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Recht / Wirtschaft / Steuern

Islam Qerimi

Informelle Konfliktschlichtung nach albanischem Kanun. Eine rechtsvergleichende Analyse zum alten Kanun und modernen Recht

2. überarbeitete und ergänzte Auflage

ISBN: 978-3-95935-606-0

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 02.2023
AuflagenNr.: 2
Seiten: 248
Abb.: 5
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In dieser Arbeit geht es um den Vergleich von zwei unterschiedlichen Rechtssystemen: dem traditionellen Kanun bei den Albanern und dem modernen staatlichen Recht. Diese werden von Seiten zwei verschiedener Rechtsgebiete (dem zivil- und strafrechtlichen Bereich) in Albanien und im Kosovo behandelt. Das Strafrecht dient dabei dem Schutz von Rechtsgütern und kann im Kanun ebenso nach einem Ausgleich für eine Rechtsverletzung zwischen Privaten suchen (entweder Blutrache und oder Wiedergutmachung des Schadens). Hierbei werden passende Beispiele aus der Literatur, aus staatlichen Gerichten und aus Interviews mit außergerichtlichen Konfliktschlichtern und Ältesten angeführt. Des Weiteren werden die Mechanismen der außergerichtlichen Konfliktschlichtung dargestellt, wie sie in der Lebenspraxis angewandt sind, wie weit sie erfolgreich waren und ob sie es noch heutzutage sind.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.1 Albanien: 3.1.1 Die geschichtliche Entwicklung des albanischen Rechtssystems: Obwohl auf dem Territorium der heutigen Staaten Albanien und Kosovo, schon immer Albaner gelebt haben, werde ich in der Absicht absichtlich beide Rechtssysteme darstellen. Der Grund für diese getrennte Darstellung liegt in der spezifischen geschichtlichen Entwicklung ihrer Rechtssysteme. Bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit wurde beschrieben, dass die albanischen Territorien im Laufe der Geschichte ständig von fremden Herrschern besetzt wurden. Albanien hatte am 28. November 1912 seine Unabhängigkeit erklärt und wurde 1913 auch als eigenständiger Staat anerkannt. Diese Anerkennung der Unabhängigkeit bedingte auch die Abtretung des Kosovos an Serbien und Montenegro. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Kosovo innerhalb der sozialistischen Republik Jugoslawien aufgenommen. Seit 1999 stand es dann unter dem Protektorat der UNO und seit 17. Februar 2008 gilt der Kosovo als unabhängiger Staat. Aus diesem Grund ist eine unabhängige Darstellung beider Rechtssysteme notwendig. Die Geschichte des unabhängigen Rechtssystems in Albanien beginnt im Jahr 1912. Am 28. November 1912 trat in Vlora ein Nationalkongress aus Vertretern aller albanischer Gebiete (auch des Kosovo mit seinem Vertreter Isa Boletini) zusammen. Leiter dieses Kongresses war Ismajl Qemajl Bej Vlora. An diesem Tag wurde Albanien unabhängig und es wurde eine provisorische Regierung gestellt. Darüber hinaus wurde ein 18- köpfiger Ältestenrat (Pleqësia) zur Unterstützung und Kontrolle der Regierung gebildet. Dieser Rat hatte aber kein Recht, sie zu stürzen. Diese neuen Unabhängigkeitsvertreter des albanischen Volkes waren jedoch nicht für die verfassungsrechtliche Gründungsurkunde von 1913 und das Organisationsstatut von 1914, als Verfassungsrahmen der neuen Herrschaft, verantwortlich. Diese Grundlagen schafften die Diplomaten der damaligen Großmächte, unter Leitung des Fürsten Wilhelm zu Wied. Sie gestalteten die Gerichte von Verwaltung unabhängig (§107 Statut von Albanien). Die Justiz wurde vierstufig aufgebaut (§159 SA) und reichte von Ältestenräten, die in den Dörfern Geldbußen für Sachbeschädigungen in der Landwirtschaft verhängen dürften, über Friedensrichter für Bagatellfälle, erstinstanzliche Gerichte bis hin zu drei Berufungsgerichten (§§ 160 -166 SA). Nur der Fürst konnte noch andere Gerichte schaffen (§167 SA). Gemäß § 159 des albanischen Statuts wurden als Gerichtsbehörden der Ältestenrat, die Friedensrichter, die Gerichte der ersten Instanz und das Berufungsgericht bezeichnet. Der Ältestenrat, der in jedem Dorf ansässig war und gemäß § 160 SA gesetzmäßig zusammengesetzt wurde, konnte Handlungen, die zu Schäden in der Landwirtschaft führten, mit Geldbußen zwischen 10 und 100 Franken ahnden. Die Friedensrichter wurden gem. § 161 SA durch fürstliches Dekret ernannt. Sie waren zuständig für Streitfälle in Zivilsachen, mit einem Streitwert von bis zu 100 Franken ohne Berufung, und mit Berufung bei einem Streitwert von 200 bis zu 500 Franken und in Strafsachen entschieden sie ohne Berufung über strafbare Handlungen, die mit bis zu drei Monaten Haft bestraft werden konnten. Während dieser Zeit wurden nicht nur Konflikte und Streitigkeiten aus dem Zivilbereich von außergerichtlichen Institution der Vermittlung und Versöhnung bzw. Ältesten laut dem alten Gewohnheitsrecht geschlichtet, sondern auch Strafrechtsfälle. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges stand Albanien kurz unter der Herrschaft (6. Februar – 3. September 1914) des deutschen Adeligen Wilhelm zu Wied (1876-1945). Während dieser Zeit begann ein Krieg zwischen den Truppen von Esat Pasha und denen Wied’s, was zum Ergebnis führte, dass Wied Albanien am 5. September 1914 verließ. Kurz darauf wurde am 4. Oktober 1914 Esat Pasha durch den Senat als Präsident und Regierungschef gewählt. Damit wurde die republikanische Staatsform wiederhergestellt. Österreich-Ungarn hatte diese albanische Staatsform sofort anerkannt. Am 15. Dezember 1914 musste die albanische Regierung wegen des serbischen Druckes die diplomatischen Beziehungen zu Österreich-Ungarn wieder abbrechen. Im Jahr 1916 wurde ein albanischer Landesteil von Italien besetzt. Trotz allem wurde Albanien bis zum November 1918 zum größten Teil (2/3) von Österreich-Ungarn besetzt, nur kleinere Landesteile hielten Italiener, Serben und Griechen. Die Albaner konnten sich für die Österreicher sehr begeistern, denn sie stellten den Albanern, für den Fall des Sieges der Mittelmächte im Krieg, sogar die Wiederherstellung der Unabhängigkeit des albanischen Staates unter österreichischem Schutz in Aussicht. Im Januar 1920 einigten sich Frankreich und England über die Aufteilung Albaniens, weswegen in Lushnja vom 21. – 31. Januar 1920 ein gesamtalbanischer Kongress stattfand mit dem Ziel, eine provisorische Verfassung zu erlassen und die Pläne der genannten Staaten abzulehnen. Darüber hinaus wurde auf diesem Kongress auch eine Delegation für die Pariser Friedenskonferenz bestimmt. Am 17. Dezember 1920 wurde die Souveränität Albaniens vom Völkerbund erneut anerkannt, mit den Grenzen von 1913, sodass die Italiener ihre Truppen abziehen mussten. Die Außengrenzen waren zwar anerkannt, aber im Land wurde die politische Situation sehr unkontrollierbar, denn im gleichen Jahr der Anerkennung und Bildung der neuen Regierung, wurde in Nordalbanien eine katholisch orientierte Republik von Mirdita, unter Führung von Gjon Marka Gjoni ausgerufen. Im Februar und März 1921 fanden die ersten albanischen Parlamentswahlen statt. Am 08.12.1922 wurde durch das Parlament die sog. das erweiterte Statut von Lushnja (alb. Statuti i zgjeruar i Lushnjes) verabschiedet. Es wurde von einer zwölfköpfigen Kommission erarbeitet. Technisch gesehen galt dieses Statut als Verfassungsänderung, die Kompetenzen der Staatsorgane neu regelte und Grundrechte definierte. Auf der Basis des Statuts von Lushnja (SL) wurde die Gewaltenteilung klar festgeschrieben. Die Exekutive lag beim Hohen Rat, der den Fürsten provisorisch vertrat und die Regierung ausübte. Die Legislative nach §§ 1 – 4 SL hatte das Parlament inne. Nach §§ 26, 28 SL hatte das Parlament das Recht mit absoluter Mehrheit über Gesetzentwürfe der Regierung zu entscheiden und konnte gem. § 63 SL selbst Gesetzesinitiative einbringen. Es kontrollierte gem. §§ 40-42 SL die Regierung und klagte sie gegebenenfalls vor dem Obersten Gericht an, wählte gem. § 45 SL den Hohen Rat und sprach der Regierung i.S.d. § 66 SL das Vertrauen oder Misstrauen aus. Fan Noli bildete im Jahr 1924 eine liberale Regierung in Albanien und verlor durch den politischen Putsch des Gegners Ahmet Zogu (1895–1961) die Macht. Dieser Putschist war während der Zeit zwischen den Weltkriegen der wichtigste Mann in Albanien. Am Anfang 1920 startet er seine politische Karriere als Innenminister. Am 6. Januar 1925 wurde er dann als Ministerpräsident im Amt eingesetzt und wenig später, noch im selben Monat, am 31. Januar 1925 zum Präsidenten der Republik ernannt. Am 7. März verabschiedete er eine neue Verfassung nach dem Vorbild der USA, die dem Präsidenten die volle Macht sicherte. Am 1. September 1928 wurde er König einer Erbmonarchie. Eine von ihm erlassene Verfassung gab ihm unbegrenzte Macht, sowohl in der Legislative, in der Judikative als auch in der Exekutive. Er hielt politische Parteien für zwecklos und verbot sie. Alle Mitglieder seines Parlaments bedürften vor Amtsantritt seiner Zustimmung. Zu dieser Zeit galt Albanien als parlamentarisches Königreich mit Ahmet Zogu als König von Albanien. Das Land nahm eine fortschrittliche Entwicklung, denn es wurden viele neue Gesetze mit westlicher Orientierung kodifiziert, aber auch alte Vermittlungs- und Versöhnungstechniken zur Regulierung gesellschaftlicher Beziehungen anerkannt. Bereits 1939 wurde Albanien wiederum von Italien annektiert. Deshalb floh der albanische König Zogu I. ins Ausland. Am 16. April 1939 wurde Viktor Emanuel III. von Italien als König von Albanien ausgerufen und als rechtmäßiger Träger der sog. Skanderbeg-Krone bestätigt. In der Zeit von 1943-1944 wurde Albanien von den nationalsozialistischen Truppen Deutschlands besetzt. Nach dem Abzug dieser, übernahm Enver Hoxha am 5. Januar 1945 die Macht und ließ die albanische Volksrepublik ausrufen. Während seines kommunistischen Regimes war er als einer der größten Despoten des letzten Jahrhunderts bekannt. Unter Hoxhas Regierung wurden die Konfliktregulierungsmechanismen nach dem alten Gewohnheitsrecht völlig zerstört. Am Anfang haben seine Kommunisten viele juristische Maßnahmen unternommen, damit Konflikt- und Streitschlichtungen nicht vor einer alten traditionellen Institution stattfinden konnten. Anfangs hatten sie die sog. Blutversöhnungskommission entwickelt, die sich in Zusammenarbeit mit den lokalen Selbstverwaltungsautoritäten in der Rolle der Vermittler und Versöhner engagierten. Diese Kommissionen haben jedoch schwerste Sanktionen gegen die Bluträcher, wie Todesstrafe und Deportation ganzer Familien des Täters in eine andere Region, verhängt.

Über den Autor

Dr. Islam Qerimi, LL.M., geboren 1967 in Dumnica e Poshtme (Kosovo), schloss sein Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Universität von Prishtina, sein Magisterstudium der Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und sein Doktoratsstudium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien erfolgreich ab. Außerdem hat er eine Ausbildung zum Mediator und systemischen Coach am Radius Institut für Kommunikation und Konfliktmanagement Lübeck erfolgreich absolviert. Bereits während der Tätigkeit des Dozenten im Kosovo sammelte der Autor umfassende theoretische und praktische Erfahrungen im Gewohnheitsrecht der Albaner. Fasziniert vom albanischen Gewohnheitsrecht und den Kanunen hielt sich der Autor mehrmals in Albanien auf, um die Besonderheiten des Kanun als Primärquelle des albanischen Gewohnheitsrechts kennenzulernen. Seine alltägliche Wahrnehmung in der Jugendzeit mit verschiedenen Aspekten des albanischen Gewohnheitsrechts motivierte ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches näher zu widmen.

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