Suche

» erweiterte Suche » Sitemap

Politik

Werner Martin

Deutschlands Griff nach Übersee: Otto von Bismarcks Kolonialpolitik

ISBN: 978-3-8428-9882-0

Die Lieferung erfolgt nach 5 bis 8 Werktagen.

EUR 44,99Kostenloser Versand innerhalb Deutschlands


» Bild vergrößern
» weitere Bücher zum Thema


» Buch empfehlen
» Buch bewerten
Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Abb.: 9
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Frage, warum Otto von Bismarck 1884 den entscheidenden Startschuss für die staatliche Übersee-Expansion Deutschlands gab, ist Gegenstand einer noch nicht beendeten Kontroverse und beschäftigt Historiker seit über 100 Jahren. Der Kanzler hatte das Reich nach dessen Gründung für saturiert erklärt und stets bekräftigt, wie wenig er von Kolonien hielt. Warum setzte er diese Grundüberzeugung - zumindest vorübergehend – außer Kraft? War seine beinahe schon pathologische Kolonialphobie einer neuen Kolonialphilie gewichen? Oder war die Kolonialpolitik für Otto von Bismarck - wie etwa seine viel gerühmte Sozialpolitik - einmal mehr nur ein Mittel zum Zweck der Festigung seiner Position und letztlich eine Machtfrage?

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1, Das Auswanderungsproblem und der Verlust nationaler Energie: Eine besondere Rolle bezüglich der Forderung nach deutschen Kolonien fiel der massenhaften Emigration Deutscher ins Ausland zu. Nach den großen Auswanderungswellen Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen den Jahren 1846 und 1857 sowie von 1864 bis 1873 stieg im Jahre 1880 die Zahl deutscher Emigranten wieder stark an. Im Vergleich zum Vorjahr betrug sie nun 38.000 Menschen mehr und kletterte auf über 113.000 deutsche Emigranten. Im Folgejahr 1882 verdoppelte sich diese Zahl beinahe auf 216.400 Auswanderer, um bis 1884 allmählich wieder den immer noch hohen Stand von 1880 zu erreichen. Die Gründe der dritten und stärksten deutschen Auswanderungswelle des 19. Jahrhunderts von 1880 bis 1893 waren im Gegensatz zu jener politischen Emigration, die infolge der gescheiterten 48er-Revolution eingesetzt hatte, dieses mal in allererster Linie sozialer und ökonomischer Natur. Denn vor allem das starke Bevölkerungswachstum – zwischen 1880 und 1900 stieg die Anzahl der Deutschen um 25 Prozent von rund 45 Millionen auf 56 Millionen Menschen - und die Phase verlangsamten Wirtschaftswachstums zwischen 1873 und 1896, was von den Zeitgenossen als ‘Große Depression’ wahrgenommen wurde, führten zu einer enormen Erhöhung der Arbeitslosenzahlen in Deutschland. Dies und die damit einhergehende Verarmung größerer Teile der deutschen Bevölkerung vergrößerten den Auswanderungsdruck immens. Das Hauptziel der deutschen Emigranten sind über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg die Vereinigten Staaten von Amerika gewesen, wohin bereits zwischen 1820 und 1870 knapp 3 Mio. Menschen auswanderten und allein infolge der dritten Auswanderungswelle innerhalb von nur 13 Jahren fast 1,8 Mio. Menschen strömten. Dieser Verlust ‘nationaler Energie’ vor allem an die kommende Konkurrenzmacht USA wurde seinerzeit von vielen Nationalisten häufig beklagt. So äußerte sich etwa Heinrich von Treitschke über die Behauptung einiger seiner Zeitgenossen, ‘die Auswanderung der Deutschen nach Amerika sei für uns ein Vortheil, so ist das eine Thorheit. Was hat Deutschland davon gehabt, daß Tausende seiner besten Söhne, die in der Heimat ihren Unterhalt nicht finden konnten, dem Vaterland den Rücken gekehrt haben? Sie sind ihm für immer verloren gegangen.’ Und weiter rechnete er vor: ‘Fast ein Drittel der nordamerikanischen Bevölkerung ist deutschen Ursprungs. Wie viele der köstlichsten Kräfte haben wir durch die Auswanderung eingebüßt und büßen wir noch täglich ein, ohne dafür auch nur den geringsten Ersatz zu bekommen. Arbeitskraft wie Capital der Auswanderer ist für uns verloren. Welche unermeßlichen finanziellen Vortheile würden diese Leute uns als Kolonialisten bieten.’ Tatsächlich wurden eingehende statistische Untersuchungen angestellt, die belegen sollten, welche Summen der Staat für die Auswanderer vor ihrer Emigration hatte aufbringen müssen und welch hoher Prozentsatz deutschen Volksvermögens und deutscher Volksenergien jährlich verloren ginge. Wie Treitschke gegen Ende des 19. Jahrhunderts forderte auch die Expansionsagitation der 1870er und 1880er Jahre Ackerbau-, Pflanzungs- oder Siedlungskolonien für das Reich, um das finanzielle und nationale ‘Kapital’ dort gezielt hinlenken zu können, damit es nicht Konkurrenznationen zugute komme. Der Leiter der rheinischen Missionsgesellschaft und einer der führenden deutschen Kolonialpropagandisten Friedrich Fabri fragte 1879 rhetorisch, ob Deutschland wirklich in der Lage sei, diesen ‘fortwährenden, für das Mutterland völlig unproduktiven Kräfte-Abfluß ruhig gewähren zu lassen’ und bekräftigte daher, dass ‘Ackerbau-Colonien dem neuen Deutschen Reich dringend noth seien.’ In erster Linie schienen sich zu diesem Zweck Gebiete in Südamerika und im Nahen oder Mittleren Osten anzubieten, aber auch Afrika wurde für die Kolonialpropaganda zunehmend interessanter. Die Auswanderung als Argument für den Erwerb von Kolonien hat besonders in den 1880er Jahren in der zeitgenössischen Kolonialdiskussion eine Rolle gespielt. So meint Horst Gründer aufbauend auf den Erkenntnissen von Klaus J. Bade und Peter Hampe, die in ihren Werken besonders den mittelständischen Expansionismus einschließlich dessen der Landbevölkerung betonen, dass das Auswanderungsargument in den 1880er Jahren vor allen anderen Motiven für den Kolonialerwerb an erster Stelle gestanden hat. Dies sei sowohl bei den ‘Vätern der Kolonialpropaganda’ wie Wilhelm Hübbe-Schleiden, Ernst von Weber und Friedrich Fabri als auch bei den expansionsfreudigen Interessenverbänden wie dem ‘Westdeutschen Verein für Kolonisation und Export’ oder dem ‘Deutschen Kolonialverein’ so gewesen. So stößt man in der Fachliteratur immer wieder auf Aussagen aus den verschiedensten Richtungen über die Notwendigkeit deutscher Kolonien für die Emigration, wie auf die eindeutigen Stellungnahmen der oben zitierten Kolonialenthusiasten Heinrich von Treitschke und Friedrich Fabri. Viele bedeutende Vertreter dieser Kolonialbewegung wie letztgenannter Fabri, der als Vertrauensmann Bismarcks in kolonialen Fragen galt und eine Berater- und Vermittlerfunktion zwischen Reichsregierung, kommerziellen Interessen und Missionsgesellschaften ausfüllte, hatten direkten Zugang zum Reichskanzler. Aus diesem Grund liegt die Vermutung nahe, dass diese einflussreichen Kolonial-Lobbyisten häufig versucht haben könnten, ihn mittels einer ausgeklügelten Auswanderungsargumentation von einem Erwerb überseeischer Kolonien zu überzeugen. Offensichtlich stießen sie bei Bismarck dabei jedoch auf taube Ohren. In keiner einzigen von Bismarcks oder denen eines seiner Vertrauten bekannten Aussagen gibt es einen Hinweis darauf, dass der Kanzler Kolonien zum Zwecke einer gezielten Kanalisierung deutscher Auswanderungsströme wollte. Vielmehr äußerte sich Bismarck wie am 26. Juni 1884 vor dem Reichstag unzweideutig gegen derartige Siedlungskolonien ‘nach dem System, wie es die meisten im vorigen Jahrhundert waren, was man jetzt das französische System nennen könnte, gegen Kolonien, die als Unterlage ein Stück Land schaffen und dann Auswanderung herbeizuziehen suchen.’ Bismarck war felsenfest davon überzeugt, dass man ‘Kolonialprojekte nicht künstlich schaffen’ könne. Einer Massenansiedlung deutscher Auswanderungswilliger in überseeische Kolonien standen außerdem die ungünstigen klimatischen Verhältnisse in den Tropen- und Wüstenkolonien ebenso entgegen wie der Mangel an ausreichendem Startkapital. Ferner hatte man starke Vorbehalte gegenüber der Sozialstruktur in den Kolonien. Zum einen war wohl der breite europäische Gesellschaftsschichten durchdringende Rassismus ursächlich für die Abneigung, mit ‘Negern’ und ‘Hottentotten’ zusammenleben zu müssen. So wurde die Auswanderung ins ‘weiße’ Nordamerika bevorzugt, wo sich zudem viele Deutsche bereits niedergelassen hatten und manche von ihren dortigen Erfolgen nach Hause berichten konnten. Und zum anderen galt die Meinung des Vaters des Kolonialbeamten und Gouverneurs von Deutsch-Neuguinea Heinrich Albert Schnee für die Menschen im Kaiserreich als repräsentativ, dass die Kolonien als ‘Betätigungsfeld für verkrachte Existenzen oder für solche seien, die irgendetwas in der Heimat gesündigt hatten.’ Von der geringen Attraktivität vor allem der afrikanischen Kolonien zeugen weiterhin folgende Kennzahlen: In einem Kolonialgebiet von etwa 2,5 Millionen km², was ungefähr der fünffachen Fläche des Deutschen Reiches entsprach, lebten im Jahre 1904 gerade einmal 5.495 Deutsche oder deutschstämmige Menschen, von denen sich die Hälfte in Deutsch-Südwestafrika ansiedelte. Während im Zuge der dritten Auswanderungswelle zwischen 1880 und 1893 wie gesagt über 90 Prozent (1,8 Mio.) aller deutschen Auswanderer in die USA gingen, wanderten zwischen 1884 und 1914 weniger als 24.0000 Deutsche in die Kolonien aus. Es lag also auf der Hand, dass angesichts dieser Zahlen die deutschen Kolonien niemals zu einer neuen Heimat für das ‘Volk ohne Raum’ hätten werden können. Noch weniger rechtfertigten diese Zahlen aber die Behauptung nationalistischer Kreise, die Deutschen als Nation ‘hätten sich nunmehr weltweit festgesetzt und könnten daher den Anspruch erheben, eine Weltmacht zu sein’, wie der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker zu Recht feststellt. Sicher ist dies eine ‘Ex-Post-Argumentation’ zur Widerlegung des Auswanderungsmotivs. Doch die klimatischen Verhältnisse, die rassistischen Vorbehalte gegenüber der indigenen Bevölkerung, die kulturelle und vor allem die ökonomische Attraktivität der Vereinigten Staaten sowie die negative Erfahrung anderer Kolonialmächte mit ihren Siedlungskolonien waren dem Kanzler wohl hinlänglich bekannt. Aus diesen Gründen war er sich über die Unmöglichkeit im Klaren, eine Kolonisation deutscher überseeischer Gebiete wegen ihrer mangelnden Attraktivität (‘Sumpfkolonien’) künstlich zu erzwingen. Ein mögliches Motiv Bismarcks für den Erwerb kolonialer Besitzungen für das Deutsche Reich mit dem Ziel, die deutschen Emigrationsströme aufzufangen, ist also äußerst unwahrscheinlich.

Über den Autor

Werner Martin wurde 1977 in Marktoberdorf/Allgäu geboren. Das Studium der Neueren Geschichte, Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Tübingen, Venezuela und Berlin schloss er im Jahre 2006 mit dem akademischen Grad des Magister Artium ab. Heute ist der Autor Leiter eines Schlosses der bayerisch-schwäbischen Hochschulen in der Nähe von Ulm. Dort beschäftigt er sich neben der Geschäftsführung und der wissenschaftlicher Koordination u.a. mit der überseeischen Handelsgeschichte der Welser und der Vöhlin.

weitere Bücher zum Thema

„Moin Timmy, alter Hinterbänkler“ – Die Systemtheorie Niklas Luhmanns als theoretischer und empirischer Bezugsrahmen für politische Partizipation in Social Media

Eine Untersuchung am Beispiel der Interaktionen zwischen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Bürgern auf Twitter

ISBN: 978-3-95935-574-2
EUR 49,50


Bewerten und kommentieren

Bitte füllen Sie alle mit * gekennzeichenten Felder aus.