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- Räumliche Reorganisation von Wertschöpfungsketten: Outsourcing und Offshoring von IT-Dienstleistungstätigkeiten von Deutschland nach Mittel- und Osteuropa
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 172
Abb.: 20
Sprache: Deutsch
Einband: gebunden
Die wachsende Bedeutung des IT-Dienstleistungssektors und die damit in Verbindung stehende Globalisierung hat zu einer Zunahme der internationalen Arbeitsteilung geführt, die die Komplexität für den einzelnen Beschäftigten auf ein kaum mehr überschaubares Maß gesteigert hat. So ruft die Auslagerung von Arbeitsplätzen an externe Dienstleister oder die Verlagerung an entfernte Orte bei den Beschäftigten eine bis vor wenigen Jahren nicht gekannte Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse hervor, die nicht selten zu kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit führt. Die Entscheidung des Handyherstellers Nokia, seinen deutschen Produktionsstandort in Bochum im Jahr 2008 zu schließen und die hiervon betroffenen Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, wurde von großem Medieninteresse begleitet. Dieses Beispiel zeigt, dass das Outsourcing und Offshoring unterschiedlicher Tätigkeitsprofile die Öffentlichkeit wie kaum ein zweites Thema zu interessieren scheint. Meist stehen sich dann marktliberale Befürworter und sozialpolitische Kritiker unvermittelt gegenüber, so dass der gesellschaftliche Konflikt kaum auflösbar scheint. Hierbei bleibt meist unerwähnt, dass diese Entscheidungen in hohem Maße unternehmens- und branchenspezifische Gründe haben können, die zumindest auch in der öffentlichen Diskussion genannt werden müssten, bevor ein Urteil des Aus- oder Verlagerungsprozesses gefällt wird. Diese Untersuchung knüpft an dieser Stelle an und untersucht an konkreten Fallbeispielen, wie Unternehmen auf Veränderungen in globalen Wertschöpfungskontexten mit Hilfe von Outsourcing- und Offshoring-Maßnahmen von IT-Dienstleistungsjobs reagieren und welche Konsequenzen sich daraus für die betroffenen Beschäftigten ergeben. Die übergeordnete Fragestellung lautet: Wie verändern sich Arbeitsbeziehungen, materielle Absicherungen und Positionen von Arbeitskräften durch konkrete Outsourcing- und Offshoring-Entscheidungen von IT-Dienstleistungstätigkeiten?
Textprobe: Kapitel 5.1, Outsourcing/Offshoring und die volkswirtschaftlichen Konsequenzen: Durch die Zunahme von Outsouring- und Offshoringentscheidungen im Zuge der Globalisierung ist sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft eine kontroverse Diskussion über die Folgen des Outsourcings und Offshorings auf die Arbeitsplatzsituation in den industrialisierten Ländern entstanden. In dieser Diskussion stehen sich eher pessimistisch eingestellte Autorinnen und Autoren, die einen nachhaltigen Arbeitsplatzverlust und somit zunehmende Erwerbslosigkeit in den Industriestaaten befürchten und eher optimistisch eingestellte Wissenschaftlerinnen und Wischenschaftler gegenüber, die zwar einen Jobverlust in den Industriestaaten nicht leugnen, jedoch im Saldo von einem längerfristigen Arbeitsplatzaufbau ausgehen. Somit käme es höchstens vorübergehend zu Arbeitslosigkeit in den entwickelten Staaten. Längerfristig hingegen würde der Outsourcing- und Offshoring-Trend den ohnehin notwendigen Strukturwandel befördern. Die eher pessimistische Einstellung unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bekam im Jahr 2002 durch eine Studie von FORRESTER RESEARCH Aufwind, in der festgestellt wurde, dass bis 2015 insgesamt 3,3 Mio. Jobs und 136 Mrd. US-Dollar an Löhnen von Amerika in andere Länder verlagert werden. MCCARTHY (2002 2004) sieht durch diesen Trend die Gefahr einer steigenden strukturellen Arbeitslosigkeit und einem nachhaltigen Einbruch bei den Gehältern für die US-amerikanischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Er argumentiert dabei mit der zunehmenden Ersetzung amerikanischer Arbeitskräfte durch billigere Beschäftigte im Ausland. Hierdurch würde eine große Zahl an noch Beschäftigten bis 2015 in den USA arbeitslos werden oder deutliche Lohneinbußen hinnehmen müssen. Im Gegensatz zu den USA konzentriert sich die eher pessimistische Diskussionslinie in Deutschland nicht nur auf mögliche Arbeitsplatzverluste, sondern auch auf die Aushöhlung des sozialen Sicherungssystems, das im Gegensatz zu Amerika vorwiegend über den Faktor Arbeit finanziert wird (Sozialversicherungen). HALL & SOSKICE (2001) stellen in diesem Zusammenhang Deutschland als einen Staat mit vergleichsweise hohem staatlichen Einfluss in der Arbeitsregulation dar und vergleichen somit das deutsche Modell des Kapitalismus – häufig als Rheinischer Kapitalismus bezeichnet (z.B. bei BERNDT 2001) – mit dem eher marktorientierten Kapitalismusmodell der angelsächsischen Länder. Sie bezeichnen Deutschland daher als coordinated market economy im Gegensatz zu den liberal market economies der angelsächsischen Staaten (HALL & SOSKICE 2001: 8-9). BRINKMANN ET AL. (2006) merken jedoch an, dass die Vollzeitbeschäftigung in Deutschland zunehmend abgebaut und durch atypische Beschäftigungsverhältnisse ersetzt wird. Wie BERNDT (2010) folgerichtig feststellt, erodiert damit die Basis des deutschen Sozialversicherungsmodells, was sich u.a. in sinkenden Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden äußert. Für Deutschland entstehen also weit tiefergehende soziale Folgen als für die USA, da das komplette soziale Sicherungssystem auf der Annahme einer flächendeckenden Vollzeitbeschäftigung beruht, ein Ziel, das im Zuge eines Arbeitsplatzabbaus in Folge von globalem Outsourcing und Offshoring noch schwerer erreicht werden kann. Die eher optimistisch argumentierende Diskussionslinie wurde durch einen Zeitungsartikel von PEARLSTEIN (2004) erheblich beeinflusst, der am Beispiel eines US-amerikanischen Bioinformatik-Unternehmens aufzeigt, dass die Verlagerung eines Jobs nach Indien die Schaffung von 6 neuen Jobs in den USA nach sich gezogen hat. In der Regel sind diese neu geschaffenen Jobs durch eine höhere Produktivität gekennzeichnet. Somit sind im Saldo keine Arbeitsplätze abgebaut, sondern neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden. Die Sorge um steigende Arbeitslosigkeit in Folge von Offshoring-Prozessen wäre demnach unbegründet. Noch einen Schritt weiter gehen z.B. BHAGWATI ET AL. (2004) oder MANKIW ET AL. in ihrem Economic Report of the President aus dem Jahr 2004, in dem das Thema Offshoring wider Erwarten zum zentralen Präsidentschaftswahlthema wurde. Sie argumentieren, dass soziale Probleme wie Armut oder Arbeitslosigkeit nicht auf das zunehmende Outsourcing und Offshoring zurückzuführen sind, sondern vielmehr ihre Ursachen in noch zu stark ausgeprägtem Protektionismus haben. Sie beziehen sich in Anlehnung an PEARLSTEIN (2004) auf die positiven Effekte des Outsourcings und Offshorings und betonen, dass zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, die in der Regel produktiver, höher qualifiziert und besser bezahlt sind (BHAGWATI ET AL. 2004: 98-99). Das Problem liegt nach dieser Argumentation jedoch darin, dass zu wenige Arbeitsplätze wirklich offshorefähig sind. Studien von z.B. MANN & KIRKEGAARD (2003) belegen, dass prozentual betrachtet nur ein äußerst geringer Anteil der Beschäftigten von Outsourcing und Offshoring betroffen sind. In Folge dessen müsste der Protektionismus abgebaut und das Outsourcing bzw. Offshoring weiter vorangetrieben werden, um so sowohl neue Beschäftigung in den Entwicklungs- und Schwellenländern als auch in den industrialisierten Staaten zu schaffen. SAMUELSON (2004) folgt dieser eher optimistischen Einstellung nur begrenzt. Zwar erkennt er durchaus an, dass die industrialisierten Staaten vom zunehmenden Outsourcing und Offshoring durch die Entstehung produktiver, hoch qualifizierter und gut bezahlter Jobs profitieren, jedoch gibt er auch zu bedenken, dass vorübergehend Probleme entstehen könnten, da die vorhandenen Qualifikationen der Betroffenen und die verlangten Qualifikationen der neu geschaffenen Arbeitsplätze nur selten zusammenpassen. Er argumentiert in diesem Zusammenhang mit der schöpferischen Zerstörung nach SCHUMPETER (SAMUELSON 2004: 135 vgl. SCHUMPETER 1911). Während also weitgehend standardisierbare Arbeitsplätze verstärkt verlagert werden, führen die dadurch erzielten Produktivitätszuwächse der Unternehmen zur Schaffung neuer Jobs im US-amerikanischen Heimatmarkt. Im Sinne SCHUMPETERs kommt es also zu einer vorübergehenden wirtschaftlichen Kontraktion, die den Boden für neues Wachstum bereitet, da die begrenzten Ressourcen in produktivere Technologien umgeleitet werden. Der wellenartige Verlauf wirtschaftlicher Entwicklung ist unvermeidbar. Insgesamt profitiert die US-amerikanische Volkswirtschaft längerfristig von den neu geschaffenen produktiveren Jobs jedoch wesentlich stärker als von den weniger produktiven, weshalb volkswirtschaftlich ein solcher Strukturwandel als sehr sinnvoll anzusehen ist. SINN (2005) teilt die positiven Einschätzungen von z.B. BHAGWATI ET AL. (2004), MANKIW ET AL. (2004) oder von SAMUELSON (2004) grundsätzlich auch für Deutschland. Wie GEISHECKER (2006) jedoch feststellt, weist Deutschland im internationalen Vergleich zwei Besonderheiten auf. Zum einen ist Deutschland im Gegensatz zu den USA eine exportorientierte Nation und somit auf ganz besondere Weise in die internationalen Handelsverflechtungen eingebunden. Zum zweiten ist der deutsche Arbeitsmarkt durch striktere rechtliche und politische Vorgaben (wie z.B. durch Flächentarifverträge) gekennzeichnet. SINN (2005) sieht in diesen beiden Besonderheiten auch die zentrale Ursache für die negativen Auswirkungen des Outsourcings und Offshorings auf den deutschen Arbeitsmarkt. Durch wachsende Billigkonkurrenz aus den Schwellen- und Entwicklungsländern ist Deutschland auf die Produktion preiswerter Güter angewiesen, um auf den Weltmärkten seinen Status als Exportnation nicht einzubüßen. Die strikten Arbeitsmarkt- und vor allem Lohnregulierungen schränken jedoch die Möglichkeiten preiswerter Produktion sehr ein, weshalb gerade die gering qualifizierten und gering verdienenden Arbeitsplätze ins billigere Ausland verlagert werden. Somit kann Deutschland zwar seinen Status als Exportnation stärken, weiterhin wettbewerbsfähige Produkte anbieten und die Gewinne der deutschen Unternehmen steigern, allerdings geht dies zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgelöst werden (SINN 2005: 128). Eine Alternative zum Outsourcing bzw. Offshoring ist in den letzten Jahren durch die Ausdehnung der Zeit- und Leiharbeit entstanden. Das Konzept der Zeit- und Leiharbeit kann für ein Unternehmen dann sinnvoll sein, wenn es keine dauerhafte Kostenreduktion anstrebt, sondern seine Stammbelegschaft möglichst flexibel aufstocken und abbauen möchte. So kann in Zeiten einer Wirtschaftkrise ein Großteil der Belegschaft problemlos abgebaut und so die Gewinneinbußen kompensiert werden. Die Inanspruchnahme von Zeit- und Leiharbeitern kann also als ein das Outsourcing und Offshoring ergänzendes Instrument unternehmerischer Steuerung angesehen werden (vgl. z.B. SCHWAAB 2009: 35-36). Diese unterschiedlichen Positionen in der Wissenschaft verdeutlichen, dass die Outsourcing/Offshoring-Diskussion auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch weit von einer einheitlichen Beurteilung entfernt ist. Ich sehe einen der zentralen Gründe für diese uneinheitlichen Bewertungen der aktuellen Situation in einer zu starken Makroorientierung. So wird diskutiert, in wie weit Deutschland oder die USA als Volkswirtschaften vom Outsourcing und Offshoring eher profitieren oder doch eher an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Dies geht aus meiner Sicht jedoch an der Komplexität von Outsourcing- bzw. Offshoring-Entscheidungen vorbei, da ein Outsourcing bzw. Offshoring völlig unterschiedliche Berufsgruppen in völlig unterschiedlichen Lebenssituationen treffen kann. Aus diesem Grund wird diese Untersuchung im Folgenden die Makroebene verlassen und stärker auf die Betrachtungsebene einzelner Outsourcings bzw. Offshorings und ihren individuellen Konsequenzen für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingehen.
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