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Philosophie

Rolf-Dieter Dominicus

Radikaler Konstruktivismus versus Realismus

Apologie des Subjektivismus

ISBN: 978-3-8366-8489-7

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Radikale Konstruktivismus ist eine Wissenschaft, deren Wurzeln im metadisziplinären Bereich der Kybernetik, der Psychologie und der Neurobiologie liegen. Seine Autoren (H. Maturana, E. v. Glasersfeld, G. Roth) vertreten gegenüber dem Realismus eine subjektivistische Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorie, die charakterisiert ist durch die Identifikation des Subjekts mit dem Begriff des Beobachters. Der Beobachter wird definiert als ein menschliches Individuum, das aufgrund der informationellen Geschlossenheit seines Nervensystems keinen kognitiven Zugang zu seiner Umwelt hat und die Wirklichkeit konstruiert. Probleme dieser konstruktivistischen Beobachtertheorie bestehen allerdings angesichts der Konfrontation mit dem Phänomen des Selbstbewusstseins in der Dunkelheit des Begriffs des sich selbst erfahrenden Subjekts und des damit drohenden infiniten Regresses und der Zirkularität, die eine Aporie des Radikalen Konstruktivismus und damit eine Schwäche in der Argumentation gegenüber einem metaphysischen Realismus bedeuten. Der in der vorliegenden Untersuchung angestrebte Versuch der Lösung dieser Aporie stützt sich auf die in der Transzendentalphilosophie Kants entwickelte Unterscheidung zwischen empirischem und transzendentalem Subjekt, den Rückgriff auf die in der transzendentalphilosophischen Tradition stehende historische Immanenzphilosophie und verwandte Konzepte eines Konszientialismus. Im Zuge einer Weiterführung der kantischen Lehre vom zweifachen Subjekt wird Bewusstsein als kontradiktorischer Gegensatz aufgefasst, in der ein transzendentales Subjekt als Nicht-Seiendes einem Objekt als Seiendem gegenübersteht. In der aus diesen Einsichten heraus umgestalteten Subjekttheorie des Radikalen Konstruktivismus, der konszientialistischen Theorie des Beobachters erster und zweiter Ordnung, wird das erkennende Subjekt, der Beobachter zweiter Ordnung in der Terminologie des Radikalen Konstruktivismus, als transzendentales Subjekt definiert, das durch die Bestimmung als unhintergehbares Prinzip den infiniten Regress vermeiden lässt. Die weitere Klärung des Subjektbegriffs des Radikalen Konstruktivismus erfolgt vom Standpunkt der transformierten Beobachtertheorie in der Auseinandersetzung mit dem metaphysischen Realismus und der philosophy of mind durch Diskussion der Subjektivitätsthese. Die Untersuchung führt zu dem Ergebnis, dass dem Subjektbegriff des Radikalen Konstruktivismus innerhalb einer reformulierten Beobachtertheorie ein klarer Standort zugewiesen werden kann, wodurch er seinen kryptischen Charakter verliert. Die damit verbundene Auflösung der Aporie des Radikalen Konstruktivismus eröffnet die Möglichkeit zur Verteidigung einer subjektivistischen Position in Kultur-, Sozial- und Naturwissenschaften.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2, Konszientialistischer Ansatz: Nach Kant fängt alle Erkenntnis mit der Erfahrung an. Letztere wird im empiristischen Sinne als Rezeptivität der Sinnlichkeit aufgefasst in der sinnlichen Anschauung werden durch Affektion Empfindungen hervorgerufen. Das Affizierende ist nach Kant das Ding-an-sich, das allerdings kein Gegenstand der Erkenntnis sein kann, nur ein leerer Grenzbegriff ist. Schon zeitgenössische Kritiker Kants wie F. H. Jacobi und K. L. Reinhold empfanden den Begriff des Ding-an-sich als problematisch, da er eine ontologische Interpretation als transzendente Entität zulasse und somit systematische Unbestimmtheiten geblieben seien. Der nachkantische Idealismus sah in dem Ding-an-sich einen Rest der alten Metaphysik. Auch Philosophen des Neukantianismus, insbesondere P. Natorp, kritisierten diesen Begriff und strebten eine Erneuerung der Transzendentalphilosophie mit Verzicht auf die Theorie des Ding-an-sich an. Diese Tendenz findet sich auch in der Immanenzphilosophie, einer Strömung zur Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, deren Vertreter den erkenntnistheoretischen Standpunkt vertraten, dass eine transzendente, bewusstseinsunabhängige Welt nicht existiert, die Wirklichkeit nur als Bewusstseinsinhalt aufzufassen ist. Der Standpunkt der Immanenzphilosophie wird auch als Konszientialismus bezeichnet. Oswald Külpe subsumiert unter diesen Begriff philosophische Positionen der Bewusstseinsimmanenz als Ausdruck für die von ihm kritisierte Theorie, nach der eine vom erkennenden Bewusstsein unabhängig existierende Realität geleugnet wird, alle Wirklichkeit Bewusstseinswirklichkeit sei. Im Folgenden wird daher auch von einem konszientialistischen Ansatz gesprochen. Wilhelm Schuppe lehrt einen Bewusstseinsmonismus, dem zufolge die Welt der Gegenstände, die Realität nur als Bewusstseinsgegebenes existiert. Ausgangspunkt der philosophischen Reflexion der Erkenntnis ist die Erfahrung, das unmittelbar Gegebene im Bewusstsein. Die Existenz des bewussten Ich wird als einzig mögliches Fundament der Realität betrachtet. Auch Richard v. Schubert-Soldern vertritt einen bewusstseinsmonistischen Standpunkt. Er versucht zu zeigen, dass das Problem einer Transzendenz sich nicht stellt, wenn man bemüht ist, unmittelbar vom bewussten Erleben auszugehen. Im Hauptsatz seiner Philosophie wird ein grundsätzliches Nichtvorhandensein der außerbewussten, transzendenten Dinge behauptet. Bewusstsein ist demnach keine Eigenschaft oder Funktion, sondern Bewusstsein ist Sein. Bedeutsam ist für v. Schubert-Soldern die Unterscheidung von zwei Seinsarten: Gegenstände des Bewusstseins sind entweder unmittelbar gegeben oder erschlossen (Vorstellungen, Erinnerungen, Begriffe). Die Ontologie hat es demnach mit zwei Existenzarten (sinnlich Wahrgenommenem und begrifflich Vorgestelltem) zu tun. V. Schubert-Soldern nennt seine Philosophie erkenntnistheoretischen Solipsismus und unterscheidet ihn scharf vom praktischen Solipsismus, der nur das eigene Ich gelten lässt. Eine andere Variante des konszientialistischen Standpunktes ist der Immanenzpositivismus, so die Bezeichnung von M. Schlick für eine insbesondere von E. Mach vertretene philosophische Richtung des älteren Positivismus. A. Comte, Begründer des Positivismus, lässt das unmittelbar Gegebene, Gesetzte, Positive als alleinige epistemologische und ontologische Tatsache gelten. Hatte Kant der dogmatischen eine transzendentale Metaphysik entgegengesetzt, so wendet sich Comte mit seinem Dreistadiengesetz gegen eine erstarkte Metaphysik. Dieser Metaphysikkritik stimmt auch E. Mach zu. Er kritisiert einen erkenntnistheoretischen Welt-Dualismus, eine Zwei-Welten-Lehre, nach der eine Welt des bewussten unmittelbar Gegebenen und eine Welt außerbewusster Gegenstände behauptet wird, und vollzieht einen entscheidenden Schritt zum Erkenntnismonismus und damit zur Immanenzlehre. Als ein weiteres Beispiel des Konszientialismus ist der transzendentale Idealismus des österreichischen Philosophen Robert Reininger anzuführen, der vom Standpunkt eines methodischen Solipsismus eine kritisch-idealistische Wissenschaft aufzubauen beabsichtigt. Nach Reiniger haben wir es ‘nie mit Dingen an sich, sondern nur mit Vorstellungen (Erscheinungen) zu tun’, und es bestehe keine Berechtigung, ‘hinter den Dingen noch eigentliche Dinge an sich anzunehmen’. Wenn hier vom Solipsismus die Rede ist, so ist dieser als methodischer – dies ist die Interpretation von Reiniger selbst – scharf vom ontologischen zu trennen, der absurderweise die alleinige Existenz des Ichs behauptet. Auch die Philosophie Reininger ist streng subjektivistisch. Einer Erwähnung wert ist die Psychobiologie des Mediziners und Philosophen Hans Lungwitz, der unter Berücksichtigung sowohl des biologischen als auch des philosophischen Aspektes eine metaphysikkritische Theorie des Leib-Seele-Problems vorlegt und in diesem Rahmen den konszientialistischen Standpunkt vertritt, dass die Objekte der Wahrnehmung nur als Bewusstseinsinhalte existieren. Originalität und Stärke der konszientialistischen Position liegen zweifellos in der Vermeidung der Verdoppelung der Welt in Urbilder und Abbilder und in der Differenzierung von unmittelbar gegebenen Gegenständen einerseits und erschlossenen Gegenständen andererseits. Ob allerdings der Konszientialismus das kantische Problem des Ding-an-sich löst, muss fraglich bleiben. Denn es handelt sich nach G. Prauss um einen vieldeutigen und oft falsch interpretierten Begriff, der schon die zeitgenössischen Philosophen in Verlegenheit stürzte. Seit Jacobi wird von Kant-Kritikern das Ding-an-sich als eine bewusstseinstranszendente Entität, als ein Rest des zu überwindenden Realismus interpretiert. Aber eine differenziertere Betrachtung ist geboten. Nach Prauss liegt ein fundamentales Missverständnis der Interpreten seit den Tagen des deutschen Idealismus bis heute vor, Kant auf einen transzendent-metaphysischen Sinn des Ding-an-sich festzulegen. Dieser Ausdruck muss nach Kant zwei verschiedenen Betrachtungsweisen unterworfen werden. Ding-an-sich heißt also nichts anderes als die Dinge nicht als Erscheinungen zu betrachten. Allerdings blieb auch die Zwei-Perspektiven-Theorie von Prauss nicht unwidersprochen. Für unsere Zwecke reicht es, von der Diskussion um den Begriff des Ding-an-sich abzusehen und die Gegensätzlichkeit von Transzendenz und Immanenz in den Vordergrund zu stellen, die der Konszientialismus durch die Betonung eines bewusstseinsmonistischen Standpunktes aufzulösen beabsichtigt. Dies ist der Vorteil, der in der weiteren Diskussion des Subjektbegriffs des Radikalen Konstruktivismus genutzt werden soll.

Über den Autor

Rolf-Dieter Dominicus, Dr. med., M.A., geboren 1938 in Düsseldorf, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, studierte Philosophie an der FernUniversität in Hagen. Als interessierter Teilnehmer eines im Jahre 1992 in Heidelberg veranstalteten Interdisziplinären Symposiums Die Wirklichkeit des Konstruktivismus verfolgte Dominicus den Disput zwischen den Konstruktivisten Humberto Maturana, Ernst von Glasersfeld, Gerhard Roth und Vertretern eines metaphysischen Realismus, der Heidelberger Psychologengruppe um Ralf Nüse. Angeregt durch dieses Symposium und die anschließende Auseinandersetzung zwischen Subjektivismus und Realismus in der wissenschaftlichen Literatur beschäftigte er sich während seines Studiums mit der konstruktivistischen und psychobiologischen Theorie der Subjekt-Objekt-Beziehung, die auch unter dem Thema des Leib-Seele-Problems abgehandelt wird. Insbesondere interessierte ihn die Erforschung der Stärke und Schwäche des Radikalen Konstruktivismus. Als Forschungsergebnis legte er eine Magisterarbeit vor, die als überarbeitete Version diesem Buch zugrunde liegt. Publikation: Rolf-Dieter Dominicus, Hans Lungwitz und seine Psychobiologie. Eine Lebens- und Werkgeschichte, Essen 1993.

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