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- Familienpolitik und Geburtenrate in Deutschland: Die potenzielle Wirkung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes auf die Kinderzahl
Politik
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 90
Abb.: 23
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Im ersten Jahr nach der Einführung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) am 1. Januar 2007 wurden in Deutschland mehr Kinder geboren. Diese Tatsache wird als familienpolitischer Erfolg gefeiert. In der vorliegenden Studie wird daher der Frage nachgegangen, ob das BEEG die Geburtenzahl dauerhaft erhöhen kann, oder ob es nur einen temporären Effekt auf das Timing von Geburten hat. Hinweise darauf geben mikroökonomische Modelle und Erfahrungen anderer Länder mit der Wirkung von Familienpolitik. Die in dieser Arbeit vorgestellten mikroökonomischen Modelle zeigen, dass familienpolitische Maßnahmen die Geburtenrate positiv beeinflussen können. Denn nach der ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung geht die Entscheidung einer Frau für die Berufstätigkeit nur dann mit einer niedrigen Fertilität einher, wenn die Geburt zu wesentlichen Einkommens- und Humankapitalverlusten führt. Sind diese Opportunitätskosten aber durch Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gering, steigt die Nachfrage nach Kindern. Zur Beantwortung der Frage, ob dieser theoretische Zusammenhang empirisch bestätigt werden kann, werden empirische Analysen aus Ländern in den drei Regionen Skandinavien, Südeuropa und Mitteleuropa evaluiert. Der Länder- bzw. Regionenvergleich zeigt, dass sich kurze Elternzeiten mit einer Einkommensersatzleistung, ein adäquates Angebot an Kindertagesstätten, bestimmte steuerliche Regelungen sowie Anreize für Väter, sich stärker bei der Erziehungsarbeit zu beteiligen, als familienpolitische Instrumente bewährt haben und die Geburtenrate positiv beeinflussen können. Aber auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die Erwartungshaltung diesbezüglich sowie die Arbeitsmarktbedingungen speziell für Frauen haben einen Einfluss auf die Familiengründung und -erweiterung. In dieser Studie wird daher die Schlussfolgerung gezogen, dass das BEEG insgesamt einen institutionellen Schritt in Richtung des skandinavischen Modells der Familienpolitik darstellt, es tendenziell die Opportunitätskosten der Familiengründung senkt und dem gesellschaftlichen Gleichstellungsanspruch hinsichtlich der Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit folgt. Bei einer optimistischen Betrachtung ist dadurch ein Anstieg der Geburtenzahl, vor allem bei Akademikerinnen, zu erwarten. Um die Gesamtfertilitätsrate in Deutschland langfristig zu erhöhen, bedarf es aber eines Zusammenspiels von Familien-, Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspolitik.
Textprobe: Kapitel 2.3, Vom Bundeserziehungsgeld zum neuen Elterngeld. Das Elterngeldgesetz wurde am 29. September 2006 vom Deutschen Bundestag beschlossen und trat am 1. Januar 2007 in Kraft. Es löst das Bundeserziehungsgeldgesetz vom 1. Januar 1986 ab. Das Gesetz hatte eine so genannte Erziehungszeit von bis zu drei Jahren nach der Geburt eines Kindes ermöglicht. In dieser Zeit konnte sich ein Elternteil bei vollem Kündigungsschutz ganz oder teilweise von der Berufstätigkeit zur Versorgung des Kindes freistellen lassen. Unter der Bedingung, dass dieser Elternteil weniger als 30 Stunden pro Woche arbeitete, erhielt er für zwei Jahre das so genannte Erziehungsgeld. Die Höhe des Erziehungsgeldes richtete sich nach der Bedürftigkeit der Familie, nahm also folglich mit dem Haushaltseinkommen ab. Auf Grund der Tatsache, dass in den meisten Familien der Mann mehr verdient als die Frau und daher der Einkommensausfall geringer ist, wenn die Frau die Erziehungszeit in Anspruch nimmt, förderte dieses Gesetz das Familienmodell mit dem Mann als Haupternährer und der Frau als Hausfrau oder Zuverdienerin. Die lange Dauer der Elternzeit erschwerte der Frau den Anschluss im Berufsleben, so dass zahlreiche Mütter danach entweder eine Teilzeitarbeit aufnahmen oder sich völlig aus dem Beruf zurückzogen. Obwohl viele Familien nicht selten auf zwei Einkommen angewiesen sind, gehört Deutschland damit weltweit zu den Ländern, in denen Frauen wegen eines Kindes ihre Berufstätigkeit am längsten unterbrechen, nämlich im Durchschnitt fünf Jahre. Berufsorientierte Frauen entschieden sich auf Grund fehlender Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für ein Leben ohne Kinder oder schoben ihren Kinderwunsch so lange auf, bis die Realisierung aus biologischen Gründen nicht mehr möglich war. Insofern wirkte sich die bisherige Familienpolitik negativ auf die Fertilität und die Frauenerwerbstätigkeit aus. Das trug dazu bei, dass die Löhne zwischen Frauen und Männern sowie zwischen Müttern und kinderlosen Frauen deutlich auseinander klafften. Die Geschlechtergerechtigkeit wurde dadurch folglich nicht gefördert, ganz im Gegenteil. Obendrein hielt sich das väterliche Engagement in Grenzen. Lediglich 5% der Väter nahmen den Erziehungsurlaub in Anspruch. Das neue Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz sieht nach skandinavischem Vorbild eine Elternzeit von 12-14 Monaten vor. Ein Elternteil kann dabei höchstens zwölf Monate in Anspruch nehmen. Beteiligen sich beide Elternteile an der Elternzeit, können sie 14 Monate untereinander aufteilen, unter der Bedingung, dass sich jeder für mindestens zwei Monate ‘verpflichtet’. Da abzusehen ist, dass die Mutter die längere Zeit in Anspruch nimmt, werden die zwei zusätzlichen Monate als ‘Vatermonate’ bezeichnet. Die Höhe des Elterngeldes beträgt 67% des durchschnittlichen Einkommens im Jahr vor der Geburt, mindestens jedoch 300 Euro und höchstens 1.800 Euro im Monat, sofern die Erwerbstätigkeit währenddessen völlig niedergelegt wird. Das Elterngeld von Familien mit einem Nettoeinkommen unter 1.000 Euro wird für jede 20 Euro unter 1000 um 1% erhöht. Geringverdiener, Arbeitslose und Auszubildende erhalten nach dieser Regelung allerdings weniger Geld als zuvor, nämlich nur einen Sockelbetrag von 300 Euro für höchstens 14 Monate, früher für zwei Jahre. Die Einkommensabhängigkeit impliziert außerdem, dass der Betrag mit der Anzahl der Arbeitsstunden während der Elternzeit sinkt. Halbieren sich beispielsweise die Arbeitsstunden, wird das Elterngeld nur zur Hälfte ausgezahlt. Folgt auf das erste Kind innerhalb von 36 Monaten ein zweites, so erfolgt auf das zweite Elterngeld ein Zuschlag von 10%, mindestens aber 75 Euro. Eine ähnliche ‘Geschwindigkeitsprämie’ gibt es auch in Schweden. In absehbarer Zeit soll das Angebot an Kindertagesstätten ausgebaut werden, welches im internationalen Vergleich noch erhebliche Defizite aufweist, insbesondere in Bezug auf die Betreuung von Kindern unter zwei Jahren und dem Ganztagsangebot. Überdies wird an die Unternehmen appelliert, die Kinderfreundlichkeit zu erhöhen, beispielsweise durch die Schaffung von Teilzeitstellen, die Möglichkeit eines heimischen Arbeitsplatzes und die Unterstützung der Vatermonate. Mit dieser Reform werden vornehmlich die folgenden Ziele anvisiert: Erstens sollen Familien durch einen ‘abgestimmten Dreiklang aus unterstützender Infrastruktur, familienbewusster Arbeitswelt und gezielter finanzieller Förderung’ dauerhaft gestärkt und die Verwirklichung ihrer Lebensentwürfe mit Kindern erleichtert werden. Demnach hilft das neue Gesetz, ein späteres Timing der Geburten und die Aufgabe des Kinderwunsches zu vermeiden. Zweitens führen die Orientierung des Elterngeldes am individuellen Einkommen sowie eine kürzere Erwerbspause dazu, dass der ‘Achterbahneffekt des Einkommens’ vermindert wird und jeder Elternteil somit weder dauerhaft auf die Hilfe des Staates noch des Lebenspartners angewiesen ist. Diese Vorgaben erleichtern Frauen die Rückkehr in das Berufsleben und vereinfachen zugleich die aktive Vaterschaft von Männern. Das bedeutet jedoch nicht prinzipiell – wie es in der Öffentlichkeit zum Teil interpretiert wurde – die Abkehr vom Brotverdiener- und Hausfrauenmodell. Vielmehr möchte die Reform ‘zugleich Wahlfreiheit und gegenseitige Anerkennung der unterschiedlichen Lebensentwürfe fördern und dabei den Blick auch für den immateriellen Wert jeder Geburt eröffnen’, also ein gleichwertiges Nebeneinander von verschiedenen Familienmodellen unterstützen. Insgesamt trägt sie zur Gleichstellung der Geschlechter und dem Respekt gegenüber modernen Familienformen bei. Auf Grund dieser familienpolitischen Ausrichtung wird im Planungszeitraum von 2007 bis 2009 von folgenden Effekten ausgegangen. Es wird ein positiver Einfluss auf die Geburtenrate erwartet, der jedoch im Gesetzesentwurf mit dem Begriff der ‘Stabilisation’ noch überaus vorsichtig formuliert wird. Des Weiteren wird auf der Grundlage internationaler Erfahrungen mit einer Steigerung der Inanspruchnahme der Elternzeit von Vätern von 5% auf über 27% gerechnet. Schließlich spricht die Reform speziell erwerbsorientierte Frauen an, da die Unterbrechung der Berufstätigkeit auch während der Elternzeit nicht erforderlich und ein geringerer Einkommensverlust als nach dem BerzGG zu erwarten ist. Zu erwarten ist eine Zunahme der Frauenerwerbsquote, was das Angebot an Fachkräften erhöht und zur Stärkung der Sozialversicherung beiträgt. Außerdem konstatiert eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft, dass die neue Familienpolitik durch den Anstieg der Geburtenrate und der Frauenerwerbstätigkeit sogar das Wirtschaftswachstum langfristig um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr erhöhen kann. Die Kosten der neuen Familienleistungen hängen hauptsächlich von der Zahl der Geburten, der Einkommensentwicklung der Elterngeldempfänger sowie deren Erwerbsverhalten während der Elternzeit ab. Im Jahr 2008 wird wegen der Übergangszeit vom Erziehungsgeld zum Elterngeld ein Anstieg der Ausgaben auf über vier Milliarden Euro erwartet, danach sinken sie wieder unter diese Grenze. Im nächsten Kapitel werden die Auswirkungen der neuen Familienpolitik aus wirtschaftstheoretischer Sicht erörtert.
Nora Reich, Jg. 1982, Diplom-Geographin, studierte Geographie, Volkswirtschaftslehre und Städtebau an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. In allen drei Studienfächern setzte sie sich speziell mit demographischen Fragestellungen auseinander. Im Jahr 2007 schloss sie das Studium mit einer interdisziplinären Diplomarbeit in den Fächern Geographie und Volkswirtschaftslehre zur potenziellen Wirkung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes auf die Fertilitätsrate und -struktur in Deutschland erfolgreich ab. Seit September 2008 ist sie als Junior Researcher am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut gGmbH tätig. Des Weiteren promoviert sie an der Universität Hamburg im Bereich Arbeitsmarkt- und Familienökonomie.
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