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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2022
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Abb.: 18
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Ausgangspunkt der Untersuchung in diesem Buch ist der seit den 1990er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzte Umbruchprozess der gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Finanzierung von Pflegeleistungen (Umstellung auf die Soziale Pflegeversicherung SGB XI) und die sich dabei zeitgleich veränderte Rolle der Freien Wohlfahrtspflege im Sozialsektor. Im Ergebnis wird mit Bezug auf die spezifische Entstehungsgeschichte der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland, die veränderten Beziehungen im Sozialrechtssystem zwischen Staat und Wohlfahrtspflege nachgewiesen und die aktuelle Umbruchsituation innerhalb der Wohlfahrtspflege aus dem historischen Kontext heraus bewertet. So wird der fortschreitende Legitimations- und Funktionsverlust dieser maßgeblichen gesellschaftlichen Institution mit der Kombinationsfähigkeit aus Fachkompetenz und sozialer Mitverantwortung deutlich. Erst durch den Verlust der Mitentscheidungshoheit im konkreten Bereich der stationären Altenpflege, war die Entfaltung und Unumkehrbarkeit eines (Schein)-Wettbewerbs um neu entstandene kommodifizierte soziale Dienstleistungen ermöglicht worden. Die Zielstellung in dem Buch besteht darin, am Beispiel der stationären Altenpflege, die nach dem Systemwechsel zur Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) eingetretenen und aktuell anhaltenden krisenhaften Erscheinungen anhand der sozialrechtlichen Systematik zu untersuchen und mittels der gesetzlichen Bestimmungen und der angepassten Rechtsprechung, die zum Teil widersprüchlichen Interpretationen gegenüber zu stellen und dabei auf die relevanten Ursachen für die krisenhafte Situation vorzudringen, die dem komplexen System innewohnen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.4 Die Multifunktionalität und Hybridität der Wohlfahrtsverbände und ihrer angeschlossenen Organisationen: In den beiden vorangestellten Abschnitten 2.2 und 2.3 wurden die veränderten Rahmenbedingungen mit der Herausbildung wettbewerbsspezifischer Leistungen in einem regulierten neokorporatistischen System und vereinheitlichten Wettbewerbssystem jenseits ehemaliger korporatistischer Engagements beschrieben. Nun sollen dazu ergänzend die Abwandlungen und Veränderungen innerhalb der Freien Wohlfahrtspflege erörtert werden, wie sie sich mit der Hybridisierung gegenwärtig neu herausbilden und etablieren. Wie Heinze anmerkt, weisen die Dachverbände der Freien Wohlfahrtspflege Merkmale von Non-Profit- bzw. Dritte Sektor-Organisationen (DSO’s) auf. Unter Dritter Sektor versteht Schulz-Nieswandt einen Sektor (3) der multisektoralen Wohlfahrtsproduktion, intermediär (dazwischen liegend) angesiedelt, zwischen den Sektoren Staat(1), Markt(2) und Familie(4).[...] Alle 4 Sektoren sind über soziale Tauschprozesse charakterisiert. Heinze merkt an Die Dachverbände der freien Wohlfahrtsverbände entsprechen den Merkmalen von Non-Profit- bzw. Dritte Sektor-Organisationen, allerdings nicht alle den Dachverbänden angeschlossenen Organisationen. So zeigen die operativen Einheiten bzw. Unternehmen unterhalb der Dachverbandsebene eine interne Organisations- und Finanzierungsstruktur auf, die denen privatwirtschaftlicher Unternehmen in Form von gemeinnützigen GmbHs oder normaler GmbHs entsprechen, deren erwirtschaftete Gewinne allerdings den Dachorganisationen i.d.R. zurückfließen. So bewegt sich steuerrechtlich nur ein Teil dieser Organisationen innerhalb des gemeinnützigen Rahmens. Auch stellt Jüster fest, dass die Wohlfahrtsverbände keineswegs homogene oder gar monolitische Systeme sind, in welchen nur eine Denkrichtung besteht. Sie sind vielfältig, manchmal chaotisch, oft wenig rational handelnd und am ehesten anhand ihrer Historien in ihrem Tun erklärbar. In ihnen arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen, welche sich in Teilen in hohem Maße sozial engagieren und bewusst altruistisch handeln. Festzuhalten ist, dass die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege als organische Zusammenschlüsse von Einrichtungen zur Erbringung sozialer Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verstanden werden. Das Leistungsspektrum umfasst damit vielfältige soziale und gesundheitsbezogene Unterstützungsangebote für Menschen in allen Lebensphasen - von Kindern und Jugendlichen bis zu älteren Menschen und in verschiedenen sozialen Situationen, wie z.B. die Altenhilfe, die Kinderbetreuung, die Schuldnerberatung oder Angebote für Suchtkranke. Die Zweckorientierung der Freien Wohlfahrtspflege geht jedoch über die gewinnorientierten Ziele professioneller Dienstleistungserbringer hinaus. Als Multi-Purpose (engl. Vielzweck) - Organisationen bzw. multifunktionale Organisationen erbringen sie nicht nur vielfältige soziale und gesundheitsbezogene Dienstleistungen, sondern vertreten auch die Interessen sozial benachteiligter Gruppen in politischen Kontexten und fördern demokratische Prinzipien. Auf Grund ihres Gemeinwohl orientierten Handelns mobilisieren und koordinieren sie ehrenamtliches Engagement. Sie sind nicht nur relevante sozialpolitische Akteure auf Bundesebene, sondern auch zentrale Koproduzenten von Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge in lokalen Wohlfahrtsarrangements. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auf die Rolle der Wohlfahrtsverbände bei der Flüchtlingshilfe 2015 verwiesen. Anhand der Flüchtlingskrise 2015 belegt Weiss die multifunktionale Sonderstellung der Freien Wohlfahrtspflege in der Gegenwart. 2015 kamen fast 1 Million Menschen nach Deutschland, um hier Asyl zu beantragen. Bereits im Winter 2014/2015 erreichte die Zahl der Antragstellenden einen Höchststand, der für das Bundesamt für Migration und Flüchtlingshilfe nicht mehr zu bewältigen war. Der Bearbeitungsstau beim Bundesamt führte dazu, dass nicht nur Tausende von Asylantragstellern in Deutschland verblieben, sondern auch weitere Tausende von Flüchtlingen in einem ungeklärten Rechtsstatus, die nach der Aufgabenverteilung der Fluchtaufnahme in Deutschland zunächst von den Ländern und anschließend von den Kommunen untergebracht, verpflegt und betreut werden mussten [...]. In dieser Zeit suchten Länder und Kommunen schnelle und flexible Lösungen, um die Grundversorgung sicher zu stellen und Obdachlosigkeit zu vermeiden. Dabei kamen die Verbände der Freien Wohlfahrt als Partner in Betracht. Entscheidend war die Schnelligkeit, mit der Unterkünfte geschaffen wurden. So war vor allem das Deutsche Rote Kreuz (DRK) durch seine Funktion als Katastrophenschutzorganisation ein entscheidender Partner. Es war in der Lage, innerhalb weniger Stunden eine Vielzahl an ehrenamtlichen Helfern zu organisieren. Der Vorteil bestand darin ehrenamtliche Helfer aufbieten zu können, die in fast allen Bereichen Lücken schließen konnten. So in der Essenausgabe, der Kleiderkammer, beim Deutschunterricht oder bei der Kinderbetreuung. Auch soll nur beispielhaft auf die Aufnahme Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtlinge (UMF) sowie auf die Beratung und soziale Betreuung durch die Migrationsberatungsstellen für Erwachsene (MBE‘s) mit den entsprechenden Integrationsangeboten sowie die Aufnahme und Überleitung in die Regeldienste der sozialen Betreuung wie KITA und Schule hingewiesen werden. Gleichermaßen ließe sich die Multifunktionalität der Wohlfahrtsverbände und deren Untergliederungen, anhand der Rolle und vielgestaltigen Aufgabenwahrnehmung, insbesondere auch durch den Einsatz ehrenamtlicher Helfer bei den Flutkatastrophen 2013 und 2021 oder der Pandemie seit 2020 in Deutschland fortsetzen. Breiter Konsens besteht darüber, dass sich die Alleinstellungsmerkmale der Freien Wohlfahrtspflege gegenüber anderen sozialwirtschaftlichen Anbietern durch die Hybridität von Wohlfahrtsverbänden, d.h. die Ermöglichung von Schnittstellen und das gemeinwohlorientierte Handeln, zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft auszeichnen. Heinze verweist auf die Dynamik der sozialen Dienste bei wachsender Hybridisierung. Real haben sich im Feld der sozialen Dienste eine Pluralisierung der Trägerlandschaft und eine Binnendifferenzierung der Wohlfahrtspflege etabliert. Die neuen Verschränkungen von sozialstaatlichen, marktbezogenen und bürgerschaftlichen Elementen in sozialen Einrichtungen und Diensten, werden nicht umsonst als hybride Organisationsformen bezeichnet. [...] Das Leitbild könnte heißen: vom versäulten Korporatismus zum vernetzten Wohlfahrtsmix. In diesem Zusammenhang soll näher auf die Hybridisierung als eine spezielle Herausforderung der Wohlfahrtsverbände eingegangen werden. Die über die Typisierung intersektoraler und funktionaler Angebote und Neugründungen hinausgehende Betrachtung soll zeigen, warum Hybridisierung eine Verlustgeschichte und zugleich eine Bereicherung der gesellschaftlichen Ressourcen darstellt. Festzustellen ist, dass in dem Maße, wie intersektorale Hybridität zugenommen hat, die funktionale Hybridität, die Evers in diesem Zusammenhang in der Multifunktionalität sieht, die speziell DSO‘s auszeichnet, vielfach geschwächt oder verloren gegangen ist. Das gilt in Deutschland in erheblichem Maße für viele der Organisationen, die in den Wohlfahrtsverbänden zusammengeschlossen sind. Zu nennen wären: die gewachseneinter-organisatorische und intersektorale Arbeitsteilung und Spezialisierung, bei der Interessenvertretung an Verbände ausgelagert wird und umgekehrt, Organisationen mit Diensten zu Dienstleistern schrumpfen, die für politische und kulturelle Selbstvergewisserung von Mitgliedern und Engagierten kaum mehr Raum bieten. [...] Positiv soll aber auch genannt werden, dass es gegenwärtig eine große Vitalität von Bewegungen gibt, bei denen die Herausbildung identitätsstützender kultureller Orientierungen und Lebensstile, eine Vielfalt von Beteiligungs- und Engagementformen, das Experimentieren mit den entsprechenden sozialwirtschaftlichen Angeboten und die Entwicklung von neuartigen Formen der Anwaltschaft, Kampagnen und medialer Vermittlung miteinander verwoben sind (z.B. urbane Mobilität, andere Wohn- und Lebensformen, Genossenschaftsmodelle). Im Hinblick auf intersektorale Hybridisierung soll hier auf den informellen Bereich verwiesen werden der soziale Netzwerke, Nachbarschaften, communities und Familien umfasst. Im Unterschied zur Vergangenheit, in der sehr oft die strikte Abgrenzung formalisierter professioneller Verfahren von informeller Hilfen im Vordergrund stand (wie etwa beim Entweder/Oder von professionalisierter stationärer Altenhilfe und informeller familiärer Selbsthilfe) sind Mischformen getreten, niedrigschwellige und auf die einzelne Person zugeschnittene Interventionen und Angebote, bei denen Koproduktion ganz verschiedene Bedeutung annehmen kann. (Ewert/Evers 2012) Eine andere Blickrichtung herrscht bei Untersuchungen und Konzepten vor, die Hybridität und Hybridisierung als strategisches Konzept nicht zuerst als Öffnung zur Logik des Marktes, sondern in einem umfassenden Sinne als Öffnung hin zum Sozialraum und den dort vermuteten Ressourcen an Sozialkapital definieren. Positiv gewertet wird, dass es bei der Diskussion um mehr geht, als beispielhafte innovative Dienstleistungsangebote. Es geht um die Fähigkeit der jeweiligen Träger und Organisationen, selbst den eigenen Anliegen öffentlichkeitswirksam Stimme und Gewicht zu geben und das nicht einfach der institutionalisierten Politik zu überlassen. Dennoch zeigt sich bei der folgenden Analyse der Hauptprobleme innerhalb der stationären Altenpflegeversorgung, dass die krisenhaften Erscheinungen durch die gegenwärtig stattfindene Hybridisierungswelle allein nicht beseitigt werden können, da die Hauptursachen für die zunehmenden Probleme in der Vergangenheit nicht anerkannt und noch nicht unterbunden wurden, wie nachfolgend zu beweisen ist. Somit kann Hybridisierung in der Sozialwirtschaft im Kontext gegenwärtiger sozialrechtlicher Rahmenbedingungen zunächst nur dazu beitragen, durch informelle Hilfen - als eine Komponente - sekundäre Akutprobleme abzumildern. Das bedeutet keine Herabwürdigung, sondern eher dringende Notwendigkeit, wie aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen im Kapitel 3 zeigen werden.

Über den Autor

Thomas Legde wurde 1961 geboren. Nach erfolgreichem Universitätsabschluss 1992 und Ausbildung zum Steuerfachwirt an der Steuerberaterkammer Sachsen-Anhalt, verfügt er über weitreichende praxisnahe Erfahrungen in der Steuer- und Unternehmensberatung und schloss 2022 an der Hochschule Magdeburg-Stendal den Studiengang Health Business Administration erfolgreich ab. Nach 15- jähriger kaufmännischer Leitung eines gemeinnützigen Kreisverbandes, u.a. mit 4 stationären Altenpflegeeinrichtungen in Sachsen-Anhalt und langjähriger Vorstandstätigkeit, widmet er sich in besonderem Maße neuen innovativen und sozialraumorientierten Angeboten und den digitalen Herausforderungen im Seniorenbereich. Er war maßgeblich an der Projektentwicklung und Umsetzung eines quartiersbezogenen Senioren- und Betreuungszentrums in Stendal beteiligt.

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