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- Suizid – ein gesellschaftliches Phänomen. Kulturvergleichende Betrachtung in Südkorea und Deutschland
Psychologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 12.2018
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Abb.: 14
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Während in Deutschland in den letzten 30 Jahren die Suizidraten erheblich zurückgegangen sind, haben sich die Suizidraten in Südkorea im selben Zeitraum dramatisch erhöht und lagen im Jahr 2016 in etwa doppelt so hoch wie jene Deutschlands (26,9 bzw. 13,6 Suizide/ 100.000 Einwohner jährlich). Diese Diskrepanz wirft die Frage auf, ob unterschiedliche gesellschaftlich-kulturelle Bedingungen in den beiden Ländern sowie Unterschiede in der Suizidprävention und Therapie diese stark unterschiedlichen Entwicklungen plausibel erklären können. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurden zunächst soziologische, psychologische und psychiatrische Entstehungstheorien des Suizids rezipiert und anschließend philosophische, gesellschaftsideologische, demographische, sozioökonomische, psychologische und psychosoziale Faktoren, die auf Suizidalität in den beiden Ländern wirken, kulturvergleichend analysiert.
Textprobe: Kapitel: 4 Suizid in der klinischen Psychologie Die klinische Perspektive auf Suizid untersucht vor allem den Zusammenhang psychischer Störungen und psychiatrischer Auffälligkeiten mit suizidalem Verhalten. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Symptomen verschiedener psychischer Erkrankungen und dem Erleben unmittelbar vor einem Suizidversuch, wie zum Beispiel ausgeprägte Hoffnungslosigkeit und Einengung der Gedanken und Gefühle und eine pseudoaltruistische Aufwertung der suizidalen Handlung (affektive Störungen), die suggeriert, dass das Umfeld der betroffenen Person ohne diese besser dastehen würde. Auch akustische Halluzinationen wie zum Beispiel Stimmen, die zum Suizid auffordern (‚Schizophrenie‘) und die lebendige Vorstellung des eigenen Körpers nach einem Suizid (‚Derealisation‘) können eine Suizidhandlung motivieren. 4.1 Die Klassifikation von Suizidalität als psychischer Störung Im ‚Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen‘ (DSM- IV-TR, Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003) wird Suizidalität nicht als eigenständige syndromale Störung klassifiziert. Stattdessen wird suizidales Verhalten (Suizidideen, Suizidversuche) als ein Symptom für eine Major Depression (Kriterium A9) oder eine Borderline- Persönlichkeitsstörung klassifiziert. Hieraus wird ersichtlich, dass Suizidalität in einem engen kausalen Zusammenhang mit depressiven Störungen und ferner mit Borderline- Persönlichkeitsstörungen gesehen wurde und wird. Oquendo und Baca-Garcia (2014) wenden sich gegen diese Praxis und argumentieren, dass die ausschließliche Betrachtung von Suizidalität als Symptom seine angemessene diagnostische Erkennung und Dokumentation und damit eine effektive Suizidprävention behindern würde. Aufgrund dieser Insuffizienz sind die Autoren der Ansicht, dass bei der Generierung von kurzfristigen Prädiktoren für Suizid noch erhebliches Verbesserungspotential besteht. Weiterhin führen sie aus, dass die ausschließliche Klassifizierung als Begleitsymptom von einer Major Depression oder einer Borderline- Störung impliziere, dass Suizidalität bei anderen psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Suchterkrankungen oder posttraumatischer Belastungsstörung keine Rolle spiele. Dies steht im Widerspruch zur berichteten Assoziation dieser Störungen mit Suizidalität (siehe unten). Anders herum unternimmt ein Teil der Patienten mit Erkrankungen, die diagnostisch mit einem hohen Suizidrisiko in Verbindung gebracht werden, niemals einen Suizidversuch. Darüber hinaus muss suizidalem Verhalten nicht zwangsläufig eine andere psychische Störung vorangehen, auch wenn dies häufig der Fall ist (siehe unten). Schon Wilhelm Griesinger hielt fest: Nicht die ganze psychologische und ätiologische Geschichte des Selbstmords gehört der Psychiatrie an, denn er ist nicht immer das Symptom oder Ergebnis einer psychischen Krankheit (Griesinger 1845, S. 32) In ‚psychologischen Autopsiestudien‘, die mit Hilfe unterschiedlicher Informationsquellen, zum Beispiel Krankenakten, der Befragung von Angehöriger, von behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten die Suizidbildung nachzuvollziehen versuchen, wurden retrospektiv nur bei 40-70% der Suizidenten ausgeprägte depressive Verstimmungen festgestellt (Bronisch, 2014). Eine chinesische Studie fand, dass 37% aller Suizidenten keine identifizierbare psychische Störung aufwiesen (Philipps, Yang & Zhang, 2002). Aufgrund dieser Widersprüchlichkeiten setzen sich Oquendo et al. (2014) für eine Klassifikation von Suizidalität als distinktes, eigenständiges Störungsbild ein. Die entsprechenden Kriterien für diagnostische Validität einer solchen Unterscheidung (Guze & Robins, 1970), wie beispielsweise die Existenz reliabler antezedierender, konkurrierender und prognostischer Kriterien, sehen sie als erfüllt an. Sollte dieser Vorschlag in einer neuen Version des DSM befolgt werden, könnte sich die Definition des Störungsbilds Suizidalität an der Konzeption des präsuizidalen Syndroms (Ringel, 1953) orientieren. 4.2 Das präsuizidale Syndrom Ringel (1953) definiert das präsuizidale Syndrom anhand folgender Kriterien: psychische ‚Einengung‘, die die Aufgabe einzelner Lebensbereiche, eine Angst, neue Dinge aufzustreben, Gefühle der Wertlosigkeit und Perspektivlosigkeit und schließlich ein Gefühl der Vereinsamung beinhaltet. Das Gefühl der Isolation spielt auch in der Bindungstheorie des Suizids eine wesentliche Rolle. Die Zukunft werde als belanglos erlebt. Zweitens komme es zur einer verstärkten und gleichzeitig gehemmten Aggression. Die Hemmung besteht zum Beispiel in der Tabuisierung aggressiven Verhaltens, wie wir sie in Freuds psychodynamischer Konzeption der Autoaggression kennengelernt haben. Diese Hemmung führe zu einer Anstauung der Aggression, die sich dann bei einem relativ geringfügigen Anlass heftig entlade. Schließlich sei die Flucht in die Irrealität konstituierendes Symptom. Phantasien bekämen Wirklichkeitscharakter und Patienten erlebten sich, wie bereits in den psychodynamischen Konzeptionen geschildert, nach dem eigenen Tod als körperlich lebendig, sodass sie ihren eigenen Tod beobachten könnten. Bronisch (2014) betont, dass Suizidhandlungen primär Impulshandlungen seien. Er führt Studien an, die besagen, dass nur 4% aller Suizidversuche sorgfältig geplant seien. Der impulsive Charakter werde durch Alkohol und andere Drogen (siehe unten) weiter verstärkt. Bronisch (2014) postuliert weiterhin, dass die meisten Suizidhandlungen von Angst vor dem Sterben dominiert werden. Dies erkläre ihre geringe Erfolgsrate und das Phänomen, dass Suizidversuche tatsächliche Suizide um ein Vielfaches übersteigen. Der impulshafte, oft angsterfüllte Charakter suizidalen Verhaltens deute auf das ambivalente Verhältnis des Suizidenten zum eigenen Sterben hin. Dabei sei anzumerken, dass die Validität des präsuizidalen Syndroms nicht in sämtlichen Kulturkreisen erforscht wurde, was möglicherweise auch die hohe Zahl psychiatrisch unauffälliger Suizidenten in China (Vgl. Kap. 4.1) erklären kann.
Stephan Bäumer, B.Sc., wurde 1994 in Bergisch Gladbach geboren. Sein Studium der Psychologie an der Universität zu Köln schloss der Autor mit dem akademischen Grad des Bachelor of Science erfolgreich ab. Seit 2018 absolviert er ein Masterstudium in Klinischer Psychologie an der Universität Osnabrück. Hierbei beschäftigt sich der Autor umfassend mit kulturspezifischen gesellschaftlichen Bedingungen, die auf die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Erkrankungen wirken. Bereits während des Studiums sammelt der Autor umfassende praktische Erfahrungen in der psychotherapeutischen Praxis (Schwerpunkte: Suchttherapie und Alzheimerforschung).
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