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- Zwischen Kommerzialisierung und Sicherheit: Sozialpädagogische Fanprojekte im Spannungsfeld der Interessen
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2011
AuflagenNr.: 1
Seiten: 90
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Immer wieder kommt es in der Presse zu Meldungen über gewalttätige Ausschreitungen von Fußballfans. Diese werden in der Berichterstattung oftmals als Hooligans oder Chaoten bezeichnet. Vorstandsvorsitzende der Vereine, Verbände und Politiker zeigen sich daraufhin bestürzt über die neue Qualität der Gewalt und versichern entschieden, gegen die Täter vorzugehen. Nach einer Reihe von Katastrophen, die sich in England in den 80er Jahren ereigneten, wurden umfangreiche Sicherheitskonzepte, von baulichen Maßnahmen über Regelwerke bis hin zu Sanktionen bei Regelverstößen entwickelt, die die Sicherheit in den Stadien gewährleisten sollen. Dennoch kommt es beim Fußball weiterhin vereinzelt zu aggressiven Verhaltensweisen auf Seiten der Fans. Diesem soll durch eine erhöhte Polizeipräsenz, Strafverfolgung und Stadionverboten präventiv entgegengewirkt werden, um sicherzustellen, dass Fans mit gewalttätigem Verhalten keine Möglichkeit mehr haben, an der Veranstaltung teilzunehmen. Durch das Nationale Konzept Sport und Sicherheit (NKSS) wurde 1993 in Deutschland ein Maßnahmekatalog verabschiedet, in dem auch die pädagogische Arbeit der Fanprojekte fest institutionalisiert wurde. Seitdem kam es zu zahlreichen Veröffentlichungen und Abschlussarbeiten, die sich unter anderem mit der Arbeit der Fanprojekte und aggressivem Zuschauerverhalten beschäftigten. Letztere richteten den Blick überwiegend auf Aggressionstheorien als wissenschaftliche Betrachtung von Gewalt und Gewaltentstehung. Die Hooliganproblematik der 80er bis Anfang der 90er Jahre steht durch die umfangreichen repressiven Maßnahmen der Sicherheitsinstanzen mittlerweile nicht mehr im Fokus der Sozialen Arbeit. Hauptzielgruppe sind seit Mitte der 90er Jahre die sogenannten Ultras, die sich durch die zunehmende Kommerzialisierung des Profifußballs bedroht fühlen und durch Proteste und Aktionen verstärkt in den Blickpunkt der Sicherheitsinstanzen und Medien geraten. Als am 13.03.2010 Anhänger von Hertha BSC den Platz des Berliner Olympiastadions stürmten und gezielt Sachschäden anrichteten, wurden durch die Presse verbogene Fahnenstangen aus Plastik zu gefährlichen Mordwaffen hochstilisiert und eine neue Debatte über Sicherheit beim Fußball in Gang gesetzt. In diesem Buch soll deshalb der Begriff Sicherheit näher betrachtet werden. Durch die große Kritik der Ultras und deren Stellenwert in der Arbeit der Fanprojekte erfolgt eine Auseinandersetzung mit Maßnahmen, die die Sicherheit bei Fußballspielen gewährleisten sollen, sowie der Frage inwieweit die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs Einfluss auf dieses Thema hat.
Textprobe: Kapitel 7. Ultras in Deutschland: 7.1 Entstehung und Selbstverständnis: Durch das Zusammentreffen verschiedener Entwicklungen vollzog sich Mitte der 90er Jahre eine tiefgreifende Umwälzung der deutschen Fankultur. Das Umschwenken der Politik im Umgang mit den Problemen der Fankulturen und die fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs ebneten das Fundament für die Entstehung der Ultras in Deutschland. Orientierte sich die deutsche Fankultur lange Jahre in ihren Ausdrucks- und Organisationsformen noch an den englischen Vorbildern, so hatte die bis heute anhaltende Krise der englischen Fankultur durch die Ereignisse von Bradford, Heysel und Hillsborough zur Folge, dass sich der Blick fortan mehr nach Südeuropa richtete. Ein weiterer Grund ist das durch nicht erworbener Rechte englische Ligaspiele im deutschen Fernsehen lange Zeit nicht mehr gezeigt werden konnten und dadurch die stimmungsvollen Bilder aus italienischen Stadien über private Sportkanäle die Fernsehlandschaft bestimmten. Dort organisieren die Ultras, deren Entstehungsgeschichte eng mit der Protestbewegung des Italiens der 60er Jahre verknüpft ist, seit mehr als 30 Jahren den Support in den Stadien. Ausdrucksformen des Straßenprotestes (Megaphone, Dopppelhalter, etc.) fanden dadurch ihren Einzug in die italienischen Fankurven. Der Begriff Ultra in Zusammenhang mit Fußballfans geht grundlegend auf eine italienische Zeitung zurück. Anhänger des AC Torino, die nach einer Niederlage den Schiedsrichter bis zum Flughafen verfolgten, wurden von dieser mit dem italienischen Begriff für extrem, ultra` betitelt. Das Wort Ultra wurde in Italien zum Inbegriff einer neuen Jugendkultur. Für deutsche Ultragruppierungen steht die Organisation einer geschlossenen Fanszene zur bedingungslosen Unterstützung der eigenen Mannschaft durch äußerliche Ausdrucksformen an zentraler Stelle. Anders als in Italien spielt die politische Orientierung eine eher untergeordnete Rolle. Mit ihrer spektakulären Sichtbarkeit dominieren heute die Ultras in den meisten deutschen Stadien der 1. bis 3. Liga das Bild auf den Zuschauerrängen und sind tonangebend für die Unterstützung der Mannschaft. Übergroße Fahnen, Doppelhalter, Spruchbanner, pyrotechnische Mittel und ein einheitliches Auftreten in der Kurve sind typische Merkmale dieser Fankultur. Die Umsetzungen von Choreographien sind für die Ultras mit einem erheblichen logistischen Aufwand verbunden, der viel Geld und Energie fordert und oftmals über mehrere Wochen dauert. Wichtig bei diesen Aktionen ist die Unabhängigkeit vom Verein und die Ablehnung jeglicher Unterstützungen durch Sponsoren von außen. Eine gemeinsame Aktion von Coca Cola und Sat.1 in der Saison 2002/2003, bei welcher in der damaligen Sportsendung ran die beste Choreographie gewählt und mit einem Preis versehen werden sollte, wurde in der gesamten deutschen Ultraszene abgelehnt. Ultragruppen, die sich an dieser Werbekampagne beteiligten, hatten darauf hin mit einem Glaubwürdigkeitsproblem innerhalb der Szene zu kämpfen. Ultragruppen verschiedener Vereine stehen in Konkurrenz zueinander und die eigene Darstellung im Fanblock spielt neben dem sportlichen Erfolg der Mannschaft eine entscheidende Rolle. Dieses selbstbewusste und äußerlich starke Auftreten macht sie für die jungen, neu in die Kurven kommenden Fans zu einer sehr attraktiven subkulturellen Gruppe, die viel Raum für Emotionen und Kreativität bietet. Die Ultras verzeichnen seit Jahren in ganz Deutschland einen hohen Zulauf an jungen Mitgliedern, da sich der Alltag eines Ultras aus ihrer Perspektive wesentlich vom normalen Alltag unterscheidet. Mit der Entstehung der Ultras in Deutschland vollzog sich ein Generationswechsel, der eine andere Art der Anfeuerung mit sich brachte, und unabhängig vom sportlichen Anlass eine eigene Show bot, so das sich das Bild der Fankurven in den Stadien entscheidend veränderte. Denn dieser bedeutet für sie ein eigener Freiraum, um ihre Fan-Mentalität nach ihren eigenen Vorstellungen frei ausleben zu können. Dazu gehört auch neben der Anfeuerung der Mannschaft eine kritische Haltung gegenüber der Vereinsführung, den Medien, den Fußballverbänden und den Sicherheitsmaßnahmen, denen sie sich jedes Wochenende ausgesetzt fühlen. Über die Anliegen der Ultras findet sich im Internet eine ganze Reihe an Informationen. Nahezu jede Gruppe verfügt über eine Internetseite, in der sie offen darstellt, was sie bewegt. Dazu bedienen sie sich häufig des sogenannten Ultramanifest , das von einer der größten italienischen Ultragruppierung des AS Rom verfasst wurde, und die Ultrabewegung europaweit prägte. Die deutsche Übersetzung wurde in Anlehnung zum Original an die Verhältnisse in Deutschland angepasst und nur unwesentlich verändert. Unter der Rubrik Zukunftsvisionen steht folgender Text: Es wird Zeit, dass alle Fußballfans verstehen, was die UEFA, die FIFA und die Fernsehanstalten unter tatkräftiger Mithilfe der nationalen Verbände mit unserem Fußballsport veranstalten. [...] In ein paar Jahren wird selbst der Rasen in den Stadien mit Sponsorenwerbung verunstaltet werden und Choreographien werden verboten, weil sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer am Bildschirm von den Werbetafeln abziehen. Es werden hunderte Ordner in den Blöcken stehen, die Fans werden im ganzen Stadionbereich von Videokameras aufgenommen, um zu verhindern, dass große Fahnen, Transparente oder Feuerwerkskörper ins Stadion gelangen können. [...] In den Köpfen der Funktionäre nimmt die Zukunft bereits Gestalt an: Es wird der gezähmte Fan erwünscht, der moderate Stimmung verbreitet, aber nur soviel, wie als Hintergrundeinspielung für die Fernsehübertragung notwendig ist, der brav applaudiert, wenn man es verlangt und ansonsten still auf seinem Platz sitzt. Es wird keinen Platz mehr für Ultras geben. [...] All die Kurven dieser Welt sollten in diesem Fall zusammenhalten und eine mächtige Einheit gegen die Fußball-Fabrik bilden. . Das Ultramanifest beinhaltet die sogenannten Fußballregeln, die ein echter Fan beanspruchen sollte. In diesen geht es vorwiegend um strukturelle Veränderungen des Profisports. Von Sanktionen für Spieler, die ihren Vertrag nicht erfüllt haben über Beschränkungen für Funktionäre bis hin zur Politik der Kartenvergabe von Vereinen und Verbänden. Weiterhin sind Regeln aufgeführt, die die Ultras befolgen sollten: Jeden unnötigen Kontakt oder Hilfe durch die Vereine oder die Polizei verweigern. Untereinander besser zusammenarbeiten. In Eigenorganisation zu Auswärtsspielen reisen. Mit den Ultras anderer Vereine zusammenarbeiten, und die Ware TV-Fußball unattraktiver machen. Sich nicht von den Autoritäten unterdrücken lassen und bei Spielen unbedingt Präsenz zeigen. Die schon erwähnte Unabhängigkeit zum Verein sowie die unbedingte Präsenz und Aktivität als Ultra sind die wesentlichsten Merkmale für die Bedeutung, die das Ultra-Sein darstellt. Trotz regionaler Unterschiede und unabhängig davon ob ihr Verein in der 1., 2. oder 3. Liga spielt verbindet die Ultras, dass sie sich und ihren Freiraum im Stadion durch die fortschreitende Kommerzialisierung bedroht sehen. Fanartikel und Merchandiseprodukte der Vereine werden strikt abgelehnt und durch eigene produzierte Ware ersetzt. Ultra bedeutet für viele, die sich als solche bezeichnen, mehr als nur ein Fan sein. Ultra zu sein bedeutet eine Lebenseinstellung und Haltung, die sich über Missstände hinwegsetzt und aktiv versucht dagegen vorzugehen. Durch den obigen Text wird deutlich, dass die Kritikpunkte in einem starken Maße dahingehen, wie die Verbände und Vereine sich mit ihren Sicherheitsbestimmungen ihnen gegenüber verhalten. Die aktive und konfrontative Auseinandersetzung der Ultras mit diesem Thema und das Einfordern ihrer Interessen erzeugt auf Seiten der Vereine und Verbände ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Fankultur. Lassen sich die großen, an die Eventkultur erinnernden Kurvenchoreographien auf der einen Seite im Interesse der Vereine und Verbände verwerten, so stört das selbstbewusste und kritische Auftreten der Ultras auf der anderen Seite den geregelten Geschäftsablauf.
Michael Dissinger wurde 1980 in Norden geboren. Nach seiner Ausbildung zum Tischler und verschiedenen Tätigkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit begann der Autor 2007 sein Studium im Fachbereich Soziale Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Die im Studiengang enthaltenden Praxissemester absolvierte er ausschließlich beim Fanprojekt der Berliner Sportjugend. Durch den eigenen Bezug zum Fußball und dem Interesse an einer lebensweltorientierten Ausrichtung in der sozialen Arbeit, entwickelte der Autor während des Studiums ein besonderes Interesse am Thema dieses Buches.
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