- Sie befinden sich:
- Fachbücher
- »
- Politik & Gesellschaft - Unsere Neuheiten
- »
- Politik
- »
- Ein neuer Typus der Bewegungspartei? Strukturierung der Piratenpartei Deutschland
Politik
» weitere Bücher zum Thema
» Buch empfehlen
» Buch bewerten Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Piratenpartei Deutschland stellte die Parteienforschung in Deutschland mit ihrer Gründung vor viele Fragen. Durch Neuerungen beispielsweise im Parteiaufbau, bei der inneren Meinungsbildung und -findung sowie der Mitgliedschaft wurden die Regeln der etablierten Parteien ignoriert. Doch zunächst schien es so, als ob die Piraten keinen bedeutenden Einfluss auf die politische Landschaft der Bundesrepublik nehmen könnten. Dies änderte sich mit den ersten Wahlerfolgen und damit verbundenen Einzügen in mehrere Landesparlamente. Die Piraten waren für die Parteienforschung relevant geworden. Wie waren die Neuerungen durch die Piratenpartei zu beurteilen? Wie würden sich diese auf die anderen Parteien auswirken? Wie war die Piratenpartei in der politischen Landschaft einzuordnen? Dies waren und sind zum Teil noch heute die Hauptfragen, die mit der Piratenpartei verbunden sind. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit genau diesen Fragestellungen. Kernpunkt ist die Frage, ob für die Piraten eine Neuordnung der bisher vorliegenden Parteitypen notwendig ist - eine Frage, die eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Bewegungspartei nach Herbert Kitschelt voraussetzt und unter Einbeziehung aller bekannten Daten über die Piratenpartei bis 2013 beantwortet wird.
Textprobe: Kapitel 5.3, Einführung eines neuen cleavage in die deutsche Parteienlandschaft: 5.3.1, Die cleavage-Theorie nach Lipset und Rokkan: Die cleavage- oder Konfliktlinientheorie nach Lipset und Rokkan stellt vier sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Konfliktlinien in das Zentrum der politischen Interessen aller Beteiligten, also Wähler und Parteien. Diese vier Konfliktlinien sind in den beiden Phasen der sogenannten Nationalen Revolution und während der industriellen Revolution entstanden. Nach Lipset und Rokkan bezieht sich die Zeit der nationalen Revolution auf die Französische Revolution 1789, während der das Bestreben nach einem Nationalstaat, der zum Wohle desselben regiert wird, aufkam. Detterbeck fasst diesen Nationalstaat folgendermaßen zusammen: Der Staat als Herrschaftsform legitimiert sich im Nationalstaat durch die Förderung des Wohles der Nation, die als eine Volksgemeinschaft mit gemeinsamen Wurzeln und Überzeugungen über eine Wir-Identität verfügt und füreinander einsteht . Diese Überzeugung führte zur ersten Konfliktlinie, der zwischen Zentrum und Peripherie. Der zentral regierte Staat und die aus dem Zentrum regierte Peripherie mit ihren regionalen Entscheidungsinstanzen boten in ihrer Interessensverwaltung enormes Konfliktpotential. Nach Detterbeck dient hier die Scottish National Party als Beispiel. Die zweite Konfliktlinie entstand zwischen Kirche und Staat, welche um die Vormachtstellung konkurrierten. Hier dient die Zentrumspartei in der Weimarer Republik als Vergleichsobjekt. Aus dieser ist in der Folge die CDU entstanden, was wiederum die Bedeutung dieser Konfliktlinie für die heutige deutsche Parteienlandschaft zum Ausdruck bringt. Im Zuge der industriellen Revolution entstanden zwei weitere Konfliktlinien. Zum einen war dies die Konfliktlinie zwischen Stadt und Land. Die industriell geprägten Städte vertraten andere Interessen, als die landwirtschaftlich geprägten ländlichen Gebiete. Nach Detterbeck entstanden hier keine dauerhaften Parteien, jedoch wurden Interessensverbände beider Seiten, wie beispielsweise der Bauernverband, ins Leben gerufen. Dieser existiert noch heute. Abschließend und als logische Schlussfolgerung ist aus der Zeit der Industriellen Revolution die Konfliktlinie zwischen Arbeit und Kapital entstanden. Die Interessen der Arbeitgeber, die das Kapital vertraten, waren denen der Arbeiterklasse meist diametral entgegengesetzt. Aus dieser Konfliktlinie sollte der Klassenkampf entstehen, der Europa bis weit in das 20. Jahrhundert bestimmte. Die daraus entstandenen Parteien sollten bis heute eine große Bedeutung spielen, so beispielsweise die SPD in der Bundesrepublik Deutschland. Die vier Konfliktlinien selbst sind jedoch nicht alleine maßgeblich für die Entwicklungen der Parteiendemokratien in Europa gewesen. Zu beachten gelten hier neben den Konfliktlinien selbst die Hürden, die ein Parteiensystem neuen Parteien und somit Vertretern der einzelnen Positionen innerhalb der cleavages stellt, Teil des entsprechenden Parteiensystems zu werden und somit als etablierte Partei zu gelten. Lipset und Rokkan beschreiben vier grundsätzliche Hürden, deren Höhe darüber entscheidet, wie leicht oder schwer es einer neuen Partei fällt sich zu etablieren. Mielke fasst diese folgendermaßen zusammen: legitimation: Möglichkeit zum Protest, eventuell damit verbundenen Repressionen der Obrigkeit. incorporation: Gleiche Voraussetzungen bei Wahlen wie bei etablierten Parteien. representation: Grundmaß an eigener Stärke muss erreicht sein, um in das Parlament einzuziehen. majority power: Überwindung von beispielsweise Mehrheitshürden, die durch das Wahlsystem vorgegeben sind (5 % Hürde in der BRD). Nach Lipset und Rokkan ist das Parteiensystem Mitte der 1960er Jahre betreffend der cleavages dem der 1920er nahezu identisch, die cleavages sind somit eingefroren. Somit stellt sich die Frage, ob dies auch gegenwärtig noch Gültigkeit besitzt, oder ob cleavages dazugekommen oder verschwunden sind. Mielke ist der Meinung, dass das cleavage-Modell einiger terminologischer Modifikationen bedarf, jedoch in seiner Gesamtstruktur noch Gültigkeit besitzt. Ronald Inglehart vertritt die These, dass mit dem Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen um 1980 und der beispielsweise damit verbundenen Entstehung der Grünen ein neues cleavage entstanden ist. Das cleavage Materialistisch vs. Postmaterialistisch bezeichnet den Konflikt zwischen den Bürgern, deren Hauptaugenmerk auf Sicherung oder Schaffung des Wohlstandes und sozialer Absicherung liegt und der Bürger, die ein gesellschaftliches Vorankommen losgelöst von materialistischem Denken fordern. Zu ihren Hauptanliegen zählen beispielsweise Umweltschutz und Gleichberechtigung. Die Materialisten bilden sich nach Inglehart hauptsächlich aus der Arbeiterklasse und der alten Mittelschicht, während es sich bei den Postmaterialisten großteils um gut ausgebildete Vertreter der neuen Mittelschicht handelt. In der Parteienforschung findet diese cleavage unter den eventuell neu einzuführenden cleavages die größte Zustimmung, ist jedoch bei weitem nicht unumstritten. Als Unterpunkt des cleavages von Inglehart kann der Konflikt, der in den 1980ern unter der Begrifflichkeit Ökonomie vs. Ökologie zusammengefasst wurde, verstanden werden. Durch das Aufkommen grüner Parteien in ganz Europa forderten nicht wenige, diesen Gegensatz als neue Konfliktlinie in die Parteienforschung aufzunehmen. Doch nach heutigem Verständnis stellen diese ehemaligen Gegensätze kaum mehr einen Konflikt dar. In der BRD werden Investitionen in erneuerbare Energien nicht nur aufgrund der zu erwartenden ökologischen Verbesserungen befürwortet, sondern als sinnvolle Investitionen in einen stetig wachsenden Wirtschaftszweig bezeichnet. Konnten Lipset und Rokkan also die Entstehung der cleavages über eine Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten beobachten, wird heute versucht in Zeitspannen von einem oder wenigen Jahrzehnten ein neues cleavage zu finden. Dies erscheint dem Autor fehlgeleitet. Hierzu empfiehlt sich eine differenzierte Bezeichnung, da es über wenige Jahre durchaus Konflikte geben kann, anhand derer sich die politischen Parteien ausrichten. Zunächst sollte man von einzelnen Konflikten ausgehen, die sich über eine längere Zeitspanne eventuell zu einer Konfliktlinie ausbauen können, jedoch nicht müssen. Die Institutionalisierung von Konfliktlinien ist auch immer von zukünftigen politischen Entwicklungen abhängig, die zum Zeitpunkt der Entstehung der einzelnen Konflikte nicht vorausgesehen werden können. Die neue Konfliktlinie, die Inglehart postuliert, erscheint jedoch durch die Ereignisse und das stete Aufkommen neuer sozialer Bewegungen in Europa, wie beispielsweise der Piratenpartei, wahrscheinlicher zu werden. Auch konnten sich die sozialen Bewegungen der 1980er vor allem in Deutschland im Parteiensystem etablieren und können mittlerweile sogar Regierungsbeteiligungen vorweisen. 5.3.2, Einführung eines neuen cleavages durch die Piratenpartei: Nachdem im vorangegangen Kapitel die cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan näher beleuchtet wurde, soll nun auf die Kernfrage dieses Unterpunktes eingegangen werden. Hierzu soll eingangs nach den vorangegangen Erläuterungen, aus denen hervorging, dass nach Auffassung des Autors die Einführung eins neuen cleavages durch die Piratenpartei alleine aufgrund der kurzen Existenz der vorangegangenen Bewegung und der daraus entstandenen Partei unmöglich sei, da ein cleavage vor allem durch ein langfristiges Festsetzen in den Sozialstrukturen eines Staates charakterisiert wird, festgehalten werden, dass die Piraten durchaus neue Konflikte in die politische Arena der BRD tragen und artikulieren können. Es kann davon ausgegangen werden, dass bestimmte soziale Anliegen vorhanden sein müssen, da die Partei aus einer vorangegangen Bewegung entstanden ist und innerhalb ihrer kurzen Existenz bereits in mehrere Landesparlamente einziehen konnte. Die Konflikte gehen aus den bereits behandelten Programmen, vor allem aus dem Grundsatzprogramm deutlich hervor. Nach Auffassung der Piratenpartei gibt es einen deutlichen Konflikt zwischen den politischen Akteuren, die sich den Herausforderungen der sogenannten Digitalen Revolution stellen und denen, die laut ihrer eigenen Ansicht nicht in der Lage sind, mit den neuen Mitteln eben jener Revolution umzugehen und sie somit dem Bürger zukommen zu lassen. Die Agenda beschränkt sich auf wenige Kernpunkte, die im Wesentlichen die Forderungen nach mehr Mitbestimmung innerparteilich und in der Demokratie generell stellen und darüber hinaus für mehr Transparenz in allen öffentlichen Bereichen eintreten. Das Internet und die damit verbundenen Möglichkeiten sollen dazu den wesentlichen Beitrag leisten. In ihrem Selbstverständnis sehen sich die Piraten hier als Katalysator der Entwicklungen, die die Digitale Revolution bereitstellen soll. Aus dem Parteiprogramm geht also hervor, dass es sich nach der Theorie von Inglehart klar um eine Partei auf der Seite des Postmaterialismus-cleavages handelt. Sollte sich dieses cleavage in der Parteiforschung in den kommenden Jahren weiter durchsetzen können, ist die Piratenpartei an diesem Punkt anzusiedeln.
Der Autor Stefan Schmidt wurde 1986 in Dinkelsbühl geboren. Im Rahmen seines Studiums der Politikwissenschaften beschäftigte er sich ausführlich mit verschiedenen Fragestellungen der Parteienforschung. Früh befasste er sich mit den Theorien von Herbert Kitschelt, auf deren Basis er die Untersuchung der Piratenpartei durchführte. Nach der Erlangung des akademischen Grades eines Diplompolitologen ist er heute als Referent im Politikbetrieb der Bundesrepublik tätig.
weitere Bücher zum Thema
Europäische Solidaritäten. Von Krisen, Grenzen und Alltag
ISBN: 978-3-96146-955-0
EUR 34,90
Nachhaltige Kulturpolitik – systemisch gedacht und systemisch gemacht. Konzepte für Kommunen und kommunale Akteure
ISBN: 978-3-96146-938-3
EUR 39,50
Zur Eignung der IPSAS als Grundlage der Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung in der Europäischen Union
ISBN: 978-3-96146-927-7
EUR 34,50
Destruktiver Wettbewerb in der Stationären Altenpflege und die Rolle der Freien Wohlfahrtspflege. Die kritische Betrachtung einer Krise ethischer Dimension
ISBN: 978-3-96146-906-2
EUR 34,50
Verwaltungsstrafen – ArbeitnehmerInnenschutz – Ethik – Wie geht das zusammen? Eine Studie im Bereich der Arbeitsinspektion in Österreich
ISBN: 978-3-96146-898-0
EUR 34,50
„Moin Timmy, alter Hinterbänkler“ – Die Systemtheorie Niklas Luhmanns als theoretischer und empirischer Bezugsrahmen für politische Partizipation in Social Media
Eine Untersuchung am Beispiel der Interaktionen zwischen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Bürgern auf Twitter