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Politik
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Mehr Demokratie! Mehr Mitbestimmung! Mehr Selbstverantwortung! Heute gibt es kaum einen Bereich, in dem solche Forderungen nicht gestellt werden. Seien es die Arbeiter in Betrieben, die Beamten oder die Angestellten des öffentlichen Dienstes, die Studenten an den Universitäten und Hochschulen oder gar die Bundeswehr und die Kirchen, zwei Institutionen, bei denen lange Zeit überhaupt nicht an Demokratisierung zu denken war, überall dort wird mittlerweile verstärkt demokratische Mitbestimmung und aktive Teilhabe gefordert, teilweise auch schon praktiziert. Daher war es nur eine logische Folge, dass sich diese Entwicklung auch in einer der wichtigsten Institutionen unserer Gesellschaft zeigen musste: in der Schule. In den meisten Verfassungen der Bundesländer ist den Schulen neben der Vermittlung von Bildung und fachlichem Wissen vorgeschrieben, die Schüler im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit zu erziehen und sie zu politisch bewussten und mündigen Staatsbürgern heranzubilden. Mehr und mehr setzt sich aber die Erkenntnis durch, dass unsere Schulen in ihren bislang eher autoritären Ausgestaltungen wohl kaum geeignet sind, derartige Ziele zu verwirklichen. Die Erziehung der Kinder und Jugendlichen kann nicht in einem System stattfinden, das nach dem Über- und Unterordnungsverhältnis aufgebaut ist. Denn dann kann man nicht erwarten, einen in demokratischen Denkweisen geschulten Staatsbürger vor sich zu haben, der zudem noch von der Idee der Demokratie überzeugt ist und diese auch lebt. Daher gilt es, die Grundlagen der Demokratie nicht nur theoretisch im Unterricht zu vermitteln, sondern dem Lernenden diese Idee praktisch, nämlich in der Schule, nahe zu bringen. Aber ist die Schule dazu in der Lage? Lässt die Institution Schule Demokratie zu? Inwieweit ist die Institution Schule an sich demokratisch organisiert? Welche Möglichkeit der Mitgestaltung, der Partizipation haben Schüler? Wie kann Demokratielernen in der Schule aussehen? Ziel dieser Untersuchung ist es, Antworten auf diese Fragen zu suchen und sowohl theoretische Grundlagen als auch Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung der anfänglich formulierten Forderungen aufzuzeigen.
Textprobe: Kapitel III, Ideengeschichtliche Entwicklung und theoretische Modelle der Demokratieerziehung sowie deren praktische Umsetzung: 1, Ideengeschichte und theoretische Modelle: 1.1, Die reformpädagogische Bewegung: Erste Ideen zur schulischen Demokratieerziehung und vielerlei Reformbestrebungen, die sich gegen beklagenswerte pädagogische Zustände wandten, gab es Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese Ansätze zur Reform von Schule, Unterricht und Erziehung fasst man unter der Bezeichnung ‘Reformpädagogik’ zusammen. Schon damals übte man vor allem Kritik an den autoritären Strukturen staatlicher Schulen als ‘Lernfabrik’, an der Überbewertung kognitiver Lernprozesse und verfrühtem Intellektualismus, an der Lebensfremdheit der Schule, an der mangelnden Selbsttätigkeit der Schüler und forderte Lernen aus praktischer und sozialer Anschauung. Weitere Forderungen waren die Überwindung der Fächergrenzen und die Abschaffung des 45-Minuten-Stundenplans, eine lebensnahe Schule, die Selbstbestimmung der Schüler, Einbeziehung der Eltern in die Schularbeit, Arbeiten mit Kleingruppen, Chancengleichheit und vieles mehr. Das damalige Interesse beschränkte sich aber weitestgehend auf Ideen, Konzepte und Modelle der Reformpädagogik. Diese Bausteine und Modelle der Reformpädagogik (z.B. Arbeitsschulbewegung, Freinetpädagogik, Jenaplan, Landerziehungsheime, Montessorischulen, Waldorfpädagogik) fanden nicht flächendeckend Eingang in die damalige Erziehungswirklichkeit. Seit einigen Jahren nimmt man aber verstärkt die positiven Impulse dieser reformpädagogischen Ideen wahr, die z.B. durch die ‘zunehmende Zahl von Schulversuchen und Versuchsschulen und durch den verstärkten Eingang der Reformpädagogik auch in >Normalschulen< deutlich wurden.’ Ebenso werden laut Keck und Sandfuchs in aktuellen Schulreformbestrebungen Parallelen zur Reformpädagogik wahrgenommen. Viele der als neu deklarierten Lösungsbeiträge, unter anderem auch die Idee des Klassenrates, sind aber oft nicht so neu, sondern mehr oder weniger auf heutige Gesellschaftsverhältnisse angepasste Fortführungen von Elementen der Reformpädagogik. Viele reformpädagogische Prinzipien stehen in engem Zusammenhang mit konstruktivistischem Denken. Klein und Oettinger sprechen dies betreffend von einer gemeinsamen Schnittmenge zwischen Konstruktivismus und Reformpädagogik. Wie sie zu dieser Aussage kommen, wird im folgenden Kapitel deutlich, in dem viele Forderungen der Reformpädagogik - diesmal aber im Kontext der konstruktivistischen Pädagogik - wieder zu finden sind. 1.2, Die konstruktivistische Pädagogik: Der Konstruktivismus ist eine geistige und kulturelle Strömung des beginnenden 20. Jahrhunderts und bezeichnet u.a. Stilrichtungen der Malerei, der Literatur, der Architektur und verschiedene erkenntnistheoretische Ideen der Philosophie. Auch in der Lernpsychologie und in der didaktischen Methodikdiskussion fand der Konstruktivismus Eingang. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass die Wirklichkeit von ihren Beobachtern, also auch von Lernenden und Lehrenden, konstruiert wird. Wahrnehmung und Lernen sind nur durch Rekonstruktion, Konstruktion und Dekonstruktion möglich. Damit ist ein Erfinden, Entdecken und Enttarnen der Wirklichkeit gemeint. Auf diesen drei übergreifenden Prinzipien basieren konstruktivistische Lehrmethoden. Sie sollen helfen, das Lernen durch eigene Erfahrungen, Experimentieren und Ausprobieren, durch das Entdecken und durch die kritische Überprüfung der Wirklichkeit möglichst wirksam und handlungsorientiert zu gestalten. In der Schule sollte den Schülern daher die Möglichkeit gegeben werden, möglichst viel zu rekonstruieren, zu konstruieren und zu dekonstruieren. Unter Konstruieren versteht Kersten Reich ‘Machen, Produzieren, Kreieren, Komponieren und andere Herstellungsformen, die auch Intentionen, Bedeutung, Sinn, Gefühle und Begehren einschließen.’ Gleichzeitig sollen aber ‘keine Konstruktionen ohne ‘Ver-störungen’ stattfinden. Hiermit ist eine Kritikfähigkeit gegenüber eigenen und fremden Konstruktionen gemeint, man kann auch von Dekonstruktion sprechen. Dieses Zusammenspiel von Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion ist am ergiebigsten, wenn jede einzelne Person von Selbsttätigkeit, Selbstbestimmung und Autonomie ausgeht und sich die Umwelt eigenständig erschließen kann. Dies kann aber nur in einem Umfeld geschehen, in dem das Selbstwertgefühl des Einzelnen durch Annahme und positive Hervorhebung individueller Eigenheiten und Fähigkeiten gestärkt wird. Aus diesen Denkansätzen kann man Schlüsse für das Lernen von Demokratie in der Schule ziehen. Denn dort kann durch konstruktivistische Lernmethoden Demokratie im Kleinen gelernt werden, indem demokratische Beteiligung kontinuierlich ausgeübt wird und demokratische Partizipation selbst erfahren und gelernt wird. Demokratie ist nicht theoretisch vermittelbar, sondern wird ‘konstruiert’, also praktisch ausprobiert, für sich selbst entdeckt und nur durch die eigene Erfahrung mit demokratischen Prozessen und durch demokratischen Umgang untereinander erlernt. ‘Je weniger Heranwachsende lernen, wie wesentlich es ist, sich selbst auch in kleinsten Prozessen bestimmen zu können, desto weniger können wir erwarten, daß in einer Kultur Bereitschaften entwickelt werden, sich gezielt für soziale Aufgaben einzusetzen. Solchen Sinn erlernt man nicht durch Abstraktion, indem man Merkmale demokratischer Gesellschaften reproduzierend aufzählt, sondern nur durch aktive Gestaltung einer demokratischen Verständigung in jenen Bereichen, die man überschaut.’ Weiterhin schreibt Reich: ‘Demokratie als großer, abstrakter Prozeß, der nicht durchschaut wird, fängt im kleinen an. Je weniger Beteiligung der Schüler oder Teilnehmer an pädagogischen Prozessen zugelassen wird, desto stärker ist die Folgewirkung einer demokratischen Skepsis, die ohnehin bezweifelt, ob es gerecht, gleich und mit notwendigem Schutz für Schwache in unserer Gesellschaft zugeht. So entstehen auch politische Illusionen über eine Demokratie, die bloßes Idealbild bleibt, weil man nie gelernt hat, sich den Schwierigkeiten demokratischer Prozesse zu stellen, indem man seine Interessen mit anderen und gegen andere vertritt.’ Jemand, der in seiner Vorstellung von Erziehung und Demokratie auf Gedanken der konstruktivistischen Pädagogik zurückgriff, war der amerikanische Reformpädagoge John Dewey.
Christoph Hippeli wurde 1979 geboren. Sein Studium des Lehramts an Hauptschulen an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität schloss er im Jahr 2006 mit dem Ersten Staatsexamen ab. Danach folgte der zweijährige Vorbereitungsdienst an einer Hauptschule im Raum Aschaffenburg. Diesen beendete er erfolgreich mit dem Zweiten Staatsexamen im Jahr 2008. Seitdem arbeitet Christoph Hippeli als Lehrer an einer Mittelschule in München.