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  • Systemische Interventionen in Coachingprozessen: Referenztheorien, grundlegende Prinzipien und praktische Formen

RWS


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Produktart: Buch
Verlag:
Igel Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 132
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

T.S. Kuhn erläutert in seinem 1962 erschienenem Buch ‚The structure of Scientific Revolutions‘, dass es keine kontinuierlich verlaufende Wissenschaftsentwicklung gäbe, stattdessen finden Brüche, sogenannte ‚Paradigma-Wechsel‘ beziehungsweise 'wissenschaftliche Revolutionen', statt, welche zudem von dem vorherrschenden wissenschaftlichen Denkmuster und Zeitgeist geleitet wird. Neue Denkmuster sind verbunden mit neuen Formen der Erkenntnisgewinnung. Eines dieser ‚neuen Paradigma‘, die sich obendrein durch eine andere Art der Erkenntnisnutzung von dem westlichen Alltagsdenken unterscheideen, ist die systemische Denkweise. In der vorliegenden Arbeit soll die systemische Denkweise mit ihren Prämissen und Grundhaltungen vorgestellt und kritisch betrachtet werden, um anschließend die Anwendbarkeit im Alltag und die Interventionsmöglichkeiten innerhalb der praktischen Anwendung im systemischen Coaching herauszuarbeiten.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3.1, Soziale Systeme: Ein soziales System definiert sich darüber, dass die jeweiligen Gruppenmitglieder über eine gemeinsame Realität verfügen ‘und damit eine Bereich sinnvollen Handelns und Kommunizierens erzeugt haben und auf ihn bezogen interagieren’ (Zit. Hejl 1990, S. 319). Mittels dieser Definition kann beispielsweise eine Firma erst dann als soziales System bezeichnet werden, wenn die dort miteinander Interagierenden tatsächlich an der Realitätskonstruktion teilhaben. Besteht diese Möglichkeit nicht, so stellen sie kein derartiges System dar, sondern arbeiten lediglich für eines (ebd., S. 320). Lebewesen produzieren durch ihre Kommunikation und ihr Handeln ein Netzwerk von Interaktionen. Dieses Netzwerk wiederum ist es, was soziale Systeme ausmacht - folglich bestehen soziale Systeme aus Lebewesen. Durch die sinnhafte Verknüpfung aller Handlungen eines Systems entsteht die Anschlussfähigkeit einer Handlung an die andere Handlung, somit gelten sie als ‚Sinnträger’. Sollte eine Handlung aktuell keinen Sinn haben, so wird dies innerhalb des sozialen Systems via Kommunikation bewertet sowie durch soziale Festlegungen geregelt (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2003, S. 64). Die ‚Geschäftsgrundlage’ sozialer Systeme besteht also gewissermaßen darin, dass die Systemmitglieder über ein gemeinsames Repertoire von Interaktionen verfügen, welche unter ihnen als sinnvoll oder angemessen angesehen werden. Somit lässt sich festhalten, dass erst auf Grund eines Konsens bezüglich ‚sinnvollen’ Handelns soziale Systeme entstehen - beziehungsweise diese sich von anderen sozialen Systemen mittels der Bewertung von Interaktionen betreffend ihrer ‚Sinnhaftigkeit’ abgrenzen (vgl. Hejl 1990, S. 328). Steinkellner (2005, S. 63) führt an, dass soziale Systeme - in der Tradition Luhmanns - autopoietische Systeme darstellen (vgl. Kapitel 2.4), weil sie die Elemente, aus denen sie bestehen (Kommunikationen), selbst erzeugen. Dieser Kategorisierung von sozialen Systemen widerspricht Hejl (1990, S. 323-327) und beruft sich darauf, dass soziale Systeme nicht die lebenden Systeme erzeugen, aus denen sie bestehen. Selbst wenn man Handlungen (und dazu zählen auch Kommunikationen) als konstituierende Komponenten eines sozialen Systems ansieht, so weist Hejl darauf hin, dass Handlungen schlicht Handlungen bleiben, da sich nicht nachweisen lässt, dass aus ihnen ein System im Sinne der Selbsterhaltung entsteht. In einem weiteren Schritt stellt Hejl fest, dass soziale Systeme auch nicht als selbstreferentiell begriffen werden sollten. In der Konsequenz aus vorhergehenden Überlegungen führt er den Begriff ‚synreferentiell’ ein, welcher für ihn als passende Charakteristik für soziale Systeme dient: ‘die notwendige Ausbildung von parallelisierten Zuständen in den interagierenden lebenden Systemen ist ... [die] physiologische Basis sozial erzeugter gemeinsamer Realitäten, von Sinn und Bedeutung’ (Zit. Hejl 1990, S. 327). Sie entstehen dabei als Resultat sozialer Interaktionen. Allerdings möchte ich hinzufügen, dass ich die Diskussion und Frage danach, ob ein soziales System als autopoietisches oder als synreferentielles System zu betrachten ist, in Bezug auf diese Arbeit nicht als besonders zieldienlich erachte - zumal Vertreter beider Ansätze durchaus nachvollziehbare Argumentationen anführen. Dennoch möchte ich diese beiden Standpunkte nicht unerwähnt lassen, unterlasse es jedoch, näher auf jene Positionen eingehen, da diese Diskussion nicht Thema der vorliegenden Arbeit ist. Innerhalb des Systems werden die Kontakte zu den Elementen vollzogen, so dass dadurch zwangsläufig eine Grenze entsteht, welche das System von anderen abtrennt (vgl. Steinkellner 2005, S. 66 f.). Jene Grenzbestimmung stellt für Hejl (1990, S. 320 f.) ein aus systematischen und wissenschaftspraktischen Gründen wichtiges, aber gleichzeitig auch schwer zu beantwortendes Problem dar: Die Antwort findet er in der konstruktivistischen Sichtweise. Hejl definiert als Grenze eines sozialen Systems das zu erklärende Problem, welches ein Beobachter (oder eine Beobachtergemeinschaft) ausgewählt hat. Er nimmt damit Abstand davon, soziale Systeme mit Hilfe ‚natürlicher’ Grenzen einzugrenzen. Hingegen konstatiert er, dass die Grenzen durch Interaktionen der Komponenten erschaffen werden. Somit stellen Individuen ‚Berührungspunkte’ zwischen verschiedenen sozialen Systemen dar, da ein Individuum stets auch immer eine Komponente mehrerer sozialer Systeme ist - ein Punkt, auf welchen auch Radatz (2006b, S. 59) hinweist. Jene Feststellung lässt den Schluss zu, dass ‘Gesellschaft als ein Netzwerk sozialer Systeme mit den Individuen als »Knoten«‘ (Zit. Hejl 1990, S. 321) verstanden werden kann. Dabei ist zu bedenken, dass jeder Beobachter auch immer gleichzeitig einen Teil dieses Netzwerkes darstellt. 2.3.2, Soziale Systeme in Bezug auf systemisches Coaching: ‘Der Prozess der Konstruktion von Systemen und deren Einfluss auf die sich bildende Wirklichkeit muss - gerade beim Coaching - zentral berücksichtigt werden’ (Zit. Backhausen & Thommen 2003, S. 40). Es wird also deutlich, dass ein System nicht ein Etwas ist ‘das dem Beobachter präsentiert wird, es ist ein Etwas, das von ihm erkannt wird’ (Zit. Maturana 1985, S. 175) - wie bereits zuvor durch Hejl angedeutet wurde. Das heißt ein System wird nicht als etwas, das es (objektiv) gibt, betrachtet, sondern dem Beobachter obliegt die Entscheidung, ob und wie er ein hochkomplexes Ökosystem in Subeinheiten aufteilt (vgl. von Schlippe & Schweitzer 1997, S.86) - was ganz den konstruktivistischen Grundgedanken entspricht. Die Wichtigkeit des Prozesses der Systemkonstruktion liegt darin begründet, dass Grenzen in sozialen Systemen der Abgrenzung zur Umwelt dienen, woraus sich in der Folge Systemdifferenzierungen bilden (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2003, S. 66). Durch jene Grenzziehungen wird meines Erachtens die Identitätsbildung reguliert sowie die Wirklichkeitskonstruktionen beeinflusst, so dass es für einen Coach unerlässlich ist, die Systemvorstellungen des Coachees zu hinterfragen. Wenn er an diesen Vorstellungen anknüpft und gegebenenfalls an und mit ihnen arbeitet, so verändern sich automatisch die Wirklichkeitsvorstellungen des Klienten - und ebenso die Systemvorstellungen. Die Berücksichtigung der Systemkonstruktion ist im Coaching deshalb unerlässlich, weil aus meiner Sicht keine angestrebte Veränderung (z.B. Beseitigung des Problems des Coachees) erreicht werden kann, wenn jene nicht hinterfragt und beispielsweise ‚aufgeweicht’ werden. In Bezug auf den Coachingprozess lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass ein Ereignis in der Umgebung des Klienten immer auch von dieser Person selbst abhängig ist, da die betreffende Person immer selbst entscheidet, welche Auswirkungen bestimmte Kontextbedingungen auf sie selbst haben. In diesem Umstand sieht Tomaschek (ebd. S. 54) die Chance eines systemisch-konstruktivistischen Coachings: ‘die Entwicklung neuer und vor allem anderer Sichtweisen zu einer Situation, zu einem Problem ermöglichen. So können zunächst ungünstige Ereignisse, in ein anderes Licht gestellt, neue Möglichkeiten zur Veränderung eröffnen’ (Zit. Tomaschek 2003, S. 54). Jene Umdeutungen, z.B. von Kontexten, finden sich auch in der Intervention des Reframings wieder (vgl. Kapitel 5.2). Soziale Systeme stellen für Radatz (2006b, S. 57-59) lediglich reine Konstrukte dar, die es dem Menschen ermöglichen, beobachtbare Phänomene leichter zu beschreiben. Jeder Mensch erfährt sich im Alltag selbst als zu einem System zugehörig - oder eben nicht. Dies können Familiensysteme, Unternehmenssysteme, Schulsysteme oder Abteilungssysteme sein. Ein jedes System ist geprägt von seiner ganz eigenen Charakteristik - so kann beispielsweise über einen gewissen Zeitraum ein bestimmter Firmenjargon oder eine bestimmte Umgangsweise miteinander geprägt werden, die dann systemtypisch sind. Dadurch werden die Systemmitglieder in ihrem Handeln von den Strukturen des Systems eingeschränkt, andererseits generiert es aber auch Möglichkeiten: Wenn eine Person einen Arbeitsplatzwechsel vornimmt - also einen Systemwechsel - verändert sich sein Verhalten in vielen Fällen grundlegend, so Radatz, da sein Handeln nun von anderen Strukturen geprägt und begrenzt ist. Meines Erachtens greift Radatz hier auf die Ausführungen Luhmanns zurück, für den soziale Systeme ebenfalls die Funktion der Komplexitätsreduktion haben, um damit die unbestimmte Komplexität der Welt ‚behandelbar’ werden zu lassen. Daraus folgt für Luhmann, dass soziale Systeme gewissermaßen Inseln geringerer Komplexität innerhalb des diffus-komplexes Weltmeeres darstellen (vgl. Schuldt 2003, S. 21). Luhmanns Auffassung von sozialen Systemen hebt sich nachdrücklich von traditionellen Sichtweisen ab: Für ihn besteht ein soziales System nicht aus Personen (sie zählen für ihn zur Umwelt sozialer Systeme) oder aus Beziehungen zwischen Menschen, sondern ‘aus Kommunikationen und nur Kommunikationen’ (Zit. Luhmann 1990, S. 197). Für die Thematik des Coaching - im Prinzip für jede Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten der Erwachsenenbildung und Beratung - jedoch ist die praktische Leistungsfähigkeit der soziologischen Systemtheorie Luhmanns eher begrenzt, eben weil ihr die soziologische Perspektive zugrunde liegt. Dieser geht es bekanntlich nicht um die Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten für den Praktiker. Somit sehen König und Volmer (2005, S. 19) den Nutzen der Systemtheorie für die handelnden Disziplinen eher im heuristischen Wert, da diese die Aufmerksamkeit auf spezifische Sachverhalte von sozialen Systemen lenkt: Beispielsweise ist die Reduzierung von Komplexität von Bedeutung bei dem Umgang mit der täglich anfallenden E-Mail-Flut und die Thematik der Systemgrenze zwischen Team und Vorgesetztem bedeutend für die Organisationsberatung. Allerdings wird auch auf die Versperrung des Zugangs zu speziellen Themen praktischer Fragestellungen durch die Luhmannsche Systemtheorie hingewiesen: Dadurch dass die Kommunikation und nicht Personen als Elemente sozialer Systeme begriffen werden, rückt die Person des zu Beratenden in den Hintergrund (ebd., S. 20). 2.4, Wie Leben sich selbst erzeugt: Der Begriff der Autopoiesis: Für einen lebenden Organismus ist die Grundvoraussetzung, um weiterhin als solcher zu gelten, bestimmte Aktivitäten vorzunehmen. Dabei handelt es sich zum einen um die Prozesse, die im Organismus selbst ablaufen, wie z.B. der Stoffwechsel oder der Kreislauf, und zum anderen um damit verbundene Verhaltensweisen, wie beispielsweise essen und trinken. Es ist somit das Funktionieren dieser körperlichen Strukturen, die zur Folge haben, dass eben jene weiterhin bewahrt bleiben. Maturana und Varela - eigentlich Biologen - gaben diesem Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung des Organismus die Bezeichnung ‚Autopoiesis’ (vgl. Simon 1991, S. 30). ‘Sie beschreiben damit Leben als einen Prozeß, bei dem sich lebende Systeme als Einheiten selbst produzieren.’ (Zit. Simon 1991, S. 30). Im Konzept der Autopoiesis werden lebende Systeme also als selbstreflexive Prozesse beschrieben, die dadurch ihre Struktur eigenständig erhalten und eben diese auch selbst erzeugen (vgl. Migge 2005, S. 351). Somit lässt sich festhalten, dass Autopoiesis eine Form der zirkulären Selbsterzeugung darstellt. Simon (1991, S. 30) verdeutlicht sehr bildlich, dass damit nicht beispielsweise ein Konstrukteur gemeint ist, der etwas - z.B. einen Gegenstand - herstellt. Vielmehr ist eben genau jene Differenz zwischen dem Schaffenden, dem Kreierenden und dem herzustellendem Stück aufgehoben: Derjenige, der produziert, trägt mit dieser Tätigkeit zu seiner Selbsterhaltung bei und sorgt somit quasi für die Produktion seiner selbst - es gibt keinen Unterschied zwischen Produzent und Produkt. Huschke-Rhein (1998, S. 14 f.) versteht Autopoiesis unter Berufung auf Maturana als Selbststeuerungfähigkeit lebender und sozialer Systeme. Bei der Übertragung auf Bildungsprozesse wird diese Selbststeuerung (die verbunden ist mit Begriffen wie Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung) als primäres Ziel anvisiert. Die Aufgabe aller Erziehungsvorgänge (und Coaching kann meines Erachtens durchaus Elemente des ‚Erziehens’ beinhalten) ist somit die Förderung von Selbstorganisation. Bezüglich der Auffassung von Problemen gibt Huschke-Rhein (1998, S. 59) zu bedenken, dass jedes autopoietisches System sich zu jedem Zeitpunkt autonom organisiert. Das heißt auch ein Problem hat eine positive Funktion für den Coachee (auch wenn es selbst nach außen dysfunktional erscheint) - und oftmals auch für dessen Umgebung (Personen aus der Umgebung sind somit beispielsweise nicht der ‚Sündenbock’, da der Coachee diese ‚Funktion’ übernommen hat). Radatz (2006b, S. 39) übersetzt Autopoiesis mit dem Begriff der ‚Selbstgestaltung’ als die spezielle Organisationsform aller Lebewesen. Das heißt, dass Lebewesen auf das reagieren, was aus der Umwelt auf sie trifft - dabei reagieren sie auf ihre ganze eigene Art und Weise: Sie reagieren entsprechend ihrer eigenen Struktur und sind vollkommen frei, zu antworten oder eben nicht zu antworten. Für das Lebewesen Mensch bedeutet Autopoiesis, dass sein Verhalten nicht durch die Umwelt bestimmt wird, sondern durch seine eigene Entscheidung, in der Weise zu reagieren, wie es für sie angemessen erscheint - und welche wiederum für die Systemumwelt nicht vorhersehbar ist. Menschen können aus systemisch-konstruktivistischer Sicht nicht von außen in eine bestimmte, gewünschte Richtung verändert werden, da ihre Entscheidung, sich zu verhalten - beziehungsweise zu reagieren - komplett ihnen allein obliegt. Diese Sichtweise gilt es auch stets beim Coaching zu berücksichtigen: Menschen können nur sich selbst verändern (vgl. Kapitel 4.2.3). Zwar lassen sich gewisse Vorannahmen bezüglich der Auswirkungen systemischer Fragen als Interventionsmöglichkeiten seitens des Coaches treffen, allerdings kann dieser niemals sicher wissen, was sie beim Klienten hervorrufen oder auslösen (ebd., S. 40). So betont Arnold (2003, S. 23), dass eine äußere Kraft zwar in der Lage ist, auf ein System einzuwirken und es gegebenenfalls auch zu ‚stören’, jedoch kann diese Kraft kaum eine intentionale Wirkung entfalten, geschweige denn von einer Wirkungssicherheit ausgehen.

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