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- Volksentscheide in den deutschen Bundesländern: Direkte Demokratie oder eine andere Form von Parteienpolitik?
Politik
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Weite Teile der Bevölkerung, Politik und des akademischen Diskurs sehen Formen direkter Demokratie als sinnvolle und wünschenswerte Ergänzung zum repräsentativen Parlamentarismus in Deutschland. Die vorliegende Studie geht der Frage nach, ob die Idee von direkter Demokratie als eigenständigem und von parlamentarischer Bestimmung strikt abzugrenzendem Entscheidungsmechanismus aufrechterhalten werden kann. Zweifel an dieser Idee äußern sich in der Wahrnehmung, dass auch direktdemokratische Verfahren – in erster Linie Volksentscheide – von der Einmischung politischer Parteien überlagert werden. Die vorliegende Untersuchung greift diesen Eindruck auf und leitet Strategien her, mit deren Hilfe Parteien den Verlauf direktdemokratischer Verfahren beeinflussen können. Inwieweit diese Strategien in der Realität zur Anwendung kommen und direktdemokratische Verfahren zu einer anderen Spielart der Parteienpolitik mutieren können, analysiert der empirische Teil anhand dreier Volksentscheide in verschiedenen deutschen Bundesländern.
Textprobe: Kapitel II, Einleitung der Abstimmung: 1, Regierungsparteien und Oppositionsparteien: Aus der Einleitungsphase eines frei ausgelösten Volksentscheids können grundsätzlich nur Parteien der Opposition einen Nutzen ziehen. Der erste Grund hierfür ist, dass solche Entscheide in der Regel eine Antwort auf das Nichttätigwerden der Regierung oder die Unzufriedenheit mit der bisherigen Regelung einer Sachfrage sind. Dennoch ist es möglich, dass Parteien der Regierung einen Volksentscheid über eine Sachfrage als Vorteil betrachten. Wie bereits in der Darstellung des Forschungsstands skizziert, hat Laurence Morel Motive systematisiert, weshalb Regierungen Referenden ausrufen. Eine mögliche Veranlassung besteht darin, bei innerer Zerstrittenheit der Koalition oder Partei über eine Sachfrage das Volk als Schiedsrichter abstimmen zu lassen. Außerdem können durch eine direktdemokratische Abstimmung solche Themen aus einem Parlamentswahlkampf herausgehalten werden, die sich für eine Regierung negativ auswirken könnten. Speziell für Minderheitsregierungen besteht die Verlockung, Gesetzesvorhaben, deren breiter Zustimmung im Volk sich die Regierung sicher ist, lieber durch ein Referendum als durch harte Überzeugungsarbeit im Parlament bestätigen zu lassen. Schließlich können sich Regierungen vor allem in Krisensituation eine höhere Legitimation ihrer Politik durch direktdemokratische Bestätigung erhoffen. Alle genannten Motive könnten die Regierungsparteien theoretisch dazu bewegen, auch die Auslösung einer von unten kommenden Initiative zu unterstützen. Allerdings wäre für alle genannten Fälle gerade das Referendum das bessere Instrument für die Regierung. Zum einen ist das Verfahren leichter zu bewerkstelligen und zum anderen bleibt es dabei, dass von unten kommende Entscheide eine Herausforderung der Regierungspolitik darstellen. Bei der Unterstützung eines frei ausgelösten Entscheids müsste die Regierung erklären, warum sie das Gesetzesvorhaben der Abstimmung vorher nicht selbst so beschlossen hat oder dessen Inhalt auf die politische Agenda gehoben hat. Eine strategisch vorteilhafte Nutzung frei ausgelöster Entscheide in der Einleitungsphase ist für Regierungen, denen das Instrument des Referendums zur Verfügung steht, somit ausgeschlossen. Für eine kompetitive Opposition, die sich mit der Regierung im Wettbewerb um die Verwirklichung von Macht-und Gestaltungsziele befindet, ergeben sich hingegen mehrere Motive, die Einleitung eines frei ausgelösten Volksentscheids zu unterstützen. 2, Legislativfunktion: Zunächst besteht für Oppositionsparteien die Möglichkeit, solche Abstimmungsvorlagen zu unterstützen, deren Inhalt mit den eigenen langfristigen Gestaltungszielen übereinstimmt und im Parlament wegen ihres Minderheitenstatus oder ihrer Nichtpräsenz nicht durchsetzbar ist. Ein erster Indikator hierfür ist, dass eine Partei selbst als Initiator der Volksinitiative bzw. des Volksbegehrens auftritt oder das Anliegen der Initiatoren schon in der allerersten Phase der Unterschriftensammlung durch logistische, materielle, oder öffentlich bekundete Zustimmung unterstützt. Eine Unterstützung zu einem späteren Zeitpunkt deutet auf strategische Überlegungen hin, die weniger ein Gestaltungsinteresse an erster Stelle setzen, sondern die Positionierung gegenüber dem politischen Gegner. Allerdings sind solche strategischen Erwägungen schon in der ersten Phase der Initiierung möglich, weshalb notwendigerweise ein zweiter Indikator hinzukommen muss, der den Gestaltungswillen der Partei belegt. Hierzu soll ermittelt werden, ob sich im letzten Parteiprogramm der jeweiligen Partei Inhalte wiederfinden, die das Thema des Volksbegehrens unterstützend aufgreifen. Sind beide Indikatoren erfüllt, kann davon ausgegangen werden, dass eine Partei mit der Initiierung oder Unterstützung eines Volksbegehrens eine legislative Funktion verbindet, in der es darum geht, eigene Gestaltungsziele über den Umweg eines direktdemokratischen Verfahrens zu befördern. 3, Drohfunktion: Die Drohfunktion hingegen ist Mittel einer angriffslustigen und machtpolitisch denkenden Opposition, die durch eine (angedrohte) Unterstützung der Abstimmungsvorlage die Regierung in Schwierigkeiten bringen möchte. Die Drohung, im Zivilrecht als ‘Inaussichtstellen eines Übels’ definiert, ist auch in der (vor/nach-) parlamentarischen Auseinandersetzung nicht unbekannt. Beispiele für mächtige Drohinstrumente einer parlamentarischen Opposition sind die Einberufung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und der viel zitierte Gang nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht in Verfahren der Normenkontrolle, der Verfassungsbeschwerde und des Organstreits. In Bezug auf die frei ausgelöste Initiative müssen drei Bedingungen erfüllt sein, damit von einer Drohung gesprochen werden kann. Zunächst muss sich die Regierung gegen das Anliegen der Initiative wenden und für die bisherige Regelung eintreten oder einen Gegenvorschlag präsentieren. Zweitens muss aus Sicht der Opposition klar sein, dass das Abhalten des Volksentscheids ein potentielles Übel für die Regierung darstellt. Dies ist dann der Fall, wenn das Anliegen der Initiative in der Einleitungsphase des Volksentscheids hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung genießt und die Regierung in den nächsten Wahlen deshalb Stimmenverlust fürchten muss. Drittens setzt eine Drohung durch die Oppositionsparteien Forderungen an die Regierungen voraus, bei deren Erfüllung sie von einer Unterstützung der Abstimmungseinleitung absieht. 4, Öffentlichkeitsfunktion: Als intermediäre Akteure und Transmissionsriemen zwischen Staat und Gesellschaft haben Parteien großes Interesse an einer ausgeprägten öffentlichen Wahrnehmung, schließlich ist ihr Alleinstellungsmerkmal und die Ausgangsbasis all ihrer Macht die erfolgreiche Teilnahme an Parlamentswahlen, in denen sie sich dem Votum der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung stellen. Die Steigerung öffentlichen Interesses ist in erster Linie Anliegen der Oppositionsparteien, die sich in der Medienberichterstattung gegen die Dominanz der Regierungsakteure behaupten müssen. Insofern ist der Rahmen eines Volksentscheids eine geeignete Bühne, Aufmerksamkeit zu erlangen, da auch hier alle Wahlberechtigten nicht zur Wahl, aber zur Abstimmung aufgerufen sind. Die Frage ist, wann es den Parteien bei der Unterstützung einer Abstimmungsauslösung mehr als alles andere um eine verstärkte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit geht. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass Parteien genau dann nach einer höheren Aufmerksamkeit streben, wenn sie mit eigenem Personal und Inhalten kaum ins öffentliche Bewusstsein vordringen. Allerdings ist eine schwache öffentliche Wahrnehmung ein höchst schwierig operationalisierbarer Begriff. Deutlich leichter sind schlechte Umfrageergebnisse zu operationalisieren, um das Streben nach mehr Macht zu erklären. An dieser Stelle ist jedoch Vorsicht geboten. Geringe Aufmerksamkeit und schlechte Umfrageergebnisse sind weder durch Kausalität noch Korrelation zwangsweise miteinander verknüpft. Deshalb sind schlechte Umfragewerte als ein Indiz dafür zu nehmen, dass Parteien entweder kaum oder negativ wahrgenommen werden. Beiden Situationen gleich ist jedoch, dass Parteien hierin ein Motiv besitzen, mit in der Öffentlichkeit Zustimmung genießenden Themen in die Öffentlichkeit zu dringen. Ob die Unterstützung einer Abstimmungsvorlage als vorteilhaft betrachtet wird, soll wie bei der Drohfunktion mithilfe von demoskopischen Zustimmungswerten zum Text der Abstimmung ermittelt werden. Um nachzuweisen, dass eine Partei durch die Unterstützung einer Auslösung primär eine Strategie zur Gewinnung öffentlichen Interesses verfolgt, muss zudem dargelegt werden, dass der Inhalt des Abstimmungstextes im Gegensatz zur Legislativfunktion bisher keine prominente Rolle im Parteiprogramm der jeweiligen Partei gespielt hat. Den hier vorgenommenen Operationalisierungen folgend können Legislativ- und Öffentlichkeitsfunktion für eine Partei also nie zusammen auftreten. Zwar kann die Verfolgung programmatischer Zielsetzungen einer Partei zugleich öffentliche Aufmerksamkeit bescheren, jedoch wird ein solches Verhalten der Legislativfunktion zugeordnet. Die Öffentlichkeitsfunktion dagegen umfasst nur ein solches Handeln, in dem es der Partei ausschließlich um machtpolitische Aspekte geht und aus ihrer Programmatik kein Gestaltungswille in der Sachfrage erkennbar ist.
Dominic Faußner, M.A. wurde 1985 in Treuchtlingen geboren. Sein Studium der Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München schloss der Autor im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad des Magister Artium erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen durch Praktika im Deutschen Bundestag und im Bayerischen Landtag.
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