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- Soziale Selektivität bei der Studienwahl. Strukturelle Rahmenbedingungen und Handlungsempfehlungen
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Abb.: 39
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das vorliegende Buch betrachtet Passungsprobleme am Übergang von der Schule in die Hochschule am Beispiel der Region Salzgitter. Anhand einer quantitativen Studie zum Berufs- und Studienwahlverhalten von Schülerinnen und Schülern wird analysiert, inwiefern sich Bildungsbeteiligung und Studierwahrscheinlichkeit nach elterlichem Bildungshintergrund unterscheidet. Übergänge sind im deutschen Bildungssystem entscheidende Weichenstellungen für Bildungserfolg, Berufseinstieg und gesellschaftliche Teilhabe. Die Bewältigung von Bildungsübergängen hat somit einen maßgeblichen Einfluss auf die Bildungsbiografien junger Menschen. Im Zentrum dieses Buches steht die Frage, warum in Deutschland der Hochschulzugang nach wie vor stark von der sozialen Herkunft abhängt und welche Maßnahmen geeignet sind, diesem Trend entgegenzuwirken. Die Erhebungsergebnisse werden in einen institutionellen Kontext eingebettet und Handlungsempfehlungen aufgezeigt.
Textprobe: Kapitel 2.1 Wandel der Bildungschancen und herkunftsbedingter Ungleichheiten: Trotz gestiegener Bildungsbeteiligung der Bevölkerung insgesamt, ist damit keine Verminderung ungleicher Bildungschancen nach sozialer Herkunft zu verzeichnen. Es kam zwar zu einem deutlichen Niveaueffekt, also einer zunehmenden Bildungsbeteiligung in allen Sozialschichten und einer Höherqualifikation der Bevölkerung. Dieser hat allerdings nicht zu einer grundlegenden Veränderung der sozialen Struktur der Zugangschancen oder einem signifikanten Abbau von sozial ungleichen Bildungschancen geführt (Merkel 2010, S. 9). In den 1970er Jahren war die katholische Arbeitertochter vom Lande das Synonym für sogenannte bildungsferne Schichten , die als Begabungsreserve für weiterführende Schulen und für ein Hochschulstudium gewonnen werden sollte. Die Ursachen für die Benachteiligung im Bildungswesen bezogen sich bis dahin auf soziale Herkunft, Geschlecht, Region und Konfession. Durch die Bildungsexpansion hat sich die Benachteiligung von Kindern auf dem Lande deutlich verringert. Insbesondere der Anteil von Mädchen und Frauen, die den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen finden, ist enorm angestiegen und übertrifft inzwischen sogar denjenigen ihrer männlichen Altersgenossen. Allerdings bleibt das von ihnen gewählte Fächer- und Berufsspektrum nach wie vor mehrheitlich von tradierten Geschlechterrollen bestimmt. Diese häufig weniger prestigeträchtigen Fachrichtungen und Berufe führen zu einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko und geringeren Karriere-, Verdienst und Zukunftsaussichten (vgl. Merkel, 2010, S. 36). Beim Übergang in den Beruf sind Frauen – besonders hinsichtlich der Bezahlung – weiterhin benachteiligt. Der Vorteil von Frauen aus dem allgemeinen Bildungssystem verliert sich immer mehr und der Frauenanteil sinkt, je höher die Qualitätsstufe ist (Merkel 2010, S. 36). Während junge Frauen, wie geschildert, schichtunabhängig die Gewinnerinnen der Bildungsexpansion sind, hat der Ausbau im Bildungssektor nicht zu einer qualitativen Chancengleichheit geführt. Stattdessen haben sich neue benachteiligte Gruppen gebildet. Der Wandel der Chancenstruktur lässt sich wie folgt zuspitzen: Die Kumulation der mehrdimensionalen Benachteiligungen hat sich von der Arbeitertochter zum Migrantensohn aus bildungsschwachen Familien entwickelt (Geißler 2005 in Berger 2013, S. 9). Jungen weisen im Geschlechtervergleich mittlerweile schlechtere Schulleistungen auf, werden doppelt so häufig bei der Einschulung zurück gestellt, fallen öfter durch Unterrichtsstörungen auf und fehlen häufiger im Unterricht (vgl. u.a. Sievert/Kröhnert 2015, Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, Prenzel u.a. 2013). Am Einfluss der sozialen Schicht auf die Bildungsteilhabe hat sich erstaunlich wenig verändert (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2013). Michael Vester (in Dewe 2004) konstatiert, dass die Expansion im Bildungswesen nicht zu einer Verbesserung der Chancengleichheit geführt hat. Bei der von ihm als selektive Bildungsexpansion bezeichneten Entwicklung haben höhere Schichten am stärksten von der Ausweitung und Öffnung der Sekundarstufe II und des Hochschulwesens profitiert. Die Bildungsexpansion hat die Bildungschancen aller Schichten verbessert, ohne gleichzeitig gravierende schichttypische Ungleichheiten zu beseitigen (Geißler 2014, S. 286). Die sozialen Ungleichheiten bzw. Herkunftseffekte im Bildungswesen wirken sich negativ auf den Bildungserfolg aus, ziehen sich durch alle Lebensphasen und halten langfristig über den Lebensverlauf an (vgl. El-Mafaalani 2012, S.44). Die verstärkte öffentliche Diskussion um das Thema Bildung, insbesondere im Zuge der Ergebnisse der internationalen Schulvergleiche, führte zu einer Zunahme ungleichheitsbezogener Bildungsforschung. Unter anderem gingen Baumert 2001, Ehmke u.a. in Prenzel 2004 Becker/Lauterbach 2010, Ehmke/Baumert in Prenzel 2007 der Frage nach, inwiefern schulischer Erfolg an soziale Herkunft gekoppelt ist. Die sozialwissenschaftliche Grundlage der wissenschaftlichen Forschung zu Bildungsungleichheiten bilden im Wesentlichen die Arbeiten von Raymond Boudon und Pierre Bourdieu. Im Folgenden werden ihre Konzepte skizziert. Die Übereinstimmung ihrer Theorien in Bezug auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit wird in diesem Kapitel analysiert. 2.2 Soziale Reproduktion und die Theorie von Bourdieu: Der französische Soziologe und Philosoph Pierre Bourdieu entwickelte insbesondere in den 1980er Jahren durch umfangreiche Biografie-Forschung unterschiedlicher Gesellschaftstypen seine Konzepte zu den Begriffen Habitus , kulturelles Kapital und sozialer Raum . Soziale Herkunft wird überwiegend an der ökonomischen Ausstattung der Eltern gemessen. Häufig unberücksichtigt bleibt, dass neben der rein finanziellen Lage auch die jeweilig unterschiedlichen Bildungsniveaus der Herkunftsfamilie eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Kinder spielen. Bourdieu hat sich von einer rein ökonomischen Betrachtung des Kapitalbegriffs gelöst und diesen erweitert. Das ökonomische Kapital bezieht sich auf den materiellen Besitz, wird vorrangig über Erwerbsarbeit verteilt und ist stark an Berufspositionen geknüpft. Diese Ressource allein hat keinen umfassenden Einfluss auf die gesellschaftlichen Stellungen. Bourdieu ergänzt daher sein Verständnis von Kapital um kulturelles und soziales Kapital. Beim kulturellen Kapital differenziert er wiederum in drei Zustandsformen: der inkorporierte, der objektivierte und der institutionalisierte Zustand. Während ökonomisches Kapital übertragen werden kann, meint Bourdieu mit dem inkorporierten, also körpergebundenen kulturellen Kapital die personenbezogene Aneignung von Wissen und Fähigkeiten. Inkorporiertes Kapital ist ein Besitztum, das zu einem festen Bestandteil der Person, zum Habitus geworden ist aus Haben ist Sein geworden (Bourdieu 2005, S. 56). Die Verinnerlichung kulturellen Kapitals ist die zeitintensivste Kapitalform und zieht sich durch alle Lebensbereiche. Den Zusammenhang von inkorporierten kulturellen Kapital und dem Bildungswesen erklärt Bourdieu: In der engsten Beziehung zum Schulerfolg des Kindes steht - mehr noch als die vom Vater erzielten Abschlüsse und mehr als des von ihm absolvierten Bildungsgangs – das allgemeine Bildungsniveau der Eltern (Bourdieu 2006, S. 2). Kinder wachsen in verschiedenen familiären Milieus auf, die über unterschiedlich ausgeprägtes kulturelles Kapital verfügen. Die Weitergabe des kulturellen Kapitals läuft nicht bewusst, sondern im Hintergrund während der gesamten Sozialisierung des Kindes ab (Bourdieu 2006, S. 5). Somit wird den Kindern herkunftsbedingt ein unterschiedlicher Umfang an vorschulischer Bildung vermittelt. Diese ungleiche, herkunftsbedingte Ausganglage ist ein wesentlicher Entstehungspunkt struktureller, reproduktiver Chancenungleichheit bereits vor dem ersten Schultag (vgl. Bourdieu 2005, S. 58). Unter objektiviertem kulturellem Kapital versteht Bourdieu kulturelle Güter wie Bücher, Schriften, Gemälde, Instrumente, Maschinen. Durch ökonomisches Kapital können kulturelle Güter erworben, aber nur durch inkorporiertes Kulturkapital genutzt werden. Beispielsweise muss ein Kind die Fähigkeit erworben haben, ein Instrument zu bedienen, ansonsten ist das Instrument nutzlos. Mit seinem Konzept vom sozialen Raum stellt Bourdieu die Gesellschaft als mehrdimensionalen Raum vor, in dem jedes Individuum abhängig von seiner Kapitalausstattung an einer spezifischen Position innerhalb Gesellschaft verortet ist. Entscheidend für die gesellschaftliche Positionierung sind nach Bourdieu einerseits der Gesamtumfang des dem Individuum zur Verfügung stehenden Kapitals und die Zusammensetzung der Kapitalarten (vgl. Bourdieu 2001). Die Position im sozialen Raum gibt die ökonomische, kulturelle und soziale Bedingungslage von Personen wieder. Um Individuen mit ähnlicher Position zusammenzufassen, hat Bourdieu drei theoretisch konstruierte Klassen herausgearbeitet: die herrschende Klasse, die Mittelklasse/Kleinbürgertum und die Volksklasse/Beherrschte. Zwischen den Klassen gibt es keine starren Grenzen, sondern fließende Übergänge. Die Klassen unterscheiden sich in der Ausrichtung der Lebensstile. Die Positionierung im sozialen Raum, begründet durch die Verfügbarkeit der Kapitalformen und die Klassenzugehörigkeit der Eltern, ist demnach ausschlaggebend für die Bildung des jeweiligen Habitus eines Kindes. Ein Habitus formt sich durch die Verinnerlichung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen, die wiederum abhängig von der spezifischen Stellung im sozialen Raum sind. Mit Habitus meint Bourdieu ein komplexes, umfassendes System von verinnerlichten Mustern und sozialen Handlungsformen, das sich im Laufe der Sozialisation entwickelt. Es umfasst unterschiedliche Lebensstile inklusive variierendem Geschmack, Kleidung, ästhetischen Vorlieben oder Einstellungen und Verhaltensmustern. Dieser individuelle Geschmack, diese Vorlieben und Handlungs- sowie Denkschemata, also die gesamten Habitus-Strukturen eines Akteurs, sind dabei abhängig von der jeweiligen sozialen Situation, in der sich ein Akteur wiederfindet, d.h. von dessen Position im sozialen Raum und der Ausstattung mit ökonomischem wie kulturellem Kapital (Mandl 2012, S. 26). Individuen ähnlicher sozialer Strukturen bilden in der Regel einen ähnlichen Habitus aus, da sie ähnliche Erfahrungen machen. Wer in der Wohlhabenheit, in ökonomischem und kulturellem Reichtum, in der damit gegebenen Sicherheit und Freiheit aufgewachsen ist, entwickelt nicht nur einen anderen Geschmack, sondern auch ein anderes Verhältnis zur Welt als jemand, der von frühester Kindheit an mit Not und Notwendigkeit (…) konfrontiert war (Krais/Gebauer 2013, S. 43). Durch dieses Habitus-Modell von Bourdieu lassen sich die Reproduktion sozialer Ungleichheit und damit die relative Stabilität der Sozialstruktur erklären (vgl. El-Mafaalani 2012, S. 77). Die Kongruenz von Habitus und gesellschaftlicher Stellung ist herkunftsbedingt vorgezeichnet und kann im positiven Sinne als strukturgebendes Prinzip dienen. Allerdings kann diese Vorjustierung auch als sozialer Schließmechanismus wirken, beispielsweise in Form eines Selbstausschlusses in Bezug auf Teilnahme an höherer Bildung. An dieses Habitus-Modell in Zusammenhang mit der Positionierung im sozialen Raum knüpft die Theorie von Boudon passgenau an.
Jessica Bangisa M.A. wurde 1980 in Wolfenbüttel geboren. Ihr Studium der Sozialen Arbeit an der FH Braunschweig/Wolfenbüttel (heute Ostfalia Hochschule) schloss die Autorin im Jahre 2004 mit dem Diplom (FH) erfolgreich ab. Im Jahre 2017 folgte der berufsbegleitend erworbene Masterabschluss in Organization Studies der Universität Hildesheim. Ihre berufliche Tätigkeit an der Ostfalia Hochschule – die Unterstützung junger Menschen im Übergang von der Schule in die Hochschule – motivierte sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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