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- Rousseau und Athen: Die klassisch-griechische Demokratie bei Rousseaus Kontraktualismus
Philosophie
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Diese Studie will Bezüge Jean-Jacques Rousseaus zur klassisch-griechischen Demokratie in seinem ‚Contract Social‘ aufzeigen. Rousseauanhänger sahen ihn für die demokratischen Werte Freiheit, Gleichheit und Volkssouveränität ohnehin als zentral an. Rousseau bezog sich häufig auf die Antike, meist jedoch auf Sparta, Rom, antike Mythen und Philosophen, selten jedoch explizit auf die klassisch-griechische Demokratie. Dennoch gibt es diese Bezüge – ob explizit oder implizit.
Textprobe: Kapitel 2.2, Gleichheit: Die systemneutrale Gleichberechtigung (Isonomía) wurde auch auf die klassische griechische Demokratie übertragen und bald mit ihr assoziiert. Herodot lässt Otanes die Gleichheit so auslegen: ‘Wenn dagegen die Menge herrscht, hat dies zunächst den allerschönsten Namen: Gleichheit vor dem Gesetz. Sodann tut sie von dem, was der Alleinherrscher tut, nichts. Sie besetzt alle Ämter durch´s Los und hält die Beamten für rechenschaftspflichtig. Sie bringt alle Beschlüsse vor die Gesamtheit […] denn das Ganze liegt in der Vielheit!’ Hier wurden die wichtigsten Facetten der demokratischen Gleichheit angesprochen aus ihr erfolgte also direkt das Prinzip der Volkssouveränität. So entstand im Demokratisierungsprozess das Prinzip der politischen Gleichheit. Die Gleichheit wurde so auf die Bürgerschaft übertragen und galt nicht mehr als Gleichheit von Ungleichen. Dies traf aber, im Gegensatz zur Eleutheria, nur auf die politische Sphäre der Pólis zu, der Haushalt (Oíkos) war weiterhin von Ungleichheiten geprägt (vgl. 4.1.) dieser Arbeit). Meier interpretiert diesen Gegensatz als Bruch zwischen dem sozialen und politischen System, durch das Entstehen des Politischen, wo alle gleich waren, wobei das Bewusstsein der politischen Gleichheit mit dem Bewusstsein privater Ungleichheiten wuchs . Abgesehen davon, dass zahlreiche Ämter aus der Bürgerschaft ausgelost wurden, erhielt man für die politische Tätigkeit Diäten, zur Sicherung der politischen Gleichheit, unabhängig vom Besitz. Das Machtmonopol von alten Eliten, die zuvor über Geld, Familienruhm, Netzwerke etc. herrschen konnten, war so gebrochen und die bürgerliche Gleichheit war abhängig von der Demokratie. Denn nur wo die fachliche Kompetenz unverzichtbar war, griff man auf die Wahl eines Beamten zurück, ansonsten wurde jeder durch die Möglichkeit zur Teilnahme an der Volksversammlung oder des Ausgelostwerdens für politische Posten egalitär behandelt. Für die Gleichheit hatten die Athener verschiedene Termini, die verschiedenes bedeuten, nämlich die gleichen politischen Rechte (Isonomia), das gleiche Rederecht in der Volksversammlung (Isegoria), die Gleichheit der Geburt (Isogonia) und die Gleichheit an Macht (Isokratia) . Die klassische Demokratie ging bei den politischen Gleichheiten nie von einer natürlichen Isogonia aus - auch wenn Demokratiekritiker über die Negierung einer natürlichen, deskriptiven Gleichheit die politische zu kritisieren suchten - sondern von einer normativen, die sich in politischen Prozessen ergab. Die normative Gleichheit verband sich so mit der Eleutheria zur gleichen Freiheit zur Partizipation. Im Gegensatz zu den Begriffen Eleutheria und Demokratía wurde um die Isonomia kein politischer Kult veranstaltet, sie geriet, obwohl notwendiger Bestandteil der Demokratie, in der antikdemokratischen Wahrnehmung eher in den Hintergrund. Kernstück der Demokratie waren dennoch vor allem Isonomie und Isegoria. Besonders in den Quellen nahm die Isegoria eine zentrale Position ein: Thukydides ließ etwa Perikles sagen, Armut sei nichts schlimmes, sofern nicht mit Faulheit gekoppelt, und jeder durfte sich ein Urteil über politische Fragen erlauben (der Berufspolitiker wurde also abgelehnt), wofür es sinnvoll gewesen sei, sich durch Rede und Gegenrede belehren und beraten zu lassen . Ergo wurde im Zuge der Isegoria immer gefragt, wer in der Volksversammlung das Rederecht wünschte. Es existierte auch zusätzlich eine rechtsstaatliche Gleichheit, obgleich diese nicht mit einem Schlagwort geprägt wurde, vielleicht auch weil die Gleichheit vor dem Gesetz überhaupt erst Vorbedingung zur politischen Gleichberechtigung war. Auch wenn um die Isonomia kein Kult veranstaltet und sie nur bei Herodot einmal als Synonym für Demokratie und als Gegenstück zur Tyrannis verwendet wurde, setzten die Quellen sich mit ihr kritisch auseinander. Thukydides zeigte in seiner Verehrung für Perikles eine gewisse Paradoxie der Isonomia auf: So betonte er ja zwar die Demokratie als Herrschaft Freien und Gleichen, aber bemerkte ebenso, ‘[d]em Namen nach regierte das Volk, tatschlich aber war er [Perikles] der erste Mann, der die Stadt regierte’ , was die demokratische Gleichheit verletzt hätte. Zwar hätte sich Perikles in der Volksversammlung zurückgehalten, entstammte aber gleichzeitig den alten Eliten und gehörte zu den hohen Amtsträgern im demokratischen Athen. So lässt sich zwar eine eventuelle Autorität von Perikles nicht von der Hand weisen, aber die Rücksicht auf die größere Zahl der Gleichen hatte Priorität. Wie auch schon die Eleutheria kritisierte Pseudoxenophon jede Form der Gleichheit: Er kritisierte die athenische Demokratie ja, da jeder frei und gleich gewesen sei und dadurch die Edlen herabgesetzt worden wären. Weiter behauptete er, bezüglich der Gleichheit, das Volk hätte gewusst, wer von Natur aus zu den Edlen und den Gemeinen gehörte, aber sie seien nur auf den eigenen Vorteil aus gewesen und daher hätte die Majorität der Minderwertigen geherrscht so kreierte er eine Gleichheit der Gleichen, wonach die Minderwertigen gleich gewesen seien und sich so als Verbündete gegen die ungleich Edleren, die aber in der Minderheit waren, durchgesetzt hätten . Nur die Edlen hätten in einer Oligarchie herrschen dürfen, da sie keine moralischen Defekte gehabt hätten. Die Armen wurden mit den Schlechten gleichgestellt und die natürliche Ungleichheit sei durch die Demokratie zerstört worden. Ähnlich, obgleich nicht oligarchisch, sah es Platon: Ihm schien es fatal, wenn in den meisten Sachfragen jeder mitberaten und -entscheiden durfte und jede Stimme, von Laien und Experten, gleich zählte. Dies nennt Platon – wie Pseudoxenophon – eine Gleichheit von Gleichen und Ungleichen. Diese Gleichheit hätte durch ihre qualitativen Mängel dem Wohl der Pólis geschadet. Platon konnte jedoch als Oligarchiekritiker das Bedürfnis nach Gleichheit nachvollziehen, sei dies doch beim Übergang von Oligarchie zu Demokratie eine Reaktion auf die soziale Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich und deren zügelloser Unersättlichkeit gewesen. So war es Platons Ziel, Oligarchie und Demokratie zu verhindern, mittels Erziehung und staatlicher Vorsorge vor zu großer materieller Ungleichheit. Wesentlich differenzierter beurteilte aber Aristoteles die Isonomia. Repräsentativ arbeitete er die Verbindung von Demokratie und Gleichheit heraus, mit folgendem Passus: ‘[A]us dem Grundsatze nämlich, daß alle das Gleiche der Zahl nach haben müssen, entspringt jene Demokratie und jener Volksstaat, die vorzüglich als solche gelten. Denn die Gleichheit besteht darin, daß Arme und Reiche in bezug auf die Regierungsgewalt nichts vor einander voraus haben und niemand ausschließlich, sondern alle gleichmäßig nach der Zahl, Herr sind. Denn, so meint man, werde die Verfassung dem Grundsatze der Gleichheit und Freiheit ebenmäßig gerecht.’ Er sah auch den Gegensatz von Arm und Reich als entscheidend an und vermutete, dass sich diese zwei Teile aus der politischen Gleichheit ergaben und die Mehrheit, also die Armen, in der egalitären Demokratie so entscheiden würden, dass die Reichen benachteiligt werden könnten . Zuvor unterschied er aber zwischen dieser, der quantitativen, demokratischen Form der Gleichheit und der proportionalen Gleichheit, wonach Gleiche gleich und Ungleich ungleich behandelt werden sollten. Damit war sein Gleichheitskonzept wesentlich umfassender als das anderer antiker Denker. Auch wenn er die quantitative Gleichheit kritisierte, so hatte er für die Beteiligung des ganzen Volkes einiges übrig: Mittels der Summierungstheorie vollzog er nach, dass zwar der einzelne Bürger nicht besonders tüchtig oder geeignet sein müsste, aber in der Volksmasse hätte jeder seinen Teil an Einsicht und Tugend mit in die Beratung einbringen können, sodass sich diese Einsichten summieren würden, wobei ihm eine organische Volksversammlung mit so vielen Gliedern wie Versammelten vorschwebte. Auch die Gleichheit war also eine unverzichtbare ideele Grundlage zur Entstehung und Entfaltung der Volkssouveränität. Sie war jedoch nur auf die Sphäre des Politischen beschränkt. Dort war sie normativ verankert, als Möglichkeit, die Bürgerschaft gleichberechtigt zu partizipieren. So besaßen sie die Isegoria in der Volksversammlung, gleiche politische Rechte durch die Isonomia, konnten so für Ämter, Gerichte sowie den Rat erlost werden, erhielten Diäten und hatten durch die Gleichheit der Stimmen auch eine Gleichheit an politischer Macht. Außerdem waren die Bürger rechtlich gleich. Alle Quellen sahen für die Polis die Gleichheit als konstitutiv für die Demokratie an, wobei Thukydides der Meinung war, diese hierarchielose Egalität sei durch Perikles partiell unterminiert worden. Pseudo-Xenophon, Platon und Aristoteles stellten sich als Gleichheitskritiker heraus – Pseudo-Xenophon, weil er glaubte, die Edlen seien durch die Gleichheit unterdrückt worden, Platon, weil das Wort der Experten als zu gering gegolten hätte und Aristoteles, weil er fürchtete, die Reichen hätten überstimmt werden können, wobei er immerhin mit seiner organischen Summierungstheorie die Partizipation des Volkes favorisierte. Auch hier ergaben sich ein breiter Fundus an Quellen und ein vielschichtiger Gleichheitsbegriff. Rousseau verband die Gleichheit mit der Freiheit wie klassisch-griechische Demokraten, denn ohne Gleichheit hätte die Freiheit nicht bestehen können. Damit meinte Rousseau aber nicht nur die exakte Gleichheit der abgegeben Stimmen in politischen Institutionen (also eine Isokratia), sondern dass Macht und Besitz unterhalb jeglicher Gewalt bleiben und nur aufgrund der vom Volk verabschiedeten Gesetze ausgeübt werden sollte sowie ein ausgeglichenes Sozialwesen, damit niemand so arm sei, sich verkaufen zu müssen oder so reich, andere kaufen zu können (vgl. 4.1.2) dieser Arbeit). Ziel war vor allem, Missbrauch vorzubeugen. Diese Gleichheitsvorstellung hatte en Detail nur peripher mit der der antiken Demokratie zu tun, da sie zwar Freiheit und Gleichheit verband, aber erstens, die Gleichheit nicht zwangsweise quantitativ-demokratisch war, sondern zunächst ein Richtwert, der sich zweitens, vor allem an sozialen Faktoren festmachte, also hier keine Trennung von Pólis und Oíkos vollzog. Dennoch war die politische Gleichheit für Rousseau von enormer Bedeutung, denn er schrieb: ‘Gleichheit und der von ihr erzeugte Begriff der Gerechtigkeit rühren von dem Vorzug her, den jeder sich selbst gibt, und folglich von der Natur des Menschen.’ Denn die Volonté Générale habe immer Recht und aus dem auf gleicher Reziprozität fußenden Gesellschaftsvertrag erfolge die Gleichheit unter den Bürgern, da sie sich unter den gleichen Bedingungen für das Gemeinwesen verpflichten und die gleichen Rechte erhalten würden. Jeder souveräne Akt würde die Bürger gleichmäßig verpflichten und begünstigen, da ‘der Souverän nur den Nationalkörper als Ganzes kennt und keinen von denen, die ihn bilden, hervorhebt’. Dies sei eine Übereinkunft jedes Gesellschaftsgliedes, der die öffentliche Gewalt zum Bürgen hätte, wodurch die Bürgerschaft nur ihrem Willen gehorchen würde. Eine Gleichheit vor dem Recht, da jeder Bürger vom Entschluss der Bürgerschaft gleich betroffen gewesen wäre, lässt sich auch finden. Damit waren die gleichen politischen Rechte, quasi eine Isonomia, impliziert. Die Volonté Générale erinnert an Aristoteles´ Summierungstheorie, dass das versammelte Volk eine Körperschaft bilde, die die Fähigkeiten der Einzelnen zu einem Ganzen summiere. Rousseau hatte also dieses Konzept zum Grundprinzip seines Gesellschaftsvertrages gemacht. Und er sprach in diesem Kontext wiederum – anders als bei der (sozialen) Gleichheit als Richtwert – jedem Bürger das gleiche Recht auf die Teilhabe an der Gesetzgebung zu, zur Realisierung der Volonté Générale, wodurch sich Freiheit und Gleichheit wieder klassisch-demokratisch verbanden. Durch diese Bedeutung der Gleichheit für die Volkssouveränität erschien sie Rousseau als unverzichtbares Postulat. Weitgehend findet man hier eine bürgerliche und juridische Gleichheit vor, aber keine exakte sozioökonomische. Auch ein gleiches Rederecht bei Volksversammlungen war impliziert. Sein Gleichheitskonzept war darüber hinaus zwar normativ und es ging um die politische Gleichberechtigung, aber hergeleitet wurde es von einer natürlichen Gleichheit, was de facto im Reformprozess klassischer Demokratien nicht impliziert war. Der Gleichheitsbegriff der klassisch-griechischen Demokratie war ein sehr vielschichtiger: Vornehmlich wurde er als die gleichen politischen Freiheitsrechte der Bürgerschaft interpretiert. Damit verbanden sich dieselben politischen und juridischen Rechte zur Partizipation, dem Rederecht in der Volksversammlung und der Rechtsgleichheit. Rousseau rezipierte diese demokratisch-quantitativen Gleichheitsvorstellung, jedoch auf einem weniger ausdifferenzierteren Niveau als antike Demokraten: Er implizierte eine politische Gleichheit, also eine gleiche Teilhabe an der Partizipation, um die Volonté Générale zu erfüllen. Damit erwähnte er auch eine juridische Gleichheit, geht jedoch nicht deutlich auf das Rederecht ein. Klar sah Rousseau die Gleichheit als dem Menschen natürlich an, was so von der antiken Demokratie zunächst nicht konzipiert war. Beim Konzept der Gleichheit in der Volonté Générale rezipierte er aber als Legitimation sehr deutlich die aristotelische Summierungstheorie und erweiterte sie kontraktualistisch. Allgemein lässt sich bemerken, dass Rousseau unterhalb der Oberfläche – nach der die Gleichheit für die Freiheit, klassisch-griechischen Demokratien entsprechend, eine unverzichtbare ideelle Basis darstellte – seine Gleichheitsauffassung stark mit der klassisch-demokratischen divergierte. Dass Gleichheit und Freiheit aber auch bei Rousseau, wenn er sich schon ansonsten teilweise von den antiken Konzepten deutlich unterschied oder diese kaum beachtete, die Grundlage der Volkssouveränität waren, aber darüber hinaus noch ein Gut per se, zeigt folgendes Resümee von ihm: ‘Wenn man untersucht, worin das höchste Wohl aller genau besteht, das den Endzweck jeder Art von Gesetzgebung bilden soll, so wird man finden, daß es sich auf jene zwei Hauptgegenstände Freiheit und Gleichheit zurückführen läßt. Auf die Freiheit, weil jede Sonderabhängigkeit den Staatskörper in gleichem Maße Kraft entzieht, und auf die Gleichheit, weil die Freiheit ohne sie nicht bestehen kann.’
Philip J. Dingeldey hat in Erlangen-Nürnberg, Geschichte und Politikwissenschaften studiert. Er schreibt wissenschaftliche, essayistische, journalistische und literarische Texte für verschiedene Medien wie Die ZEIT, Hohe Luft, Lichtwolf, diesseits, eXperimenta, freshviewer, TextArt, reflex-Magazin etc. 2012 erschien seine Kurzgeschichtensammlung Koitus mit der Meerjungfrau sowie sein Lyrikband Afterrauch und Todesesser . 2013 legte er das Sachbuch Aufgewachsen in Nürnberg in den 40er und 50er Jahren vor.
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