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Pädagogik & Soziales

Mathias Haller

Verwundet durch Worte: Studie über Gewalt in der Sprache

ISBN: 978-3-8428-8329-1

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Alltagsverständnis vom Verhältnis zwischen Gewalt und Sprache ist geprägt von zwei Intuitionen, die nur schwer miteinander vereinbar scheinen. Einerseits gelten Sprache und Gewalt als Gegensatz. Sie verhalten sich zueinander wie Zivilisation und Barbarei. Sigmund Freud beispielsweise wird das Bonmot zugeschrieben, dass derjenige, der zum ersten Mal anstelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, der Begründer der Zivilisation war. Sprache gilt gemeinhin als etwas der Gewalt entgegengesetztes, als ein Werkzeug, mit welchem Streit durch Argumente geklärt werden kann - ohne sich zu prügeln. Andererseits finden wir uns im Alltag oft genug in Situationen wieder, in denen wir durch Sprache tatsächlich verletzt werden, sodass wir annehmen müssen, dass durchaus ein Zusammenhang zwischen Sprache und Gewalt besteht. Unter gewissen Umständen können mit der Sprache Gewaltakte ausgeübt werden, die mit der Zerstörungskraft von physischer Gewalt vergleichbar sind. In diesem Sinn beinhaltet das Sprechen nicht nur die Möglichkeit Gewalt anzudrohen, sondern ist selbst eine Form von Gewalt. Die Gewalt ist also nicht stumm und die Sprache nicht gewaltlos. Deswegen ist es wichtig, die Gewaltsamkeit der Sprache zu verstehen. In der vorliegenden Untersuchung soll darum die Frage im Zentrum stehen, wie mit Sprache Gewalt ausgeübt werden kann. An diesem Kern setzen folgende weiteren Fragen an: Woher kommt die verletzende Kraft im Sprechen? Wie kann Sprache verletzen? Wie kann mit sprachlicher Gewalt umgegangen werden? Diese linguistische Studie verfolgt einen sprechakttheoretischen Ansatz, der in ein gesamtheitliches pragmatisches Sprachbild eingeordnet wird. Somit sind auch diskurs- und systemtheoretische Grundprinzipien relevant. Kurzum: Es geht um das Verständnis von sprachlichen Gewaltakten in der menschlichen Interaktion.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2., Sprache als Gebrauch von Zeichen: Wie muss eine Theorie der Sprache aussehen, die nicht Gefahr läuft, in den Sog des scholastischen Fehlschlusses zu geraten? Die Antwort ist relativ einfach: Sie soll sich an den realen Sprachvorkommnissen natürlicher Sprachen orientieren und somit die Phänomene als das betrachten, was sie sind - also nicht nach dem, was hinter ihnen verborgen sein könnte, suchen. Eine solche Herangehensweise ist durch diesen Anspruch allein schon weniger Theorie als vortheoretisches Betrachten. Bereits Goethe hat dafür plädiert, dass eine durch die Lehre voreingenommene Sicht auf den Untersuchungsgegenstand den Blick trübt, wie er in seinen Maximen und Reflexionen anführt: ‘Man suche nur nichts hinter den Phänomenen: sie selbst sind die Lehre.’ Die späten Schriften Ludwig Wittgensteins nehmen dieses Credo zum Anlass einer Betrachtung der Sprache, die mit seinem früheren Projekt der Sprachanalyse insofern bricht, dass sie von vornherein nicht nach einer idealen Sprache sucht. Dazu Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen: ‘Wir sind aufs Glatteis geraten, wo die Reibung fehlt, also die Bedingungen in gewissem Sinne ideal sind, aber wir eben deshalb auch nicht gehen können. Wir wollen gehen dann brauchen wir die Reibung. Zurück auf den rauhen Boden!’ (Wittgenstein 1984a, PU § 14). Was Wittgenstein hier mit ‘Zurück auf den rauhen Boden!’ meint, ist die Aufforderung, die aktuelle Sprache in all ihrer Unvollkommenheit als Untersuchungsgegenstand zu nehmen. Seine Sprachbetrachtungen sollen quasi bei Null beginnen. Demzufolge geht es ihm um die Alltagssprache oder, um noch einen Schritt weiter zurück zu treten, um den menschlichen Alltag. Um zu zeigen, welche Funktion die Sprache hat, verweist Wittgenstein auf geradezu banale Alltagssituationen, mit welchen seine Philosophischen Untersuchungen einsetzen: ‘Denken wir uns eine Sprache. [...]. Die Sprache soll der Verständigung eines Bauenden A mit einem Gehilfen B dienen. A führt einen Bau auf aus Bausteinen es sind Würfel, Säulen, Platten und Balken vorhanden. B hat ihm die Bausteine zuzureichen, und zwar nach der Reihe, wie A sie braucht. Zu dem Zweck bedienen sie sich einer Sprache, bestehend aus den Wörtern: ‚Würfel‘, ‚Säule‘, ‚Platte‘, ‚Balken‘. A ruft sie aus - B bringt den Stein, den er gelernt hat, auf diesen Ruf zu bringen. - Fasse dies als vollständige primitive Sprache auf.’ Was geschieht in dieser Situation? Zuerst macht Wittgenstein klar, was für einen Zweck die sprachlichen Äusserungen der beiden Bauenden erfüllen. Sie dienen der Verständigung. Man kann sich vorstellen, dass sich die beiden Bauleute auch ohne gesprochene Sprache verständigen könnten, beispielsweise mit Handzeichen. Daraus wird ersichtlich, dass die Sprache primär ein Mittel zur Kommunikation ist, und Kommunikation meint in diesem Sinne nichts anderes als eine Tätigkeit, die Hand in Hand mit dem übrigen menschlichen Handeln läuft. Die beiden Bauarbeiter haben ein praktisches Ziel - sie wollen ein Haus bauen. Dafür müssen sie Steine herbei schaffen. Um diesen Handlungsablauf zu gewährleisten, sprechen sie miteinander. Die Sprache hat aber nicht nur diese eine Funktion, sondern unzählig viele. Ein Gebet, ein Witz oder ein Ausruf der Empörung beziehen sich nicht auf Tatsachen in der Welt und Wörter wie rot, gegangen oder die Zahl drei stehen nicht für Gegenstände wie die oben genannten Bausteine. Vielmehr gibt es unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir Zeichen, Wörter und Sätze nennen. Darum erweist sich die Suche nach dem Wesen des Satzes, des Wortes, der Sprache als illusorisch (vgl. Kanterian 2004, 65). Doch wie können wir die Sprache richtig beschreiben? Wie muss man sich die unzähligen Funktionsweisen der Sprache vorstellen? Wittgenstein schlägt vor, dass die Sprache in Analogie zu Spielen beschrieben werden soll. Denn der Blick auf die Vielfalt der Spiele lehrt uns, Abstand von einem Denkgestus zu nehmen, der nach dem Idealen sucht (vgl. Krämer 2001, 118f.). Es zeigt sich, dass es unmöglich ist, zu sagen, was etwas zum Spiel macht: ‘Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir ‚Spiele‘ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiel, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? - Sag nicht: ‚Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ‚Spiele‘‘ - sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. - Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau! - Schau z.B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. - Sind sie alle ‚unterhaltend‘. Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden? Denk an die Patiencen. In den Ballspielen gibt es Gewinnen und Verlieren aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser Zug verschwunden. Schau, welche Rolle Geschick und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel und Geschick im Tennisspiel. Denk nun an die Reigenspiele: Hier ist das Element der Unterhaltung, aber wie viele der anderen Charakterzüge sind verschwunden! Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen. Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen. Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen.’ (Wittgenstein 1984a, PU § 66)‘. Was die Spiele in all ihrer Verschiedenheit untereinander verbindet, charakterisiert Wittgenstein mit dem Begriff der Familienähnlichkeit. In einer Familie haben einige die gleiche Nase, einige die gleichen Augenbrauen, andere den gleichen Gang oder dieselben Haare. Jedoch teilen nicht alle miteinander dieselben Eigenschaften. Die Ähnlichkeiten greifen ineinander über und bilden ein Netzwerk. Wenn nun die Sprache in Analogie zu Spielen gesehen wird, welche wiederum durch das Charakteristikum der Familienähnlichkeit beschrieben werden, lautet die Konsequenz folgendermaßen: ‘Statt etwas anzugeben, was allem, was wir Sprache nennen, gemeinsam ist, sage ich, es ist diesen Erscheinungen gar nicht Eines gemeinsam, weswegen wir für alle das gleiche Wort verwenden - sondern sie sind mit einander in vielen verschiedenen Weisen verwandt. Und dieser Verwandtschaft, oder dieser Verwandtschaften wegen, nennen wir sie alle ‚Sprachen‘‘. Die Vergleichskraft von Sprache und Spiel besteht also in erster Linie in der Erkenntnis, dass nicht alle Elemente der entsprechenden Familie die gleichen Merkmale aufweisen. In diesem Sinn ist die Beschreibung von Sprache zuerst einmal eine negative: Wittgenstein gibt an, wodurch sich das, was zur Sprache gehört, gerade nicht auszeichnet. Es lassen sich aber auch positive Beschreibungen finden, welche klären können, inwiefern Sprachlichkeit als Sprachspiel aufzufassen sei. Die Wichtigste liegt im Handlungsaspekt von Sprachspielen. Damit zurück zum Beispiel der beiden Bauleute: Ihre Sprachbenützung ist als ein einfaches Sprachspiel aufzufassen. Und so wie von einem Spiel zu reden nur dann Sinn macht, wenn es die Tätigkeit des Spielens gibt, so ist auch für das Sprachspiel das Tun grundlegend: ‘Das Wort ‚Sprachspiel‘ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit [...].’ (Ebd. § 23). …

Über den Autor

Mathias Haller, lic. phil., wurde 1982 in Luzern geboren. Sein Studium der Germanistik, Philosophie und pädagogischen Psychologie schloss der Autor im Jahre 2011 mit der Bestnote ‚summa cum laude‘ ab.

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