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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2022
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Diese Abhandlung ist der Auseinandersetzung mit Kants Thematik der objektiven Gültigkeit der Erfahrungserkenntnis gewidmet. Sie untersucht, ob Kant, von seiner Grundposition der Dichotomie ausgehend, Objektivität der Erfahrungserkenntnis wirklich nachweisen kann. Dafür wird Hegels Begriffslogik als eine Philosophie der Identität herangezogen. Außer der Darstellung von Hegels direkter Kritik an Kants Lehre der Logik und des Bewusstseins wird in diesem Buch eine eigenständige Überlegung zur Problematik der Dichotomie und Identität entwickelt.
Textprobe: Kapitel 1.2.2. Das Wahrheitsproblem und die Dichotomie: Die Wahrheit der Erfahrungserkenntnis: Zusammengefasst, sieht man bei der transzendentalen Deduktion folgenden Gedankengang Kants: Darauf, dass die Erfahrungserkenntnis möglich sein sollte, folgt die Notwendigkeit der Anwendung der Kategorien. Auf diese Notwendigkeit folgt wieder die Notwendigkeit der Erfahrungserkenntnis. Einfacher dargestellt, kann man bei Kant die seltsame Deduktion feststellen: Auf die Möglichkeit der Erfahrungserkenntnis folgt die Notwendigkeit derselben. Man gewinnt daher leicht den Eindruck, dass Kant die Objektivität im Namen der Notwendigkeit überhaupt als eine Charakterisierung der Erfahrungserkenntnis implizit annimmt, unabhängig davon, welchen Inhalt sie aussagt. D.h., solange die Kategorien auf die Anschauung angewandt sind und die Erkenntnis dadurch tatsächlich aus der Anwendung geniert wird, ganz egal, ob die Wirklichkeit der Erkenntnis, d.h., ob die Erkenntnis auch dem Inhalt nach aus der apriorischen Anwendung der Kategorien ableitbar ist, dann ist die Erkenntnis selbst objektiv gültig. Nun stellt sich aber die Frage: was bedeutet die Aussage, dass die besondere Erfahrungserkenntnis, die, wie schon gezeigt, weder synthetische Sätze a priori noch ein notwendiges Ergebnis der Anwendung der Kategorien sein kann, --solange sie realiter vorliegt-- objektiv gültig sei? Oder anders formuliert, welchen wichtigen Charakter sieht Kant in der aus der Anwendung der Kategorien auf die Anschauung entstandenen Erfahrungserkenntnis, die er gerade ohnehin als objektiv gültig bezeichnet? Die Erfahrungserkenntnisse, welche Kant in der transzendentalen Deduktion stets als Orientierungspunkt in Sicht behalten hat, und um deren Willen die Anwendung der Kategorien angeblich stattfinden muss, sind an sich Urteile, nämlich Aussagen, die die Wahrheitswerte besitzen müssen. Das bedeutet, dass man dem Urteil angesichts des Sachverhalts, den dieses Urteil ausdrückt, entweder den Wahrheitswert Wahr oder den Falsch zuordnen muss. Die Wahrheit besteht Kant zufolge in der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand [in der Anschauung] (A 58/B 83), so dass eine Erkenntnis den Wahrheitswert wahr erst dann bekommen kann, wenn sie der Anschauung gemäß ist. Die Kategorien, deren Funktion in der Ermöglichung der Erfahrungserkenntnis besteht, tragen nach Kant in erster Linie dazu bei, dass sie das in der Anschauung gegebene Mannigfaltige strukturieren, damit die ursprünglich ungeordnete Anschauung für den Vergleich mit der Erkenntnis geeignet wird. Falls dieser Vergleich überhaupt möglich ist, dann heißt es auch nichts anders, als dass die mit der Anschauung übereinstimmende Erkenntnis schon automatisch hervorgetreten ist. Der Vergleich in diesem Fall wäre daher ehe die zwischen dem gegebenen, aber noch nach seinem Wahrheitswert zu beurteilenden Urteil und dem aus der Strukturierung automatisch hervorgehenden Urteil. Hannah Ginsborg vertritt auch die These, dass die Synthesis der sinnlichen Vorstellungen bei Kant schon eine Form des Urteilens darstellt13. Also die Synthesis in der Anschauung sagt schon unmittelbar die ihr entsprechende Erkenntnis aus. Nach der oben genannten Interpretation ist die Beurteilbarkeit der Anschauung, d.h. ihre Deutbarkeit mittels des Denkens eindeutig der kategorialen Strukturierung der Anschauung mittels der Kategorien zu verdanken. So kann z.B. die Anschauung durch die Anwendung der Kategorie Substanz-Akzidenz Beurteilbarkeit aufweisen, indem man das darin sich befindende Mannigfaltige in Ansehung des Verhältnisses Substanz-Akzidenzien betrachtet. Mit dieser Strukturierung wird nun eine sinnliche Vorstellung entweder als zu oder als nicht zu gewisser Substanz gehörig beurteilt, woraus dann kategorische Urteile wie A ist B oder A ist nicht B entstehen können, wobei A der Substanz und B der Akzidenz entspricht. Hätte man z.B. in der strukturierten Anschauung eine Musik mit der Eigenschaft bzw. Akzidenz laut festgestellt, so ist die Erkenntnis die Musik ist laut wahr, während die die Musik ist leise falsch ist. Eigentlich ist die Erkenntnis, die aus der strukturierten Anschauung erzeugt wird, eine notwendig wahre Erkenntnis. Es handelt sich bei dem Urteilen nur darum, die schon begrifflich vorstrukturierte Anschauung, mittels der Abstraktion, die Kant zufolge ein empirisches Denken leistet, ins begriffliche Urteil zu verwandeln. Solange das empirische Denken der gesunde Verstand (Proleg, AA, S. 369) ist, dann ist es sicherlich imstande dazu, wahre Erkenntnis über den durch die apriorische Anwendung der Kategorien konstituierten anschaulichen Gegenstand zu bilden. Es ist höchst wahrscheinlich, dass Kant eben von dieser Überlegung ausgehend die Erkenntnis objektiv gültig nennt. D.h., die begriffliche Erkenntnis wäre Kant zufolge insofern objektiv gültig, als sie notwendigerweise mit der begrifflich konstituierten Anschauung übereinstimmt und somit notwendigerweise wahr ist. Die problematische Realität der Erfahrungserkenntnis: Um das Problem dieser Auffassung einzusehen, braucht man nur ein Beispiel zu betrachten: Ein Mann hört Mozarts Musik in einer hohen Lautstärke und sitzt zugleich vor einer rot gestrichenen Wand, so dass er zumindest zugleich die beiden Empfindungen laut und rot bekommt. Nun wird er aus diesem Szenarium Erkenntnisse wie die Musik ist laut oder die Wand ist rot , anstatt Urteilen wie die Musik ist rot oder die Wand ist laut haben. Man könnte sagen, dass das erstere Urteil wahr, während das Letztere falsch ist, denn das erste der Anschauung des Gegenstands entspricht, während das letzte nicht. Die Frage lässt sich nun aufstellen: ist es überhaupt zufällig, dass der Verstand in der Anschauung eine laute Musik anstatt der roten Musik konstituieren? Warum ist in der Anschauung gerade jene Verbindung von den Empfindungen anstatt dieser? Falls die Verbindung in der Anschauung nur zufällig ist, dann heißt es nichts anders, als dass die Erkenntnis ihren grundsätzlichen Anspruch, die Realität der äußeren Welt zu widerspiegeln, völlig aufgäbe. Das Erkennen wäre nur ein Spiel des Denkens mit sich selbst, indem es zuerst aus dem Mannigfaltigen der Vorstellungen durch willkürliche Verbindung einen Gegenstand, z.B. eine rote Wand ausmacht, wozu die Vorstellung rot gehört, und dann die Hervorbringung der Erkenntnis, dass die Wand rot sei bzw. dass rot der Wand gehörig sei, dem empirischen Denken überlässt. Es würde sich nämlich herausstellen, dass es sich endlich nur um die Übereinstimmung des reinen verbindenden Verstands mit dem empirischen Denken handelt. Die äußere Realität, die in diesem Szenarium das gegebene Mannigfaltige von Empfindungen, wie laut , rot etc. ist, wird einer Änderung durch den Verstand ausgesetzt, so dass man sich nicht sicher sein kann, ob oder inwiefern eine Erkenntnis, wie die Musik ist laut es noch mit der ursprünglichen äußeren Realität zu tun hat. In Ansehung der Wiedergabe der durch die Empfindungen repräsentierten Realität wären Urteile wie die Musik ist laut ebenso wenig begründet wie das absurd klingende Urteil die Musik ist rot . Man könnte gegen diese Kritik an Kant einwenden, dass Kants Erkenntnistheorie niemals an eine äußere Realität als irgendein Wahrheitsideal zu halten beansprucht, und im Gegensatz dazu, Kant die Meinung vertrete, dass Menschen ausschließlich die Erscheinung bzw. Phänomena (B 294) anstatt des Dings an sich bzw. der Noumena (B 294) erkennen könnten. D.h., Um erkannt zu werden, müsste der Gegenstand vorab durch die Anschauungsformen und die Denkungsformen geformt werden, sodass man ihn tatsächlich auch niemals so erkennen könnte, wie er an sich ist, sondern bloß seine Erscheinung in diesen Formen erkannte. Das Denken habe bei dem Erkennen nichts anders als die Erscheinung zum Gegenstand, die keiner äußeren Realität entspreche und entsprechen müsse. Diese anscheinend Recht habende Verteidigung der Kantschen Position hat diese tatsächlich missverstanden. Darauf, dass unsere Erfahrungserkenntnis nur die über die Erscheinung ist, folgt aber nicht, dass unsere Erkenntnis bloße Phantasie oder die über den Schein ist. Kant erwähnt ausdrücklich in der Vorrede zur 2. Auflage der Kritik (B XXVI f.), dass die Erscheinung doch Erscheinung von etwas, d.h., Erscheinung von Ding an sich sei. Obwohl die Erscheinung ihrem Inhalt nach nicht direkt eine Vorstellung des Dings an sich ist, ist sie doch ein Resultat der Wirkung eines [transzendentalen] Gegenstands auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden (A 19/B 34). D.h., ontologisch gesehen entstammt die Erscheinung doch aus einer äußeren Realität, die durch ihre affizierende Wirkung unsere Vorstellungsfähigkeit erst zum Vorstellen veranlasst und die Erkenntnis erst dadurch ermöglicht. Davon ausgehend, gehören die Empfindungen, die unmittelbar auf die Affektion durch Ding an sich entstehen und noch nicht durch das Denken bearbeitet werden, eindeutig zur Erscheinung des Dings an sich, während die schon durch die Kategorien strukturierte Anschauung, auch wenn sie noch Sinnlichkeit und somit Erscheinung genannt werden könnte, dem Ding an sich bereits ferner als die einfache Empfindung entfernt ist. Ein gleiches Grad von ontologischer Gewisseheit wie die von dem Ding an sich genießt ausschließlich die Empfindung, denn sie ist hervorgegangen teilweise aus der Empfänglichkeit des Erkenntnisvermögens (B129), nämlich als Quasi-produkt des unmittelbaren Affiziertwerdens durch das Ding an sich, während die Synthetisierung der Empfindungen völlig der Spontaneität des Denkens zu verdanken ist. Falls das Denken überhaupt jemals den Anspruch erheben sollte, Realität außer sich selbst zu fassen, müsste er unmittelbar auf Basis der Empfindungen operieren können, anstatt es bloß mit der durch den Verstand strukturierten und somit geänderten Sinnlichkeit zu tun14. Kant braucht für seine kritische theoretische Philosophie einen Teil der transzendentalen Ästhetik, die der Erörterung der Sinnlichkeit gewidmet ist, nicht nur deswegen, weil die Erkenntnis einen Gegenstand haben muss, denn ohne diesen als Inhalt zu empfangen sind die Gedanken leer (A 51/B 75), sondern auch weil das Denken mit dem Datum (A 41/B 58) (durch die äußere Welt) operieren sollte, damit es dazu fähig ist, etwas über die äußere Realität sagen zu können. Anders ausgedrückt, ist durch die Sinnlichkeit nicht nur etwas als Inhalt dem Denken überliefert, sondern auch etwas Reales, ohne welches der Gegenstand der Erkenntnis keine ontologische Gewissheit hätte und bloß Phantasie wäre. Da der konstituierte Gegenstand in der Anschauung, wie gesagt, notwendigerweise mit dem Erfahrungsurteil übereinstimmt, so muss falls die Übereinstimmung und somit auch die Wahrheit des Urteils noch realitätsrelevant sein sollten außerdem eine apriorische Übereinstimmung zwischen den Empfindungen und dem konstituierten Gegenstand in der Anschauung bestehen. Das fordert aber auf, dass die Empfindungen selbst apriorisch eine Synthesis enthalten, so dass es bei der durch den Verstand vollzogenen Synthesis nicht um eine Änderung der Empfindungen, die als solche allein von dem Denken ausgeübt würde und alsdann nicht mehr realitätsrelevant wäre, sondern um die Quasi-Umordnung der in den Empfindungen enthaltenen Realität geht15. Z.B. fällt man Urteile wie die Musik ist laut anstatt die Musik ist rot deswegen, weil die ursprüngliche Sinnlichkeit gerade den Sachverhalt eine laute Musik vermittelt, anstatt lediglich einzelne atomare Empfindungen, wie Musik , laut zu enthalten. Man braucht sich damit nicht mehr die Frage aufzustellen, aus welchem Grund die im Nachhinein (nämlich nach dem Gegebenwerden der Empfindungen) auftretende Verbindung gerade so beschaffen sei. Die Verbindung müsste nämlich ebenfalls gegebene sein wie die ursprünglichen Empfindungen selbst.
Longfang Li wurde 1988 geboren. Nach seinem Studium der chinesischen Literatur an der Peking-Universität ging der Autor nach Deutschland. Sein Bachelor- und Masterstudium der Philosophie an der Universität Jena schloss er in den Jahren 2014 und 2017 erfolgreich ab. Seit 2017 promoviert er an der Universität Heidelberg in Richtung Deutscher Idealismus. Sein Forschungsschwerpunkt ist der Vergleich von Kant und Hegel, mit besonderer Rücksicht auf Ergebnisse des philosophischen Diskurses der modernen Metaphysik.
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