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- Sexuelle Gewalt in der Pflege: Ursachen, Auswirkungen und Folgen sowie Möglichkeiten der Prävention und Intervention
Pflege
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Sexuelle Gewalt in der Pflege ruft Ungläubigkeit, Entsetzen, Ekel und Abscheu hervor. Opfer dieser speziellen Gewaltform müssen ihre Erfahrungen selbst als solche identifizieren und gegen Tabuisierung und Ignoranz ankämpfen, wenn sie sich hilfesuchend an Dritte wenden. Dass es sexuelle Gewalt im pflegerischen Kontext gibt, deren Täterinnen und Opfer auf der Seite der Patientinnen und Bewohnerinnen überwiegend ältere Menschen sind, unterliegt bisher einer gesellschaftlichen Wahrnehmungsbarriere: Zum einen bieten Krankenhäuser und Seniorinnenheime in gängigen Vorstellungen keinen Raum für Sexualität. Zum anderen besteht in vielen Teilen unserer Gesellschaft bis heute das Bild der Asexualität alter Menschen. In der vorliegenden Arbeit wird die Frage behandelt, ob es Fälle sexueller und sexualisierter Gewalt gibt, die von Patientinnen und Bewohnerinnen einerseits sowie von Pflegenden andererseits erlebt oder ausgeübt werden. Zudem wird betrachtet, in welchen Formen sie zur Ausübung kommen und in welchem Kontext sie an die Öffentlichkeit gelangen. Darüber hinaus werden Ursachen, Auswirkungen und längerfristigen Folgen für die Betroffenen sowie Möglichkeiten der Prävention und Intervention vorgestellt.
Textprobe: Kapitel 6.2, Ursachen für vom Pflegepersonal ausgehende sexuelle Gewalthandlungen: Im nächsten Abschnitt werden drei Erklärungsversuche der sexuellen Gewalt in der Pflege vor¬gestellt. Am Anfang stehen Theorien über sexuelle Gewalttaten, die sich direkt aus der pfle¬gerischen Beziehung ergeben. Anschließend werden Ursachen benannt, die nicht speziell aus der Pflegebeziehung resultieren, bei entsprechender Disposition der Pflegenden diese jedoch durch ihr Berufsfeld einen vereinfachten Zugang zu den potenziellen Opfern haben. Allen gemeinsam sind Aspekte der Macht, welche in jeder Tat Einfluss hat, um körperliche und seelische Ver¬änderungen bei den Opfern sowie Wahrnehmungs¬än¬de¬run¬gen bei den Täterinnen herbei zu führen. Deshalb kann in diesem Gefüge auch von se¬xu¬a¬li¬sierten Gewalt¬hand¬lun¬gen gesprochen werden. 6.2.1, Ursachen, die im Zusammenhang mit der pflegerischen Beziehung stehen: Die erste Möglichkeit ist eine sukzessiv entwickelte Abneigung gegen die pflege¬be¬dürf¬tigen und/oder kranken Personen. Den Täterinnen, die eigentlich in der Betreuungs- und Fürsorgepflicht für die Patientinnen und Bewohnerinnen stehen, gelingt es nach langer Zeit der liebevollen und idealistischen Pflege nicht mehr, den Pflege¬bedürftigen eine profes¬sionel¬le und ganzheitliche Pflege zukommen zu lassen. Die Berufung, Freude am Umgang mit den Menschen, der gesunde Altruismus sowie weitere Ideale und eigene Erwartungen des sozialen Handelns verblassen im Laufe der Berufsjahre durch Alltagsroutine, Än¬de¬run¬gen des Berufsbildes und Überdruss des steten Aufbaus und Haltens sozialer Beziehungen im beruflichen Kontext. Besonders destruktiv sind diesbezüglich akute organisatorische Veränderungen, wie bspw. Personalstellen- und Gehaltskürzungen, Personalwechsel im Ma¬nagement und Einführung eines anderen Leitungsstiles. Aber auch Ereignisse im Pri¬vat¬leben, wie z. B. Krankheit, Pflegebe¬dürf¬tig¬keit oder Tod eines nahestehenden Men¬schens oder die eigene Opferwerdung von Gewalt¬handlungen, können zur Absenkung des professionell-pflegerischen Engagements führen. Die ursprüngliche Zuneigung zu den pflegebedürftigen Patientinnen und Bewohnerin¬nen ver¬wandelt sich allmählich in Abneigung und im schlimmsten Fall zu Hass. In diesem Zustand wird eine explizite körperliche Abwesenheit, im Gegensatz zur körperlichen An¬wesen¬heit bei Liebe, gewünscht, dessen einzige Lösung die Trennung ist. Da dies meistens nicht möglich ist, steigert sich der Hass die Pflegehandlungen werden auf das Nötigste und die Dauer der Verrichtungen auf das Minimalste reduziert, weil die Anwesenheit der Hass¬objekte nicht mehr ertragen wird. Die fortbestehende Zwangs¬präsenz der Patientinnen oder Bewohnerinnen, das weitere In-Beziehung-treten-müssen auf Grund der pfle¬ge¬ri¬schen Betreuungspflicht kann Auslöser für Gewalthandlungen durch die Pflege¬rinnen sein. Der besondere Konflikt liegt hierbei in den täglichen Pflegemaßnahmen, die intimer, körper¬berührender Art sind und einfühlsam verrichtet werden sollen, wegen des empfundenen Ekels und der Abscheu jedoch nicht mehr auf solche Weise von den Pflegerinnen zu lei¬s¬ten sind. Die körperliche Verletzung und Benutzung des verhassten Körpers mittels sexuell ent¬würdigender und schamverletzender Handlungen ist ein Modus der Konflikt¬ver¬ar¬beitung mittels Sexualisierung des Abwehrmechanismus und stellt auf Grund der Intention sowie der Ausnutzung des Machtverhältnisses eine sexualisierte Gewalthandlung dar [Dießenbacher, Schüller 1993]. Eine weitere, dem ersten Konzept ähnliche, Ursache, ist das Phänomen des Aus¬ge¬branntseins, das als Burnout-Syndrom Eingang in die Wissenschaft findet. Es tritt vor allem bei Per¬sonen auf, die in Pflege-, Betreuungs- und Beratungsverhältnissen tätig sind und deren Haupt¬aufgaben im intensiven und einfühlsamen Umgang mit Klientinnen, Patientinnen oder Bewohnerinnen liegen. Im Laufe ihrer Tätigkeit können sie sich zunehmend über¬be¬ansprucht und ausgelaugt fühlen, was mit den Kardinalsymptomen des Burnout-Syndroms, nämlich der emotionalen Erschöpfung, Depersonalisation und redu¬zierten Leis¬tungsfähigkeit, belegt wird. Letztere beschreibt eine fort¬schrei¬tende Abnahme des Kompetenzgefühles und erfolgreicher Arbeitsleistungen. Unter dem Begriff De¬per¬so¬na¬lisie¬rung werden gefühllose, abgestumpfte oder zynische Reaktionen seitens der beruflich Tätigen verstanden, die eine distanzierte Einstellung zu Ihrer Klientel ausdrücken. Oft geht das Burnout-Syndrom mit weiteren Krankheitszeichen wie z. B. kör¬per¬liche Erschöpfung, Depression, Wutanfälle und einem Gefühl der Schwä¬che einher [Der Brockhaus Psychologie 2001]. Burnout-Ursachen sind in einer bestimmten beruflichen Belastung zu sehen, die aus einem inten¬siven und langfristigen Einsatz für andere Menschen resultiert. Überfor¬derungs¬ge¬füh¬le durch Zeit- und Verantwortungsdruck, mangelndes Feedback und unklare Erfolgs¬kri¬te¬ri¬en haben eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung einer Burnout-Sympto¬matik. Auf der Verhaltensebene ist die verringerte Reaktionsbereitschaft, d. h., eine zunehmende Pas¬sivität charakteristisch. Beim Burnout spricht man auf dieser Ebene von einer dehu¬mani¬sierenden Einstellung der Klientel gegenüber. Dies schafft eine Pseudodistanz , da sie nicht auf einer gesunden Abgrenzung der beruflich Tätigen zum Klientel beruht. Die Betrof¬fene kompensiert im Gegenteil die eigene Unfähigkeit sich abzugrenzen, in dem sie einer Auseinandersetzung mit der Klientin über den Umweg der zynischen, ober¬fläch¬li¬chen Einstellung ihr gegenüber aus dem Weg geht. Hinzu kommt eine zunehmende Rigidität im Denken durch die negative Einstellung zu sich und zur Arbeit sowie ein Ge¬fühl der Inkompetenz [Burisch 2006]. In diesen Zusammenhängen kann sich die dehumanisierende Einstellung gegenüber den Patien¬tinnen und Bewohnerinnen, neben Ignoranz und Missachtung ihrer Bedürfnisse, grober und unfreundlicher pflegerischer Versorgung oder Unterlassen betreuender Pflich¬ten, auch in gezielten oder ungezielten Verletzungen der Würde und des Schamgefühles äußern. Belei¬digende oder anzügliche Worte und subtil eingebrachte Gewalthandlungen im Rahmen der pflegerischen Maßnahmen können die geschlechtliche Identität einer Person angreifen und sie zu einem gefühl- und würdelosen Objekt degradieren. Die Pflegeperson schafft sich dadurch die benötigte Pseudodistanz, weil die meisten Menschen bei Ver¬let¬zun¬gen sol¬cher Art, zumindest situativ, mit Rückzug reagieren [Gröning 1998]. Die Grenzen werden verschoben, die Distanz vergrößert und aus Sicht der Pflegerin ist eine Auseinandersetzung nicht mehr vonnöten, aber vor allem braucht sie keine Wünsche oder Bedürfnisse fürchten, die an sie heran getragen werden könnten, denen sie sich abermals aufopferungsvoll widmen müsste. Hieran wird das eigentliche Motiv der Gewalt¬handlung sichtbar: Die Verhaltensänderung von der kommunikativen, aufgeschlossenen und Wünsche äußernden zur unterwürfigen und introvertierten Patientin oder Bewohnerin. Als dritte Ursache kommt ebenfalls ein längerer Prozess in die nähere Betrachtung. Wie bereits erwähnt, findet Sexualität der Patientinnen und Bewohnerinnen bis heute grö߬ten¬teils keinen Eingang in die Wahrnehmung der Pflegenden. Insbesondere bei längeren Aufenthalten in einer pflegerischen Einrichtung kommt es zwangsläufig zu sexuellen Ak¬ti¬vi¬tä¬ten der Bewohnerinnen, da alle Menschen bis an ihr Lebensende sexuelle Wesen sind. Sehnsucht und Wünsche nach Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, Gefühlsauslebung, Körperlichkeit und Intimität empfinden auch Menschen, die sexuelle Funktionsstörungen auf Grund vorübergehender oder anhaltender Erkrankung, Behinderung oder altersbedingten Ab¬bau¬prozessen haben. Deshalb kann sich die Um¬setzung der Wünsche in sehr verschiedenen Formen der sexuellen Aktivität äußern: Patien¬tinnen und Bewohnerinnen verlieren ihr Scham¬gefühl und sich entblößen sich, sie befrie¬di¬gen sich selbst oder verspüren bei pfle¬geri¬schen Handlungen Erregung. Des Weiteren kön¬nen Wünsche auf die Pflegenden pro¬jiziert oder sie als Lustobjekte angesehen werden [Grond 2001]. Die Begegnung mit Sexualität in der Pflege ist unvermeidbar und führt bei unzureichender Aus¬einandersetzung mit Lust, Erotik, Scham und Intimität sowie fehlender Reflektion und Wahr¬nehmung der eigenen Sexualität zu Konflikten [Grond 2001]. Werden diese nicht für beide Seiten zufriedenstellend gelöst, können daraus Aggressionen erwachsen, die wiederum in Gewalthandlungen münden [Ruthemann 1993]. Im Zusammenspiel mit der Macht, welche die Pflegenden durch die institutionelle, or¬ga¬nisa¬torische und fachliche Überlegenheit inne haben, können die Gewalt¬handlungen eine sexu¬elle Formation erhalten. Möglich ist hierbei die Kombination aus Aktions¬macht und institutioneller Macht, um gezielt schamverletzende Gewalt auszuüben. Im Ansinnen der Täterin geht es hierbei zum einen um Rache oder Vergeltung der sexuellen An¬züg¬lich¬kei¬ten der Zu-Pflegenden, deren Opfer sie selbst zuvor geworden ist. Die Ge¬walthandlung muss sich im Sexuellen ausdrücken, um der Patientin/Bewohnerin die schamverletzenden Gefühle aufzuzeigen, die sie selbst zuvor erlebt hat. Zum anderen soll die Beendigung der geäußerten Sexualität erzielt werden, was einer unangemessenen Ver¬haltenssteuerung mit¬tels Macht entspricht [Buchinger 2004].
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