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- Ersatzgesetzgeber oder nicht? Die problematische Stellung des Bundesverfassungsgerichts im politischen System der Bundesrepublik Deutschland
Politik
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 144
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die vorliegende Studie befasst sich mit dem Bundesverfassungsgericht, welches die höchstrangige Institution der rechtsprechenden Gewalt der BRD ist. Es ist der Hüter der Verfassung und kontrolliert die Verfassungsmäßigkeit des politischen Lebens. Dabei gehört es nicht dem Instanzenzug an, was bedeutet, dass es keine vollständige Rechtsprüfung ausübt, sondern es überprüft Entscheidungen anderer Gerichte und sonstige Anträge als Akte der Staatsgewalt am Maßstab des Verfassungsrechts. Diese betont starke Position des Gerichts ist einerseits dazu geeignet, der Verfassung größtmöglichen Schutz vor ihren Feinden zu bieten und auch dem Bürger weitestgehenden Schutz vor der staatlichen Gewalt zu gewähren, jedoch wirft die Tatsache, dass das Grundgesetz so gilt, wie es das BVerfG auslegt Fragen nach dem Schutz der Gewaltenteilung auf. Da das BVerfG Verfassungsfragen letztinstanzlich interpretiert und rechtskräftige, alle anderen Verfassungsorgane bindende Urteile fällt, kann das Problem auftreten, dass die übrigen Verfassungsorgane ihrer verfassungsgemäßen Position und Handlungsspielraumes beraubt werden und das BVerfG, kraft seiner Rechtsprechung, zum Ersatzgesetzgeber avanciert, der letztlich über allen anderen Gewalten schwebt.
Textprobe: Kapitel 4.3, These I 2. - Macht durch Mitgestaltung: Lebensfragen der Bundesrepublik Deutschland hängen letztlich davon ab, wie das Bundesverfassungsgericht zentrale verfassungsrechtliche Fragen und Bestimmungen beurteilt und konkretisiert und die übrigen Verfassungsorgane daran bindet. Das Grundgesetz konstruiert und konstituiert durch seine Artikel die Bundesrepublik Deutschland und legt für diese eine repräsentativ-parlamentarische sowie parteienstaatliche, demokratische Grundstruktur fest. Dabei sind die Bestimmungen des Grundgesetzes - wie an späterer Stelle noch genauer betrachtet wird - einigermaßen unkonkret, interpretationsoffen und z.T. - obwohl staatstragende Wichtigkeit beinhaltend - nicht unbedingt widerspruchsfrei operationalisierbar. Als maßgeblicher Letztinterpret von Verfassungsfragen betritt nun an dieser Stelle das mächtige Bundesverfassungsgericht die politische Bühne und füllt die für den Staat lebensnotwendigen Bestimmungen mit einem konkreten und verbindlichen Inhalt, was letztlich zur Annahme führen muss, dass ein grundgesetzlich verfasster Staat wie die Bundesrepublik ohne einen Ausgestalter ihrer sie begründenden Normen nicht in dem Maße lebens- und überlebensfähig gewesen wäre und noch immer ist, wie es heute der Fall ist. Die Grundprinzipien des Grundgesetzes haben somit durch das Bundesverfassungsgericht und dessen Rechtsprechung ‘ihre näheren und in der Regel ebenso gestaltungspolitisch offenen wie systemgerecht stringenten Konturen empfangen.’1 Das Bundesverfassungsgericht ist zuvörderst damit beauftragt, das empfindlich konstruierte und - wie bereits oben (These I 1.) gesehen - recht störungsanfällige Verhältnis zwischen dem Demokratieprinzip und der Gewaltenteilung aufrechtzuerhalten und die Akteure des Verhältnisses in angemessener Weise zu kontrollieren. Allein durch die erfolgreiche Erfüllung dieser Aufgabe durch das Bundesverfassungsgericht konnte sich die deutsche Demokratie ihren schwierigen Entstehungsbedingungen und ständigen Bedrohungen trotzend zu dem stabilen Gebilde entwickeln, das heutzutage vorfindbar ist. Nun ist es so, dass man ein Verfassungsorgan wie das Bundesverfassungsgericht nicht einerseits mit solch grundlegenden Aufgaben bedenken darf und dann andererseits eine zu starke Einmischung in den politischen Prozess bemängelt und an der machtvollen Stellung zu kratzen versucht. Es ist selbstverständlich, dass das Bundesverfassungsgericht eben durch seine Stellung und seine Aufgaben nahezu ständig in den politischen Machtkampf und somit die politics verwickelt ist. Durch seine Rechtsprechung und Ausleuchtung von - in diesem Sinne - ‘dunklen’ Normen hat es auch ‘die grundgesetzliche Ordnung, die polity, entscheidend geprägt und fortentwickelt’2, man denke hierbei nur an Entscheidungen zur Klagebefugnis politischer Parteien, zur Parteienfinanzierung, zur Deutschland Fernsehen GmbH oder - aus der jüngeren Vergangenheit - zur Vorratsdatenspeicherung. Die politische Gestaltung und Mitgestaltung des Bundesverfassungsgerichts ist zwar im Wesentlichen lediglich indirekt, ‘aber doch nachhaltig ganze Politikbereiche’3 betreffend (z.B. Steuer-, Renten- und Sozialpolitik). Aufgrund dieser nachhaltig wirkenden Mitgestaltungsmöglichkeiten (Policy-Maker, Agenda-Setter) eines Verfassungsorgans, dass damit in erster Linie nicht beauftragt war und ist, treten nun die ersten zentralen Probleme dieser Studie ans Tageslicht, denn dass Bundesverfassungsgericht nimmt durch die eben geschilderte Ausgestaltung seiner Rolle ‘realiter Funktionen war, die nach einem Modell reiner Gewaltentrennung nicht der Judikative, sondern der Legislative, Exekutive und der verfassunggebenden beziehungsweise der verfassungsändernden Gewalt zustehen.’4 Damit verwundert es kaum, dass die Diskussionen um die politische Teilhabe des Gerichts oder dessen Stellung als politischer Machtfaktor, der nicht in dem Maße wie Legislative und Exekutive demokratisch legitimiert ist, nicht abreißen. Dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht zentrale verfassungsrechtliche Fragen und Bestimmungen beurteilt und konkretisiert und obendrein die übrigen Verfassungsorgane an seine Deutungen bindet und damit die wesentlichen Lebensfragen der Bundesrepublik in seinem Sinne beantwortet, kommt dem Bundesverfassungsgericht langfristig auch die Möglichkeit zu, ‘durch seine Rechtsprechung auch den juristischen Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend zu strukturieren - letztendlich sogar zu bestimmen, was als 'herrschende Meinung' gilt.’5 Das Grundgesetz gilt infolgedessen praktisch so, wie es das Bundesverfassungsgericht auslegt, womit die Frage nach der machtvollen Stellung, Mitgestaltung, Mitbestimmung und auch Mit-Gesetzgebung an dieser Stelle eindeutig mit JA beantwortet werden muss und verdeutlicht wird, wie stark damit eigentlich der Einfluss des Gerichts auf die Grundlagen unseres Staates geworden ist und wie sehr sich diese Demokratie immer mehr als Spiegelbild der Karlsruher Riesen der Rechtsprechung herausstellt. Da das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen 60 Jahren immer mehr zentrale Lebensfragen und Lebensbereiche der Bundesrepublik seiner Rechtsprechung unterworfen hat, den juristischen Diskurs in hohem Maße vorstrukturiert, ‘nicht nur Streitfragen entscheidet, sondern zugleich auch inhaltliche Fragen bezüglich ihrer verfassungsrechtlichen Relevanz gleichsam autoritativ bewertet’6, ist zwar zum einen der Arbeitsaufwand immer stärker gewachsen, was wiederum langwierige Verfahrenslaufzeiten nach sich zieht andererseits ist aber auch die Macht des Gerichts dahingehend gewachsen, dass praktisch niemand - auch kein anderes Verfassungsorgan - die Rechtsprechung übergehen und ignorieren kann, und ‘selbst wer im rechtswissenschaftlichen Diskurs diese Bewertungen [des Bundesverfassungsgerichts, d. Verf.] lediglich zurückweisen will, ist gezwungen, sich in der entsprechend definierten Diskursarena zu bewegen, und muss letztlich darlegen, dass der eigene Vorschlag dem - weitgehend vom BVerfG selbst formulierten - 'Willen der Verfassung' besser entspricht.’7 Somit ist es dem Bundesverfassungsgericht immer mehr und öfter möglich, die politische Tagesordnung des Gesetzgebers durch Fristsetzungen, Unvereinbarkeitserklärungen und auch der Nichtigkeitserklärung von Normen zu strukturieren und selbst, durch seine Rechtsprechung explizite Ersatz- und Übergangsnormen zu verabschieden und den Gesetzgeber auch dahingehend, unter dem Schlagwort der verfassungskonformen Auslegung von Normen, maßgeblich einzuschränken. Die mittlerweile weitreichende Macht des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich dabei allerdings nicht allein auf die ‘Durchsetzung und Verhinderung von Entscheidungen, sondern wird auch ausgeübt, indem es 'die Begriffe und Symbole des Nachdenkens und Streitens über anstehende Entscheidungen' prägt und als Agenda-Setter fungiert.’8 Damit bleibt festzuhalten, ‘dass das heute wohl dominierende Bild vom 'unitarischen' und 'kooperativen Bundesstaat' wesentlich durch die Rechtsprechung des BVerfG bestimmt und aktualisiert worden ist’9 und man heutzutage oftmals beobachten kann, dass die Gesetzgebung die von Karlsruhe entwickelten Systematisierungen und Prinzipien nahezu eins zu eins in zu verabschiedende Gesetzestexte übernimmt.
Stefan Wagner wurde 1988 in Sangerhausen geboren. Nach dem Abitur zog es ihn nach Leipzig, wo er an der dortigen Universität von 2007 - 2012 dem Studium der Politikwissenschaften nachging. Dieses schloss er im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad Master of Arts ab. Das vorliegende Buch spiegelt sein besonderes Interesse am politischen System der Bundesrepublik Deutschland wie auch der politischen Theorie wider und stellt die bisher umfangreichste Studie des Autors dar.
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