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- Geschlechterbasierte und sexuelle Gewalt im Flüchtlingscamp Kakuma, Kenia: Interviews mit Betroffenen
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Abb.: 8
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Im Jahre 2012 waren laut dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) circa 7,3 Millionen Menschen in Ostafrika auf der Flucht. Anlass für die großen Migrationsströme, innerhalb von Staaten und über Staatsgrenzen hinweg, sind Konflikte im Heimatland. Die Ursachen für die Konflikte sind vielfältig: Politische Unruhen, soziale Umschwünge oder gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen zwingen ganze Gemeinden dazu, binnen kürzester Zeit ihren Wohnort zu verlassen. Viele Männer und Frauen überqueren die Landesgrenzen und suchen in Aufnahmeländern nach Schutz. Dennoch finden sich viele Flüchtlinge, nach der Flucht in einem vermeintlich sicheren Flüchtlingscamp angekommen, erneut Gefahren und Gewalthandlungen ausgesetzt In dem vorliegenden Buch wird das Phänomen Gewalt im Flüchtlingscamp explorativ untersucht. Die Studie liefert eine Einsicht in die mannigfaltigen Gewalterfahrungen weiblicher Flüchtlinge basierend auf qualitativen Interviews mit Betroffenen.
Textprobe: Kapitel 2.1, Migration: Für die Begriffsbestimmung des Wortes Migration und um zu verstehen was die Person ausmacht, die in der öffentlichen Diskussion und im wissenschaftlichen Diskurs als Migrant bezeichnet wird, kommt man nicht umhin, sich mit der Semantik des Wortes Migration auseinander zu setzen. Der Wortstamm des Begriffes, das lateinische Verb migrare beziehungsweise migratio, wird mit wandern”, wegziehen” und auswandern” übersetzt (Duden 2007: 1142). Es geht aus der Verwendung des Wortes nicht klar hervor für welchen Zeitraum, wohin und mit welcher Absicht der Migrant seinen jetzigen Standort verlässt. Die Ursachen und Motive für die Wanderungsbewegung bleiben offen. Eine Unklarheit, die bis heute den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs über Migration prägt (Oswald 2007: 16-17). Gerade diese zwei Aspekte aber sind es, die über die Kategorisierung der wandernden Personen und somit über ihren rechtlichen Status und damit einhergehend über ihre Lebensbedingungen entscheiden. In dieser Studie sollen unter Migranten solche Personen verstanden werden, die ihren Lebensmittelpunkt verlegen: Migration wird daher im Weiteren verstanden als ein Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunkts, also einiger bis aller relevanten Lebensbereiche, an einen anderen Ort, der mit der Erfahrung sozialer, politischer und/oder kultureller Grenzziehung einhergeht” (Oswald 2007: 13). Mit Grenzziehung wird hier das Überwinden von Grenzen, die unterschiedlicher Art sein können gemeint. Es muss sich dabei nicht notwendigerweise um eine Nationalstaatsgrenze handeln. Auch andere, nicht räumliche Faktoren können Grenzen herbeiführen, beispielweise unterschiedliche Sprach- und Wissensräume oder kulturell-ethnische Abgrenzungen” (Oswald 2007: 14). Die auslösenden Ursachen für die Migration von Individuen oder Gruppen sind komplex und bestehen aus einer komplizierten Mischung von objektiv zwingenden exogenen Faktoren und subjektiv unterschiedlich begründeten Entscheidungen” (Han 2010: 12). Die Zielgruppe der vorliegenden Untersuchung sind Migranten, die weitgehend unfreiwillig, das heißt aus akuter Not heraus, geflohen sind. Die Definitionen des Migrationsdiskurses zur erzwungenen Migration, empirische Daten und Implikationen des Flüchtlingsstatusses werden im folgenden Abschnitt dargestellt. 4.1, Zur Anwendung qualitativer versus quantitativer Forschung: Die Anwendung von quantitativen oder qualitativen Erhebungsmethoden hängt vom jeweiligen Gegenstand der Untersuchung ab. Quantitative Forschungen sind angemessen, um Häufigkeiten und Verteilungen eines Phänomens zu erfassen. Sie setzen einen hohen Kenntnisstand über das zu erforschende Feld voraus. Methoden, die sich durch eine hohe Vorstrukturiertheit auszeichnen, wie beispielsweise das geschlossene Interview, werden genutzt um Hypothesen zu überprüfen. Man spricht von einem deduktiven Vorgehen (Mayring 2010: 19). Qualitative Methoden eignen sich dazu, subjektives Erleben zu erfragen, die verbal vermittelte soziale Welt aus der Sicht der Handelnden, also der beforschten Subjekte” (Kade 1983: 67, zit. n. Böttger/Stobl 2002: 1484, Herv. im Orig.), wiederzugeben. In einigen Lehrbüchern zur empirischen Sozialforschung werden die qualitativen Forschungsmethoden als Vorstufe oder Ergänzung zu quantitativen Daten beschrieben. Qualitative Interviews, so die Argumentation, dienen dazu, in einer explorierenden Phase der Erhebung Erkenntnisse zu gewinnen, damit der Fragebogen der quantitativen Erhebung angepasst werden kann. Vertreter der qualitativen Methodenlehre hingegen argumentieren, dass die quantitativen Methoden nur durch die qualitativen Methoden wissenschaftlich fundierte Erklärungen von Sachverhalten liefern können, da ihnen eine höhere Komplexität innewohnt, die zu relevanteren Ergebnissen führt (Flick 2010: 41–42). Die unterschiedlichen Paradigmen, denen die quantitativen und qualitativen Methoden folgen, spiegeln sich auch im Aufbau der Forschungsabläufe wieder. Das Forschungsdesign wird bei quantitativen Studien bereits zu Beginn der Studie bestimmt, die verschiedenen Phasen der Erhebung und Auswertung erfolgen linear. Qualitative Studien hingegen können flexibler gestaltet werden (Lamnek 2010: 234), der jeweils nächste Schritt [hängt] von den Ergebnisse des jeweils vorherigen Schrittes [ab] (Witt 2001, zit. n. Lamnek 2010: 174). So können die Forschungsfragen noch während der Erhebung oder Auswertung angepasst werden und die Auffälligkeiten, die während der Erhebung entdeckt wurden, Berücksichtigung finden. Auch der Umfang der Untersuchung, die Größe der Stichprobe oder die Bandbreite der Verfahren ergeben sich erst im Laufe der Untersuchung” (Witt 2001). Dies ermöglicht vor allem in unbekannten Kontexten eine Offenheit gegenüber dem Forschungsgegenstand. In qualitativen Verfahren steht die Exploration des untersuchten Feldes im Vordergrund. Durch unterschiedliche Erhebungsformen – (narrative) Interviews, (teilnehmende) Beobachtung, Gruppendiskussionen - werden Daten erhoben. Explorative Forschung wird dann notwendig, wenn wenig über die im Feld vorherrschende soziale Struktur und Regelmäßigkeiten sozialer Handlungen bekannt ist (Diekmann 2009: 34). Die Offenheit der Methoden erlaubt eine breite bzw. tiefe Ausleuchtung des Forschungsfeldes” (Lamnek 2010: 234) und ermöglicht somit erweiterte Erkenntnismöglichkeiten. Auch bei größtmöglicher objektiver Anwendung der Forschungsmethoden spielen Erwartungen des Interviewers in den Forschungsprozess ein. Die eigene kulturelle Prägung filtert” die Ergebnisse. Nach Glaser und Strauss geht man mit lokalen Konzepten” (1999: 45) in das Untersuchungsfeld. Vorannahmen über die im Feld vorhanden Konzepte können während des Forschungsprozesses durch das neue Wissen, dass im Forschungsverlauf erworben wurde, ergänzt und die Probleme des Feldes hinterfragt werden. Dem ‚Interpretativen Paradigma‘ nach Rosenthal (2011) zufolge, wird der Mensch als ein handelnder und erkennender Organismus verstanden. Er steht der Welt nicht gegenüber und reagiert auf sie, sondern das Individuum erzeugt vielmehr in Interaktionen mit anderen die soziale Wirklichkeit” (Rosenthal 2011: 15). Methoden die dem ‚Interpretativen Paradigma‘ zugeordnet sind, haben das Ziel, verstehend nachzuvollziehen, wie Bedeutungen hergestellt werden. Dabei wird das Handeln des Akteurs beziehungsweise der Akteure in der Alltagswelt analysiert (Rosenthal 2011: 15). Besonders ist hierbei, dass auch implizites Wissen und nicht-intentionales Erzeugen von Bedeutungen betrachtet wird. Diesem Schema folgend wird hier die Perspektive der Handelnden eingenommen. In der vorliegenden Untersuchung wurden die Textdaten mit Hilfe der Methode des narrativen Interviews generiert und die Bedeutungsstrukturen hinsichtlich des Themas Gewalt” mit der Methode Grounded Theory analysiert. 4.2.2.2, Sprache und Übersetzung: Die Sprache ist primäres Medium” (Lamnek 2010: 654) in den qualitativen sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden. Kommunikationsprobleme erhöhen sich beim Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen. Dies trifft besonders auf Forschungszusammenhänge zu, in denen Forscher und Beforschte unterschiedliche Sprachen sprechen, kann aber gleichermaßen bei ethnographischen Subkulturstudien auftreten (Kvale 2007 zit. n. Lamnek 2010: ebd). Das Beobachtbare und Erfragbare in Kakuma war durch die Sprache limitiert. Die Fragen wurden auf Englisch gestellt, jedoch war Englisch in keiner Interviewkonstellation die Muttersprache der Interviewten, Dolmetscher und der Forscherin. Da es unmöglich ist, alle Sprachen der Interviewpartner inklusive deren lokalen Ausprägungen zu erlernen, ergaben sich Beschränkungen des Erfahrbaren. Die Informationen und Vokabeln, die sich auf den Sozial- und Organisationsraum Flüchtlingscamp beziehen, wurden während es Feldaufenthaltes gelernt. Diesem wohnte somit ein Lernprozess inne, da durch die Übersetzung Handlungssphären und Problematiken” (Cappai 2003: 15) identifiziert wurden, die zuvor verschlossen waren. Die größte Vermittlungsleistung wurde dabei von den Dolmetschern geleistet, da sie die Aussagen der Interviewten in das (westliche) Vokabular der Hilfsorganisationen übersetzten und somit für die Autorin verstehbar machten. Die Forscherin lernte ihrerseits in diesem Prozess das zuvor noch größtenteils fremde institutionelle Vokabular der Hilfsorganisationen (Cappai 2003: 13). In englischen Interviews stellten die Interviewten diese Vermittlungsleitungen selbst dar. Sie haben sich bereits die Begriffe der Campinstitutionen zum Thema Gewalt aneigneten um so ihre Erfahrungen artikulierbar zu machen. Wie bereits oben beschrieben, waren die Dolmetscher zumeist Mitarbeiter der Organisationen. Da sie die Interviewten, beziehungsweise deren Fälle kannten, waren sie über ihre Übersetzerrolle hinaus, auch Experten. Sie kennen die Strukturen der Organisationen und die Schwierigkeiten der Campinstitutionen. Daher gestalteten sich die Interviews teils als narratives Interview, teils als Experteninterview. In den Interviews wurden mitunter Antworten vorweggenommen, dies war besonders während der Interviews in der Beratungseinrichtung field post” der Fall. Dies ist für die Flüchtlinge eine erste Anlaufstelle bei Problemen im Camp. Die Dolmetscher gaben hier teilweise direkt Antworten auf Fragen, da sie die Informationen bereits gehört hatten und übersetzten in einem sehr verkürzten Stil, der nur auf faktische Darstellungen beruhte und einer starr chronologischen Erzählweise folgte die wahrscheinlich dem reporting”- Stil der humanitären Organisationen ähnelt. Der Forscherin war es lediglich möglich den englischen Konversationen zu folgen und während der Interviews auf eine möglichst wortgetreue Übersetzung zu beharren. In anderen Settings wurden die Dolmetscher allerdings zu Informanten, die Hintergrundinformationen geben konnten, die wiederum erlaubten neuen Fragen zu stellen. Chr.” (die Dolmetscherin) übersetzt teilweise direkt, was die Interviewte (N) ihr mitteilte, an anderen Stellen gab sie selbst Hintergrundinformationen zur Klärung eines Sachverhaltes wieder und teilweise erklärte sie das Gesagte.
Vanessa Stibitz wurde 1985 in Frankfurt am Main geboren. Sie studierte Soziologie in Mainz, Amsterdam und Kopenhagen mit den Schwerpunkten soziale Ungleichheit, Migration und Entwicklungspolitik. Ihre Arbeitsaufenthalte in Afrika motivierten sie sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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