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Politik

Anke-Elisabeth Schoen

Die symbolische Ordnung zu Grabe tragen: Die Kommune I und ihre Flugblätter

ISBN: 978-3-8428-8225-6

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Kommune I ist die Mutter aller Wohngemeinschaften. In ihrem Buch geht die Autorin Anke-Elisabeth Schoen auf Spurensuche. Was zeichnete die erste Wohngemeinschaft aus? Und was wollten uns die Kommunarden eigentlich sagen? Im Gegensatz zum WG-Leben, das im studentischen Milieu schon bald seinen Siegeszug antrat, gelten die Flugblätter der Kommune I heute als fast vergessen. Dennoch lohnt sich der genaue Blick auf die studentischen Postulate, denn nicht selten streiften die linken Studenten mit ihren Aussagen den Rand der Legalität. Zwei von ihnen, nämlich Rainer Langhans und Fritz Teufel, wurde wegen Aufforderung zur Brandstiftung der Prozess gemacht. Was die Kommune I allerdings bei bloßer Symbolpolitik belässt, inspirierte später die RAF zu ihren Straftaten. Anke-Elisabeth Schoen zeigt diese Entwicklung in dem vorliegenden Buch auf.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.2, Flugblatt 7 – die werbende Variante: Das synchron verfasste Flugblatt 7 verfolgt allerdings eine andere Strategie als Flugblatt 6. Dennoch ist das Zweite ähnlich arrangiert und bezieht sich auch inhaltlich auf das Vorherige. Das Flugblatt stellte den Brüsseler Brand als US-amerikanische Werbemaßnahme dar, als Höhepunkt der im Kaufhaus L´Innovation veranstalteten amerikanischen Werbewoche, als verblüffende, neue Methode, auch den europäischen Konsumenten vom ‘American Way of Life zu überzeugen’. Im Stil eines Werbeslogans, die grafisch pointierte Reklameschrift, die schließlich ins Leere läuft, will den Rezipienten zur Teilnahme an der amerikanischen Werbewoche animieren: NEU! UNKONVENTIONELL! NEU! UNKONVENTIONELL! NEU! UNK. Aufgrund der Majuskeln soll ein maximaler Lektürekreis erreicht werden. Der Aufmacher ist effektheischend und verspricht Sensationelles. Der Neuigkeitswert impliziert größtmögliches Vergnügen. Eingeschoben wird die scheinbar harmlose rhetorische Frage Warum brennst Du Konsument?, um dann mit NEU! ATEMBERAUBEND! NEU! ATEMBERAUBEND! NEU! ATEMBER anzuschließen. Die rhetorische Frage ist semantisch inkorrekt, sie bricht den Stil, allerdings stört sie den Lesefluss keineswegs. Ganz im Gegenteil: Es wird suggeriert, dass es ein vollkommen natürlicher Zustand sei, als Konsument zu brennen. Sicherlich war diese Wirkungsabsicht intendiert, gerade da so das Konsumverhalten effektvoll persifliert werden kann. Der Adressatenkreis ist im Prinzip unspezifisch, allerdings richtet sich ein Reklamezettel speziell an die Hüterin von Heim und Haus – die Frau in der Rolle der Konsumentin. Vor dem Hintergrund, dass die Varianten – wie bereits festgestellt – vor der FU verteilt werden, dürften sie ein ausschließlich akademisches Publikum rezipiert haben. Folgt man dem AIDA-Modell, so wird aufgrund der Headline bereits die Aufmerksamkeit (attention) des Kunden gewonnen. Aufgrund der rhetorischen Frage, die sich der potenzielle Kunde stellen muss, wird das Interesse (interest) geweckt und der Rezipient so zum weiter lesen animiert. Allerdings wird zunächst nicht der Wunsch (desire) nach dem Produkt gestillt, denn um welche Attraktion es sich handelt, erfährt der Leser erst während der weiter führenden Lektüre. Hier wird die Werbestrategie bewusst gebrochen. Auch eine bewusste Aufforderung zur Handlung (action) bleibt aus. Der Konsument wird vielmehr zum Objekt stilisiert, welches auf seine Funktionsfähigkeit und seinen Mehrwert geprüft wird. Kritik an den USA und am Konsum sind immanent. Wenn die Kommunarden Stilelemente der Werbung für ihre Flugblätter ‘missbrauchen’, so agieren sie ganz im Sinne ihres Ziehvaters Herbert Marcuse, dessen Postulat besagt, dass die systematische Verdummung von Kindern wie von Erwachsenen durch Reklame und Propaganda evoziert werde. Stattdessen bezieht sich das Schreiberkollektiv auf einer Metaebene auf die Werbung selbst, in dem sie diese zum eigentlichen Handlungsgegenstand erklärt: Die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie wird bekanntlich nur noch vom Einfallsreichtum der amerikanischen Werbung übertroffen. Dieser Sachverhalt wird mit einer infamen Logik verknüpft, indem allerdings nur ein herausragendes Beispiel für die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Werbeindustrie benannt wird, nämlich Coca Cola. Der Konzern wird mit Hiroshima, das deutsche Wirtschaftswunder wird mit dem vietnamesischen Krieg, die Freie Universität und die Universität von Teheran in eine genealogische Linie gerückt. Damit werden die für die Schreiber wichtigen Themen besetzt. Mit Coca Cola benennen sie zugleich ein zentrales amerikanisches Produkt, welches im Nationalsozialismus beworben wurde. Die ‘braune Brause’ wurde vom führenden Nationalsozialisten Joseph Goebbels gerne getrunken, der sie dann schließlich auch werbetechnisch gekonnt zu vermarkten wusste. So prangte bei Großveranstaltungen der NSDAP ein Coca Cola Werbebanner über den Köpfen der Kameraden. Auch mit dem Verweis auf Hiroshima wird eine Verbindung zum Nationalsozialismus evident. Nicht umsonst skandierten die Protestler später die erst Ende 1967 populär gewordene Parole ‘USA – SA – SS’. Mit der Nennung des deutschen Wirtschaftswunders wird die Kritik am bedingungslosen Konsum und am Wohlstand der Industrienation deutlich, die sich nicht für den Krieg in Vietnam interessiert, weil der satte und gut genährte Bürger sich den Freuden des Kapitalismus hingeben mag. Intendiert ist hier die Aufforderung zur Konsumverweigerung, denn durch einen übermäßigen und überflüssigen Konsum würde der Citoyen entpolitisiert. Allerdings schwingt dabei auch der Subtext mit, dass sich die BRD als strategischer Bündnispartner der USA am Krieg in Vietnam mitschuldig macht, in dem sie von der deutsch-amerikanischen Freundschaft profitiert und still schweigend zusieht, was ‘der große Bruder’ so treibt. Mit der Universität Teheran thematisiert sie die Missstände in Persien, wendet sich allerdings auch gegen die Bildungsstätte als staatliche Institution als solches. Dennoch ist die Nennung insofern ironisch, als dass die Gründung der Freien Universität in Dahlem ein federführendes Projekt der Alliierten war und den aufkeimenden Ost-West Konflikt noch weiter verschärfte. Die Kommune I diskreditiert somit die Amerikaner aufs Schärfste. Das, was als vermeintlich neu, unkonventionell, atemberaubend angekündigt wurde, entpuppt sich im zweiten Moment als beißender Spott auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dabei setzt sie – eine gewagte These, allerdings in der Logik der Kommune I bahnbrechend – die Universität Teheran mit der Freien Universität in Berlin gleich. Für beide Universitäten existiere kein Recht auf demokratische Mitbestimmung, de facto fehlende Meinungs-, Rede- und Lernfreiheit. Um diese zu exponieren, kontrastieren die Gegensätze Mauer, Stacheldraht und Vorhang – alles Synonyme für den Mauerbau und der damit verbundenen deutschen Teilung – mit den Grundrechten eins american way of life – freedom and democracy. Damit demütigen sie die Amerikaner, inklusive ihres politischen Selbstverständnisses. Im Sinne der Werbung sind dies die Faktoren, die die Amerikaner auszeichnen und ‘zu einem unverwechselbaren Hersteller machen’. Analog nimmt das Schreiberkollektiv den roten Faden auch wieder auf und führt fort: Mit einem neuen gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden wurde jetzt in Brüssel eine amerikanische Woche eröffnet: ein ungewöhnliches Schauspiel bot sich am Montag den Einwohnern der belgischen Metropole: Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum ersten mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen. Rein von der syntaktischen Ausrichtung der Sequenz wird dem Leser der Eindruck suggeriert, dass es sich um ein wahrlich fantastisches Ereignis handele. Dies wird in erster Linie aufgrund der Schlagwörter wie ungewöhnliches Schauspiel, belgische Metropole, zum ersten Mal in der europäischen Geschichte, dabei zu sein, missen müssen evoziert. Es ist eine ganz subtile Form von Gewalt, wie hier die Kommunarden den Flammentod als ein knisterndes Gefühl nahe bringen wollen. Sie preisen diese Form als etwas Neues, Unkonventionelles und Atemberaubendes. Unterbewusst wird dem Rezipienten so offeriert, sich selbst zu opfern, um so dieses Gefühl erleben zu dürfen. Der Subtext suggeriert eine Verbindung zum Terrorismus. Selbstmordattentäter opfern ihr Leben für die Sache, um so auf die Missstände aufmerksam zu machen, die sie bekämpfen wollen. Es wäre keine militärische Interaktion – ganz im Gegenteil: Der Attentäter würde zum Märtyrer stilisiert, der sein Leben ganz in den Dienst der Sache gestellt hat. Die perfide Logik des Happenings ist allerdings, dass sich keineswegs ein linker Aktivist opfern solle, sondern dass der Konsument aufgrund seines Bedürfnisses zu konsumieren, ebenfalls den Amerikanern (amerikanische Werbemethoden, amerikanische Woche) zum Opfer fallen wird. Die möglichen Nachteile dieses Happenings werden vor der Logik des Markts analysiert. ‘Skeptiker mögen davor warnen, >König Kunde<, den Konsumenten, den in unserer Gesellschaft eindeutig Bevorzugtem und Umworbenen, einfach zu verbrennen.’ Diese Einschätzung ist nicht satirefrei. Denn König Kunde (Alliteration) ist in seiner Rolle als Konsument derart wichtig, dass die Wirtschaft dadurch Schaden nehmen könnte, denn Schwarzseher mögen schon unsere so überaus komplizierte und hoch entwickelte Wirtschaft in Gefahr sehen. Somit übt das Autorenkollektiv auch Kritik an der Wirtschaftspolitik der BRD. Auch menschliche Aspekte werden scheinbar in die Analyse integriert, so sehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mit empfinden, diese verblassen allerdings hinter den folgenden Argumenten: wir, die dem Neuen aufgeschlossen sind, können so lange das rechte Mass nicht überschritten wird, dem Kühnen und dem Unkonventionellen, das, bei aller menschlicher Tragik im Brüsseler Kaufhaus steckt, unsere Bewunderung nicht versagen. Die Aussage intendiert, dass der Logik des Autorenkollektivs folgend, das Neue, Kühne, Unkonventionelle einen höheren Stellenwert und die damit einhergehenden Werbemethoden eine größere Wertigkeit besitzen, als das Leben von Menschen. Diese Logik offenbart einen gewissen Zynismus, die Opfer der Brüsseler Brandkatastrophe werden regelrecht verhöhnt, sie sind gleichzeitig Betroffene eines makabren Scherzes. Allerdings wird ebenfalls König Kunde, der seiner Konsumsucht unterliegt, als ein solcher geoutet.

Über den Autor

Anke-Elisabeth Schoen wurde 1983 in Arnsberg geboren. Ihr Studium der Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum schloss die Autorin erfolgreich mit dem Master of Arts ab. Schon in ihrer Jugend faszinierte Anke-Elisabeth Schoen das Thema der 68er-Bewegung und der RAF. Deshalb lag es nahe, sich auch wissenschaftlich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.

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