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- Das chinesische Sozialkreditsystem. Künstliche Intelligenz als Umerziehungswerkzeug für ein überwachtes Volk
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2021
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das chinesische Sozialkreditsystem bewertet mit Hilfe modernster Technologien das alltägliche Verhalten aller Chinesinnen und Chinesen. Ein dafür entworfener Algorithmus analysiert und speichert die gewonnenen Daten zu jedem Individuum. Für löbliches Verhalten werden Punkte vergeben, für Fehlverhalten Punkte abgezogen. Miteinbezogen werden dabei juristische Verstöße, aber auch private Onlineeinkäufe und individuelle soziale Kontakte werden beurteilt. Ab gewissen Punkteständen werden empfindliche Strafen wirksam, etwa die Einschränkung der Reisefreiheit. Damit es nicht zu Verwechslungen bei der computerbasierten Punktvergabe kommt, helfen Sprach-, Gesichts- und Gangerkennungssoftware, die Bürgerinnen und Bürger auf öffentlichen Plätzen voneinander zu unterscheiden. Dies ist Staatspräsident Xi Jinpings Versuch, das chinesische Volk in bis dato nie dagewesener Form zu überwachen, es im Sinne der Kommunistischen Partei zu erziehen und die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in China landesweit voranzutreiben. Neben der Darstellung dieser Sachverhalte untersucht diese Studie auch, inwieweit die Ziele von Xi Jinping für Chinas KI-Branche durch eine Implementierung des Sozialkreditsystems unterstützt werden.
Textprobe: Kapitel 2.4 Die kulturell geprägten Vorstellungen von KI in Deutschland und China: Der kulturelle Hintergrund ist entscheidend mitverantwortlich dafür, wie schnell eine Innovation in einer Gesellschaft akzeptiert wird. So werden humanoide Roboter in Europa tendenziell eher als Feinde angesehen, während sie in Amerika als Diener, in China als Kollegen und in Japan als Freunde betrachtet werden. Die Beziehung zwischen Künstlicher Intelligenz und dem Menschen wird sich, so der frühere Präsident von Google China und CEO von Sinovation Ventures, Lee Kai-Fu, langfristig nur zu einer der folgenden zwei Szenarien entwickeln: einer Utopie oder einer Dystopie. Im Folgenden soll das unterschiedliche Verhalten der Bevölkerung von China und Deutschland in Bezug auf technische Innovationen verdeutlicht werden. Im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode (2018) zwischen CDU, CSU und SPD werden einige Ziele für Deutschlands KI-Branche genannt: Deutschland müsse für Europa Innovationsmotor sein und das u.a. anhand seiner KI-Forschung unter Beweis stellen. Deutschland [soll] zu einem weltweit führenden Standort bei der Erforschung von Künstlicher Intelligenz gemacht werden. Von einem Masterplan Künstliche Intelligenz auf nationaler Ebene ist die Rede, ohne dass weitere Details genannt werden. Vorgesehen seien 3,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung mit dem Schwerpunkt auf Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz bis 2025, das entspricht rund 13 Mrd. Euro (ca. 14,6 Mrd. US-Dollar) pro Jahr. Der Wissenschaftsjournalist und Physiker Ranga Yogeshwar stellt fest, dass es Deutschland jedoch an einer konkreten Strategie für KI fehle. Was neue Technologien angeht, seien die Chinesen affiner, offener und optimistischer als die Mitteleuropäer. China ist laut dem Sinologen Stephan Scheuer oftmals schneller als Deutschland und beschaffe sich im Zweifelsfall über die eigenen Staatsbanken das nötige Kapital für den Fortschritt. Zum Einen hat China die finanziellen Mittel: Jährlich werden 2,5 Prozent des BIP - in 2019 waren das über 350 Mrd. US-Dollar - in Forschung und Entwicklung von Schlüssel- und Zukunftstechnologien investiert. Chinas Ausgaben im Bereich der IT-Technologie im Jahr 2018 werden auf 2,6 Billionen Yuan (ca. 3,7 Mrd. US-Dollar) geschätzt. Der Anteil von Software und Rechenzentren belief sich auf rund 250 Milliarden Yuan (etwa 36 Mrd. Euro). Andererseits hat China inzwischen auch gut ausgebildete Spezialisten auf dem Gebiet der KI. Chinesische Forscher tragen zu über 43 Prozent aller globaler Forschungsbeiträge auf dem Gebiet der KI bei. Ihr Anteil hat sich damit seit der Jahrtausendwende vervielfacht. Schätzungen des Economist zufolge stellt China mehr als 40 Prozent der weltweiten KI-Wissenschaftler. Seit Beginn des Computerzeitalters in den späten 1960ern waren die Vereinigten Staaten von Amerika Vorreiter in der KI-Forschung. Als Bill Gates 1975 Microsoft gründete, litt China unter der Kulturrevolution. Als Sergei Brin und Larry Page 1998 Google gründeten, waren gerade einmal 0,2 Prozent der chinesischen Bevölkerung mit dem Internet verbunden, während es zur selben Zeit in den Vereinigten Staaten an die 30 Prozent waren. China holte jedoch auf. Der Pekinger Hersteller Lenovo hat schon 2004 das Computergeschäft der damaligen Wirtschaftsikone IBM übernommen. Heute sind die entscheidenden Akteure der technologischen Innovation der Volksrepublik China Baidu, Alibaba und Tencent (Tengxun, zusammen oft als BAT abgekürzt). Alibaba und sein Konkurrent JD arbeiten derzeit u.a. daran, ihren Kunden via Virtual-Reality-Brillen virtuelle Shoppingtouren in New York, Berlin oder London zu ermöglichen, um digital Kleidungsstücke anzuprobieren und kaufen zu können. Alibaba-Gründer Jack Ma sagte in einer Debatte mit Tesla-CEO Elon Musk während der World Artificial Intelligence Conference (WAIC) 2019, dass er die Abkürzung AI für Artificial Intelligence (deutsch: Künstliche Intelligenz) lieber für Alibaba Intelligence stehen sollte. Damit machte er deutlich, in welcher Position er China in der KI-Entwicklung sieht. Sein Ziel ist es, bis zum Jahr 2025 global mehr als zwei Milliarden Menschen zu seinen Kunden zählen zu können, mehr als die Hälfte davon außerhalb Chinas. Der Umsatz von Alibaba ist schon heute größer als der von Amazon und Ebay zusammen, Tendenz steigend. Die Hälfte aller Online-Käufe weltweit finden in China statt. Auch fern der internationalen Aufmerksamkeit arbeitet China an seinem digitalen Fortschritt: Selbst in den ärmeren, westlichen Provinzen sollen in naher Zukunft bis in die abgelegensten Bergdörfer E-Commerce-Stationen eingerichtet werden, um den elektronischen Handel zu ermöglichen. Hinzu kommen Softwareschulungen, etwa zur Software Photoshop (Adobe Inc.), damit die lokalen Bergbewohner z.B. den geernteten Tee und Reis mit selbst gestalteten Verpackungen auf den chinesischen Verkaufsplattformen von z.B. Alibaba verkaufen können. In China überwiegt offenbar die Vorstellung, dass Maschinen Arbeitsplätze und neue berufliche Möglichkeiten erschaffen. In Deutschland sieht das anders aus: In einer 2018 vom Deutschen Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) durchgeführten Umfrage wurde ermittelt, dass sich 54 Prozent der Befragten durch die Automatisierung eher mit Problemen als mit Vorteilen konfrontiert sehen. Rund 60 Prozent von ihnen geben an, dass sie sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Im – global betrachtet – weit entwickelten Deutschland kommen auf 10.000 Industriearbeiter jedoch jetzt schon über 300 Roboter, in China sind es gerade einmal 50. Chinas Herstellung und Einsatz von Robotern wächst allerdings mit hohen zweistelligen Raten, etwa doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt. Auch losgelöst von Robotern sind deutsche Nutzer in Bezug auf technische Neuigkeiten erst einmal skeptisch: Während in Deutschland im Jahr 2019 der Anteil derjenigen, die Online-Banking nutzten, die 70 Prozent Marke erreicht hat, ist in China das Bargeld aus dem Alltag vieler Chinesen inzwischen fast gänzlich verschwunden. Von 2013 bis 2017 haben die Bezahlplattform Alipay (Zhifubao, Alibaba) und die Multifunktions-App WeChat (Weixin, Tencent) eine Verzwanzigfachung der digitalen Bezahlvorgänge auf über drei Billionen Transaktionen verzeichnet. Die Deutschen sind an dieser Stelle verhaltener, weil vielen das Smartphone als Datenträger nicht sicher genug ist. Während für eine höhere Sicherheit im Online-Banking in Deutschland die sogenannte TAN-Übertragung eingerichtet wurde, um z.B. gegen den Diebstahl einer PIN-Nummer gefeit zu sein, werden sich langfristig höchstwahrscheinlich noch strengere Sicherheitsmaßnahmen durchsetzen. Im Gespräch sind biometrische Verfahren zur Personenidentifikation wie Fingerabdruck, Iris-Scan, Gesichts- oder Spracherkennung, die nach derzeitigem Stand die sichersten und benutzerfreundlichsten Verfahren sind, so Michael Seifert, Geschäftsführer der Softwarefirma Netcetera. Alle diese Sicherheitsmaßnahmen werden, so wie Innovationen generell, in Deutschland erst verbindlich implementiert, wenn ihre Tauglichkeit in mehreren Test- und Prüfungsverfahren erwiesen wurde. Die chinesische Regierung macht sich im Gegensatz dazu die Technik z.T. auch dann schon dann praktisch zu Nutze, wenn sie noch nicht vollends erprobt wurde. Das zeigt sich auch an dem Sozialkreditsystem: China setzt seine neuen Technologien, etwa neu entwickelte Algorithmen zur Punkteberechnung, unmittelbar in groß angelegten Testphasen ein (und das, obwohl sie, wie im Folgenden gezeigt werden soll, mitunter schwerwiegende Konsequenzen haben), um während des Gebrauchs auftretende Probleme oder Unstimmigkeiten anzupassen. Getestet wird also direkt in der Praxis am lebenden Objekt. Letztlich, da sind sich östliche und westliche Kulturen einig, wird der Großteil der innovativen Technik als Bereicherung und Erleichterung des Alltags angesehen: Das Schreiben auf dem Computer ist komfortabler als auf der Schreibmaschine oder per Hand, E-Mails lassen sich schneller und günstiger verschicken als es der klassische Postweg zulässt, usw. Wer sich dennoch dem technischen Fortschritt verweigern will, hat es schwer. Längst schon führt ein Ablehnen selbiger ein Stück weit in die soziale Isolation, zu beruflichen Nachteilen und zu Problemen bei der Organisation des eigenen Lebens im 21. Jahrhundert. Der interkulturelle Vergleich zeigt auf, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen an KI die Akzeptanz neuer Technologien unterschiedlich begünstigt bzw. erschwert. China hat durch seine höhere Bereitschaft, neue Technik auszuprobieren und sich selbige flächendeckend anzueignen, einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber Deutschland, dessen Bevölkerung oftmals lange auf Altbewährtes und Bekanntes zu setzen scheint, bevor es die Vorzüge des Neuen schätzen und zu integrieren lernt. Das flexible, intuitive, auf Kundenwünsche gerichtete Verhalten vieler Chinesen, geprägt unter den Bedingungen des rapiden technischen Fortschritts ihrer unsteten Welt, entspricht einer opportunistischen Managementphilosophie. Dieses Verhalten kommt Xi zu Gute, der auf die Offenheit seines Volkes gegenüber Innovationen und neuen Technologien setzt, um Chinas Fortschritt auf dem Gebiet der KI im internationalen Vergleich schneller voranzutreiben. Hinzu kommt, dass das Land von einer ungestümen Technikgläubigkeit erfasst ist. […] Die Daten ersetzen, was in China kaum vorhanden ist: Vertrauen.
Kolja Quakernack wurde 1989 in Bielefeld geboren. Von 2010 bis 2014 studierte er im Bachelor Chinastudien und Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Anschließend lebte er für vier Jahre in Shanghai, China. Dort nahm er an mehreren offiziellen Prüfungen der Shanghai Calligraphers' Association teil. 2017 kehrte er nach Deutschland zurück und nahm sein Masterstudium der Sinologie auf. Während verschiedener Praktika, etwa bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh und dem Datenschutzverein Digitalcourage e.V., forschte er zum chinesischen Sozialkreditsystem und veröffentlichte erste Fachartikel. Seit 2019 arbeitet er freiberuflich als Lehrer für chinesische Kalligraphie. Seine Kunstausstellung mit dem Titel Schwarz auf weiß. Die Kunst der chinesischen Kalligraphie, die Schrift Chinas und das Qianziwen war im Herbst 2019 in Bielefeld zu sehen. Im Jahr 2020 schloss er sein Studium der Sinologie mit dem Master of Arts an der WWU Münster ab.
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