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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Der ‘Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen’ (kurz GER) hat seit seiner Veröffentlichung durch den Europarat großen Einfluss auf alle Felder des Sprachenlernens und -lehrens gehabt. Insbesondere die gemeinsamen Referenzniveaus und die KANN-Skalen, die im Rahmen des Projekts entwickelt wurden, haben sich als wertvolles Instrument zur Beschreibung sprachlicher Fertigkeiten etabliert - in Europa und weltweit. Doch auch darüber hinaus beinhaltet das teilweise durchaus als ‘unübersichtlich’ zu beschreibende Dokument viele Anregungen und interessante Perspektiven für modernes Sprachenlernen. Der GER versucht, ein universell einsetzbares Werkzeug in allen Bereichen des institutionellen und individuellen Sprachenlernens und -lehrens zu sein, was zugleich seine größte Stärke und gefährlichste Schwäche ist: Kann ein Dokument von 250 Seiten derart umfassend sein, wie es verspricht? Oder liegt gerade in der Kürze das Geheimnis des Erfolges? Dieses Buch bietet in komprimierter Form einen Überblick über die (Entstehungs-)Geschichte des GER, seine Rolle beim lebenslangen Lernen und über seine (teils wenig bekannten) Inhalte abseits der weit verbreiteten Niveaustufen. Es werden zahlreiche Anwendungsfelder unter Verwendung von Beispielen beschrieben und außerdem untersucht, ob der GER die hohen, selbstgestellten Ansprüche erfüllt - insbesondere, ob die ihm zu Grunde liegenden Annahmen über Sprachverwender Schwachstellen aufweisen. Interessierte Leser erhalten hier einen Überblick der Materie unabhängig davon, ob sie mit den sprachwissenschaftlichen Hintergründen bereits vertraut sind oder sich lediglich darüber informieren möchten, was für ein Gesamtkonstrukt hinter dem einflussreichen Dokument steht.
Textprobe: Kapitel 4., Der handlungsorientierte Ansatz des GER: ‘Ein umfassender, transparenter und kohärenter Referenzrahmen für das Lernen, Lehren und Beurteilen im Sprachenbereich muss von einer sehr umfassenden Sicht von Sprachverwendung und Sprachenlernen ausgehen. Der hier gewählte Ansatz ist im Großen und Ganzen handlungsorientiert, weil er Sprachverwendende und Sprachenlernende vor allem als sozial Handelnde betrachtet, d.h. als Mitglieder einer Gesellschaft, die unter bestimmten Umständen und in spezifischen Umgebungen und Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben bewältigen müssen, und zwar nicht nur sprachliche’ (Europarat 2001, 21). Damit beginnt das zweite Kapitel des Referenzrahmens, das umfangreich den Ansatz hinter den Überlegungen der Autoren erläutert. Durch die Wahl eines handlungsorientierten Ansatzes distanzieren sich die Autoren deutlich von (heute gemeinhin als veraltetet betrachteten) Vorstellungen des Sprachenlehrens und -lernens, in denen die Perfektion vorwiegend linguistischer Kompetenzen wie Grammatik- und Vokabelkenntnissen sowie der Aussprache im Zentrum standen. Stattdessen herrscht ein pragmatischer Ansatz vor, der Sprachverwendung (einschließlich des Lernens) als ‘Handlungen von Menschen [sieht], die als Individuen und gesellschaftlich Handelnde eine Vielzahl von Kompetenzen entwickeln, und zwar allgemeine, besonders aber kommunikative Sprachkompetenzen’ (Europarat 2001, 21). Dies kennzeichnet ein kompetenzorientiertes Verständnis von Sprachverwendung (Heyworth 2004, 15). Kompetenzen werden dabei im Sinne als ‘die Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fertigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und allgemeinen kognitiven Fähigkeiten [verstanden], die es einem Menschen erlauben, Handlungen auszuführen’ (Europarat 2001, 21). Die kommunikativen Sprachkompetenzen im speziellen ‘befähigen Menschen zum Handeln mit Hilfe spezifisch sprachlicher Mittel’, während die allgemeinen Kompetenzen explizit ‘nicht sprachspezifisch sind’ sondern überall eingesetzt werden können (Europarat 2001, 21). Dabei beinhalten die Sprachkompetenzen eine linguistische, eine sozio-linguistische und eine pragmatische Komponente, die miteinander in Verbindung stehen (Europarat 2001, 24). Die Autoren des Referenzrahmens betten ihren handlungsorientierten Ansatz zusätzlich zum eben genannten Kompetenzbegriff in eine Reihe weiterer Begrifflichkeiten ein, von denen einige später noch vorgestellt werden müssen. Im Zusammenhang mit der Handlungsorientierung sticht dabei aber besonders der Begriff der (kommunikativen) Aufgabe heraus - diese ‘wird definiert als jede zielgerichtete Handlung, die eine Person für notwendig hält, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen’ (Europarat 2001, 22). Mit ‘jede zielgerichtete Handlung’ meinen die Autoren dann auch wirklich jede, selbst solche, die keine mündliche oder schriftliche Sprachverwendung miteinschließen - als Beispiel führen sie z.B. auch das Umstellen eines Schrankes an. Für die Erfüllung solcher Aufgaben spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle, z.B. der Kontext und auch der Lebensbereich (beides ebenfalls zentrale Begriffe), innerhalb dessen die Aufgabe ausgeführt wird. Die Autoren stellen weiter fest, dass die ‘verschiedenen Dimensionen bei der Verwendung von Sprache und beim Sprachenlernen miteinander verknüpft sind’ (Europarat 2001, 22). Dies steht aber nicht im Widerspruch zu ausdifferenzierten Zielsetzungen beim Lernen bzw. in der Lehre: Es sei durchaus üblich und auch zweckmäßig, dass Sprachverwender unterschiedliche Schwerpunkte setzen und auch in der Regel nur Teilaspekte der kommunikativen Sprachverwendung fördern. Eine Fokussierung auf ‘die Performanz in einem bestimmten Lebensbereich’, ‘die Entwicklung bestimmter allgemeiner Kompetenzen’ oder ‘die Verbesserung von Strategien’ (Europarat 2001, 22) ist oft notwendig und im Sinne eines handlungsorientierten Ansatzes, der vor allem auch die individuelle Gesamtkompetenz (Heyworth 2004, 15) betont. Diese Gesamtkompetenz ist dabei weder komplett noch umfassend, das kann sie gar nicht sein, selbst für einen Muttersprachler. Außerdem beinhaltet sie die Kenntnisse aller Sprachen, mit denen ein Individuum Kontakt hat oder hatte – und die damit verbundene indirekte Kenntnis in weiteren Sprachen schließlich kennt man durch die Strukturen einer Sprache beispielsweise oft auch Teile anderer, verwandter Sprachen, auch wenn man sich dessen nicht bewusst sein sollte. Daraus ergibt sich weiterhin die Notwendigkeit, mit Lernern deren Ziele individuell zu verhandeln, einschließlich der Möglichkeit, dass ein vollständiges Erlernen einer Sprache für viele Lerner gar nicht nötig sein muss. ‘Alles oder nichts’ ist kein funktionierendes Prinzip für effizientes Sprachenlernen, und der Referenzrahmen bietet mit seinen Beschreibungsskalen Lehrern und Lernenden die Möglichkeit, vorhandene Ressourcen exakt zu beschreiben und Lernziele genauer festzulegen (Heyworth 2004, 15). Der handlungsorientierte Ansatz des GER versucht insgesamt, ein kompetenzorientiertes Beschreibungssystem für Fremdsprachenbedarf und –kenntnisse zu etablieren. Dabei geht es zunächst nur um eine Aufgliederung der möglichen Fertigkeiten in einzelne Teilkompetenzen wie linguistische, sozio-linguistische und pragmatische Kompetenzen, sowie in die verschiedenen Sprachaktivitäten wie Rezeption und Produktion, Interaktion und auch Sprachmittlung. Auch Lebensbereiche finden hier ihre Berücksichtigung (der GER unterscheidet hier den öffentlichen Bereich, den privaten Bereich, das Bildungswesen und den beruflichen Bereich) (Europarat 2001, 24ff), genauso wie ‘Kommunikative Aufgaben, Strategien und Texte’ und deren Beziehungen untereinander (Europarat 2001, 26f). Die Skalen tragen dem handlungsorientierten Ansatz ebenfalls Rechnung. Im Gegensatz zur traditionellen Beschreibung sprachlicher Fertigkeiten in den klassischen Kategorien Hörverstehen, Leseverstehen, Schreiben und Sprechen bedienen sie sich einer Aufteilung in Rezeption, Produktion, Interaktion und Mediation, was wiederum dem handlungsorientierten Ansatz entgegen kommt (Heyworth 2004, 16). Da sie ihre deskriptiven Kategorien den oben genannten Teilbereichen entsprechend auffächern, sind sie zunächst rein beschreibend, haben also nur eine horizontale Dimension. Erst durch die Einführung der Niveaustufen, also eine vertikale Aufteilung der Skalen in verschiedene Leistungsniveaus, werden die Skalen des Referenzrahmens von einem Beschreibungs- zu einem Bewertungsinstrument (Europarat 2001, 27). Gleichzeitig betonen die Autoren, ‘dass sich der Prozess des Sprachenlernens über eine lange Zeit erstreckt und individuell ist’ und dass auf Grund der individuell unterschiedlichen Voraussetzungen der Lerner ‘jeder Versuch, ‚Niveaustufen‘ der Sprachkompetenz festzusetzen […] bis zu einem gewissen Grad willkürlich’ ist, was sie aber insbesondere für die Curriculumerstellung nicht weniger nützlich macht (Europarat 2001, 28). Trotz aller Nützlichkeit der Skalen, auch zur Bewertung, will der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen offen bleiben, genauer: ‘offen, dynamisch und undogmatisch’ (Europarat 2001, 29). Obwohl der GER einen grundsätzlich handlungsorientierten Ansatz verfolgt, schließt er andere Theorien und vor allem Methoden des Sprachenlernens und -lehrens nicht aus, sondern versucht mit seinen Begriffen und den Deskriptoren der Skalen vor allem ein Werkzeug zu sein, mit dem Lerner und Lehrer ihre Methoden, Bedürfnisse und Ziele beschreiben und kritisch durchleuchten können. Man äußert sich zwar unvermeidlich auch zu den Prozessen des Spracherwerbs und des Lernens, bezieht aber (zumindest offenkundig) keine Stellung in der Diskussion (Europarat 2001, 29).
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