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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Abb.: 24
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Erwachsenwerden und Erwachsensein sind für jeden Menschen bedeutende Lebensabschnitte, an deren Anfang die Ablösung vom Elternhaus und der Auszug aus dem familiären Umfeld steht. Während dem Prozess der unabhängigen Identitätsbildung durchlebt der junge Erwachsene zahlreiche neue Eindrücke und Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund ist die Untersuchung des Erwachsenwerdens bei Kindern mit geistiger Behinderung besonders interessant, da das Verlassen des Elternhauses unter erschwerten Bedingungen geschieht. Anhand einer empirischen Untersuchung verschiedener Fälle analysiert die vorliegende Studie die Neu- und Umgestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen während dieser Entwicklungsphase. Hierbei erfährt der Leser von den Problematiken für Eltern, Kinder und für involvierte Institutionen. Durch die detaillierte Darstellung von Erwartungen, Hoffnungen und Erlebnissen der Beteiligten versucht dieses Buch, Handlungsansätze für die professionelle Hilfe aufzuzeigen, die den Ablöseprozess für Menschen mit geistiger Behinderung erleichtern können.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Thematische Annäherungen: Wird Erwachsenwerden ausschließlich als Reifungs-, Wachstums- und Veränderungsprozess von Kindern und Jugendlichen begriffen, erscheint die Entwicklung des Menschen mit Ende des Jugendalters und Erreichen eines Erwachsenenalters abgeschlossen. Erwachsensein manifestiert sich dann im Bild des Erwachsenen: Die Vorstellung von einer fertigen Person, die »lange weitgehend stabil [bleibt M.F.] bis sie sich unter dem Einfluss biologischer Abbauprozesse im Alter allmählich psychisch und sozial zurückzieht.« 2.1, Erwachsenwerden/-sein: Es liegt nahe, Erwachsenwerden/-sein zunächst als einen spezifischen Altersabschnitt, als eine bestimmte Phase im Lebenslauf aufzufassen: Vorstellungen vom Lebenslauf als Abfolge von Stufen oder Phasen sind weit verbreitet und haben eine gewisse Tradition, bereits in der Antike waren entsprechende Konzeptionen verbreitet. Auch in wissenschaftlichen Kontexten besteht ein grundsätzliches Einvernehmen über die Grobgliederung des Lebenslaufs in Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und Alter, so sind beispielsweise auch wissenschaftliche Spezialisierungen entlang dieser Lebensabschnitte organisiert (Faltermaier et al. 2002, 37–39 sowie 85–87). Es bestehen zudem zahlreiche gesellschaftlich verankerte und rechtlich normierte Altersgrenzen, die auf eine Vorstellung von Lebensphasen verweisen, eine grobe Dreiteilung des Lebenslaufs in Vorbereitungsphase (Kindheit und Jugend), Aktivitätsphase (‚aktives‘ Erwachsenenalter) sowie Ruhephase (Alter), die sich in gesellschaftlichen Institutionen des Bildungs- und Rentensystems wiederfindet (Faltermaier et al. 2002, 16): Allgemeine Schulpflicht (Schuleintrittsalter), Volljährigkeit, Strafmündigkeit, Geschäftsfähigkeit, Wahlrecht, Altersgrenzen für Bezugsdauer von Kindergeld und BAföG-Leistungen sowie Eintrittalter für gesetzliche Rente. Dementsprechend definieren beispielsweise Krampen/Reichle (2008, 333) das frühe Ewachsenenalter »formal und pragmatisch« als »Altersbereich von 18 bis 29 Jahren mit unscharfen, fließenden Altersübergängen« (ebd.) auch Faltermaier et al. (2002, 85) bestimmen die rechtliche Volljährigkeit als Beginn des Erwachsenenalters. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch recht schnell eine komplexe Ambiguität von Erwachsenwerden/- sein deutlich, verschiedene Aspekte und Perspektiven aggregieren und interferieren in reziproken Bezügen: Entwicklungsbiologische Aspekte wie z.B. Geschlechtsreife körperliches Auswachsen psychosoziale, individuumsbezogene Aspekte wie beispielsweise Identitätsentwicklung, Selbst-Bewusstsein, Autonomie, Selbstversorgung, Sexualität, Partnerschaft, Familie, Berufs- und Arbeitsleben soziale, gesellschaftliche, normative Aspekte wie z.B. Rollenerwartungen und -zuschreibungen, Erwachsenensozialisation, Altersnormierungen. Ihre Entsprechung findet diese Ambiguität auch in der Sphäre von Wissenschaft und Forschung, zahlreiche humanwissenschaftliche Disziplinen und Forschungsfelder setzen sich mit Erwachsenwerden/-sein auseinander: Biologie, Sozialwissenschaften, Lebenslauf- und Biografieforschung, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Anthropologie. Insbesondere in gesellschaftlich-historischer Perspektive auf Erwachsenwerden/-sein zeigt sich eine grundsätzliche Unschärfe bei der Bestimmung von Kriterien für das Erwachsenenalter (vgl. Krampen/Reichle 2008, 335), »insgesamt lässt sich […] kein eindeutiges Kriterium für die Bestimmung des Erwachsenen angeben« (Faltermaier et al. 2002, 87): Gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die unter den Stichworten Post-Moderne, Individualisierung, Flexibilisierung, Globalisierung, Pluralisierung, Risikogesellschaft, Informations-/Wissensgesellschaft und Liberalisierung diskutiert werden, sind auch in Hinblick auf Erwachsenwerden/-sein wirksam u.a. im Zusammenhang mit der Erosion der Normalbiographie (z.B. Pluralisierung von Lebens- und Wohnformen, »Ent-Standardisierung« von Berufs-/Lohnarbeit (Kratzer/Sauer 2005, 128), atypische Beschäftigungsverhältnisse). So werden im Zusammenhang mit dem Begriff emerging adulthood (Krampen/Reichle 2008, 336) empirische Befunde gedeutet, die auf eine zunehmende Flexibilisierung und Pluralisierung von Entwicklungsverläufen des Erwachsenwerdens/- seins hinweisen: Angesichts einer »säkulare[n] Akzeleration der körperlichen Entwicklung in der Pubertät« (ebd.) und einer »säkulare[n] Retardation der finanziellen Selbständigkeit « (ebd.) wird eine Verlängerung des Jugendalters konstatiert, die »zur Unschärfe in der Bestimmung des Übergangs zum Erwachsenenalter bei[trägt]« (ebd. vgl. Faltermaier et al.2002, 15–19 und 86 f. vgl. Rothermund/Wentura 2007, 540–551). Es liegen jedoch vielfältige Beiträge vor, die auf eine Beschreibung und Erklärung einzelner Facetten von Erwachsenwerden/-sein zielen: Entwicklungspsychologische Ansätze fokussieren intraindividuelle Veränderungen von Verhalten, Erleben, Denken soziologische Ansätze stellen Erwachsenwerden/-sein als Sozialisationsprozess heraus. Eine gründliche Untersuchung der vorliegenden Beiträge kann angesichts der Fülle und des Umfangs nicht erfolgen, im Folgenden werden daher nur einige grundlegende Aspekte konturiert, die im Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Arbeit bedeutsam erscheinen. 2.1.1,Erwachsenwerden/-sein als individueller Entwicklungsprozess: Faltermaier et al. (2002, 39 vgl. ebd., 52 sowie 63) weisen darauf hin, dass bislang keine schlüssige und empirisch fundierte, grundlegende Theorie über den ganzen Lebenslauf vorliegt, es sind vorwiegend theoretische Entwürfe und Modelle entwickelt worden, deren empirische Basis »mehr oder weniger unzulänglich ist«. In einem Ordnungsversuch bemühen sich Faltermaier et al. (2002, 11) »die vorliegenden Erkenntnisse […] in einen systematischen Rahmen [zu] stellen«. Sie verdeutlichen ihr Anliegen in einer schematischen Darstellung, die auf zentrale Themen und leitende Konzepte der Entwicklung im Erwachsenenalter Bezug nimmt und vorhandene Modelle sowie theoretische Entwürfe verknüpft. In dieser Systematisierung finden sich die zentralen Annahmen der »Entwicklungspsychologie der Lebensspanne« (Faltermaier et al. 2002, 23) wieder, so wird z.B. auf die Postulierung universaler Phasen oder normativer Zielvorstellungen einer ‚gesunden‘ Entwicklung verzichtet. Zudem sind Bezüge zu ökosystemischen Entwicklungsmodellen deutlich erkennbar, Erwachsenwerden/-sein wird als inter- bzw. transaktionaler Prozess zwischen einer sich verändernden Person und einer sich ständig wandelnden Umwelt/Gesellschaft verstanden. Faltermaier et al. (2002, 83) stellen dabei Identität als zentrales übergreifendes Konzept in den Mittpunkt es »werden zum einen kognitive, emotionale, motivationale und körperliche Aspekte von Identität differenziert zum anderen wird die aktuelle Zuschreibung eines Selbstbildes von der retrospektiven und prospektiven Identitätsarbeit unterschieden, also der ständigen Rekonstruktion seiner Identität über die Lebensgeschichte und des Entwurfs eines möglichen Selbstbildes (Ich-Ideals) in die eigene Zukunft.« Einflüsse aus der gesellschaftlichen Umwelt (linke Seite) werden von Einflüssen der Person (rechte Seite) unterschieden, wobei Faltermaier et al. (ebd.) davon ausgehen, dass »in der Regel beide Einflüsse zusammenwirken« (Mitte). In Rückgriff auf vorliegende Erkenntnisse greifen Faltermaier et al. verschiedene Modelle und theoretische Entwürfe auf: Aspekte des Entwicklungsmodells von Charlotte Bühler (Faltermaier et al. 2002, 40–44) in Hinblick auf subjektive Ziele und Handlungskompetenzen des Subjekts Perspektiven des Phasenmodells der Entwicklung von Erikson (ebd., 44–48) im Zusammenhang mit Übergängen, Lebensereignissen, Krisen sowie Identität Havighursts Theorie der Entwicklungsaufgaben (ebd., 49–50) stresstheoretische Ansätze und Coping-Modelle hinsichtlich Belastungen, Bewältigungshandeln. Als zentrale Lebensthemen des frühen Erwachsenenalters stellen Faltermaier et al. (2002, 63–84 und 92–102) Weiterentwicklung der Identität, Entwicklung intimer Beziehungen, Sozialisation in die zentralen Rollen von Beruf und Familie, Auseinandersetzung mit normativen Übergängen und kritischen Lebensereignissen sowie Entwicklung und Verfolgung bedeutsamer Lebensziele heraus: (1) Die Identitätsentwicklung ist nicht mit dem Jugendalter abgeschlossen, es muss von einer ständigen Weiterentwicklung und Differenzierung der Identität im Erwachsenenalter ausgegangen werden »der junge Mensch muss eine Balance zwischen Anpassung und Selbstverwirklichung finden, um in der neuen sozialen Umwelt akzeptiert zu werden und gleichzeitig seine Individualität weiterzuentwickeln« (ebd., 93), es besteht die Gefahr sowohl einer Spaltung oder eines Verlusts der Identität, als auch einer narzisstischen Überschätzung und eines Realitätsverlusts. Während dem jugendlichen Heranwachsenden ein gewisser Schonraum umgibt, »sind die Anforderungen an einen jungen Erwachsenen sehr ernst und die Folgen seiner Handlungen und Entscheidungen in der Regel sehr schwer wiegend und weit reichend. « (ebd., 94) Besondere Anforderungen an die »Integrationsleistung des Subjekts« (ebd.) resultieren aus der Vielzahl teils überlappender, teils segmentierter Erfahrungsbereiche wie z.B. Herkunftsfamilie, die aus der Jugend erhaltenen sozialen Netzwerke und Freizeitaktivitäten, Ausbildungs-/Arbeitsbereich (Faltermaier et al. 2002, 93–95). (2) Die Entwicklung in sozialen Beziehungen bezieht sich zum einen auf Intimität, »junge Erwachsene müssen die Fähigkeit entfalten, eine emotionale, persönliche und sexuelle Bindung einzugehen, um sich weiterzuentwickeln.« (ebd., 95) Die körperliche Vereinigung kann dabei als Metapher für die Bereitschaft verstanden werden, »sich für die Verwundbarkeit einer anderen Person verantwortlich zu fühlen und ihr gleichzeitig Reziprozität in der Beziehung zu ermöglichen« (Vaillant 1993 zit.n. Faltermaier et al. 2002, 95). Partnerbeziehungen werden im frühen Erwachsenenalter typischerweise zum ersten Mal mit einer größeren Stabilität und Dauer sowie mit starker emotionaler Intensität und Verbindlichkeit eingegangen. Zum anderen werden im jungen Erwachsenenalter im Vergleich zu anderen Lebensphasen viele neue Beziehungen eingegangen z.B. Freunde, Arbeitskollegen, Nachbarn, eigene Kinder insbesondere verändern sich dauerhafte familiale Beziehungen, das Verhältnis zu den Eltern muss von einer abhängigen in eine gleichberechtigte Form umgestaltet werden. Zudem verändern sich die Beziehungen zu Geschwistern und Freunden aus Kindheit und Jugend, wobei der junge Erwachsene vor der Herausforderung steht, das Netzwerk seiner sozialen Beziehungen aktiv zu gestalten: Gesellschaftliche Individualisierungs- und Freisetzungsprozesse eröffnen einerseits Möglichkeiten soziale Beziehungen stärker nach eigenen Interessen und Bedürfnissen einzugehen, andererseits geht damit ein Handlungszwang einher, da ansonsten soziale Isolierung folgen kann. Fehlende oder geringe soziale Unterstützung führt möglicherweise zu einer Verschärfung von Belastungs- und Krisensituationen, welche die psychische und physische Gesundheit gefährden (Faltermaier et al. 2002, 95–98). (3) Auch im jungen Erwachsenenalter vollziehen sich Sozialisationsprozesse, die angesichts einer zunehmend selbständigeren und eigenverantwortlicheren Lebenstätigkeit eine neue Qualität haben erworbene Fähigkeiten, Werthaltungen und Einstellungen, z.B. im Zusammenhang mit moralischen Vorstellungen, Geschlechterrollen, Motiven und Idealen, werden stärker handlungsrelevant. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Wandlungsprozesse sind junge Erwachsene mit einer Vielzahl unterschiedlicher sozialer Erwartungen konfrontiert, »die keine klare Orientierung für den Lebensweg, sondern eher ein buntes Muster von Angeboten ergeben. « (ebd., 98) Mit dem Eintritt in die Berufswelt werden zentrale Weichen gestellt, welche soziale Position der Mensch in der Arbeitsgesellschaft (Münch 1998, 414 f.) einnimmt, überdies bestehende transaktionale Bezüge zur Identitätsentwicklung (Berufsidentität). Des Weiteren bestimmt die Menge des zur Verfügung stehenden Geldes die Teilhabe an weiteren Bereichen der Erwachsenenwelt wie z.B. Freizeitaktivitäten und ermöglicht im Sinne einer ökokomischen Unabhängigkeit die Ablösung von der Herkunftsfamilie. Im Zusammenhang mit dem Aufbau einer stabilen Partnerbeziehung sowie der Gründung eines eigenen Hausstands und ggf. einer Familie werden weitere Sozialisationsprozesse wirksam mit den mit Partnerschaft und Familie einhergehenden Rollen sind vielfältige Erwartungen und Anforderungen verbunden, wobei Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen Gestaltungsspielräume eröffnen, aber auch Selbstverantwortlichkeiten verstärken (Faltermaier et al. 2002, 98–100).

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