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- Die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention bei militärischen Auslandseinsätzen: Die Dimensionen des Art. 1 EMRK
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In Zeiten globaler Bedrohungen werden Einsätze der deutschen Bundeswehr im Ausland immer zahlreicher. Die Handlungen deutscher Streitkräfte reichen dabei von bloßen Hilfsmaßnahmen bis hin zu Festnahmen oder auch Schussabgaben. Gerade bei militärischen Zwangsmaßnahmen ist daher die Frage nach der Geltung bestimmter Rechtsgrundlagen und Rechtsschutzmöglichkeiten essentiell, allerdings immer noch nicht eindeutig gesetzlich geregelt oder nicht vollständig rechtlich geklärt. Das vorliegende Werk befasst sich mit der Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bei militärischen Auslandseinsätzen und beleuchtet dazu die Voraussetzungen der Anwendbarkeit nach Art. 1 EMRK. Sollte die EMRK auf multinationale Einsätze der deutschen Bundeswehr Anwendung finden, so könnten sich die unter deutscher Hoheitsgewalt stehenden Betroffenen auf ein effektives Menschenrechtsschutzsystem berufen, das auch die Möglichkeit der Individualbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beinhaltet.
Textprobe: Kapitel C, Anwendbarkeit EMRK auf militärische Auslandseinsätze: Bevor allerdings die Anwendbarkeit der individualschützenden Normen der EMRK im Hinblick auf die Dimensionen von Art. 1 EMRK betrachtet werden können, stellt sich bei Auslandseinsätzen das Problem einer möglichen Kollision der Garantien der Konvention mit dem humanitären Völkerrecht. I, Verhältnis von humanitärem Völkerrecht und EMRK: Das Verhältnis des humanitären Völkerrechts und der EMRK muss daher zuerst geklärt werden. 1, Definition und Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts: Unter humanitärem Völkerrecht versteht man die Grundsätze und Bestimmungen über Mittel und Methoden der Kriegsführung und den humanitären Schutz der Zivilbevölkerung, kranker und verwundeter Soldaten und Kriegsgefangener während bewaffneter Konflikte. Die wichtigsten Regelungen finden sich in der Haager Landkriegsordnung von 1907, den vier Genfer Abkommen von 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten und den zwei Zusatzprotokollen von 1977. Das sogenannte ‘Genfer Recht’ stellt dabei das humanitäre Völkerrecht im engeren Sinne zum Schutz von Personen dar, das ‘Haager Recht’ das Kriegsführungsrecht. Die genannten Vorschriften finden vor allem Anwendung, wenn ein internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt, also ein Staat gegen einen anderen zurechenbar Waffengewalt einsetzt. Durch das zweite Zusatzprotokoll und den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Abkommen werden die Grundsätze auch auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte angewendet und damit Situationen erfasst, in denen in die Auseinandersetzung mindestens eine nichtstaatliche Konfliktpartei verwickelt ist. Dabei ist weiterhin zu beachten, dass die nichtstaatliche Partei effektive Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes ausüben sowie zur Anwendung des humanitären Völkerrechts fähig und gewillt sein muss. Nicht vom humanitären Völkerrecht erfasst ist der bloße interne Konflikt ohne den Einsatz von Waffengewalt. Sobald der Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts eröffnet ist, stellt sich also die Frage, ob daneben ein Menschenrechtsvertrag wie die EMRK anwendbar ist. a, Theorienstreit zur kumulativen Anwendbarkeit von EMRK und humanitärem Völkerrecht: Bezüglich der Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht und der EMRK sind die Vertreter der separatistischen Theorie der Auffassung, dass beide Rechtsgebiete miteinander unvereinbar sind und mit dem Eintritt des Kriegszustandes die Geltung der Menschenrechte suspendiert ist. Dafür wird angeführt, dass die jeweiligen Normen für unterschiedliche Situationen konzipiert sind: Menschenrechtsverträge sollen in Friedenszeiten das Verhältnis zwischen Staat und Individuum regeln, während das Kriegsrecht den Schutz der feindlichen Partei in Zeiten des Krieges regelt. Diese Theorie wird nicht mehr vertreten - es gibt zu viele Verbindungen zwischen beiden Rechtsgebieten, als dass der Auffassung einer strikten Trennung zugestimmt werden könnte. Genau diese Verweisungen berücksichtigen die beiden heute vertretenen Auffassungen, die im Folgenden dargestellt werden: Die integrationistische Theorie (Konvergenztheorie) geht von einer Verschmelzung beider Rechtsgebiete aus, wobei entweder das Völkerrecht oder die Menschenrechte als Oberbegriff gewählt und das jeweils andere Rechtsgebiet daraus abgeleitet wird. Die komplementaristische Theorie geht zwar von einer Verschiedenheit des humanitären Völkerrechts und der EMRK aus, leitet die kumulative Anwendbarkeit aber aus den Überlappungen der Normen ab. Nicht nur die Verweisungen der beiden Rechtsgebiete aufeinander, sondern auch die Derogationsregelung in Art. 15 EMRK zeigt, dass Menschenrechte grundsätzlich auch während bewaffneter Konflikte gelten und vielmehr für ihre Nichtanwendbarkeit ausdrücklich suspendiert werden müssen. Auch die Normen des humanitären Völkerrechts, Art. 72 des 1. Zusatzprotokolls (ZP) sowie die Präambel des 2. ZP zu den Genfer Abkommen, gehen von einer gleichzeitigen Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechtsverträgen aus. Es entspricht daher nahezu einhelliger Meinung, dass die EMRK auch bei internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten anzuwenden ist. Der EGMR selbst bestätigte diese methodische Auslegung in seinem Urteil Loizidou, in dem er die Geltung der Konvention in der Situation eines bewaffneten Konfliktes prüfte. b, Auflösung im Kollisionsfall: Folgt man dieser parallelen Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht und EMRK, so muss beim Vorliegen eines internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes die Frage geklärt werden, wie eine Kollision zwischen beiden Rechtsgebieten aufzulösen ist. Eine Ansicht möchte diese Kollision nach dem ‘Meistbegünstigungsprinzip’ lösen, wonach die Vorschrift gelten soll, die im Einzelfall den größten Schutz ermöglicht.4Dagegen spricht aber, dass die Anwendung der jeweils günstigsten Norm den Besonderheiten des bewaffneten Konflikts entgegenstehen könnte. Die andere Ansicht, die von zwei Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) aus den Jahren 1996 und 2004 sowie einigen Entscheidungen von Menschenrechtsgremien gestützt wird, geht davon aus, dass im Kriegsfall der Menschenrechtsschutz zwar nicht aufhört, im Kollisionsfall aber das humanitäre Völkerrecht lex specialis ist. Dieser Ansatz erweist sich als vorzugswürdig, wird doch hier dem Schutz der Menschenrechte Rechnung getragen, aber der besonderen Form des Kriegsfalles angepasst. c, Zwischenergebnis: Man kann also feststellen, dass die EMRK grundsätzlich neben dem humanitären Völkerrecht Anwendung findet, eventuell jedoch im Falle einer Kollision hinter dem Kriegsrecht zurücktritt. Ein menschenrechtlicher Mindeststandard sollte so in den meisten Fällen im Kriegs- oder Bürgerkriegsfall gewahrt bleiben. In der Staatenpraxis lässt sich allerdings feststellen, dass die Qualifizierung einer Situation als bewaffneter Konflikt vermieden wird. Vermutlich ist dies damit zu begründen, dass die Normen des humanitären Völkerrechtes den Einsatzkräften eine Vielzahl von Schutzpflichten auferlegen würden. Auch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr kommt es - solange die deutschen Truppen innerhalb ihres Mandats handeln - nicht zu einem Konfliktfall. Deutschland befindet sich nicht im Krieg: Selbst beim Einsatz in Afghanistan wird das Vorliegen eines international bewaffneten Konfliktes dadurch verneint, dass die Talibankämpfer nicht als staatlich handelnde Kräfte angesehen werden. Ferner sind die deutschen Kräfte keine Konfliktpartei, sondern erfüllen außerhalb der Auseinandersetzung ihr Mandat. Zudem legitimiert eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat den eigentlichen Verstoß gegen das Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 UNC. Eine Anwendbarkeit der EMRK bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr wäre also möglich - soweit die Voraussetzungen des Art. 1 EMRK erfüllt sind.
Susanne Bettendorf wurde 1987 in Seesen (Harz) geboren. Ihr Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Passau schloss sie 2011 mit dem Ersten Juristischen Staatsexamen ab. Durch die Wahl ihres Studienschwerpunktfaches sowie die Arbeit als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht, Prof. Dr. Robert Esser, befasste sich die Autorin intensiv mit dem Europäischen Strafrecht, insbesondere der EMRK. Diese Schwerpunktausrichtung führte zur Erstellung des vorliegenden Werkes.
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