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- Historische Krankheit, Wiederkunft und Gefühl bei Friedrich Nietzsche: Eine genealogische Untersuchung
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In Friedrich Nietzsches Gesamtwerk einen roten Faden zu finden, scheint aufgrund seines unsystematischen Charakters schwierig. Die Lehre der ewigen Wiederkehr als zentrales Thema zu betrachten, erweist sich als sinnvolle Entscheidung, die es ermöglicht, die philosophischen Folgen der Intuition der ewigen Wiederkunft anhand ihrer Ursprünge im frühen Werk zu interpretieren. Diese Arbeit basiert methodologisch auf einer genealogischen Untersuchung, die von der Frage um Vergangenheit, Historie und Zeit ausgeht. Der Leitfaden der Fragen über die Zeit verweist zwar nur auf einen besonderen Aspekt der Philosophie Nietzsches, reduziert diese aber gleichzeitig nicht auf eine simple Betrachtung über die Natur der Zeit. Vielmehr erscheint die Überlegung über die Zeit als eine der besten Gelegenheiten, um die Besonderheiten des Werks Nietzsches zu betrachten. Es wird gezeigt, dass die Sprachauffassung, die Kritik an der Moral und der Entwurf eines nicht-linearen Zeitmodells einen gemeinsamen Ursprung in der Wiederkehrfrage finden und dass die Erfahrung des Augenblicks und die Philosophie der ewigen Wiederkehr als Fundament einer Rationalität des Leibes dienen. Zu diesem Zweck werden jüngere und ältere Werke aus Nietzsches Schaffen anhand ihrer Leitmotive miteinander verglichen.
Textprobe: Kapitel 1, Zu Nietzsches Auffassung der Geschichtsschreibung: In Bekenntnis am Grabe Nietzsches beleuchtet Peter Gast ein zentrales Merkmal des Lebens seines Freundes Friedrich. Im Moment der höchsten Trauer und Erinnerung an den Verlorenen fühlt sich Gast dazu verpflichtet, ein Leitmotiv des Daseins Nietzsches zu betonen, das dabei helfen soll, sowohl die Bedeutung des Werkes als auch die Lebensgeschichte Nietzsches zu verstehen. Gast beschreibt das Leben von Friedrich Nietzsche als eine ‘ungeheure Odyssee’: ungeheuer, weil ihm eine triumphale Rückkehr in die Heimat versagt war. Ohne Ruhe war Nietzsche durch das Europa des späten 19. Jahrhunderts gewandert und niemals konnte sein Geist eine dauerhafte Gesundheit erleben. Er war von einem obskuren Leiden verfolgt, das eine vielfältige Symptomatik verursachte und ihm viel zu denken gab. Es war, wie er selber schrieb, ein ‘Leiden am Menschen’, ein nicht besser definiertes Unbehagen gegenüber seinen Mitmenschen und letztendlich gegenüber sich selber. Jene Idee des ‘Leidens am Menschen’, die 1885 in der Genealogie der Moral auftaucht, war tief im Denken Nietzsches verwurzelt und hatte eine besondere Relevanz in seinen Gedanken zur Problematik der Historie. Schon in der Genealogie kann eine Ursache dieses Leidens in jenem Irrtum, jenem gefährlichen Vorurteil des modernen Menschen individuiert werden, sich als Sinn und Spitze der Geschichte zu verstehen. Eine entwickelte Auffassung und Kritik dieses Gedankens befindet sich bereits in der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. Wenn auch nicht klar ausgesprochen, geht es in dieser Schrift darum, das programmatische Resultat des hegelschen Erbes einstürzen zu lassen. Nietzsche wendet sich gegen den Anspruch des Denkens Hegels, das Ende der Philosophie zu repräsentieren. Mit der Zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung stellt Nietzsche die Konzeption der Vergangenheit des deutschen Idealismus drastisch in Frage. Es ist wichtig, sofort darauf hinzuweisen, dass der Ansatz Nietzsches (hier wie auch in den späteren Schriften) psychologischer Natur ist. Im Zentrum der Betrachtung stehen Begriffe wie Lebenskraft, Individuum und Inneres, deren Bedeutung vielschichtig sind, aber im philosophischen Diskurs immer wieder für die Interpretation des Subjekts als wissensstiftende Instanz herangezogen werden. In der Betrachtung ist oft davon die Rede, dass sich die Gesundheit als gute Entfaltung der Lebenskräfte ‘gleichermaassen’ bei Einzelnen, Völkern sowie Kulturen zeigt. Für Nietzsche ist also gleichgültig, von welcher Ebene der geschichtlichen Realität man sich die zu betrachtenden Beispiele aussucht - das Lebendige gilt als überhistorischer Wert sowie als einziges Orientierungskriterium der Schrift und somit als Leitmotiv des Gedankengangs. Und es ist genau diese starke und bisweilen schwer zu folgende Variation der Blickpunkte auf den Prozess der Geschichtsschreibung, der es Nietzsche letztendlich erlaubt, Vorurteile über den Wert und die Funktion der Historie sichtbar zu machen. Um den Weg zur Enthüllung dieser Vorurteile nachzuvollziehen und sie innerhalb Nietzsches Auffassung der Geschichtsschreibung zu situieren, bietet es sich an, eine Zusammenfassung der drei Arten von Historie zu verfassen, die er sie in der Zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung darstellt. 1.1, Monumentale und überhistorische Auffassungen: Die erste Skizzierung der drei Arten von Historie befindet sich im zweiten Kapitel der Betrachtung, in dem die drei Typen des Verhältnisses der Historie zum Leben dargestellt werden: ‘In dreierlei Hinsicht gehört die Historie dem Lebendigen: sie gehört ihm als dem Thätigen und Strebenden, ihm als dem Bewahrenden und Verehrenden, ihm als dem Leidenden und der Befreiung Bedürftigen. Dieser Dreiheit von Beziehungen entspricht eine Dreiheit von Arten der Historie: sofern es erlaubt ist eine monumentalische, eine antiquarische und eine kritische Art der Historie zu unterscheiden’. Schon hier kann man erste Züge einer Struktur erkennen. Die ersten beiden Arten der Historie (monumentalische und antiquarische) setzen eine feste Position des Denkens voraus, während man in der dritten Art eine gewisse Dynamik erkennen kann. Sind nämlich monumentalische und antiquarische Historiker Vertreter eines kaum beweglichen Standpunkts gegenüber dem geschichtlich Wirklichen, geht es erst in der kritischen Variante von Historie darum, durch die Infragestellung der historischen Facta eine Ordnung innerhalb der Geschichte als zur Gesundheit führendes Gleichgewicht zu schaffen. Während also bei den ersten beiden Konzeptionen das historische Faktum undiskutiert bleibt und sich das betrachtende Subjekt für eine Position entscheiden muss (entweder ‚initiativ gegenüber Vorbildern’ oder ‚rein treu und passiv vor dem Geschichtlichen’), zeigt die kritische Art die Absicht, historische Tatsachen ‚vor Gericht’ zu bringen. Jede dieser Arten von Geschichtsschreibung entsteht vor gewissen Hintergründen und Bedürfnissen. Die monumentale Historie versteht Nietzsche als einen strategischen Versuch, ‘die Abwechselungen des Glückes standhaft zu ertragen’. Gegenüber den Schwierigkeiten des Lebens ersinnt der tätige Mensch eine Geschichte, die ihn an seine Ziele und Hoffnungen erinnert, welche ihn zum Handeln auffordert. Eine wichtige Aufgabe der Geschichtsschreibung scheint demnach die Steuerung von menschlichen Energien bzw. Lebenskräften zu sein. In diesem Sinne bezeichnet das Wort ‘Mächtiger’ eine Figur, die sich durch Gestaltungskraft auszeichnet und nicht nur durch Ausübung von körperlicher oder politischer Macht charakterisiert ist. Die Kategorie Macht bedeutet hier prinzipiell jene psychologische Veranlagung, sich durchzusetzen bzw. sich im Verhältnis zum Geschichtlichen zu exponieren. Es handelt sich um einen Typus, eine Modalität der Wechselbeziehung zwischen historischen Inhalten und dem in der Gegenwart lebenden Subjekt: der Tätige wendet seine Energien an, um den unbefriedigenden Naturzustand zu überwinden. ‘Sein Ziel [...] ist irgend ein Glück, vielleicht nicht sein eigenes, oft das eines Volkes oder das der Menschheit insgesamt er flieht vor der Resignation zurück und gebraucht die Geschichte als Mittel gegen die Resignation’. Erst durch diese Darstellung des Mächtigen wird es möglich, sein Gegenstück zu umreißen. Vor dem Mächtigen befinden sich der Reichtum der Resignation der Ohnmächtigen. Durch die gewonnene Distanz zur trägen und passiven Veranlagung gelingt es dem Mächtigen, der Resignation entgegenzutreten und sie zu überwinden. In dieser Schilderung der monumentalen Historie kann man das Muster der Genealogie der Moral wiedererkennen: Man kann die Opposition von monumentaler und antiquarischer Historie ohne weiteres als Prototyp der später entwickelten Dichotomie stark-schwach auslegen. Die Müßiggänger, welche den Ekel des Tätigen verursachen, konstituieren das Szenario, in dem sich der monumentale Geschichtsschreiber bewegen muss. Sie spielen gewissermaßen die Rolle eines passiven Widerstandfaktors für die Entfaltung der Lebenskraft. Das Vorhaben jeder monumentalen Historie ist also so konzipiert, dass das Vorbildliche der Vergangenheit theoretisch ewig vorhanden sein kann, um eine einzige, permanente und zuverlässige Denkrichtung für die Erziehung der neuen Generationen zu prägen. ‘Dass die grossen Momente im Kampfe der Einzelnen eine Kette bilden, dass in ihnen ein Höhenzug der Menschheit durch Jahrtausende hin sich verbinde, dass für mich das Höchste eines solchen längst vergangenen Momentes noch lebendig, hell und gross sei - das ist der Grundgedanke im Glauben an die Humanität, der sich in der Forderung einer monumentalischen Historie ausspricht’. Das Streben nach der Erzeugung des Monumentalen findet seinen Ursprung in einem Humanismus, in einem ‘Glauben an die Humanität’, der aber nicht von der ganzen Menschheit aufgrund von Machtdynamiken akzeptiert werden kann. Der Großteil der Menschen weicht diesem Weg zur Unsterblichkeit aus, den nur die Großen einschlagen. Selbst die Großen müssen sich mit dem allgemeinen Naturzustand konfrontieren, der sie zwingt, sich dem Werk der Schöpfung zu widmen, indem sie als ‘geängstigte und kurzlebende Thiere, die immer wieder zu denselben Nöthen auftauchen und mit Mühe eine geringe Zeit das Verderben von sich abwehren’. In dieser Hinsicht sieht man, inwiefern das Werk der monumentalen Historie seinen Beweggrund mit der antiquarischen Historie, mit seinem Feind, teilt: Sowohl der tätige als auch der untätige Mensch repräsentieren eine Reaktion auf den Naturzustand nach dem Motto: ‘leben um jeden Preis’. Indem man erkennt, dass der Trieb zum Überleben gemeinsamer Anfangspunkt sowohl für die monumentalischen Menschen als auch für den antiquarischen Menschen ist, kann man den Kern des Willens der Mächtigen erfassen - diese fühlen sich durch die Betrachtung ihrer Vergangenheit beseligt, ‘als ob das Menschenleben eine herrliche Sache sei, und als ob es gar die schönste Frucht dieses bitteren Gewächses sei, zu wissen, dass früher einmal Einer stolz und stark durch dieses Dasein gegangen ist’. Im Zurückblicken auf die großen Taten ihrer Vergangenheit müssen sich die Anhänger der monumentalen Historie imstande fühlen, eine Kontinuität zwischen dem großen Vergangenen und dem In-der-Gegenwart-Möglichen herzustellen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, dieses historische Verfahren als einen Rückblick zu interpretieren. Mit dem Ausdruck Rückblick wird in diesem Kontext impliziert, dass der historische Betrachter im Nachhinein eine bestimmte Reihe bewiesener Tatsachen wahrnimmt. Die historische Tatsache wird ihrerseits gewissermaßen als eine objektive wahrgenommen, so dass durch ihre unbestrittene Exaktheit auch ihr Vorbildcharakter gewährleistet ist. Würde man z.B. bezweifeln, dass irgendein Faktum einer monumentalen Geschichte wirklich geschehen ist, sollte man es auch konsequent von dieser Geschichte ausschließen. Die Labilität der Grenze zwischen Existenz und Inexistenz innerhalb der monumentalen Konzeption der Geschichte wird dadurch deutlich, dass Nietzsche den Begriff von Wahrhaftigkeit ins Spiel bringt: ‘Nur wenn die Erde ihr Theaterstück jedesmal nach dem fünften Akt von Neuem anfienge, wenn es feststünde, dass dieselbe Verknotung von Motiven, derselbe deus ex machina, dieselbe Katastrophe in bestimmten Zwischenräumen wiederkehrten, dürfte der Mächtige die monumentale Historie in voller ikonischer Wahrhaftigkeit, das heisst jedes Factum in seiner genau gebildeten Eigentümlichkeit und Einzigkeit begehren: wahrscheinlich also nicht eher, als die Astronomen wieder zu Astrologen geworden sind. Bis dahin wird die monumentale Historie jene volle Wahrhaftigkeit nicht brauchen können: immer wird sie das Ungleiche annähern, verallgemeinern und endlich gleichsetzen’. Der Glauben an die Humanität ist letzten Endes ein Aberglaube an die Wiederkehr jedes historischen Faktums. Die Wahrhaftigkeit wird ikonisch, weil der Historiker bzw. der Dichter die Eigentümlichkeit und den Wert einen jeden historischen Faktums bestimmen. In der Zweiten Unzeitgemäßen lässt Nietzsche mit dem Hinweis auf die zur Astrologie werdenden Astronomie nicht daran zweifeln, dass für den Menschen immer die Möglichkeit bestehe, die Wirklichkeit durch ein selbstgeschaffenes Wahrhaftigkeitskriterium zu erzeugen. Sobald nämlich die Wahrhaftigkeit nicht mehr ein vom historischen Subjekt bestimmter Maßstab ist, müsste die monumentalische Historie auf ihr ‘Verallgemeinern’ bzw. ‘Gleichsetzen’ verzichten, weil sie dann das aus der Vergangenheit überlieferte Ungleiche (d.h. das nicht mehr Vorbildliche, das potentiell Schamhafte, das von der monumentalischen Geschichte verdrängt wurde) akzeptieren müsste. Dies erweist sich aber als ein unrealisierbarer Kompromiss: Auf diesem Akt des freien Willens basiert die gesamte Glaubwürdigkeit des Vergangenen - das Subjekt herrscht über das Geschichtliche kraft einer Wahrheitstheorie der Kohärenz. Das Werk der Großen, sei es ‘eine seltene Erleuchtung’ oder eine ‘Schöpfung’, wirft seinen Schatten auf den vergessenen Teil der Geschichte - der Glauben an die Homogenität des Monumentalen jedes Zeitalters wirkt als ein kräftiges Arzneimittel, als ‘ein Protest gegen den Wechsel der Geschlechter und die Vergänglichkeit’.25 Dies funktioniert, solange man die Kosten eines solchen historischen Verfahrens nicht mitberechnet: Der monumentale Mensch verzichtet tendenziell auf die Betrachtung der realen Ursache-Wirkung-Verhältnisse. Mehr als eine Schöpfung von wahrhaftigen Bildern scheint das Eigentümliche der monumentalen Historie die Erzeugung von Effecten an sich zu sein.
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