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- Heilpädagogisches Voltigieren: Wie kann der Umgang mit Pferden zur Bildung unserer Kinder beitragen?
Psychologie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 152
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Der Auftrag der Bildung ist es, junge Menschen so auf das Leben vorzubereiten, dass sie dieses möglichst selbstbestimmt und verantwortungsvoll gestalten können und damit Handlungsfähigkeit erlangen. Daraus lässt sich die Notwendigkeit einer aktiven Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umwelt ableiten. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erschweren die direkte Auseinandersetzung mit der Umwelt. Verstädterung, das Zurückdrängen der Natur in dafür vorgesehene Areale und die zunehmende Technisierung nehmen dem Kind viele Möglichkeiten, Primärerfahrungen zu sammeln. Das heilpädagogische Voltigieren kann dem Kind ein Stück der verlorenen Erfahrungsmöglichkeiten zurückgeben. Es bietet den Rahmen, in dem das Kind sich aktiv mit der Natur auseinandersetzen und sich auf die modernen Herausforderungen vorbereiten kann. Das Kind tritt in den Dialog mit einem anderen Wesen und muss, zugunsten eines störungsfreien Dialogs in jeder Situation Körper, Geist und Seele einsetzen und wird dabei nicht nur körperlich, sondern auch geistig-seelisch gefordert. Wie schon von den Begründern der modernen Pädagogik gefordert, findet beim heilpädagogischen Voltigieren eine gemeinsame Bildung von Kopf, Herz und Hand statt. Die Entwicklungen, die im heilpädagogischen Voltigieren angestrebt werden, können von allen Kindern gemacht werden - egal welche Stigmata sie tragen, ob sie körperlich beeinträchtigt sind, psychische Störungen wie z.B. ADHS zugeschrieben bekommen haben, ein eigenes, eventuell vom Durchschnitt abweichendes Lerntempo haben oder als sozial auffällig gelten. Besonders Kinder, denen von anderen Disziplinen wie der Medizin oder der Psychologie durch eben erwähnte Stigmata der Zugang zu Bildung und damit das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben der Teilhabe erschwert wird, erfahren in der Auseinandersetzung mit dem Pferd, unter dem Einsatz einfacher pädagogischer Mittel eine Möglichkeit, trotz erschwerter Bedingungen an ihren Selbst- und Weltverhältnissen mitzuwirken. In diesem Sinne ist es Ziel dieses Buches, anhand einer Beschreibung und anschließender Analyse der Praxis aufzuzeigen, was das heilpädagogische Voltigieren zu einer erfolgreichen Bewältigung der Gegenwart und der Zukunft der teilnehmenden Kinder beitragen kann. Die Frage, die der Studie zugrunde liegt, ist, wie die Praxis des heilpädagogischen Voltigierens dem Menschen - angesichts all der Probleme, mit denen er im Zuge des Lebens in der heutigen Gesellschaft konfrontiert ist - helfen kann, sich zu einem zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben befähigten Individuum zu entwickeln. Welche Elemente enthält das heilpädagogische Voltigieren, die für den Menschen und seine Bildung wichtig sind und wie werden diese Elemente in der Praxis umgesetzt?
Textprobe: Kapitel 3.2, Die Besonderheit in der Beziehung zum Pferd: Doch worin liegt die Besonderheit dieses Tieres? Warum ist es nicht aus der westlichen Welt verdrängt oder in Tierparks verbannt worden, als es für Landwirtschaft, Militär und Transportwesen unbedeutend geworden war? Warum wächst der Pferdebestand in Deutschland und anderen Ländern stetig, obwohl das Tier dort keinen wirtschaftlichen Zweck mehr erfüllt und für seine Halter eine nicht unbedeutende finanzielle Belastung darstellt? Natur- und Realitätserlebnis: In vielfältiger Hinsicht stellt das Pferd eine Alternative zur üblichen Lebenswelt in der technischen Gesellschaft dar, es ist das Ungewöhnliche im Gegensatz zum Alltäglichen, das Kraftvolle im Gegensatz zum Schwachen, das Dynamische im Gegensatz zum Matten, das Schöne im Gegensatz zum Hässlichen, das Edle im Gegensatz zum Gewöhnlichen, das Angesehene im Gegensatz zum Unbeachteten, das Lebendige im Gegensatz zum Toten, das Organische im Gegensatz zum Technischen, das Unreflektierte im Gegensatz zum Absichernden, das Spontane im Gegensatz zum Reaktiven, das Unberechenbare im Gegensatz zum Kalkulierten, schließlich das Fordernde im Gegensatz zur Routine . Meyer sieht im Umgang mit dem Pferd einen Ausweg des Menschen aus der hoch technisierten Welt von heute, eine Wendung in die Vergangenheit, in die heile Welt von früher, zurück in die ländliche Idylle. Im Zuge der Endkulturation, der Individuation und der Sozialisation lernen wir, unsere Bindung zueinander abzuwerten und zu ignorieren. Erst die Tiere lassen uns wieder erkennen, daß wir mit anderen Lebewesen verbunden sind. Durch sie erinnern wir uns, wer wir sind. […] Tiere erlauben uns, die Maske abzunehmen und uns ganz natürlich zu verhalten . Durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Lebewesen, durch die Bewegungen, die er spürt, die Wärme des Pferdekörpers, sein spontanes und unvorhersagbares Verhalten, seine Reaktionen und auch seinen Widerstand, erlebt der Reiter das Pferd als leibhaftiges und reales Dasein. Auch das gesamte Umfeld des Pferdes ermöglicht dem Menschen die Flucht aus der technischen Welt. Man kommt in Kontakt mit der Natur - auf der Weide, im Stall -, überall eröffnen sich Eindrücke, die alle Sinnesorgane des Menschen ansprechen. Der Geruch von Pferdemist, von Hafer, Heu und Stroh, das Gefühl, wenn der Hafer durch die Hand rinnt, das Putzen der verschmutzten und verschwitzen Pferde, bei dem die Hand das warme Lebewesen berührt und spürt – all diese Sinneseindrücke gewähren dem Menschen eine Begegnung mit der Wirklichkeit. Die Domestizierbarkeit und Toleranz lässt das Pferd zu einem Wesen werden, das man anfassen kann und – im direkten Sinne des Wortes – be-greifen kann. Anders als die tote und kalte Maschine ist das Pferd lebendig: das große warme und weiche Leben, dem man sich unterordnet, das man berührt, streichelt und liebkost, an das man sich anschmiegt, mit dem man schmust, das man küsst – das große, warme, weiche Leben, von dem man sich berühren und bereiben, zupfen, beißen und belecken lässt . Identifikation, emotionale Bindung und Projektion: Der Mensch fühlt sich wohl in der Nähe des Pferdes, er kümmert sich darum fast wie um ein Familienmitglied, und bindet es in sein gesellschaftliches Leben ein. Vor allem bei Reiterinnen sieht man z.B. das Phänomen, dass Satteldecke, Bandagen und sonstiges Reitzubehör perfekt mit der eigenen Reitbekleidung abgestimmt sind. Der Markt für Reitmode ist riesig. In der Weihnachtszeit ist es keine Seltenheit mehr, Reiter anzutreffen, die ihr Pferd als Rentier mit großem Geweih oder als Weihnachtsmann mit roter Mütze, verkleidet haben. Auch für nicht-aktive Reiter ist der Markt für Pferdeartikel schier unbegrenzt. Es gibt Pferdebücher, Kleidung mit Abbildungen von Pferden, Bettwäsche, auf der Pferde zu sehen sind, Schmuck, Uhren, Kinderspielzeug, Geschirr, Schlüsselanhänger, Aufkleber und vieles mehr, alles zum Thema Pferd. All das weist darauf hin, dass der Mensch das Pferd nicht nur als Sportgerät betrachtet, sondern eine emotionale Bindung zu ihm aufbaut und sich teilweise mit ihm identifiziert. Identifikation und Projektionen sind nur möglich, wenn eine emotionale Basis in Form von Wertschätzung und wenigstens ein Ansatz von Ähnlichkeit zwischen Subjekt und Identifikationsobjekt gegeben ist. Es müssen sich also zwischen Mensch und Pferd entsprechende Analogien oder Vertrautheiten auffinden lassen, die es gestatten, daß zum Pferd ähnliche Beziehungsformen entwickelt werden, wie im zwischenmenschlichen Bereich . Analogien zwischen Mensch und Pferd lassen sich in viele Bereichen erkennen: Dem Pferd als Herdentier ist die Art des Menschen, seine Zuneigung zu anderen mit Berührungen und Körperkontakt zu äußern, nicht fremd. Von Pferden wird die Fellpflege genutzt, um Beziehungen zu stärken. So vermittelt die Mutter ihrem Fohlen damit z.B. ein Gefühl von Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit. Selbst die ausgewachsenen Artgenossen pflegen und kraulen ihr Fell untereinander, auch wenn dies aus rein hygienischen Gründen nicht nötig wäre. Diese freundschaftliche Beziehung kann das Pferd auch auf den Menschen übertragen. Es lässt die körperliche Nähe seitens des Menschen nicht nur zu, sondern vermag sie auch zu erwidern, was zum Aufbau einer emotionalen Bindung beim Menschen beiträgt.
Nina Macher, M.A., wurde 1983 in Nürnberg geboren. Ihr Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg schloss die Autorin im Jahre 2008 mit dem akademischen Grad Magister Artium erfolgreich ab. Seit dem Ende ihres Studiums arbeitet sie als Pädagogin in einer Berufsvorbereitenden Maßnahme mit schwierigen Jugendlichen. Da die Autorin selbst mit Pferden aufwuchs und im Reitstall zuhause war entwickelte sie früh Interesse an der Frage was die Besonderheit des Pferdes ist und warum der Mensch eine so enge Beziehung zu dem Tier aufbaut. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Bereichen der Tiergestützten Therapie während ihres Studiums motivierte die Autorin sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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