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Philosophie

Simone Rongen

Die Ästhetik des Ekels in der Literatur: Von der Antike bis zu Gottfried Benn

ISBN: 978-3-8428-9815-8

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Als menschliche Emotion und als ästhetisches Phänomen ist der Ekel so alt wie die Menschheit selbst. Doch als negativ gewertete Erscheinung neigen wir dazu, ihn aus unserer Wahrnehmung auszublenden. Aber möchte tatsächlich niemand etwas von diesem widerwärtigen Gefühl wissen? Das Gegenteil ist oftmals der Fall. Die Lust an der Abscheulichkeit des Ekels ist allgegenwärtig. Ziel dieses Buches ist es, darzustellen, wie sich der Ekel vorrangig in der deutschen, aber auch europäischen Literatur, ausgehend von der ästhetischen Theorie des 18. Jahrhunderts bis zur Moderne entwickelt hat und wie er sich in den frühen Gedichten Gottfried Benns manifestiert. Beginnend mit der ästhetischen Theorie des 18. Jahrhunderts wird die Entwicklung des Ekels in der Literaturtheorie an ausgewählten Beispielen dargestellt. Die Epochen und Strömungen der Aufklärung, Klassik, der Romantik, des Naturalismus und der Dekadenz bis zum Expressionismus werden dabei behandelt. Am Beispiel des Morgue-Zyklus und anderer früher Gedichte werden die Motive, Themen und die Funktionen des Ekels in Benns Dichtungen dargestellt. Das Augenmerk liegt dabei auf der Frage, ob Benn einer bestimmten theoretischen Strömung folgte.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1.7, Fin de Siècle und Dekadenz - Ekel als neuer Reiz: ,Fin de siècle’ war in Deutschland und in ganz Europa zu seiner Zeit ein Modewort. ‘Es meint: nicht jung, nicht naiv, nicht konventionell. Es meint weiterhin auch, was man zuweilen zu einseitig hervorhebt. Müdigkeit, Nervenschwäche, blasierte Skepsis’. Hintergrund des Fin de Siècle war das weitere Fortschreiten gesellschaftlicher Differenzierung. Mit ihr ging eine zunehmende Auflösung gemeinsamer Werte einher und damit ein Verlust an Orientierungen und Welterklärungsmodellen. Um 1900 hatten die Modernisierungsprozesse, die schon die Naturalisten wahrnahmen, eine neue Qualität. Es begann ein beschleunigter sozialer Wandel verbunden mit der Hoffnung auf Fortschritt, aber auch verbunden mit den Kosten eines raschen Traditions- und Sicherheitsverlustes. In den Themen der Literatur fanden sich die Hintergründe wieder. Als Reaktion auf die Veränderungen der gesellschaftlichen Struktur suchte das literarische Ich nach seiner Identität und scheiterte an der Welt. Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft wurde oft als Kampf des Menschen gegen eine anonyme Macht, z.B. die Großstadt oder Bildungsinstitutionen, gesehen. Fin de Siècle umfasst aber noch mehr, es ist annähernd ein Synonym für Dekadenz, wenn gleich es sich nicht völlig mit diesem Begriff deckt. Zeitlich sind Dekadenz und Fin de Siècle nahezu übereinstimmend, zumindest in Deutschland, denn in Frankreich finden sich Dekadenzmotive schon seit der späten Romantik. In der Sekundärliteratur wird sie daher auch als Fortführung und Ausprägung der schwarzen Romantik gesehen. Bevor ich näher auf die literarischen Ausprägungen der Dekadenz und des Fin de Siècle und deren Themen eingehe, möchte ich zunächst die Gefühlslage der Dekadenten erläutern. 1.7.1., Stimmungen und Emotionen der Dekadenz: Die Dekadenz ist als eine Gefühlslage der Künstler, Autoren oder auch Bürger zu bezeichnen. Sie ist ein Gefühlskomplex sowie das Bewusstsein der Minderwertigkeit des Daseins und aller Daseinsmöglichkeiten. Die dekadenten Menschen sind Tatenlose, denn sie sind viel zu sehr vom Gefühl der Nichtwürdigkeit des Daseins geschwächt, als dass sie zu irgendwelchen Handlungen fähig wären. Lieber sitzen sie im Kaffeehaus und schwelgen im Schmerz. Doch manchmal packt sie der Enthusiasmus, was das dekadente Verhalten an sich widersprüchlich macht. Der Weltschmerz, das mal du siècle, der schon erwähnte Ennui, ist wesentlich für die Dekadenz. Er ist funktionalisiert worden und daher wird alles melancholisiert. Die Melancholie hat jedoch Unrecht. Der Dekadente ist sich selbst eine Last. Sein Lebensüberdruss, die Quelle des Ennui, ist ein Zustand der Ungewissheit, in dem die Furcht durch ein belangloses Hindernis von einem großen Vorteil fernhalten kann und wo ‘100 Zuneigungen erlöschen, bevor sie ans Herz gehen’. Es ist die Monotonie des Lebens, die krank macht und den Selbstmord als einzig mögliche Zuflucht erscheinen lässt. Es besteht eine Scheu vor dem Leben, in dem der Dekadente trotzdem der Angelpunkt ist. Leiden wird durch die Erwartung der Unlust-Empfindung erregt. Das Gefühl der Sinnlosigkeit des Daseins bedingt eine quälende Unruhe und die schmerzhafte Suche nach Glück. Bei den Dekadenten besteht eine andauernde Angst, immerzu sehen sie undeutlich die Art des Übels und nicht das Heilmittel. Diese Angst führt zu einer Sehnsucht nach Betäubung, nach dem Leben in einem künstlichen Paradies phantastischer Seligkeit, das fast nur in Traum und Schlaf gefunden werden kann. Oft werden Drogen konsumiert, um diesen gedankenlosen Zustand zu erreichen. Ihre Stimmung ist geprägt von einem ewigen Auf und Ab. Zudem empfinden sie eine Lust am Schmerz, physisch wie psychisch, am eigenem wie am fremden. Diese Lust zeigt sich auch in der Literatur, in der Darstellung von Schmerzszenen, in der auch sexuelle, sadistischen Praktiken keine Seltenheit sind. Aber auch die Lust am eigenen Schmerz und die freudige Glücksbewegung durch das Ausweinen desselben sind zu finden. Die dekadenten Menschen suchen Abwechslung in jeder Hinsicht, um die Lust zu steigern und neue Lust empfinden zu können. Das normale oder Schöne reicht ihnen nicht mehr. Daher wenden sie sich dem Grässlichen, Schaurigen und Ekelhaften zu, denn nur das noch nicht Dagewesene vermag in ihnen noch eine lustvolle Empfindung zu erwecken. Die Natur ist ihnen unsympathisch, sie sperren sich gegen die Anerkennung der regungsvollen Lebendigkeit, da sie ihnen zu selig ist. Gleichzeitig spüren sie den unendlichen Druck der Vergänglichkeit, der in ihr Bewusstsein bringt, selbst schon nahezu vergangenes Leben zu sein. Es ergibt sich die Tendenz, die Gegenwart abzuwehren und die Vergangenheit zu ersehnen. Aktuelles Zeiterleben schmerzt, weil die Aktualität zum sofortigen Handeln herausfordert. Die Geschichtsauffassung der Dekadenten ist generell pessimistisch. Sie haben kein Verständnis für den Fortschrittsgedanken. 1.7.2, Literarische Dekadenz - dekadente Literatur: In den Werken der dekadenten Autoren sind deutliche Tendenzen der schwarzen Romantik wiederzufinden, oft wird die Dekadenz auch als eine Strömung der Romantik bezeichnet. Die dekadente Literatur bildete eine Kehrseite zum mit der Industrialisierung erstarkten Bürgertum. Sie richtete sich gegen die Normalität der bürgerlichen Gesellschaft und die konventionelle Erwartungshaltung. Dekadente Künstler hatten einen Hass auf das Alltägliche. Der Dekadente liebte den Exzess, weil der dauernde Reiz des Ungewöhnlichen ‘abstumpft gegen das alltägliche Erleben, weil das Schrankenlose nach dem Umkehrprinzip ein Höchstmaß an provokativem Gegensatz zur Normalität bedeutet’. Mehr noch als die Naturalisten ließen sie in ihre Literatur eine grundsätzliche Abwertung und allgemeine Zivilisationskritik durch ekelhafte und hässliche Motive einfließen. Die Literatur der Dekadenz könnte somit als ein Fortschritt der naturalistischen gesehen werden, obwohl ihre Motive sich unterscheiden. Beide Epochen zeigten eine Hinwendung zu den Nachtseiten des Lebens, doch wo naturalistische Autoren auf soziale Ungerechtigkeit aufmerksam machen wollten, da suchte der Dekadente den Gegensatz, die Provokation und den Reiz des anderen. Die Dekadenz bezog ihre Wirkung größtenteils aus der Provokationskraft des Kontrastbezugs. Das Phänomen des Verfalls ist in dekadenter Literatur doppelwertig. Es ist Melancholie und Resignation, aber zugleich wird Dekadenz auch als etwas Erlesenes, Ausgezeichnetes, als Vergeistigung, Erhöhung der Sensibilität und die Fähigkeit der Erkenntnis gesehen. In Deutschland wurde die Dekadenz von Nietzsche geprägt. Er sah den Verfall als Verlust von Vitalität an. Eine Lust am Grauen war nur eine Kompensationsform für das ,Nein’ zum Leben. Die Dekadenz wurde als Krankheit gesehen, aber auch als Durchgangsstadium zur Genesung. Sie ist aber nicht bloß Vorstufe einer sie überwindenden Entwicklung nach 1900 zu verstehen. Schon Nietzsche wusste ‘die Geheilten sind nur ein Typus der Degenerierten’. Zusammenfassend lässt sich die Dekadenzliteratur als Produkt gesellschaftlichen und kulturellen Niedergangs im Sinne von Degeneration, aber auch als ästhetische Gegenbewegung sowohl gegen bürgerliches Fortschrittsdenken als auch gegen klassizistisches Stilverständnis definieren. Entscheidend für den Begriff Dekadenz ist seine Umwertung durch Charles Baudelaire. Dekadenz und ihre Erscheinungsformen wurden von ihm positiv umgedeutet. Verfall trat vor Augen als Substrat der geschichtlichen Entwicklung über das es nichts mehr gibt. Die Hinwendung zum Toten, Verwesenden und deshalb Ekelhaften verwundert daher nicht, betrachtet man die Grundeinstellung der Dekadenz. Baudelaires ‘fleur du mal’. ist dafür ein Paradebeispiel.

Über den Autor

Simone Rongen studierte von 1999 bis 2004 Neue Deutsche Literaturgeschichte, Deutsche Philologie und Psychologie an der RWTH Aachen. Neben der Literatur des Realismus, Naturalismus und Expressionismus lag einer Ihrer Studienschwerpunkte im Bereich Unternehmenskommunikation. Nach Ihrem Magisterabschluss erlangte sie zusätzlich einen Abschluss im Bereich Fachjournalismus an der Deutschen Journalistenschule und war mehrere Jahre als freie Journalistin und Marketingredakteurin tätig. Aktuell ist sie Marketing-/ und Vertriebsleiterin in einem Beratungsunternehmen in Aachen.

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