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- Europäische Sozialpolitik und die Idee der Selbstregulierung: Rechtsgrundlagen, Potentiale und Grenzen eines europäischen Politikfeldes
Politik
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 132
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages ist die Europäische Union erstmals in ihrem Handeln dem Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet. Das vorliegende Buch widmet sich daher der Frage, welche rechtlichen Kompetenzen und Schranken der EU-Vertrag im Bereich der Sozialpolitik beinhaltet. Von besonderem Interesse ist, inwieweit die Idee der Selbstregulierung im Kompetenzfeld der EU-Sozialpolitik verankert ist und welche Entwicklungsperspektiven sich daraus für eine europäische Arbeitsmarktordnung ergeben. Konkret wird untersucht, welchen Beitrag dazu die europarechtlichen Institutionen Sozialer Dialog und Verhandlungslösung leisten können und ob in diesem Kontext für das Vorhaben der EU-Kommission eine Realisierungschance besteht, einen Rechtsrahmen für europäische Kollektivverhandlungen zu institutionalisieren. Insgesamt will das Buch aus einer ökonomisch-juristischen Perspektive die europarechtlichen Potentiale und Schranken eines Politikfeldes aufzeigen, das für die erfolgreiche Weiterentwicklung der Europäischen Union eine nicht unbedeutende Rolle spielen dürfte.
Textprobe: Kapitel (3), Allgemeine Verhandlungsgrundsätze: Den dritten Konzeptbaustein bilden die allgemeinen Verhandlungsgrundsätze, die den Verhandlungspartnern u.a. Rechte und Pflichten zuweisen und damit die Rahmenmerkmale einer ‘Verhandlungslösung’ bilden. Dies wären z.B. Geheimhaltungspflichten der Interna eines BVG, Schutzrechte für die am Verfahren teilnehmenden Arbeitnehmervertreter, der Grundsatz zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, Rechtsweggarantien, Sanktionsmöglichkeiten oder auch Ausnahmetatbestände. (dd), Einordnung und Bewertung: Insgesamt stellt die Konzeption der VL im Rahmen europäischer Rechtsaktgestaltung einen Paradigmenwechsel dar, der sich an folgenden vier Gegensatzpaaren gut veranschaulichen lässt: (1.) Prozeduralisierung an Stelle von inhaltlich detaillierten Normvorgaben, (2.) Autonomie statt Heteronomie, (3.) flexiblere und sachnähere Lösungen gegenüber starren Vorgaben und bürokratischen Detailregelungen und (4.) Vielfalt der Lösungen im Gegensatz zu Ergebnisuniformität. Deutlich wird zudem, dass im Mittelpunkt der Verhandlungskonzeption die Verhandlungsautonomie der Akteure steht und damit die Thematik privatrechtlicher Selbstregulierung. Allerdings erfolgt diese hier nicht ohne, sondern gerade mit übergeordneter Einflussnahme. Damit weist m.E. die Konzeption der VL eindeutige Übereinstimmungen mit der Rechtskonzeption der ‘regulierten Selbstregulierung’ aus dem deutschen Verwaltungsrecht auf. Zum Beleg dieser These, wird im Folgenden das von Hoffmann-Riem entwickelte Konzept eingehender analysiert. (1), Konzeption der ‘regulierten Selbstregulierung’: Nach Hoffmann-Riem existieren verschiedene Regulierungskonzeptionen, die sich auf einer Skala mit den beiden Endpunkten ‘hoheitlich-imperative Regulierung’ und ‘private Selbstregulierung’ einordnen lassen. Die ‘hoheitlich-imperative Regulierung’ repräsentiert dabei die klassische Variante staatlicher Regelsetzung, bei der sich die demokratisch legitimierte Handlungsmacht vollständig auf Seiten des Staates befindet. Den Gegenpol dazu bildet die autonome bzw. ‘private Selbstregulierung’, die sich gerade durch die fehlende Einflussnahme des Staates auf die inhaltliche Gestaltung der Vertragsbestimmungen auszeichnet, zumindest solange diese nicht mit höherrangigen Rechtnormen kollidiert. Die Regelsetzung gründet hier auf dem gegenseitigen Willen der Vertragspartner. Die Verbindlichkeit der Bestimmungen besteht lediglich für die vertragsschließenden Parteien selbst und Dritte, die sich freiwillig - z.B. durch Verbandsbeitritt - diesen Vertragsbestimmungen unterworfen haben. Zwischen diesen beiden Polen existieren nach Hoffmann-Riem die ‘hoheitliche Regulierung mit selbstregulativen Elementen’ und die ‘hoheitlich regulierte Selbstregulierung’. Gemeinsam ist beiden Varianten, dass auf Seiten des Staates die Bereitschaft besteht, bestimmte Aufgaben und Ziele nicht eigenverantwortlich, sondern im Zusammenwirken mit anderen Akteuren gemeinsam zu verfolgen und damit eine ‘Verantwortungsteilung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Verantwortungsträgern’ herbeizuführen . Dafür stellt der Staat einen rechtlichen Rahmen zur Organisation der Verantwortungsteilung zur Verfügung. Dieser wird in der Regel ergänzt durch Auffanglösungen für den Fall, dass die staatlich gesetzten Aufgaben und Ziele nicht erreicht bzw. umgesetzt werden können. Hoffmann-Riem spricht in diesem Kontext daher von einem ‘Gewährleistungsstaat’, der zum großen Teil die Erfüllung öffentlicher Aufgaben und Ziele durch entsprechende Rahmengesetzgebung und Auffanglösungen sicherstellt, aber nicht mehr selbst für die Leistungserbringung bzw. Problemlösung im Sinn eines ‘Erfüllungs- und Interventionsstaates’ bereitsteht und damit befreit ist von detail- und problembezogener Rechtsetzungstätigkeit. Hauptunterschied zwischen den beiden Varianten hoheitlich gesteuerter Selbstregulierung ist der durch die Rahmengesetzgebung festgelegte Autonomiegrad der eingebundenen Handlungsakteure. Dieser ist im Fall der ‘hoheitlichen Regulierung mit selbstregulativen Elementen’ wesentlich geringer als im Fall ‘hoheitlich regulierter Selbstregulierung’, bei der sich der Staat auf die alleinige Lösungskompetenz privatrechtlicher bzw. privatwirtschaftlicher Handlungsträger verlässt und - wie im Fall der restriktiveren Variante - keine Verantwortungsteilung mit teilstaatlichen Einrichtungen - wie z.B. den Körperschaften des öffentlichen Rechts – anstrebt. Das Konzept der ‘regulierten Selbstregulierung’ kann damit auch definiert werden als private Selbstregulierung, die vor dem Hintergrund staatlicher Rahmenvorgaben und festgesetzter Verfahrensregeln erfolgt, ohne gleichzeitig in der inhaltlichen Normgestaltung wesentlich determiniert zu sein. Lediglich die zu behandelnden Themen und die damit einhergehenden Ziele sind verbindlich. Gleichzeitig stellt der Gesetzgeber durch Vorhalten verbindlicher Auffanglösungen sicher, dass bei einem Scheitern privatautonomer Regelsetzung die gesetzten Aufgaben und Ziele trotzdem umgesetzt werden. Im Ergebnis werden damit die Parallelen zum europarechtlichen Konzept der ‘Verhandlungslösung’ deutlich. (2), Parallelität und Implikationen: Auch im Konzept der VL gibt der Unionsgesetzgeber die zu verhandelnden Materien und die zu erreichenden Ziele verbindlich vor, überlässt aber die inhaltliche Ausgestaltung einzurichtender Verfahren oder Organe den Akteuren vor Ort. Der Unionsgesetzgeber belässt es bei der Verabschiedung einer Rahmenrichtlinie die Detailbestimmungen sollen Ergebnis der Vereinbarungslösung sein. Für den Fall des Scheiterns, sieht auch das Konzept der VL eine ‘Auffanglösung’ vor, die garantiert, dass Aufgaben und Ziele, die der Union übertragen wurden oder die sie sich selbst im Rahmen ihrer Kompetenzen auferlegt hat, umgesetzt werden. Aufgrund dieser Übereinstimmungen können die mit der Selbstregulierungsthematik verbundenen Vor- und Nachteile größtenteils auf die Konzeption der VL adaptiert werden. Als Vorteile werden z.B. genannt : (1.) die sachnähere und damit praktikablere Regelsetzung aufgrund höherem Sachverstand und Fachwissen der beteiligten Akteure vor Ort, (2.) keine langwierigen Gesetzgebungsverfahren - siehe z.B. das Verfahren zur Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie, (3.) die erhöhte Akzeptanz bei den Normadressaten und damit die effektivere Regeldurchsetzung vor Ort und (4.) die Arbeitsentlastung der Rechtsetzungsorgane - hier der Unionsorgane - einschließlich der damit verbundenen haushaltsentlastenden Effekte. Als nachteilig werden insbesondere gesehen : (1.) evtl. Vernachlässigen gesamtgesellschaftlicher bzw. unionsweiter Belange aufgrund der Verfolgung von Eigeninteressen der Verhandlungspartner, (2.) Schwierigkeiten hinsichtlich der Verbindlichkeit und Durchsetzung der Bestimmungen - gerade auch gegenüber Dritten, (3.) aufgrund von eventuellen Verhandlungsungleichgewichten einseitige Verhandlungsergebnisse zulasten der ‘schwächeren’ Verhandlungspartei und (4.) durch die Vielzahl unterschiedlicher Regelungen zum selben Gegenstandsbereich eine erhebliche Vorschriftenvermehrung und Unübersichtlichkeit der Rechtssituation, was gerade auch den Kohärenzbestrebungen der Union entgegenstünde. Werden die genannten Vor- und Nachteile vor dem Hintergrund zu heterogener Arbeitsmarktsysteme in der Union, dem Bestreben der Union die Ebene der Sozialpartner stärker in den Rechtsetzungsprozess einzubinden und vor dem Unionsziel, das Europäische System insgesamt bürgernäher auszugestalten, gegeneinander abgewogen, zeigt sich, dass die mit der Verhandlungskonzeption verbundenen Vorteile den genannten Zielvorstellungen in hohem Maße gerecht werden und folglich mit der ‘Verhandlungslösung’ als ‘regulierter Selbstregulierung’ eine adäquate Rechtskonzeption auf Unionsebene Einzug gefunden hat. Trotz der genannten und nicht von der Hand zuweisenden Nachteilen - wie z.B. der Gefahr einer unkontrollierten Regeldiffusion - ist die ‘Verhandlungslösung’ geeignet, um im Bereich der EU-Sozialpolitik stärkere Anwendung zu finden, da gerade mit dieser Konzeption dem Problem unterschiedlich ausgeprägter Arbeitsmarktsysteme mit Hilfe individueller Lösungen, die sachnäher- und akteursbezogener sind, adäquat begegnet werden kann. Nicht mehr die vereinheitlichende und harmonisierende Rechtsetzung über alle Arbeitsmarktordnungen hinweg ist deren Ziel, sondern eine liberale Rechtsetzung, die auf subsidiärer Ebene durch institutionalisierten Einbezug ‘kreativer Vielfalt’ den Wettbewerb verschiedenster Vereinbarungslösungen ermöglicht und fördert. Auch die EU-Kommission sieht das Potential des Ansatzes der ‘regulierten Selbstregulierung’, wenn sie z.B. im Weißbuch ‘Europäisches Regieren’ - in dem Ziele und Verbesserungen des Regierungshandelns der Union im Mittelpunkt stehen - schreibt: ‘Die Europäische Union wird auch in Zukunft zu Recht danach beurteilt werden, wie sich ihre Regelungstätigkeit in der Praxis auswirkt. Sie muss daher stets darauf bedacht sein, die Qualität und Effizienz ihrer Regulierungsmaßnahmen zu verbessern [Hervorhebungen im Text, Anm. d. Verf.]’, um danach neben einer Reihe von entsprechenden Maßnahmen das Instrument der ‘Koregulierung’ einzuführen und zu definieren: ‘Koregulierung kombiniert bindende Rechtsetzungs- und Regelungstätigkeit mit Maßnahmen der Hauptbeteiligten unter Nutzung ihrer praktischen Erfahrungen’.
Elliot Hofherr, Jahrgang 1980, studierte Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Arbeitsrecht am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg. 2009 beendete er das Studium als Diplom-Sozialwirt. Danach begann er an der Universität Würzburg mit dem Aufbaustudium Europarecht (Schwerpunkt EU-Wirtschaftsrecht), das er Anfang 2013 mit dem Mastergrad LL.M. Eur. abschloss. Praktische Erfahrungen aus dem Bereich Personal und Arbeit runden seine Kompetenzen ab. Sein fachlicher Schwerpunkt bildet neben dem Europarecht das Schnittfeld von Arbeitsmarktökonomik, Arbeitspolitik und Arbeitsrecht. Fragen der Funktionsweise, sozioökonomischen Implikationen und zum Wandel der deutschen Arbeitsmarktordnung stehen im Mittelpunkt seines Interesses und waren Grundlage von Studienarbeiten als auch seiner Diplomarbeit zur Thematik der Reformfähigkeit des deutschen Tarifvertragssystems. Auch das vorliegende Buch ist Ergebnis dieses interdisziplinären Arbeitsschwerpunktes der Fokus liegt hier auf den europarechtlichen Grundlagen und Perspektiven europäischer Arbeits- und Sozialpolitik.
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