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- „Zieht in Frieden Eure Pfade,…“: Neue Wege für die Arbeit mit Jungen in der Kirchengemeinde
Religion
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Abb.: 30
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Längst ist es kein Geheimnis mehr, denn ob im pädagogischen Alltag, im wissenschaftlichen Diskurs, in den Darstellungen der Medien oder der öffentlichen Debatte, die Äußerungen, welche männliche Kinder und Jugendliche als kleine Helden in Not , Bildungsverlierer o. Ä. deklarieren, häufen sich seit einigen Jahren. In vielen Diskussionen und Untersuchungen um die Lage und Situation von Jungen wurde festgestellt, dass diese in den letzten Jahren förderungstechnisch leider oft vergessen wurden. Diese Beobachtungen sind vermehrt auch in den gemeindepädagogischen Arbeitsfeldern der Kirchengemeinden zu entdecken. Über die Bereiche von Kindergottesdienst und Konfirmandenarbeit hinaus erweckt sich der Eindruck, als ob in den Inhalten und Methoden das Laute und Kraftvolle für die Jungen oft zu kurz kommt: Gekreuzigte Söhne in der Heiligen Mutter Kirche? Im Zuge dessen stellt sich dem Autor Tobias Knöller die Frage, wie man Bildungs- und Erziehungsprozesse als auch -umgebungen gestalten muss, damit Jungen ihre Begabungen und Potentiale in größtmöglichem Umfang ausschöpfen und in einen entsprechenden Entwicklungs- und Bildungserfolg ummünzen können. Kurzum: Wie gelingt es, dass Jungen - insbesondere innerhalb des kirchengemeindlichen Lebens - ihren eigenen Lebenspfad zu sich und anderen finden und diesen auch beschreiten können? Für die gemeindepädagogische Ebene vermutet Tobias Knöller eine Antwort gefunden zu haben: Pfadfinderarbeit.
Textprobe: Kapitel 3.2.3, Gegenwärtige männliche Sozialisation als Herausforderung jungenpädagogischer Identitätsbildungsprozesse: Wie sich zeigte, entwickeln Jungen auf der Basis von biologischen und psychologischen Fundamenten ‘diverse Verhaltens- und Reaktionsweisen, Bewältigungsstrategien, Interessen und Kompetenzen’. Diese Kenntnisse bilden einen elementaren Bestandteil der gemeindepädagogischen Jungenarbeit zur Förderung einer positiven Identitätsbildung und ‘vorbehaltlosen Annahme [der] Geschlechterrolle.’ Dass dieses jedoch angesichts einer großen Differenzierung und Pluralität von Lebensstilen, Identitätskonzepten und Männlichkeitsbildern mit Schwierigkeiten verbunden ist, zeigt ein Blick in die Sozialisationsfelder heutiger Jungen. Hierzu wird zuerst der Fokus auf die aktuellen gesellschaftlichen (insbesondere die sozio-ökonomischen) Rahmenbedingungen gerichtet. Anschließend werden die beiden wichtigsten Sozialisationsinstanzen, die Familie und die Schule, fixiert. Eine Betrachtung des Freizeitbereichs inkl. der in diesem Feld leider oft festgestellten jungentypischen Problemfelder Medienkonsum sowie Gewalt- und Risikoverhalten rundet die soziologische Darstellung ab. 3.2.3.1, Aktuelle sozioökonomische Rahmenbedingungen: ‘Bis zum Ende der 1960er-Jahre [existierte laut Matzner und Tischner] in unserer Gesellschaft eine ausgewogene Verteilung [der] jeweils dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht zugeschriebenen Werte. In Berufswelt und Öffentlichkeit dominierten [typisch männliche assoziierte] Werte wie Sachlichkeit, Rationalität, Wettbewerb, Leistung und Disziplin (…). Innerhalb der Familie dagegen gaben weiblich konnotierte Werte wie Fürsorglichkeit, Emotionalität, Individualität, Egalität und soziale Harmonie den Ton an, die für einen hohen Grad an Stabilität dieser für jede Gesellschaft so grundlegend wichtigen Institution und eine hinreichende Reproduktivität sorgten. Diese Balance besteht heute nicht mehr. Die landläufig dem weiblichen Geschlecht zugeschriebenen Werte sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den öffentlichen Raum vorgedrungen und bestimmen heute die Debatte.’ Aus diesem Grunde wurden ‘im Gegenzug (…) Sachlichkeit und Objektivität als Kaltherzigkeit und Gefühlsarmut gebrandmarkt, 'aus Leistungssucht [wurde] Karrierismus, aus Durchsetzungsvermögen männliche Herrschsucht (…). Angesichts eines profeministischen Mainstreams in Politik, Wissenschaft und Medien bleibt dies unbedacht, mit verheerenden Folgen für die männliche Identitätsbildung (…)'‘. Lothar Böhnisch spricht in diesem Zusammenhang von einer ‘gesellschaftlichen Entgrenzung’, die sowohl im familiären, als auch im Bereich der Arbeits- und Berufswelten weitreichende Folgen mit sich bringt. Denn sowohl Frauen als auch Männer sehen sich heutzutage mit einer ambivalenten Geschlechterrollenverteilung konfrontiert: Während viele Frauen in der heutigen Zeit des ‘digitalen und globalen Kapitalismus’ - trotz der in den letzten 40 Jahren fortschreitenden Emanzipation - aufgrund ihrer höheren parentalen Investition auch weiterhin in familiärer und beruflicher Hinsicht vor besondere rollenspezifische Entscheidungen gestellt (Kinderwunsch vs. Karriere) sind , ist die Situation für das männliche Geschlecht ebenso zwiespältig: Hier ist zum einen allein die Tatsache zu erwähnen, dass heute aufgrund der Automatisierung der Arbeitswelt mit physischer Kraft beruflich nicht mehr so viel zu erreichen ist, wie vor einigen Jahrzehnten. Stattdessen werden in der modernen Arbeitswelt eher soziale Fähigkeiten gefordert werden, die naturgemäß stärker bei Frauen ausgebildet sind. Sowohl diese, als auch die Beobachtung, dass Frauen zunehmend in die berufliche Welt eintauchen und ehemals typische Männerberufe mit besetzen, führt bei nicht wenigen Personen männlichen Geschlechts zu einer persönlichen Definitionsschwierigkeit : Manche ‘Männer unterliegen [dabei] der Gefahr, auf der Suche nach Ergänzungen und Kompensaten einer fragilen Männerrolle auf naturalistische Konzepte von Maskulinität und auf die 'männliche Dividende' zurückzugreifen, um - im Sinne eines Bewältigungskonzeptes - ihre alltägliche Handlungsfähigkeit zu erhalten’. Zum anderen sehen sich auch ‘moderne’ Männer mit der Herausforderung konfrontiert, dass diese zwar ‘gerne die sozialstaatlich gedeckten Ansprüche auf Teilhabe in Familie und an der Erziehung realisieren [möchten], (…) aber durch intensivierte ökonomische Einbindung und Vernetzung daran gehindert [werden].’ Ähnlich wie bei den Frauen sind also auch die Männer aufgrund ihrer parentalen Investition, die sich die moderne Ökonomie quasi zu Nutze macht, zu einer Entscheidung zwischen beruflicher oder familiärer Schwerpunktsetzung gezwungen. Böhnisch hält fest, dass heutige männliche ‘Kinder und Jugendliche auf ihrer Suche nach Geschlechteridentität [u. a. mit diesen Herausforderungen] konfrontiert [werden]. Hier erhalten sie die doppeldeutigen Botschaften von gleichzeitig modern entgegenkommendem Mannsein und durchsetzungsorientierter und harter Maskulinität’. 3.2.3.2, Der familiäre Kontext: Die sich u. a. in arbeitstechnischer Hinsicht abspielende Herausforderung der Männer führt u. a. dazu, dass es einem Jungen schwer fällt, ‘über den Vater - oder eine ähnlich nahe männliche Bezugsperson - die Alltagsdefinition zu bekommen, die er braucht, um in ein ganzheitliches - Stärken und Schwächen gleichermaßen verkörperndes - Mannsein hineinwachsen zu können.’ So kann es z. B. sein, dass Väter zuhause nicht nur räumlich (bedingt durch die intensive Berufsrolle), ‘sondern oft auch 'mental' abwesend [sind, da sie sich oft] wenig um die häusliche Beziehungsarbeit kümmern. (…) Die Schwächen des Vaters und seine alltäglichen Nöte des Mannseins, des Ausgesetztseins und der Verletzungen im Beruf werden (…) für den Jungen kaum sichtbar. So erhält er [oft] ein einseitiges Vaterbild, das durch die 'starken' Männerbilder, die er mit zunehmendem Alter über die Medien wahrnimmt, noch verfestigt wird. Dies führt bei ihm zwangsläufig zur Idolisierung des Mannseins und zur Abwertung des Gefühlsmäßigen, Schwachen, 'Weiblichen', da er die eigenen weiblichen Gefühlsanteile, die er ja seit der frühkindlichen Verschmelzung mit der Mutter in sich trägt, immer weniger ausleben kann’. Eine weitere psychosoziale Herausforderung hinsichtlich der Entwicklung einer gefestigten Geschlechtsidentität im familiären Bereich besteht für Jungen im Fall einer Trennung der Eltern, was für die meisten Jungen bedeutet, ihren Vater nur noch bruchstückhaft oder gar nicht mehr zu sehen. Das ‘Defizit, das ein verloren gegangener Vater hinterlässt, bedeutet immer Schmerz, Trauer und Einsamkeit. Es ist immer ein Trauma’ und für Jungen von gravierender Bedeutung, als für Mädchen. Aufgrund des Fehlens der wichtigsten männlichen Bezugsperson - und damit der identitätsfördernden Faktoren wie väterlichem Schutz, Vertrauen, Liebe und emotionaler Bindung - ‘entwickeln [viele vaterlose Jungen] mitunter einen regelrechten 'Vaterhunger' und sind dann gezwungen, für ihre lebensnotwendige männliche Identitätsbildung nach 'Ersatzvätern' oder 'männlich' konnotierten Lebenswelten zu suchen, was wiederum extensiven Medienkonsum, Risiko- und Gewaltverhalten begünstigen kann’.
Tobias Knöller, Diakon, Dipl. Religionspädagoge (FH) und Kaufmann, geb. 1984 in Eckernförde, arbeitet in Henstedt-Ulzburg (über Hamburg) in der gemeindepädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an der örtlichen Ev.-Luth. Kirchengemeinde. Darüberhinaus ist er als Religionslehrer und zertifizierter Schulseelsorger tätig.
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