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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2021
AuflagenNr.: 1
Seiten: 78
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Spricht man von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist in der Regel die Vereinbarkeit von Beruf ausüben und Kinder haben bzw. Kinder betreuen gemeint oder anders ausgedrückt, das Verhältnis zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit. Was oft vergessen wird: Frauen bekommen immer später Kinder, sodass sie, die nach wie vor in unserer Gesellschaft die familiäre Hauptlast tragen, sich nun nicht nur in einem polaren Spannungsfeld wiederfinden, sondern sogar in einem Dreiecksproblem zwischen Erwerbsarbeit, Sorgearbeit im Kontext Kinder sowie Sorgearbeit im Kontext häuslicher Pflege. Das hat für die Betroffenen folgenreiche Auswirkungen sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft. Frauen, die aufgrund dieser Mehrfachproblematik weniger Zeit in die Erwerbsarbeit investieren, verdienen weniger und können auch weniger in ihre Altersvorsorge investieren. Die über 500 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland sollen u.a. Familien dahingehend beraten, wie und mit welchen Angeboten sie den Spagat zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit schaffen. Damit unterstützen die Mehrgenerationenhäuser eine Debatte um das Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und Sorgearbeit, die ihre Anfänge Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre hatte und bis heute andauert und die mittlerweile eine Care- Revolution fordert.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.1 Wurzeln der Care-Debatte: Die Debatte darum, wie Erwerbs- und Sorgearbeit organisiert werden sollte, ist nicht neu. Seit Jahrzehnten findet eine feministische Debatte auf internationaler Bühne statt. Dabei kommen die Fragestellungen aus den unterschiedlichsten Praxisfeldern, i.d.R. aus dem Spannungsfeld zwischen der Versorgung behinderter und alter Menschen und der Kinderbetreuung. (Brückner 2010: 43f). Aber auch Diskurse z.B. innerhalb der Sozialpolitik, der Theorien zur Demokratie oder Ethik greifen das Thema Care immer wieder auf und beschäftigen sich mit dem Unterschied zwischen take care of (sich kümmern um) und take care of yourself (Selbstreproduktion). Care umfasst den gesamten Bereich weiblich konnotierter, personenbezogener Fürsorge und Pflege, d.h. familialer und institutionalisierter Aufgaben der Versorgung, Erziehung und Betreuung und stellt sowohl eine auf asymmetrischen Beziehungen beruhende Praxisform als auch eine ethische Haltung dar (a.a.O.). Um die Entwicklung der Care-Debatte zu verstehen müssen zwei internationale Diskursstränge als Vorläufer betrachtet werden sie richten den Blick auf Care als Arbeit und auf die ethische Dimension von Care . Zum einen entwickelte sich in den 1970er Jahren vor allem in England und Italien, aber auch in Deutschland eine Thematisierung der Hausarbeit. Es wurde gefordert, dass Hausarbeit, also reine Reproduktionsarbeit, bezahlt werden sollte. Es entwickelte sich eine Kontroverse darum, ob das weibliche Arbeitsvermögen (Ostner, Beck-Gernsheim 1979: 31f) definiert werden sollte, um Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu erfassen (Ostner 1993). Manche Feministinnen sahen in dieser Debatte eine Festschreibung von Differenz, die in frauentypischen Berufen gegen Frauen verwandt werde (Brückner 2010: 46). Zum anderen wurde die in den USA Anfang der 1980er verbreiteten Idee der weiblichen Fürsorgemoral der Kampf angesagt. Frauen wurde eine höhere Fürsorgemoral zugeschrieben, die sie automatisch für eine Reproduktionsarbeit zuständig macht. Nach und nach formierten sich in verschiedenen Ländern tiefergehende Diskurse. Nach Brückner (2010:43-58) gibt es drei große Wurzeln der Care-Debatte, die in den 1980er bis Anfang der 1990er Jahren ihren Ursprung hatte. Brückner stellt heraus, dass in Großbritannien bereits in den 1970ern nationale Vereinigungen von Frauen gegründet wurden, die gegen die geringfügige Entlohnung häuslicher Pflegeleistungen protestierten. Die Proteste mündeten 1986 in eine Klage vor dem EuGH, die erfolgreich war. Care als unbezahlte Arbeit stand zwar im Vordergrund, jedoch wurde später auch die subjektive Dimension des sich kümmern wollen mit eingeflochten. Dies führte zur Forderung, informelle Care-Tätigkeiten in das System sozialer Rechte einzubetten und als wertvolle Tätigkeit im Sinne zwischenmenschlicher Bindung anzuerkennen (a.a.O.: 48). Die Festschreibung traditioneller Geschlechterrollen spielte hier noch keine Rolle. Eine zweite Strömung in Großbritannien war die Behindertenbewegung. Sie forderte, dass soziale Bürgerrechte für care giver und care receiver verknüpft werden müssen um somit die bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit mehr zu beachten. In Skandinavien hingegen wurde Care nach Brückner schon immer so verstanden, dass ihr eine private und eine öffentliche Sphäre innewohnen, die sich gegenseitig durchdringen und zu einem höheren Gut verschmelzen (a.a.O.: 49). Diese Haltung führte zu einem hohen Anteil erwerbstätiger Frauen, die schon recht bald eine Ausweitung der Kinderbetreuung, besonders für kleine Kinder, forderte. Daneben garantiert ein universelles Staatsbürgerrecht eine öffentliche Verantwortung für die Versorgung älterer Menschen. Beides führte in Skandinavien bereits in den 1980er Jahren zu einem qualifizierten Berufsfeld im Bereich Pflege. Dennoch wird auch in diesen Ländern immer wieder um eine gleiche Absicherung von Frauen debattiert. In Nordamerika war der Ursprung der Debatte um die Sorgearbeit die gesellschaftliche Definition von Abhängigkeit. Zugang war das Spannungsverhältnis zwischen den sogenannten care givern , also denjenigen, die zur physischen, personen- und umweltbezogenen Überlebenssicherung anderer beitragen und den care receivern , die die Nutznießer darstellen. Als Beispiel dienten hier die sogenannten welfare mothers , also diejenigen, die Augenscheinlich sich nur auf den Wohltaten des Staates ausruhten ohne selbst tätig zu werden. Dass diese Frauen jedoch Sorgearbeit leisteten und somit selbst care giver waren, wurde unter den Tisch gekehrt bzw. nicht anerkannt. Nancy Fracer (1994) forderte ein Umdenken. Ihre Position war, dass Care zur Normalität werden muss. Jeder ist von jedem irgendwann einmal Abhängig. Sie ging sogar so weit reine Unabhängigkeit als Fiktion zu bezeichnen. Vielmehr muss Care von beiden Seiten aktiv mitgestaltet werden, immer unter der Prämisse, dass beide Seiten Rechte und Bedürfnisse haben und jederzeit selbstbestimmt bleiben müssen.

Über den Autor

Frank Gerstner, Diplom - Studium an der Hochschule Coburg (Soziale Arbeit) mit Abschluss 2004, Master- Studium im Studiengang Soziale Arbeit – Sozialraumentwicklung und -Organisation an den Hochschulen Wiesbaden und Fulda mit Abschluss 2020. Abteilungsleiter beim Bayerischen Roten Kreuz in Lichtenfels (Bayern) mit Schwerpunkt Mehrgenerationenhäuser. Weitere Informationen sind auf www.gerstner-online.de zu finden.

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