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- Polizisten außer Kontrolle? Zur Diskussion über die Notwendigkeit einer Überwachung der Polizei
Politik
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 276
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Polizeiliche Tätigkeit (selbst Zwangs- und Gewaltausübung) hat durch den historischen Prozess der zunehmenden Verrechtlichung für die Öffentlichkeit an Dramatik verloren. Weil die Polizeipraktiken geregelt, dadurch scheinbar gebändigt und letztlich ganz normal erscheinen, werden sie im Alltag nur noch in Ausnahmefällen hinterfragt. Dieser ‘Nimbus der Ordnungsgemäßheit’ wird jedoch durch regelmäßige Polizeiskandale und Übergriffe in Frage gestellt. Zur Illustration der Problematik beginnt das Buch mit einer Darstellung des Skandals um die Bernauer Wache. Systematisch werden Gründe für eine effektive Kontrolle der Polizei dargelegt und der Frage nachgegangen, wer eigentlich anhand welcher konkreten Maßstäbe und mit wie viel Aussicht auf Erfolg zur Kontrolltätigkeit berufen ist. Hierzu werden zunächst ausführlich die Maßstäbe (z.B. Grundrechte, einzelne Aspekte des Rechtsstaats) und Kriterien für eine effektive Kontrolle (z.B. Unabhängigkeit der Kontrolleure, Distanz zwischen den Akteuren) herausgearbeitet. Daraufhin wird die konkrete Kontrollpraxis erfasst, wobei exemplarisch die Verhältnisse im Land Brandenburg untersucht werden. Die Kontrolle durch Landesparlament, Justiz, Exekutive, alternative Kontrolleure, einzelne Bürger und Medien wird dabei auch anhand zahlreicher Beispiele beleuchtet. Anschließend wird im Vergleich mit den zuvor erarbeiteten Maßstäben und Kriterien die beschriebene Kontrollsituation einer Bewertung unterzogen. Die Ergebnisse sind überaus ernüchternd, denn in zentralen Funktionsbereichen der Polizei findet eine effektive Kontrolle nicht statt. Oftmals gleichen die Kontrollbemühungen nur einer symbolischen Inszenierung. Erörtert werden alternative Kontrollmöglichkeiten und die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Polizei anderer Bundesländer.
Textprobe: Kapitel 1.1, Ein Exempel aus der polizeilichen Praxis - ‘Die Bernauer Wache’: Zu Beginn der 90er Jahre wurden vietnamesische Zigarettenverkäufer, die in Berlin und einigen ostdeutschen Städten anzutreffen waren, als eine neuartige, gravierende Gefahr für die ‘innere Sicherheit’ Deutschlands ausgemacht. Nach der Angliederung der DDR wurden ehemalige Ostblock-Gastarbeiter nicht mehr in den Betrieben benötigt. Sie waren daher unerwünscht und wurden zunehmend rechtlos gestellt. Eine legale Arbeitsaufnahme war den meisten nicht mehr möglich und so flüchteten sich einige in den Straßenhandel mit unversteuerten Zigaretten, um auf diese Weise ihre Existenz zu sichern. Die Politik konnte nun auf dieses (hausgemachte) Kriminalitätsproblem fokussieren. Vietnamesen erschienen in den (von den Medien verstärkten) Darstellungen der ‘Sicherheitsexperten’ pauschal als Problemgruppe. Das ‘organisierte Verbrechen’ des Handeltreibens mit Zigaretten wurde nicht nur dramatisiert, sondern auch ethnisiert, indem alle Vietnamesen (schon aufgrund ihrer unverschuldet schlechten Lebensumstände) als im Zweifel kriminalitätsgeneigt verdächtigt wurden. Die Rede war sogar von einem ‘Ameisenheer’ krimineller Ausländer und der Begriff ‘Zigarettenmafia’ etablierte sich. In dieser Situation fühlte sich die Polizei berufen, besonders hart und entschlossen gegen die ‘Illegalen’ vorzugehen. Was diese dann am Ende der Hatz im Polizeigewahrsam an Demütigungen und Schmerzen zu ertragen hatten, ist exemplarisch für den Umgang der Polizei mit solchen Menschen, die nur eine sehr geringe ‘Beschwerdemacht’ besitzen. Eine Mitarbeiterin der Berliner Ausländerberatungsstelle Reistrommel e.V. erfuhr im Jahre 1993 von Landsleuten ihres vietnamesischen Ehemannes, dass diese regelmäßigen Übergriffen durch Polizisten ausgesetzt waren. Beim Reistrommel e.V. gründete sie eine Arbeitsgruppe, die es sich zur Aufgabe machte, Betroffene anzusprechen und zunächst einmal Gedächtnisprotokolle zu sammeln (Aufgrund dieser Recherchen wurde die Zahl der Polizeiübergriffe auf mehrere hundert geschätzt nur 27 Betroffene konnten jedoch motiviert werden, ihre Erfahrungen auch schriftlich niederzulegen.). Bereits die Lektüre der Gedächtnisprotokolle nur bezüglich der Geschehnisse in der kleinen, am Rande Berlins gelegenen Polizeiwache Bernau illustriert überdeutlich, wie massiv und alltäglich die Übergriffe waren. Ein Vietnamese protokollierte, dass sich Festgenommene dort einmal entkleidet und mit dem Gesicht zur Wand aufstellen mussten. Danach gingen die Beamten immer wieder an ihnen vorüber und schlugen sie. Anschließend mussten sie Grimassen ziehen (‘Schlitzaugen machen’), wobei sie fotografiert wurden. In einem anderen Fall wurde dem Opfer eine Jacke über den Kopf gezogen. Dann schlug ihm ein Polizist mit den Fäusten gegen die Schläfen und mit den Händen so auf beide Ohren, dass der Mann auch noch zwei Wochen später fast nichts hören konnte. Ein anderer Polizist drohte ihm, seine Genitalien mit einem Messer abzuschneiden. Ein Festgenommener berichtete: ‘Ich musste mich nackt ausziehen. Dann wurde ich geschlagen. Sie schlugen mich mit Fäusten überall hin, vor allem auf den Kopf, ins Gesicht und gegen den Kiefer, in den Nacken, und sie traten mir mit ihren Stiefeln ans Schienbein’. Einmal zog ein Polizist während der ‘Vernehmung’ seine Dienstpistole und setzte diese dem Vietnamesen auf die Brust. In einem anderen Fall stellte sich ein Polizist mit seinen Schuhabsätzen auf die nackten Füße des Opfers. Ein Betroffener schilderte, dass ihm ein Zivilpolizist befahl, sich vollständig zu entkleiden danach zog sich der Beamte ebenfalls aus und versuchte ihn zu vergewaltigen. Auch ein anderer Vietnamese musste sich komplett entkleiden. Im Anschluss wurde er mit Faustschlägen ins Gesicht und mit Fußtritten misshandelt, wobei sich zwei Polizisten abwechselten. Nach dieser Tortur, bei der er mehrfach zu Boden ging, wurde ihm befohlen einen Damenslip anzuziehen. Unter dem Gelächter weiterer Polizisten musste er dann auf dem Hof der Wache umhergehen. Einem festgenommenen Vietnamesen wurde im Streifenwagen mehrfach sehr schmerzhaft in einen Oberschenkel gekniffen. Im Polizeirevier trat man ihm dann gegen die Schienbeine er musste sich ausziehen und erhielt Schläge ins Gesicht und auf die Brust. Ein Polizist ergriff ihn dann am Kopf und hob ihn in die Luft. Um in Erfahrung zu bringen, wo er Geld aufbewahrt haben könnte, erhielt er weitere Schläge. Zum Abschluss der ‘Vernehmung’ erhielt er einen Tritt ins Gesäß. In einem anderen Fall weigerte sich die Polizei, eine Anzeige wegen sexueller Nötigung gegen einen Mitarbeiter des Ordnungsamtes aufzunehmen und misshandelte bei dieser Gelegenheit das vietnamesische Opfer. Ein weiterer Vietnamese wurde so getreten, dass er mit dem Kopf gegen die Wand prallte und zu Boden stürzte. In einem Fall wurde dem Opfer mehrmals mit der Faust in den Magen und mit dem Ellbogen ins Gesicht geschlagen. Ein Vietnamese wurde in ein Waldstück gefahren und dort zusammengeschlagen und -getreten, wobei das Opfer wiederholt zu Boden ging. Bei einem anderen Vorfall schlug ein Polizist die Köpfe von zwei Vietnamesen zusammen. Ein Opfer musste sich (in Anwesenheit einer weiblichen Polizistin) nackt ausziehen, wurde in Handschellen gelegt und dann von zwei Beamten geschlagen. Einem festgenommenen Vietnamesen trat ein Polizist mit dem Knie in den Genitalbereich. Bei einem weiteren Vorfall wurde das Opfer u.a. etwa 15 Minuten lang geschlagen und dann noch mehrfach gegen die Wand gestoßen. Ein anderes Opfer erhielt Tritte gegen die Schienbeine und Schläge. Dann musste es sich vollständig entkleiden und wurde anschließend (obwohl es ein kühler Tag im März war) für eine Stunde bei offenem Fenster an ein Heizungsrohr gefesselt. Bei Festnahmen und Verhören waren aber nicht nur Schläge (wobei auch Leder-handschuhe und Gummiknüppel zum Einsatz kamen) und Tritte, sondern auch rassistische Beschimpfungen zur Normalität geworden. Einige Vietnamesen, die z.T. völlig grundlos (nur wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit) brutal festgenommen worden waren, mussten zudem Vernehmungsprotokolle unterschreiben, deren belastender falscher Inhalt ihnen nicht einmal übersetzt worden war. Einige beklagten, dass Geld und persönliche Unterlagen (u.a. Ausweisdokumente) auf der Wache abhandengekommen waren. Zudem wurde den Polizisten vorgeworfen, ‘Schutzgeld’ erpresst zu haben. Viele Vietnamesen waren trotz des Engagements des Reistrommel e.V. stark verunsichert, gingen davon aus, gegen die Polizei nichts ausrichten zu können und hatten Angst vor Rache der Polizisten. Die Hemmschwelle vor einer förmlichen Anzeigenerstattung war aufgrund der Angst vor dem Aufsuchen von Behörden (da dort Abschiebungen drohten) und wegen dem Risiko, u.U. selbst wegen des Gegenvorwurfs ‘falscher Verdächtigungen’ strafrechtliche (und damit ausländerrechtliche) Probleme zu bekommen, enorm. Als dann aber am 8. Mai 1994 bei einer Demonstration die detailreichen Vorwürfe gegen die Polizei vorgebracht und über die Presse verbreitet wurden, stellte die damals für den Bereich Bernau verantwortliche Polizeipräsidentin eine Anzeige von Amts wegen gegen unbekannte Polizeibeamte. Die Polizeipräsidentin (die - als Ausnahmeerscheinung innerhalb der Polizei - für ihr bürgerrechtliches Engagement bundesweit bekannt ist) versuchte also nicht etwa, die Vorgänge zu vertuschen, sondern bemühte sich um Aufklärung. Da auch die (ungewöhnlich engagierte) Staatsanwältin mit den vietnamesischen Zeugen einfühlsam umging und zudem beim Brandenburgischen Landeskriminalamt eine Sonderkommission eingerichtet wurde, kamen die Ermittlungen - im Gegensatz zu denen, die parallel in Berlin liefen - entscheidend voran. In ihrer Anklage vom 27.02.1995 warf die Staatsanwaltschaft acht Beamten der sogenannten D-Schicht der Polizeiwache in Bernau vor, in der Zeit vom 25.02.1993 bis 04.06.1994 mindestens 14 vietnamesische und einen polnischen Mitbürger in insgesamt 23 Fällen misshandelt zu haben. Neben einfacher Körperverletzung waren die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung, Aussageerpressung, Freiheitsberaubung und Strafvereitelung im Amt aufgeführt. Hierbei wurden aber nur die Fälle behandelt, bei denen aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit bestand. Aussagen oder gar Geständnisse waren (entsprechend dem Verhalten der Beschuldigten im Vorverfahren) nicht zu erwarten, so dass nur die mit Zeugen konkret belegbaren Taten angeklagt werden konnten. Am 17.01.1996 begann dann am Landgericht Frankfurt/ Oder die öffentliche Verhandlung. Allerdings war bereits am 24.10.1995 der erste Zeuge nach Vietnam abgeschoben worden, drei weiteren erging es später ebenso. Einem Zeugen wurde später die beantragte Einreise verweigert (weshalb drei Anklagepunkte fallengelassen werden mussten). Andere Zeugen erschienen deshalb nicht zum Prozesstermin, weil ihnen im Anschluss an ihre Aussage die Abschiebung gedroht hätte (obwohl es sonst von Seiten der Ausländerbehörden üblich ist, dass Abschiebungen von Zeugen bis zum Ende von Gerichtsverfahren, in denen sie aussagen sollen, ausgesetzt werden). 21 Monate nach Verhandlungsbeginn wurden schließlich 4 der 8 Angeklagten aus Mangel an Beweisen freigesprochen. In einem offenen Brief, der kurze Zeit vor dem Urteilsspruch hinsichtlich der verbliebenen Polizisten veröffentlicht wurde, solidarisierten sich kommunale CDU-Politiker mit den schwer belasteten Beamten, beklagten eine angeblich ‘entwürdigende prozeßbegleitende Medienkampagne’, die dem Image der Polizei geschadet hätte, und kritisierten, dass sich Innenminister und Polizeipräsidentin nicht ausreichend hinter die Polizei gestellt hätten. Die Gewerkschaft der Polizei rang um Verständnis für die schwer belasteten Polizisten, indem sie in einem Interview verlauten ließ, man könne Kriminelle eben nicht immer mit ‘Glacéhandschuhen’ anfassen. Auch der Hauptangeklagte Joachim G., der bei den Vietnamesen als besonders brutal berüchtigt war, rechtfertigte sich in seiner Prozesserklärung, die er im Gericht verlas, damit, dass Tritte vors Schienbein und Ohrfeigen als ‘Schocktechnik’ normales polizeiliches Handeln bei Festnahmen seien. Nach 108 Verhandlungstagen wurde am 04.05.1998 Joachim G. zu 2 Jahren, Rainer R. zu zwölf Monaten und Bernd S. zu 10 Monaten jeweils auf Bewährung wegen insgesamt 13 Fällen von Körperverletzung im Amt verurteilt. Wilfried D. wurde zu einer Geldstrafe i.H.v. 5400 DM verurteilt. Der Vorsitzende Richter prangerte in der mündlichen Urteilsbegründung den Korpsgeist der Polizisten an. Nach seinem Eindruck hätten mehrere Polizisten zugunsten belasteter Kollegen vor Gericht gelogen. Der Anklagevertreter Staatsanwalt Joachim Sörries konstatierte eine ‘Mauer des Schweigens’. Gegen einen Polizeizeugen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Meineides eingeleitet. Die Gewerkschaft der Polizei, die in bedingungsloser Loyalität mit den Beamten bereits die Übernahme der Verfahrenskosten und der Auslagen für renommierte Strafverteidiger erklärt hatte, war davon unbeeindruckt und sprach von einer ‘Diffamierung der gesamten Polizei’ und wertete nicht das Verhalten der kriminellen Polizisten, sondern das Urteil öffentlich als einen ‘Skandal’, da den Aussagen der Vietnamesen mehr Glauben geschenkt worden wäre als den Aussagen der Beamten (Allerdings war es gar nicht zu Aussagen der Beamten gekommen, sie hatten sich sowohl im Ermittlungsverfahren als auch vor Gericht in kollektives Schweigen gehüllt.). Gegen das (251 Seiten umfassende) Urteil legten die Angeklagten und auch die Staatsanwaltschaft, die das Urteil als zu milde einschätzte, Revision ein. Aufgrund dieser wurde dann im November 2000 die Verurteilung von Rainer R. von zwölf auf elf Monate nach unten korrigiert und die Verurteilung von Bernd S. von ursprünglich zehn auf acht Monate. Damit fand einer der längsten und teuersten Strafprozesse (die Kosten waren in einen siebenstelligen Bereich geklettert) der Brandenburger Justizgeschichte seinen Abschluss. Obwohl seitdem schon einige Jahre verstrichen sind, ist der ‘Bernauer Polizeiskandal’ noch immer vielen ein Begriff, denn ‘spektakulär’ war er schließlich nicht vorrangig wegen seiner Kosten oder wegen seiner Dauer, sondern aufgrund der Tatsache, dass ein Kollektiv von Polizisten zu einem Mob wurde, der über lange Zeit ungehindert Menschen quälen und demütigen konnte. Obwohl alle vorhandenen Kontrollvorkehrungen gründlich versagten, ist nicht zu erkennen, dass die Polizei bzw. deren Kontrolleure aus den Ereignissen grundlegend gelernt haben. Nach wie vor kommt es zu Übergriffen.
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