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Philosophie

Hannes Ole Matthiessen

Direkte Wahrnehmung und die fünf Sinne

ISBN: 978-3-8366-6364-9

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 122
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In der philosophischen Wahrnehmungstheorie herrschte bis vor etwa dreißig Jahren ein seltsames Einverständnis darüber, dass es sich bei den Objekten, auf die wir uns wahrnehmend unmittelbar beziehen können, um mentale Objekte handeln müsse unser Bezug auf ganz gewöhnliche Dinge - Stimmen, Vögel, Käse - erfolge vermittelt durch geistige Repräsentationen (Sinnesdaten, perzeptuelle Erfahrungen, Vorstellungen etc.). Erst seit Mitte der 1980er Jahre ermöglicht die disjunktive Konzeption perzeptueller Erfahrung ein alternatives Verständnis unseres Weltbezugs. Unter Verzicht auf einige Cartesianische Vorurteile lässt sich die These der direkten Wahrnehmung gegen die notorischen Täuschungsargumente verteidigen. Im vorliegenden Buch unternimmt es Hannes Ole Matthiessen, die These vom direkten Weltbezug vom klassischen visuellen Fall auf die vier übrigen Sinnesmodalitäten zu übertragen. Dazu wird zunächst der Sinnesbegriff einer Untersuchung unterzogen, die in der These mündet, dass unser Begriff der fünf Sinne ein auf biologischen Gegebenheiten basierender, aber letztlich aus pragmatischen Gesichtspunkten (also im Hinblick auf Praxisrelevanz der Unterscheidung) eingebürgerter ist. Die sukzessive Anwendung der These der direkten Wahrnehmung auf Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Getast stößt an vielen Stellen an die Grenzen des in der Wahrnehmungsphilosophie Selbstverständlichen. Im Ergebnis wird ein Problem für die These der direkten Wahrnehmung formuliert, das sich aus dem ihr impliziten demonstrativen Phänomenalismus ergibt.

Leseprobe

Kapitel 2.1.7, Das Qualiakriterium: Dass bestimmte introspektible charakteristische Erfahrungen, die mit den Wahrnehmungen zusammengehen, uns in die Lage setzen, zwischen unseren fünf Sinnen zu unterscheiden, ist ein nahe liegender Gedanke. Fühlt sich nicht Hören ganz anders an als Riechen? Etliche an der Debatte beteiligte Philosophen haben denn auch bekräftigt, dass so etwas wie das Qualiakriterium zumindest eine notwendige Bedingung für die Unterscheidung zwischen den Modalitäten darstellt. Grice verwendet nicht den Terminus Qualia , sondern führt die Kategorie der generischen Ähnlichkeit (generic resemblance) ein. Darunter versteht er den gemeinsamen Charakter aller Erfahrungen eines Modus, der sich über den qualitativen Unterschied unterschiedlicher Wahrnehmungen eines Modus hinwegsetzt und der durch die perzeptiven Verben sieht aus , riecht , klingt etc. signalisiert wird. Wenn man sich mit dem Qualiakriterium auseinander setzt, fällt zunächst auf, dass die Existenz von Qualia, die üblicherweise als intrinsische (inhärente, essentielle), nicht-repräsentationale Eigenschaften mentaler Zustände, insbesondere von Wahrnehmungszuständen charakterisiert werden, nicht unumstritten ist. Häufig wird gegen sie mit der Transparenz der perzeptuellen Erfahrung argumentiert. Wann immer wir versuchen, unsere Aufmerksamkeit introspektiv auf das Wie-es-sich-anfühlt der Erfahrung zu richten, landen wir bei nichts anderem als den wahrgenommenen Eigenschaften oder, anders ausgedrückt, den repräsentationalen oder intentionalen Gehalten. Michael Tye schreibt am Ende seines Aufsatzes Visual qualia and visual content : Introspection tells us that the visual experience that represents blue differs from the visual experience that represents red. This 'felt' difference is, I claim, solely a matter of content. Since the colours represented by the two experiences are different, the experiences themselves are introspectively distinguishable. The reason, then, that the visual experience of blue 'feels' as it does is that it could not 'feel' any other way. The 'felt' aspect simply cannot be divorced from the representational aspect. . Dass eine repräsentationalistische Theorie der Wahrnehmung allerdings nicht notwendig zur Ablehnung von Qualia führt, demonstriert Fred Dretske, der sich als Fan von Qualia bezeichnet. Allerdings versteht er sie nicht als nicht-repräsentational vielmehr identifiziert er Qualia mit den Eigenschaften, derer wir in der Erfahrung gewahr sind. Mit diesem Begriff wären sicher die meisten der expliziten Qualia-Befürworter nicht einverstanden, da für sie gerade die Nichtrepräsentationalität das relevante Merkmal von Qualia darstellt. Im Übrigen hilft ein Begriff von Qualia, nach dem sie sich vom Gehalt der Wahrnehmung, also den wahrgenommenen Eigenschaften, nicht separieren lassen, uns nicht weiter, wenn wir nach einem unabhängigen Kriterium suchen, um die Sinne zu unterscheiden. Abgesehen vom zweifelhaften ontologischen Status – warum könnten Qualia bzw. der introspektive Charakter von Erfahrungen (so es so etwas gäbe) nicht als Unterscheidungskriterium genügen? Dafür spräche sicherlich, dass das Eigenschaftskriterium bei transmodal wahrnehmbaren Qualitäten nicht funktioniert. Beispielsweise können Größe und räumliche Position von Objekten sowohl visuell, taktil als auch auditiv wahrgenommen werden. Diese Tatsache scheint mir ziemlich offensichtlich die repräsentationalistische These, dass allein der Gehalt einer Wahrnehmung ihre Qualität bestimmt, zu widerlegen. Der phänomenale Charakter des Hörens, dass der betretene Raum eine riesige Halle ist unterscheidet sich fundamental vom Sehen, dass man in eine riesige Halle eingetreten ist. Bietet nun nicht vielleicht der unterschiedliche Charakter – bei identischem intentionalen Gehalt – eine gute Möglichkeit anzugeben, welcher Sinn operiert? Ein erstes Problem mit diesem Vorschlag, das bereits von Grice angeführt wird, besteht darin, dass eine Differenzierung der Sinne allein über ihren phänomenalen Charakter die Zuordnung von wahrnehmbaren Eigenschaften zu den Sinnen zu einer recht zufälligen Angelegenheit macht. Denn wer sagt, dass man eine typisch visuelle Erfahrung nicht auch beim Riechen haben könnte? Aber, wie Grice betont, it does not seem to be just a contingent fact that we do not see the smells of things. . Zwei weitere (in gewisser Weise empirische ) Argumente bestreiten nicht direkt, dass das Qualiakriterium notwendig oder hinreichend sei für eine Unterscheidung der Sinnesmodalitäten, sondern stellen seine Anwendbarkeit in Frage. Das erste bezieht sich auf die Tatsache, dass es Formen menschlicher Wahrnehmung gibt, bei denen zumindest strittig ist, dass sie überhaupt über phänomenalen Gehalt verfügen. Brian Keeley führt als Beispiel das vomeronasale System an. Zwar wird seine Existenz nicht von allen Anatomen angenommen, doch gibt es einige frappierende überraschende Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet. Eine Untersuchung von Rivlin und Gravelle kam zu dem Ergebnis, dass Personen in der Lage sind, das Geschlecht anderer Versuchspersonen anhand der von letzteren ausgeatmeten Luft mit einer Treffsicherheit von bis zu 95% zu bestimmen. Als Ursache hierfür wird die Fähigkeit angegeben, in der Atemluft enthaltene Pheromone zu detektieren. Ein überraschendes zweites Ergebnis der Studie ist, dass die VersuchsteilnehmerInnen phänomenal keinen Unterschied zwischen den Atemluftproben wahrzunehmen angaben und sehr überrascht waren zu erfahren, dass sie in der Lage waren, Geschlechter auf diese Weise mit so großer Sicherheit zu ermitteln. Sie hatten während des Experiments eher das Gefühl zu raten. Ganz ähnliche Beobachtungen macht man bei Menschen, die aufgrund eines Schadens am primären visuellen Cortex als blind gelten und auch selbst angeben, nichts zu sehen. Dennoch können viele von ihnen Figuren oder Gesichtsausdrücke richtig erkennen , wobei sie auch angeben, das Gefühl zu haben, lediglich zu raten. Dieses als Blindsight bezeichnete Phänomen stellt, ebenso wie die Vomeronasalwahrnehmung, massiv in Frage, dass das Haben von Qualia eine notwendige Bedingung für Wahrnehmung darstellt. Andererseits lässt sich aus ihm ein plausibles Argument für die Gegenwart von Qualia in der normalen Wahrnehmung konstruieren. Der Unterschied zwischen sehend und blind Sehenden lässt sich nämlich – zumindest auf den ersten Blick – recht gut dahingehend charakterisieren, dass die ersteren über Qualia verfügen, die letzteren nicht. Michael Tye setzt sich mit diesem Argument auseinander, wobei er allerdings nicht auf die aktuellen Fälle von Blindsight Bezug nimmt, sondern sich eine Person vorstellt, Albert, die genau so auf seine Umgebung reagiert wie Sehende, aber von Geburt an blind ist. Wenn er nun mit visuellen Reizen konfrontiert ist, kommen ihm Gedanken über die gesehenen Gegenstände in den Kopf, ohne dass er sagen könnte, woher. Und For Albert there is experientially no difference between his thought on such occasions and his thoughts when he ruminates on mathematics or art or life in general. Um den Unterschied zwischen Albert und einer normal sehenden Person anders als mithilfe von Qualia zu charakterisieren, schlägt Tye vor, dass der Unterschied in erster Linie ein modaler ist. The crucial difference between Albert and myself when we face the same scene is that I am introspectively aware that I am undergoing a visual experience with a certain content whereas Albert is introspectively aware that he is undergoing thought with that content. (ebd.) Dazu führt Tye aus, dass die introspektiv vornehmbare Klassifizierung meiner Erfahrung als visuelle nicht auf Qualia beruht. Hinreichend für das Haben einer visuellen Erfahrung – das ontologisch einen ähnlichen Status habe wie etwa das Denken eines Gedankens oder das Haben eines Wunsches – sei die entsprechende funktionale Rolle, wobei deren vollständige Spezifikation eine Aufgabe der wissenschaftlichen Psychologie sei. Ich halte diese Erklärung nicht für sehr aufschlussreich. Sollte ich die funktionale Rolle introspektiv bemerken können, wie Tye fordert, wo anders als in einem nicht näher spezifizierbaren qualitativen Unterschied sollte sie sich zeigen? Wie auch immer man die Frage nach der Existenz von Qualia in der normalen Wahrnehmung letztendlich beantwortet – notwendige Bedingung für jede Art von Wahrnehmung kann sie nicht sein. Natürlich könnte man sagen, dass die Situationen, in denen die blind riechenden und sehenden Versuchspersonen ihre Entscheidung treffen (das ist eine Frau da ist ein Dreieck) über irgendeine Art introspektiver Qualität verfügen, etwa derart, dass es Situationen sind, in denen man eine Neigung verspürt so-und-so zu antworten. Aber offensichtlich können solche phänomenalen Zustände nicht herangezogen werden, um die Fälle als (vomeronasales) Riechen oder (blindes) Sehen zu charakterisieren – allein schon deshalb, weil sich gemessen am introspektiven Charakter die beiden Wahrnehmungsarten nicht notwendig unterscheiden. Es ist sogar ein Fall vorstellbar, in dem eine blindsehende Person abwechselnd weiblichen Pheromonen und einem Bild, das eine Frau darstellt, ausgesetzt ist – hier ist es möglich, dass sie in beiden Fällen auf entsprechende Fragen rät , dass es sich um eine Frau handelt, aber nicht sagen kann, ob sie das nicht gesehen oder nicht gerochen hat. Daran wird deutlich, dass Qualia nicht zum Unterscheidungskriterium taugen. Dass die Person durch Zuhalten von Nase oder Ohren in der Lage ist, über die Ursache ihrer Entscheidung Klarheit zu gelangen, legt hier eindeutig nahe, dass die beteiligten Organe bei der Bestimmung der Modalität eine Rolle spielen. Das zweite Argument, das ich angekündigt hatte, stammt von Brian Keeley, der in seinem Aufsatz Making Sense of the Senses. Individuating Modalities in Humans and other Animals nach Sinneskriterien sucht, die den Anforderungen von Psychologie und Biologie entgegenkommen. Er schließt das Qualiakriterium einfach deshalb aus, weil wir in unserer Praxis, Tieren bestimmte Sinne zuzuschreiben, von ihm keinen Gebrauch machen können, wir aber trotzdem in der Lage sind, bestimmte sinnliche Vermögen begründet manchen Gattungen zu-, anderen abzusprechen. Prinzipiell ist es also möglich, die Sinne allein nach äußeren Kriterien wie Vorhandensein und Funktion von Organen, oder dem Verhalten zu unterscheiden.

Über den Autor

Hannes Ole Matthiessen (Jahrgang 1979) studierte Philosophie und Kulturanthropologie in Berlin (Humboldt-Universität), Moskau (Staatliche Lomonosov-Universität) und Frankfurt am Main (Goethe-Universität). Er arbeitet an einer Dissertation über epistemische Rechtfertigung durch Wahrnehmung.

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