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Psychologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Mediation hat sich in den letzten drei Jahrzehnten in Deutschland zu einem eigenständigen Verfahren der Konfliktregulierung in sehr unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft entwickelt. In der vorliegenden Studie werden verschiedene Beratungskonzepte vorgestellt, die sich an Menschen in verschiedenen Phasen des Scheidungsgeschehens richten. Dabei wird die Familie aus einer systemischen Perspektive betrachtet, welche die Scheidung als Prozess begreift. Die Mediation ist dabei ein Konzept zur Beratung im Zusammenhang mit der juristischen Regelung der Scheidungsfolgen. Andere Angebote, die eine Entscheidungsfindung bezüglich der Fortführung oder Auflösung der Beziehung ermöglichen sowie Konzepte zur Bewältigung des Trennungserlebens werden vergleichend dargestellt, um eventuelle Defizite der Scheidungsmediation aufzuzeigen und jene zu evaluieren.
Textprobe: Kapitel 2.2, Psychologie der Gerechtigkeit: Der sich daraus ergebende Anspruch, welcher an das Mediationsverfahren gestellt wird, ist es, eine gemeinsame und rechtsverbindliche Übereinkunft der Streitparteien zu erreichen, zu welcher sie freiwillig gekommen sind und welche beide Parteien gewinnen lässt. Dies ist m. E. im Hinblick auf die Situation oder die Lebensphase, in der sich die Betroffenen befinden, ein hoher Anspruch. Theorien und Erkenntnisse der Sozialpsychologie in Bezug auf das Denken und Handeln der Betroffenen im Scheidungskonflikt sollen helfen herauszufinden, ob das so definierte Mediationsverfahren diesem Anspruch gerecht werden kann. Dem Entschluss zur Scheidung oder zunächst zur Trennung vom Partner sind sicherlich unangenehme Emotionen und in der Folge heftige Konflikte vorausgegangen. Welches sind die wahrscheinlichsten Emotionen und Gefühle, die zu den Konflikten führen? Das ist sicher eine zentrale Frage, um in solchen Konflikten zu vermitteln und eine systematische Bearbeitung des konkreten Einzelfalls zu leisten. Nach Bierhoff (1998) gehen heftige Konflikte immer vom Erleben gravierender Ungerechtigkeit aus, d.h. wenn zumindest eine Partei überzeugt ist, dass die andere Partei geltendes Recht, moralische Standards oder andere Gerechtigkeitsnormen verletzt hat. So auch Montada und Kals: ‘Konflikte werden erst ‘heiß’, wenn eine Partei sich ungerecht behandelt fühlt,…’ (2001, S.100). Die Gerechtigkeit oder erlebte Ungerechtigkeit gehört also zu den wichtigen Erfahrungen, die zum Interessenkonflikt führen. Gesellschaftliche Normen, Rechte und Pflichten sind Regeln für zwischenmenschliches Zusammenleben, und Gerechtigkeitskonflikte resultieren aus einer wahrgenommenen Verletzung dieser. Dabei kommt den gesellschaftlichen Instanzen eine besondere Bedeutung zu, die für die Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft sorgen sollen. Dies sind Behörden, Gerichte, Kammern, Schiedsstellen und andere Institutionen. Rechtsverletzungen staatlicher Autoritäten lösen besonders heftige Empörung aus. Wenn legitime Interessen mit legitimen Mitteln von beiden Parteien verfolgt werden, kann eine Partei verlieren oder benachteiligt sein. Dies führt zu Beschämung, Enttäuschung oder auch Ärger über eigene Fehler, aber noch nicht zu Empörung (vgl. Montada & Kals, 2001). Auch das Konzept der relativen Deprivation (RD), von Stouffer und Kollegen in den 40er Jahren eingeführt, beschäftigte sich mit der grundlegenden Frage, wann Menschen mit ihrer Situation unzufrieden sind oder sich benachteiligt fühlen. Unter RD wird das Empfinden verstanden, weniger zu haben, als einem zusteht, die Wahrnehmung einer Diskrepanz zwischen berechtigtem Anspruch und Status quo. Im Ergebnis führt die Bewertung der negativen Situation durch den Betroffenen zu unterschiedlichen Emotionen, welche wiederum zu verschiedenen Verhaltensweisen führen (Stouffer, Suchman, DeVinney, Starr & Williams, 1949). Bei hoher Empörung unterbleibt beispielsweise ein kühles Kalkül, obwohl dies im persönlichen Interesse läge. Die Handlungsimpulse sind dann oft nicht mehr rational gesteuert und Vergeltung hat Priorität vor Eigeninteresse, führen Montada und Kals aus (2001, S.102). Um die Bewertungskriterien der Gerechtigkeit soll es im nächsten Kapitel gehen. 2.2.1, Vorstellungen von Gerechtigkeit: Für eine Bearbeitung von Konflikten mit einer nachhaltigen Wirkung ist es also unabdingbar, die im individuellen Streit relevanten und unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien zu erkennen. Daher ist es notwendig, die Vorstellungen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in einer Gesellschaft, in der Bevölkerung zu kennen. Hier kann die Mediation, fern der richterlichen Auslegung des festgeschriebenen Rechts in begrenzter Zeit, eine Alternative für die sich Trennenden darstellen, welche die individuellen Bedürfnisse und Bewertungen im Konflikt mehr berücksichtigt. Die Bewertung der Gerechtigkeit ist als ein kognitiver, individueller Prozess zu verstehen, der im Laufe des Lebens verschiedenen Einflüssen unterworfen ist. Kessler und Syringa Harth (2008) nennen die Kriterien Zieldiskrepanz, Legitimität, Erreichbarkeit und Verantwortlichkeit als Kennzeichen, die bei der Bewertung einer gegebenen Situation, z.B. wahrgenommene Benachteiligung, eine zentrale Rolle spielen. Das eigene Verhalten ist auf ein Ziel ausgerichtet, welches aus irgendwelchen Gründen nicht erreicht werden kann. Es entsteht das Gefühl der Frustration und als Konsequenz z.B. aggressives Verhalten, um das Hindernis zu beseitigen > Zieldiskrepanz. Wenn das Ziel als ein berechtigter Anspruch wahrgenommen wird, entsteht nicht nur Frustration, sondern evtl. auch Entrüstung, wenn der gewünschte Endzustand nicht erreicht wird. Wird es hingegen als legitim angesehen, das gewünschte Ziel nicht zu erreichen, kann Enttäuschung oder Depression entstehen > Legitimität. Ein angestrebtes Ziel kann als leicht erreichbar bis unerreichbar wahrgenommen werden, was Gefühle von Enttäuschung und Benachteiligung verstärken oder reduzieren kann > Erreichbarkeit. Auch die Frage nach der Verantwortung für das Erreichen bzw. Nichterreichen eines Ziels erzeugt Emotionen wie z.B. Selbstmitleid bei wahrgenommener eigener Verantwortung, oder Ärger und Empörung, wenn man andere für das Nichterreichen verantwortlich macht > Verantwortlichkeit. Es wird deutlich, dass unterschiedliche Bewertungen einer negativen Situation zu individuell unterschiedlichen Emotionen führen können und diese wiederum verschiedene Verhaltensweisen auslösen. Das Gefühl gerecht oder ungerecht behandelt worden zu sein, ist also aufgrund zuvor getroffener Bewertungen entstanden. Gerechtigkeit ist ein subjektiver, intrapersonaler Bewertungsmaßstab. Für die ethische Betrachtung der Gerechtigkeit ist die Frage der Gleichheit von Bedeutung. Welche Ungleichheiten sind zu berücksichtigen, wie Bedürftigkeit, Alter, Leistung, ethnische und andere Zugehörigkeiten …? Hierbei geht es um Verteilungsgerechtigkeit von materiellen Gütern, Lasten, Rechten und Pflichten, die zu bewerten sind. Welche Prinzipien der Gerechtigkeit sollen gelten? Bei der Verteilung materieller Güter, z. B. der Gewinne eines Unternehmens müssen Prinzipien der Gerechtigkeit berücksichtigt werden (shareholder vs. stakeholder). Bei der Verteilung von Lasten sind beispielsweise die Fragen der steuerlichen Belastung der Bevölkerung möglichst gerecht zu beantworten. Gerade dieses Beispiel veranschaulicht durch das Agieren der verantwortlichen Politiker, wie unterschiedlich die Vorstellungen von Gerechtigkeit sind. Auch im Scheidungsprozess wird deutlich, wie Gerechtigkeitsvorstellungen in den verschiedenen Phasen der Trennung an Priorität gewinnen und verlieren. In der Phase vor und während der Scheidung steht die Austauschgerechtigkeit im Vordergrund. Im Scheidungsverfahren vor dem Gericht werden jedoch gegebenenfalls Rentenansprüche verkündet und die Scheidung wird ausgesprochen. Ein Gespräch über die Austauschbeziehung der Parteien ist seit der Novellierung des Scheidungsrechts im Jahr 1977 nicht mehr vorgesehen. In den Verfahren über die Scheidungsfolgen sind Fragen der Verteilungsgerechtigkeit relevant. Mit der Gerechtigkeit in nahen Beziehungen wie der Ehe sollte sich eine Scheidungsmediation befassen.
Harald Schälike-Ollig, geboren 1963 in Berlin Pankow (DDR), besuchte von 1980 bis 1983 die med. Fachschule der Charité. Nach Ausreisegesuchen, Fluchtversuch und Stasihaft fand 1987 die Übersiedlung nach West-Berlin statt. Es folgte von 1988 bis 1991 ein Studium der Zahnmedizin im freien Teil Berlins sowie von 1998 bis 2009 das Studium der Sozialpsychologie in Hagen. Schälike-Ollig hat zwei Kinder und lebt in Berlin.
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