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- Französische Kriegsgefangene in Deutschland 1914-1918: Zwischen Feindschaft und Freundschaft
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 160
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Mit der Gefangennahme ging der Siegestraum der Soldaten des Ersten Weltkrieges zu Ende. Hinter feindlichem Stacheldraht konnten sie ihr Vaterland nicht mehr verteidigen. Durch die Schriften von französischen Gefangenen verfolgen wir den Beginn ihres neuen Lebens. Die Lager, zu denen sie wie Tiere in Viehwaggons gefahren werden, werden zu Zeugen ihres Überlebens, wo gewalttätige Strafen, Krankheiten, Hunger und Unsicherheit Alltag sind. Das Leben in den Lagern wird zu einem Leben des Mangels. Durch das Prisma der Gefangenschaft sehen wir, wie sich ein Verhältnis zu den Deutschen bildet. Die durch die Gefangenschaft einsetzende Entdeckung des Deutschen betrifft nicht nur den deutschen Soldaten, sondern zugleich die deutsche Zivilbevölkerung. Gleichermaßen abgestoßen und angezogen steht der Gefangene zwischen zwei Ländern, zwischen zwei Vorstellungen des Deutschen an sich. Zentrale Frage dabei ist: Warum haben sich manche ehemalige Kriegsgefangene nach dem Krieg darum bemüht, die Basis einer deutsch-französischen Versöhnung aufzubauen und zu vertiefen? Diese Frage zu klären, ist die Aufgabe des vorliegenden Buches.
Textprobe: Kapitel 2, Die Beurteilung des Deutschen: a) Der Gefangene als privilegierter Beobachter: Die erste Vorgehensweise, die der Gefangene zur Verfügung hat, ist diejenige, die mit seinem Status verbunden ist: Die Beobachtung. Diese Beobachtung wird auf verschiedenen Ebenen ausgeübt. Da die Gefangenen sich in einem Land befinden, das den meisten unbekannt war, bedeutet das tägliche Leben eine tägliche Entdeckung. Je länger der Gefangene in Gefangenschaft bleibt, desto tiefer sind seine Beobachtungen. Im Laufe dieser Arbeit haben wir schon den Anlass gehabt, die Beziehung zu kennzeichnen, die sich zwischen dem Gefangenen und der Bevölkerung gebildet hatte. Das Verhalten des Gefangenen, womit wir uns beschäftigen werden, ist für fast alle Gefangenen unüberlegt. Indem der Gefangene seine Umgebung in seinen Schriften beschreibt, spielt er die Rolle eines Anthropologen. Für die Gefangenen, die täglich geschrieben haben, verhindert uns der unmittelbare Charakter des Schreibens zu denken, dass der Gefangene diese Anmerkungen zu diesem Zweck niedergeschrieben hat. Deshalb sind diese Anmerkungen umso reicher und aufschlussreicher, als sie in keinem bewussten Zweck entstanden sind, was eine Objektivität oder mindestens eine Authentizität bewahrt hat. Was in diesem Teil als Ethnologie, Ethnografie, Anthropologie oder Soziologie bezeichnet wird, verdient nicht ganz diese Bezeichnungen, obwohl wir darin wichtige Zeugnisse finden können, die im Rahmen dieser Arbeit interessant sind. Die Anthropologie ist ein sehr breiter Bereich, der gegliedert werden muss. Die erste Ebene, die zu behandeln ist, ist die physische Anthropologie, die darin besteht eine bestimmte Gruppe nach seiner physischen Eigentümlichkeiten zu charakterisieren. Selbst wenn dieser Aspekt zwischen zwei Ländern wie Frankreich und Deutschland irrelevant erscheint, da es sich um zu nahe Völker handelt, greifen die Gefangenen zu diesem Aspekt. In seinem Lager beschreibt Thierry Sandre die gemeinsamen Züge mit der Deutschen, mit denen er lebt: ‘Physiquement, il ressemblait au patron du bar, comme le censeur de Mayence ressemblait au censeur de Vöhrenbach. Gros et gras et large d'épaules, la figure épanouïe et confite en satisfaction de soi même, il était toutefois plus rose de chair que son comparse [...]’ In den verschiedenen Zeugnissen finden wir die gleichen Züge wieder. Wir könnten uns fragen, warum der Gefangene soviel Wert darauf legt, physische Züge zu beschreiben, die oft abträglich sind und die zumal mit Schimpfnamen verbunden sind, die auch schädlich sind. Darin wäre festzustellen, dass sich der Gefangene eine gewisse Kluft zwischen ihm - dem Franzosen - und dem Deutschen schafft. Indem er ihn als Mitglied einer gemeinsamen Ethnie verstößt, lehnt der Gefangene jede Gemeinsamkeit ab. Diese Ablehnung ist umso stärker, als sie auf dem Äußeren beruht, was einen sofortigen Unterschied bildet. Das erlaubt wahrscheinlich dem Gefangenen zu denken, wie schrecklich sein Schicksal ist, da er die Beute von diesen Scheusalen ist. Neben diesen pejorativen Schilderungen gibt es auch Beschreibungen, die den im Voraus durchgesetzten Beurteilungskriterien nicht entsprechen. Dieser ‘Irrtum’, der ihm den Deutschen ganz anders als ein Deutscher erscheinen lässt, bringt ihn dazu, sein Urteil zu mildern: ‘Notre commandant... Très grand, très droit, la mâchoire finement coudée, la barbe ronde et plate comme les chevaliers du temps de Maximilien d'Autriche, impeccablement propre et poli, la majesté naturelle qui l'empreint tout entier s'adoucit d'un sourire’. Sogar wenn der Gefangene den Deutschen in bestimmte physische Muster eintragen will, muss zu seiner Entlastung gesagt werden, dass er die anderen physischen Züge - die ‘guten’ Züge - niederschreibt. Das führt dazu, dass der Gefangene an eine mögliche Erlösung des Deutschen glaubt, die vom Deutschen selbst käme. Das Aussehen kann nicht das einzige Thema einer anthropologischen Studie sein. Der Gefangene wird seine Beobachtung auf andere Sphären des Lebens des Deutschen erstrecken, um sich seine Meinung aufzubauen und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Die andere Sphäre, die wegen ihrer Unmittelbarkeit leicht betrachtet werden kann, ist die der Armee. Dieser Aspekt der Analyse durch den Gefangenen untersteht der Ethnologie oder der sozialen Anthropologie. Die Wichtigkeit der Armee in Deutschland wurde schon erörtert aber daraus entstehen Schlussfolgerungen, was die Verhältnisse innerhalb des deutschen Volkes betrifft. Was zuerst festzustellen ist, ist die Hierarchie, mit der der Gefangene seine Studiumsobjekte anordnet: ‘[...] j'en suis venu à mettre en assez bonne forme dans la hiérarchie sociale, un personnage tel que le baron von Stengel, qui n'est ni un héros, ni un génie, qui n'ambitionne point les vertus surnaturelles, qui est tout simplement un homme de moeurs agréables, délicat, bien élevé, sans raideur aucune, facile à vivre, vraiment poli et civil’. Im Rahmen unserer Untersuchung ist es interessant zu sehen, dass manche Gefangene die ‘guten Deutschen’ an den Kopf einer sozialen Hierarchie stellen, was die Hoffnung auf eine Verständigung möglich macht. Riou hat das Thema der Hierarchie aufgeworfen. Das ist bei Robert d'Harcourt zu finden aber anders behandelt. In seiner Äußerung bringt Riou eine Hierarchie in der Studie der verschiedenen Deutschen nach vorne. Hingegen dazu spricht d'Harcourt von einer Hierarchie, die ein Teil des deutschen Wesens ist. Als er vom Bürgermeister eingeladen wird, wird d'Harcourt und seinem Kameraden den Anlass gegeben, die Standespersonen der Stadt Weissmain zu betrachten. D'Harcourt ist Offizier und tritt in den Saal ein, wo sich insbesondere der Bürgermeister, der Lehrer und der Pfarrer befinden. Er schreibt dazu: ‘Je savais, de bonne source et de longue date, la déférence naturelle de l'Allemand envers ces hiérarchies dont il est friand.’ D'Harcourt geht von einem Postulat aus, das er auf dem von der Gefangenschaft dargestellten Forschungsfeld nachprüfen kann. Diese Neigung zum Respekt der Hierarchie hatte schon der gefangene Offizier feststellen können. Pelletier erzählt, wie er nach seinem militärischen Status gefragt wurde, worauf er geantwortet hat, dass er Offizier sei. Die Folge ist einfach: ‘Du coup, les deux Fritz me lâchent et, impressionnés reprennent leur rang.’ Was der Gefangene innerhalb der Armee beobachten kann, überträgt er dem Deutschen im Allgemeinen. Allmählich zeichnet sich ein Bild der Verhältnisse innerhalb Deutschlands ab. Eine anthropologische Studie würde diese Verhältnisse für sich selbst beobachten. Der Anthropologe verurteilt nicht, er versucht die Mechanismen zu untersuchen, die die Menschen kennzeichnen, die er gerade beobachtet. Beim Gefangenen wird diese Beobachtung auf eine ganz andere Weise fortgeführt. Er beobachtet nämlich den Deutschen, um ihn mit seinem eigenen Leben, mit den Merkmalen seines eigenen Volkes zu vergleichen. Daraus ergibt sich, dass die Beobachtungen des Gefangenen seiner tiefen Meinung vielleicht nicht entsprechen, da er geistig schon bestimmt ist. Davon werden wir später sprechen. Die militärische Hierarchie und die Rolle des Militärs in Deutschland würden also manche Verhältnisse innerhalb Deutschland erklären. Dazu müssen wir nicht vergessen, dass das Bild Deutschlands in Frankreich auf dem bismarckschen Militarismus beruht. Trotzdem kommt der Gefangene immer wieder dazu, den Deutschen mit dem Franzosen zu messen: ‘Le paysan allemand se sentait socialement inférieur au paysan français.’ Immer empfindet der Gefangene das Bedürfnis, den Deutschen als fremd zu bezeichnen. ‘Des camarades sont à côté de moi. Ils regardaient eux aussi et tous se demandaient s'ils ne rêvaient pas. Et nous ne disons rien, rien, rien.’ Dieses Zitat aus dem Buch von Thierry Sandre betrifft die Kinder, die von den Gefangenen beim Spiel beobachtet werden. Die Gefangenen sind vor diesem Schauspiel verblüfft und fassungslos, weil die Kinder wie Soldaten spielen, nicht als Spaß sondern als Nachahmung der echten Soldaten: ‘Ils sont cinquante, ou quatre-vingts, ou cent. Ils marchent par quatre, au pas, bien alignés [...]’ Thierry Sandre schreibt dazu: ‘Ces gosses m'inquiètent.’ Die Erziehung hat eine große anthropologische Bedeutung, da sie der Ausdruck einer geistigen Strömung und einer sozialen Lage ist. Bei Gueugnier sind auch solche Szenen zu finden. Dadurch bemerken wir, dass der Gefangene die Kinder nicht verurteilen will sondern ein soziales Muster erkennt, das sie verderben lässt und sie zu Leuten werden lässt, die danach den Leuten gleichen, die der Gefangene als Symbol Deutschlands betrachtet. Die Konditionierung des Volkes spielt eine wichtige Rolle, die der Gefangene einerseits berücksichtigt und die die Bevölkerung entschuldigt. Andererseits prangert der Gefangene diese Konditionierung als Merkmal des deutschen Volkes an. Was mit der Erziehung verbunden ist, ist die Sozialisation. Wie könnte eine Sozialisation das wahre Wesen eines Menschen darstellen, wenn sie von einer militarisierten Gesellschaft gestaltet wird? In seinem Buch beschreibt Gaston Riou, wie die einfachen Leute den Krieg nicht verbreiteten und von dieser militarisierten Gesellschaft standen: ‘Pour l'Allemand de peu, en dehors de son privé - famille, usine, taverne et syndicat - il y a une manière de vaste inconnaissable divin et, au premier degré de l'inconnaissable [...] il y a le pouvoir: empereur, princes, généraux, diplomates, ministres.’ Deswegen sind die Gründe zu dieser militarisierten Sozialisation woanders zu finden. Diese Gründe würden nicht nur die Sozialisation der Kinder betreffen sondern auch die einfachen Leute. Charles Gueugnier hatte schon von einem Protagonisten gesprochen: Dem Lehrer. Er ist die Speerspitze eines Systems, das das patriotische Vertrauen in den Köpfen der Kinder wachsen lässt. Die Propaganda erreicht auch die Jugend mit Veröffentlichungen wie ‘Kriegsblätter für die deutsche Jugend’ oder auch ‘Kriegsbuch für die Jugend und das Volk’. Durch seine Betrachtungen bringt der Gefangene andere Protagonisten ans Licht. Diese Protagonisten sind ein Teil des Lebens des Deutschen. Dazu zählt der Klerus. Robert d'Harcourt gibt eine Schilderung der Priesterschaft von Weissmain: ‘Je sentis très vite chez lui une mentalité que je connaissais bien, et qui était celle de la majorité du clergé allemand pendant la guerre [...] faite de nationalisme hautain et de mépris agressif à l'égard de la France.’ Das gesellschaftliche System, das sich aus den Betrachtungen des Gefangenen herausgibt, gleicht einem absolutistischen System. Ganz oben stehen der Kaiser und die verschiedenen Politiker, danach gibt es die Verwaltung. Alles stützt sich auf die Armee und den Klerus, um die Ideale der Welt und dem Volk durchzusetzen. Bei jedem Sieg lassen die Priester die Glocken der Kirchen läuten. Der einfache Deutsche badet in einer Gesellschaft, die ihn zu einer patriotischen Haltung ermuntert. Dasselbe finden wir in den anderen im Kriegszustand stehenden Ländern, wo jeder durch Propaganda feierlich angeredet wird. Der Krieg muss alle möglichen Kräfte mobilisieren. Trotzdem findet der Gefangene andere Gründe dafür, dass der einfache Deutsche von diesem System zu unterscheiden ist, die wir im nächsten Teil entwickeln werden. Die ethnologischen Beobachtungen führt der Gefangene weiter. Der Anstand und die Höflichkeit sind Forschungsfelder der sozialen Anthropologie. Die Beachtung und die Nicht-Beachtung dieser Begriffe werden vom Gefangenen erfasst. Als Robert d'Harcourt zu einer Versammlung eingeladen wurde, bemerkte er die Höflichkeit seiner Gastgeber: ‘Nous faisions bonne impression et d'autre part, on tenait à nous montrer que nous n'étions pas chez «des Barbares» et qu'on savait vivre à Weissmain.’ Diese moralischen Werte beinhalten eine universale Dimension. Wer diese Werte nicht vertritt, wird vom Gefangenen in Verruf gebracht. Manche Gefangene betrachten sogar diese Werte beim Deutschen als fremd und künstlich: ‘Toutefois, la complaisance de l'officier en question n'était peut-être que de commande. C'est une chose que j'ai souvent observée par la suite: afin d'édifier et tromper en même temps les prisonniers, militaires ou civils, les Allemands employaient tous les moyens pour paraître aimables, pour montrer qu'ils étaient incompris ou calomniés. Ils voulaient prouver qu'ils ne sont pas des barbares’. Das Wort ‘barbare’ wurde schon angetroffen und es wäre interessant zu sehen, wie der Gefangene das Thema der Barbarei - das heißt der Kultur - behandelt. b) Der Gefangene und die Kultur: Zwischen Zivilisation und Barbarei: Der Begriff ‘barbare’ setzt Vorurteile voraus, die von den verschiedenen Beobachtungen des Gefangenen bestätigt oder entkräftet werden. Ursprünglich bezeichnet das Wort Barbar diejenigen, die eine andere Sprache sprachen oder die zu einer anderen Zivilisation gehörten. Das Wort Barbar dem Deutschen gegenüber ist stark. Er wird von seinem Wesen her als Teil der abendländischen Zivilisation ausgeschlossen. Diese Ausschließung scheint umso merkwürdiger, da sie am Anfang der Auseinandersetzung mit dem Deutschen verkündet wird. Sie ist umso sonderbarer, als die Ausschließung von einem Teil einer Zivilisation den Verzicht auf einen Teil einer Kultur bedeutet, die diese Zivilisation gebildet hat. Dieser grundlegende Ausschluss steht im Widerspruch zur Haltung der Gefangenen, was einen bestimmten Aspekt betrifft. Die deutsche Kultur kommt nämlich von fast allen Büchern heraus. Thierry Sandre erwähnt die Verse von Heine, die das Gedicht ‘die Heimkehr’ beinhaltet: ‘Ich weisz nicht was soll es bedeuten, Dasz ich so traurig bin.’ Robert d'Harcourt erinnert sich an Werther und Sesenheim. Das Buch von Riou stellt dasselbe mit Versen von Ludwig Uhland vor: ‘Es zogen zwei Bursche wohl über den Rhein Bei einer Frau Wirthin da kehrten sie ein...’ Charles Gueugnier erwähnt Faust, während Louis César Duhaut die Landschaft bewundert: ‘Le train s'est arrêté sur le pont du Rhin. Quelle belle vue, d'un côté du Rhin une sorte de petite plage, de l'autre côté la cathédrale, très jolie.’ Der Gefangene hat von Deutschland ein bestimmtes kulturelles Bild, das im Krieg verschwunden ist: ‘Voilà comme nous sommes traités! Quelle civilisation! C'est la kulture allemande!!!’ Was Deutschland kulturell ausstrahlen ließ, wird vom Krieg ersetzt. Deutschland wäre nicht mehr von Goethe oder Heine symbolisiert sondern von Wilhelm II. und Ludendorff. Das hat mehrere Folgen, die zu analysieren interessant wären. Die Tatsache, dass sich manche Gefangene mit deutschen kulturellen Vorbildern zusammenhängen, zeigt - könnten wir sagen - einerseits, dass sie in Deutschland ein gewisses Genie anerkennen. Deutschland wäre nur teilweise ausgeschlossen. Und andererseits zeigt es, dass es bei diesen Gefangenen ein bestimmtes Bild Deutschlands gibt, das sie zu behalten und zu retten versuchen. Als Thierry Sandre die Verse von Heine zitierte, befand er sich in einem Zug mit deutschen Wachposten und fuhr des Loreleyfelsens entlang. Die Erwähnung der Verse wäre, als ob er den Krieg entfernen möchte. Er beschreibt die Dörfer, die er sieht: ‘Nous avons tous la mémoire pleine d'images semblables, eaux-fortes ou dessin à la plume [...] De temps en temps, au sommet d'une montagne, un burg domine. Tantôt il est en ruines et tout croulant de poésie [...]’. Der Romantismus war mit Deutschland verbunden, dieser Romantismus, der den Menschen als frei kennzeichnet. Er lässt sich von seiner Seele definieren. Aber der Krieg ist ausgebrochen und hat alles weggetrieben. Der Krieg kann nicht mit Romantismus geführt werden. Merkwürdig könnte erscheinen, dass der Gefangene überrascht wird, indem er entdeckt, dass Deutschland ein anderes Gesicht als dasjenige der Kunst zeigen kann. Wir könnten uns nämlich fragen, ob diese Überraschung Beweis einer tiefen Ignoranz des Feindes ist. Diese Sublimation der Kunst hat sich nämlich zu Lasten der Auseinandersetzung mit dem Deutschen als Mensch gemacht. Der Deutsche hatte keine Kultur mehr anzubieten, da er im Kriegszustand war. Der Franzose konnte infolgedessen den Deutschen nur mit dem anderen Bild bezeichnen, das er zur Verfügung hatte: Dem kriegerischen Bild, das seine Wurzeln im deutsch-französischen Krieg von 1870 findet. Wie wir sehen können, greift der Gefangene zum Beispiel auf Bismarck zurück: ‘Oh! L'ombre de Bismarck, veillant sur la paix de l'Europe, debout près du sépulcre où dorment ses victimes.’ Dieses kriegerische Bild, das unterschwellig blieb, wird nach dem Kriegsausbruch verallgemeinert. Eine Spaltung zwischen Frankreich und Deutschland wird festgestellt. Frankreich wäre der Verteidiger der Werte und Deutschland der Zerstörer dieser Werte - wie es von der Propaganda übertragen. Wenn sich die meisten auf das Bild eines Deutschlands beschränkt haben, das von Kunstvorbildern bestimmt würde, ohne sich für den Deutschen zu interessieren, stellen wir fest, dass sich dasselbe danach mit dem kriegerischen Bild passiert ist. Es gibt keine Analyse, keine Auseinandersetzung mit dem Menschen. Vorurteile werden sofort eingesetzt, was die Beziehung auf eine Ebene setzt, von der sie danach schwer zu ändern ist. Die einzige Lösung, um diese im Voraus gemachten Bilder zu ändern oder zu nuancieren, ist mit dem Deutschen zu leben, was die Gefangenschaft erlaubt hat. Das ist eine radikale Weise, sich mit dem anderen auseinanderzusetzen. Wenig erlaubt eine ruhige Analyse aber es könnte als ein Anfang betrachtet werden.
Loïc Delafaite wurde 1985 in Charleville-Mézières (Frankreich) geboren. Sein Studium der deutschen Landeskunde an der Rheinisch-Westfaelischen Technischen Hochschule Aachen und an der Universität Reims schloss er im Jahre 2007 mit dem akademischen Grad des Master 2 erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende Erfahrungen in der Gefangenschaftsliteratur. Fasziniert von der deutsch-französischen Geschichte hatte er sich schon zuvor mit der Schuldfrage am Ersten Weltkrieg beschäftigt.
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