung achtsamer Praxis möglich und kann als ein Qualitätsmerkmal sozialer Arbeit im stationären Alltag angewandt werden. Die differenzierte Ausarbeitung verschiedener Achtsamkeitsauffassungen möchte dazu beitragen über das Thema Achtsamkeit sprachfähiger zu werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Achtsamkeit als ethischer Begriff (Carefulness): In gleicher Weise wie Jantzen, Volz oder Huber versteht Conradi die Achtsamkeit als ethische Haltung. Scheinbar zwangsläufig greift ethische Achtsamkeit hierzu weitere Begriffe auf, die ihr Handeln näher beschreiben. So heißt es, etwa bei Huber, Achtsamkeit sei ‘ein Umgang miteinander, in dem sich die Liebe zum Nächsten, wie zu sich selbst spiegelt, oder Jantzen nennt es ‘Zivilcourage’. Conradi beschreibt in zwölf Statements die wesentlichen Elemente der Achtsamkeit. So heißt es dort z.B., ‘die Achtsamkeit ist eine Vorgabe und ein Geschenk, sie ist nicht an eine Gegengabe gebunden’ (Conradi 2010, S.95). Warum aber sind dies Kennzeichen der Achtsamkeit, ließen sich nicht viele weitere, andere Beispiele finden? Conradi führt die Achtsamkeit an einen Ursprung zurück: Wenn zwei Menschen sich begegnen, einer der beiden Hilfe braucht und der andere sich nicht abwendet (Gilligans ‘not to turn away from someone in need’ (s.o.)), besteht die Möglichkeit Achtsamkeit zu entwickeln. Das Hinwenden und nicht Wegsehen sind der Beginn in einer gemeinsamen ‘Bezogenheit’ (Conradi 2001, S.179) aus Begegnung und Verlässlichkeit, zwischen Care giver und Care receiver, der Care Interaktion, Achtsamkeit zu entwickeln (vgl. ebd., S.238). An dieser Stelle, die mit dem `stehen bleiben` beginnt und an der eine Begegnung für mindestens zwei Menschen Bedeutung gewinnt, kann Achtsamkeit entstehen und meint damit zunächst, ich bin da und höre dir zu, bzw. ich will dich verstehen oder andersherum ich sage dir, bzw. gebe mich zu verstehen. Ähnlich zur Freundschaft ist sie völlig freiwillig und doch wiederum auch nicht, sie wächst oder verkümmert. Wenn sie fehlt wird sie vermisst, befehlen kann man ihr nicht. Von diesem Ursprung der Begegnung aus kann auch überlegt werden, wie gehen wir miteinander um, verstehe ich dich richtig oder behandle ich dich etwa so, wie du es gar nicht haben willst? Hier werden mitgebrachte Haltungen reflektiert, ein besseres Verständnis des anderen gesucht (Kompetenz und Empowerment), das Haushalten mit den eigenen Kräften abgewogen oder dadurch Verantwortung übernommen, dass Hilfe an z.B. professionelle Dienste weitervermittelt werden muss. ‘Kritik und Veränderung’ finden durch die ‘konkrete Situation’ (ebd., S.197) oder durch die ‘aktuelle Begegnung’ (ebd., S.200) statt. Dies beschreibt eine Ethik der Praxis. Der Prozess dieser gemeinsamen Achtsamkeitserfahrung kann von hier aus durch weitere Begriffe beschrieben werden. In der Jugendhilfe wirft dieses `Verstehen` zunächst eine Menge Fragen auf: Wie empfinden Kinder ihre Heimsituation, warum reagieren Jugendliche so oppositionell, warum arbeiten Herkunftseltern scheinbar so wenig mit oder etwa, warum wird mein Handeln kaum wertgeschätzt? Auf der Beziehungseben ist die Suche nach Distanz und Nähe, Privatem und Professionellem schwierig. Es scheint notwendig, von hier aus alle `zu Wort` kommen zu lassen. 3.1, Die Freiwilligkeit der Achtsamkeit: Zunächst soll überlegt werden, welchen Stellenwert Achtsamkeit in der professionellen Arbeit, überhaupt einnehmen kann. Geschieht, wie es der Volksmund beschreibt, etwas aus Unachtsamkeit, so wird meist nicht Absicht unterstellt: Etwas wurde nicht beachtet, was mehr oder weniger berücksichtigt hätte werden können oder müssen. Unachtsamkeit erscheint demnach als maximal fahrlässig, Achtsamkeit im Kontrast dazu als eine Art Zugabe zum Gewöhnlichen. Ist Achtsamkeit generell lediglich ein Zusatz? Huber ruft zu ihr auf und Jantzen fordert Zivilcourage gegen Missstände. Conradi bezeichnet sie als ‘Vorgabe und als Geschenk’ (s.o.). Das Anhalten zur Achtsamkeit betrifft die Grenze zwischen dem, was gefordert werden kann, was bezahlt wird, was das Beste sei und ist andererseits ohne an die eigene Motivation anknüpfen zu können und ohne Wertschätzung auf Dauer unmöglich. Achtsamkeit entsteht wie gezeigt, im Beginn und Fortgang einer Gegenseitigkeit von mindestens zwei Personen und besteht ähnlich wie im Freundschaftsbild in der Freiwilligkeit des Hinwendens und der Freiwilligkeit der Annahme. Conradi spricht, wenn sie Achtsamkeit mit Professionalität in Beziehung setzt, vom einem ‘extra’, das auch ‘im Rahmen bezahlter Tätigkeiten stattfinden kann’… ‘selbst dann, wenn sie dringend notwendig erscheint’ (Conradi 2001, 45-46). Anders kann es empfunden werden, wenn Achtsamkeit zur allgemeinen Forderung erhoben wird und etwa in Hochglanzprospekten von Institutionen unter dem Aushängeschild Achtsamkeit als Jargon zur pauschalen Pflicht wird und nicht alle an Prozessgeschehen beteiligte Akteure mit einbezieht. Forderungen an dieser Stelle ohne Wertschätzung werden zur Last und übersehenes Engagement zur Zumutung. Erst im Umfeld der momentanen Anforderungen und erschwerten Bedingungen in der Jugendhilfestruktur wird klar, dass Subjektorientierung (zum Anderen) als das Ziel der Achtsamkeit hier nur in der Spannung zur Freiwilligkeit erreichbar ist. Das Unterlassen von erhöhter Achtsamkeit bedeutet nicht zwingend Achtlosigkeit, sondern gegebenenfalls Standard, vielleicht etwas weniger Suche nach Kompetenz oder nach vorausschauendem Nachdenken (Antizipation). Diesen Zustand der Ungenauigkeit bewusst zuzulassen ist nicht das, was Sozial Arbeitende im Grunde wollen. SozialarbeiterInnen meinen, ‘dass es ihnen wichtig ist, sich in dem komplexen Arbeitsfeld der Erziehungshilfe sicher, professionell und ressourcenorientiert’ zu verhalten (Hagen/ Wittschorek 2011, S.83). Unachtsames Handeln ist meist ein Ausdruck von fehlendem Verstehen, falscher Deutung und standardisiertem Handeln. Erhöhte Achtsamkeit ist eine Leistung. 3.2, Take Care (engl.): ´Machs gut´ oder pass auf dich auf, meint auch, pass auf den anderen auf, nimm Rücksicht oder passt aufeinander auf. Elisabeth Conradis Buch ‘Take Care, Ethik der Achtsamkeit’ knüpft gedanklich an die englischsprachige Care- (was etwa Sorge oder Fürsorge bedeutet) Debatte an. Die Diskussion, die als ‘Genderdiskurs’ (vgl. Thiersch 2011, S.976) hauptsächlich für ihren Kampf wahrgenommen wird, dass Sorgetätigkeit nicht natürliches ‘Frauenschicksal’ sei (Heite 2008, S.59), und deshalb ein sozialpolitischer Anspruch lange auf sich warten lässt (vgl. Brückner 2011, S.207), beschäftigt sich inhaltlich mit asymmetrischen Beziehungen, dem Verhältnis von Autonomie und Fremdbestimmung oder auch, wie die Abgrenzungen zu ‘Normierungen und Standardisierungen’ (vgl. Brückner, www.reinhardt-verlag.de, v.14.04.2013) begründet werden können. Einen Beitrag wie dies ethisch aufzufassen und besser gelingen könnte, liefert die ‘Take Care’(2001). Conradi stellt eine Ethik vor, die auf Sorge und Pflegetätigkeiten eingeht. Ihr Ethikkonzept bezieht sie nicht allein auf Pflegeberufe, sondern z.B. auch auf Soziale Arbeit oder auf die Politik und Gesellschaft (Conradi 2010). In 9 Thesen beschreibt sie die Begegnung der Hinwendung, ihre Verwobenheiten als ‘Interrelationalität’ (Conradi 2001, S.23), das Geben und Annehmen von Care, ihr Problem mit Macht und Autonomie, die Erwartungen (Reziprozität) und die Möglichkeiten (ebd. 2001, S.45- 59). Conradis Ausführungen haben eine Nähe zur Achtsamkeit in allgemeinen (unprofessionellen) Hinwendungen, sind aber auch auf die bezahlte Arbeit (vgl. ebd., S.45-46) übertragbar. 3.3, Achtsamkeit als Care und Resonanz: ‘Das Schenken von Achtsamkeit ist nicht an Reziprozität gebunden’ (Conradi 2001, S.56). In der ‘Take Care’ stellt Conradi den ethischen Zugang zu Menschen her, die sich in Care- Beziehungen (Sorge oder Fürsorge) befinden. Dabei ist sich die Debatte um Care ihrer Nähe zum besetzten Fürsorgebegriff bewusst (vgl.ebd., S.239). Zuwendung kann Menschen erdrücken, sowohl im ´Wissen, was für andere das Beste sei´ oder im Sinne einer Normierung, von der sich etwa die Jugendhilfe spätestens im Paradigmenwechsel (8. Jugendbericht 1990) der Lebensweltorientierung (Hans Thirsch) von Ab- und Ausgrenzungstiteln wie unerziehbar, schwachsinnig oder idiotisch befreit hat. Care sucht nicht ´das Beste´ aus Sicht des Care givers, sondern sieht den Care receiver in einer für den sich Zuwendenden aufeinander bezugnehmenden (reziproken) Position. Beide zusammen gestalten `das Bessere´. Der Umsorgte gibt die Erlaubnis, gestaltet die Praxis mit, wird befähigt und befähigt wiederum. ‘Achtsamkeit bedeutet ferner die Antwort auf die Unterstützung abzuwarten. Zu hören, wie die Zuwendung angekommen ist und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen’ (Conradi 2008, S.4). Die Begriffspaare, die hier in Beziehung stehen, sind Care und Resonanz (vgl. Conradi 2001, S.225) und nicht Aktion und Reaktion. Die Begrenzung der Begriffe Aktion und Reaktion schließen eine Begegnung zum anderen in seinem Vorgang nahezu ab und Handlungen werden nebeneinander gestellt. Dagegen lassen Care als ‘rezeptive’ Zuwendung (Conradi 2010, S.93) und Resonanz als mitgestaltende Antwort für die Beteiligten eine aufeinander bezugnehmende Wechselwirkung zu. Der Care reciever wird nicht erst zum Akteur (sein) bewogen, er wird grundsätzlich bereits als solcher erkannt und dazu weiter befähigt. In Beziehungen der aufsuchenden sozialpädagogischen Familienhilfe spricht Astrid Woog etwa von der Wichtigkeit einer Erlaubnis zur Hilfe aufgrund des Annehmens einer Gegengabe (vgl. Woog 2010, S.190-191). Dies entspringt der Haltung ihrer Suche nach Anknüpfungspunkten: ‘Ich bin ähnlich einer ‘Wünschelrutengängerin’ (Thirsch mündlich) ständig auf der Suche nach Gelegenheiten, das Wachsen und Werden der Familienmitglieder zu unterstützen und der mäeutischen Verfahrensweise entsprechend darauf bedacht, ihnen das Vergnügen des Findens von Lösungsmöglichkeiten nicht zu nehmen’ (Woog 2010, S.194). Woogs Ziel ist ‘gelingenderes’ (ebd., S.203), nicht gelingendes Leben. Dies kommt dem Wunsch nach Ambiguitätsverständnis, dem Anerkennen von Widersprüchlichkeiten, sehr nahe. Das Verständnis von Woog, durch eine annehmende Sozialarbeit auch gebende sein zu können, schließt, wenn dies nicht nur als Technik aufgefasst wird, an die Haltung einer Care aus Resonanz an. In der Praxis lässt sich beides darstellen, einerseits kann die Achtsamkeit den Spielraum der unmittelbaren Antwort auf Aktionen neu vermessen, vor allem im Bewusstsein, dass in asymmetrischen Erwachsenen - Kind Beziehungen der Care giver Mitgestalter der Resonanz (z.B. durch gewaltfreie Kommunikation) ist. Andererseits treffen in stationären Jugendhilfesituationen offene Angebote manchmal auf `harte Reaktion` (nicht ‘Resonanz’). Hier nicht mit Gegenaktion zu reagieren, sondern die Situation offen zu halten, kann als ein Spielraum der Care gelten. Gleichzeitig kann aber auch ein Angebot, das mit einem Angebot von Seiten der AdressatInnen beginnt, im Jugendhilfealltag ein Einstieg zur Annahme von Unterstützung sein (In Woogs Fall -oben- entschied sie sich aus einer unsauberen Tasse Espresso zu trinken (vgl. 2010, S.188)). In der Jugendhilfe nehme ich angebotene Hilfeleistungen evtl. ebenso an. Für beide Situationen gilt: Das Schenken von Achtsamkeit kann ein Ungleichgewicht von Geben und Nehmen sein: ‘Das Schenken von Achtsamkeit ist nicht an Reziprozität gebunden’ (Conradi 2001, S.56). ‘Achtsamkeit ist Vorgabe und Geschenk’ (ebd., 238).

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