- Sie befinden sich:
- Fachbücher
- »
- Politik & Gesellschaft - Unsere Neuheiten
- »
- Politik
- »
- Fundamentalismus - Messianismus - Nationalismus: Ein Theorievergleich am Beispiel der jüdischen Siedler des Westjordanlandes
Politik
» Blick ins Buch
» weitere Bücher zum Thema
» Buch empfehlen
» Buch bewerten Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 252
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Rückkehr religiöser Bewegungen auf die politische Bühne ist ein Thema, welches die Wissenschaft seit nunmehr fast dreißig Jahren bewegt. Jedoch ist es bis heute nur bedingt gelungen, einen theoretischen Ansatz zu finden, der dieses Phänomen erklären kann. So treten zwar Vertreter der Fundamentalismustheorien prominent hervor, ihre Bemühungen leiden jedoch darunter, dass es aufgrund der Mannigfaltigkeit von theoretischen Ansätzen schwer ist, von nur einer Theorie zu sprechen. Darüber hinaus gibt es weitere Ansätze, die die Thematik fundamentalistischer Phänomene erklären wollen. Meist stellen sich hier Fragen wie: Können Fundamentalisten auch Nationalisten sein? Streben sie nach Erlösung mit den Mitteln der Politik? Am Beispiel der jüdisch-religiösen Siedler im Westjordanland will dieses Buch der theoretischen Beliebigkeit ein Ende bereiten. Erstmalig in der akademischen Literatur werden verschiedene Fundamentalismustheorien und deren zentrale Paradigmen miteinander verglichen. Gleichzeitig werden diese Paradigmen mit zwei der am häufigsten angewandten Theorien moderner Bewegungen, den Nationalismus- und Messianismustheorien, in Vergleich gesetzt. Als empirische Fundierung zu diesem theoretischen Vergleich werden die religiösen Siedler in Israel untersucht, da sich am Beispiel dieser Bewegung besonders deutlich die kritisierte Beliebigkeit in der Theorieanwendung aufzeigen lässt.
Textprobe: Kapitel 2, Jüdischer Messianismus: 2.1, Die Entwicklung der Messiasidee: Um die Entwicklung der Messiasidee zu verstehen, muss nochmals auf die schon im Fundamentalismuskapitel angesprochene Erlösungsthematik eingegangen werden, die der Idee des Messias als Erlöser zu Grunde liegt. Demnach entwickelte sich während der Achsenzeit in Israel erstmalig die Idee, dass der weltliche Herrscher selbst ein Gesetz über sich habe, nach dem seine Handlungen beurteilt werden können. Jan Assmann nennt dies die Trennung von Herrschaft und Heil. In Ägypten existierte ‘die Einheit von Herrschaft und Heil, die fehlende Distanz einer religiösen Position zur Macht und die darin begründete Unmöglichkeit, zwischen guten und schlechten Herrschern zu unterscheiden. Damit wird die Herrschaft (also die politisch geformte und institutionalisierte Macht) jeder Kritisierbarkeit entzogen.’ Dies änderte sich in Israel mit der Übergabe der Gesetzestexte grundlegend. Diese Gesetzgebung, etablierte nicht nur die Fehlbarkeit selbst, sondern – noch entscheidender – Kriterien der Fehlbarkeit des menschlichen Herrschers. Obwohl der mosaische Gesetzestext vorrangig in seiner religiösen Bedeutung wahrgenommen wird, sind darin bereits politisch-weltliche Konsequenzen angelegt. Denn jene Fehlbarkeit des Herrschers schafft gleichzeitig auch die Idee der idealen Ordnung auf weltlicher Ebene und somit jene Diskrepanz der abrahamitischen Traditionen zwischen Utopie und realer Welt, wie sie den gemischt inner- und außerweltlichen Erlösungsvorstellungen zu Eigen ist. Folglich ebneten diese Strukturen bereits die spezifischen Ausprägungen des jüdischen Erlösungsglaubens. In diesem Sinne ist auch Ernst Blochs Aussage ‘der Messianismus ist älter als dieser Messiasglaube’ zu verstehen. Der Schritt vom reinen Erlösungsglauben zum messiasfixierten Erlösungsglauben entwickelte sich nämlich erst im Verlauf der Geschichte des israelischen Volkes. Die historischen Wurzeln für die israelischen Ausprägungen des messiasbezogenen Erlösungsglaubens sieht Moshe Weinstein bereits in der jüdischen Prophetie des 8. Jahrhundert v. Chr. Er argumentiert in ‘Der Protest gegen den Imperialismus in der altisraelischen Prophetie’, dass bereits während der Bedrohung des israelischen Volkes durch die Assyrer die Idee entstand, dass Jahwe dem Volk Israel in unbestimmter Zeit zu einem gerechten (sprich idealen) Königreich verhelfen wird, und Israel in jener Zeit über andere Völker herrschen wird: ‘In dem Bild von der idealen Zukunft, das Jesaja zeichnet, kommen Völker nach Zion, um sich dem Gott Israels zu unterwerfen. […] Die Vorstellung, die in der späteren Eschatologie herrscht, über ein neues, ideales Königreich […] wurde erstmals im 8. Jahrhundert v. Chr. in Juda entwickelt. Sie war motiviert von nationalen Gefühlen der Unterdrückung und Unterwerfung durch das Assyrerreich.’ Diese Idee wurde verknüpft mit dem Begriff des Messias. Etymologisch leitet sich der Begriff Messias aus dem hebräischen Maschiach ab, was übersetzt ‘Gesalbter’ bedeutet. Allerdings besaß der Begriff noch nicht von Anfang an die heutige Bedeutung des ultimativen Erlösers im eschatologischen Sinn. Ursprünglich wurde in der hebräischen Bibel die Bezeichnung Gesalbter für geweihte Ämter (Hohepriester und Könige) und deren Inhaber verwandt. In der Phase des jüdischen Exils und in der ersten Zeit der Rückkehr fand eine erneute Begriffsverschiebung statt und der Begriff ‘could denote anyone with a special mission from God.’ Dies konnten Propheten oder Patriarchen sein, aber auch heidnische Könige wie Cyrus, der den Juden die Rückkehr aus dem Exil ermöglichte. Die endgültige Bedeutung des Begriffs als eschatologischer Erlöser aus der davidschen Linie lässt sich nach Werblowsky erstmals in der Zeit der Hellenisierung des Judentums feststellen, spätestens aber zur Zeit des Makkabäer Aufstands (165 v. Chr.). Auch wenn Werblowsky einräumt, die Entwicklung des Begriffs könne nicht exakt rekonstruiert werden, kann er doch feststellen, dass die Idee vom Messias als königlichen Erlöser inspiriert wurde von den Königen Israels, insbesondere Davids, und der damals herrschenden politischen und sozialen Struktur und so zum Vorbild für ein folgendes Goldenes Zeitalter der Herrschaft des Messias wurde. Der Messias ist also eine Symbolfigur einer älteren Erlösungsidee – in ihm manifestieren sich die verschiedenen Vorstellungen des jüdischen Messianismus. So wird er zur personifizierten Erlösungshoffnung, die für die jüdische Theologie bis heute von zentraler Bedeutung ist, auch wenn das ‘Konzept Messias’, wie noch zu sehen sein wird, v.a. in der Kabbala einigem Wandel unterworfen wird. In der Zeit des Makkabäeraufstandes entwickelte sich auch erstmals explizit im Zusammenhang mit der Messiasidee die Vorstellung einer nationalen Restauration sowohl durch einen glorreichen Führer, als auch durch ein Wunder des Himmels. Dieser Glaube begleitete die Vorstellung, dass vor dem Kommen der Erlösung eine Zeit der Zerstörung, der Verfolgung und des Leidens herrschen würde, was als die ‘Geburtswehen’ des Messias beschrieben wird und was durch die Geschichte bis heute Einfluss auf den jüdischen Glauben hat: ‘In fact, this catastrophic aspect became so much part and parcel of the messianic complex that in later periods, the occurrence of particularly cruel persecution and suffering was frequently regarded as heralding the messianic redemption.’ Mit der Herrschaftsübernahme der Römer und durch den Verlauf der Entwicklungen während dieser Herrschaft änderten sich jüdische Lebensumstände, aber auch Glaubensaspekte noch einmal dramatisch. Die Unzufriedenheit von Teilen des jüdischen Volkes gipfelte in dem Zelotenaufstand (66 – 70 n. Chr.) (nachdem der römische Prokurator Gessius Florus Teile des Tempelschatzes beschlagnahmt hatte) und später in der Bar Kochba Revolte (132 n.Chr.). Diese Ereignisse führten nicht nur zur Zerstörung des 2. Tempels, sondern auch zum Höhepunkt der jüdischen Diaspora, da die meisten Juden versklavt oder vertrieben wurden und sie ferner Jerusalem nicht mehr betreten durften. Durch die Zerstörung des Tempels endete ein Judentum, das maßgeblich durch die Lehren der Priester dominiert wurde. Stattdessen wird die geistige Geschichte des Judentums bis heute durch das sich damals entwickelnde Rabbinertum bestimmt.
Peter Lintl hat Politische Wissenschaften, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Haifa und Tel Aviv studiert. Im Rahmen von Forschungs- und Projektaufenthalten hat er fast drei Jahre lang in Israel gelebt. In Erlangen studierte er an der Professur für Politik und Zeitgeschichte des Nahen Ostens bei Prof. Thomas Philipp, Ph.D. Derzeit ist er im gleichen Institut wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr. Christoph Schumann. Er fertigt momentan seine Promotionsschrift zu ultraorthodoxer Parteipolitik in Israel an, die vorraussichtlich 2013 erscheinen wird. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Verknüpfung von theoretischer und empirischer Forschungsarbeit auf den Gebieten Politik und Religion sowie der Nahostforschung.
weitere Bücher zum Thema
Europäische Solidaritäten. Von Krisen, Grenzen und Alltag
ISBN: 978-3-96146-955-0
EUR 34,90
Nachhaltige Kulturpolitik – systemisch gedacht und systemisch gemacht. Konzepte für Kommunen und kommunale Akteure
ISBN: 978-3-96146-938-3
EUR 39,50
Zur Eignung der IPSAS als Grundlage der Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung in der Europäischen Union
ISBN: 978-3-96146-927-7
EUR 34,50
Destruktiver Wettbewerb in der Stationären Altenpflege und die Rolle der Freien Wohlfahrtspflege. Die kritische Betrachtung einer Krise ethischer Dimension
ISBN: 978-3-96146-906-2
EUR 34,50
Verwaltungsstrafen – ArbeitnehmerInnenschutz – Ethik – Wie geht das zusammen? Eine Studie im Bereich der Arbeitsinspektion in Österreich
ISBN: 978-3-96146-898-0
EUR 34,50
„Moin Timmy, alter Hinterbänkler“ – Die Systemtheorie Niklas Luhmanns als theoretischer und empirischer Bezugsrahmen für politische Partizipation in Social Media
Eine Untersuchung am Beispiel der Interaktionen zwischen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Bürgern auf Twitter