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- Sozialdisziplinierung in der Industrialisierung: Fabrikordnungen aus Nürnberg, Fürth und Augsburg
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 256
Abb.: 18
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die bayerische Fabrikarbeiterschaft in den Industriezentren entwickelte sich als Konglomerat aus Zuwanderern aus ländlichen Unterschichten, verarmten Handwerkern oder gescheiterten Heimgewerben. Anpassungsschwierigkeiten des neuen sozialen Milieus der arbeitenden Klasse an die Organisationsform Fabrik und damit einhergehende Disziplinprobleme bedingten eine Neustrukturierung der Arbeitswelt, welche sich in Fabrikordnungen manifestierte. Solche Ordnungen regulierten den Werks- und Fabrikalltag den Arbeitern wurden – ganz im Sinne fabrikherrschaftlicher Interessen – Handlungsrichtlinien vorgegeben und Fabrikbesitzer übten neben Kontrolle auch Führungs- und Erziehungsfunktionen aus, bildeten gleichzeitig aber in gewissem Ausmaße Mechanismen der sozialen Versorgung und der patriarchalischen Fürsorge. Anhand dieser Schlüsseldokumente zum Verständnis regionaler Arbeitswelten lässt sich ein Einblick in die Lebenswirklichkeit der Fabrikarbeiterschaft gewinnen. Die Studie fokussiert dabei besonders den Aspekt der Disziplinierungsfunktion, auch mit Berücksichtigung des Forschungsansatzes der Sozialdisziplinierung und die Frage, inwieweit das Herrschaftsinstrument Fabrikordnung auch Normen implementiert.
Textprobe: Kapitel 3, Sozialdisziplinierung: 3.1, Eine Begriffsbestimmung: Das Forschungskonzept »Sozialdisziplinierung« wurde von Gerhard Oestreich 1969 in der Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte unter dem Titel »Strukturprobleme des europäischen Absolutismus« vorgestellt, und fand in den nachfolgenden Jahren eine breite Aufnahme in der Frühneuzeitforschung. Oestreich entwickelte seinen Ansatz in Auseinandersetzung mit Max Webers Begriff der »Rationalisierung«, indirekt wohl auch in Abgrenzung zu Norbert Elias Konzept der »Zivilisation«. Er stellt altrömische Staats- und Rechtsvorstellungen mit Werte wie auctoritas, temperantia, constantia und disciplina in den Mittelpunkt theoretischen Denkens und definiert so das Verhältnis von Untertanen und Obrigkeit. Der absolute Herrscher agiert laut Oestreich als sachkundiger, vernünftiger, verantwortungsbewußter Führer und die politischen Ordnung galt als Verkörperung des Gemeinwesens, dem sich die Bürger diszipliniert zu unterwerfen hatten. Dabei galt Disziplin nicht als Sklaverei, sondern als höchster Wert, egal ob es nun um die Erziehung zu Arbeitsamkeit und Fleiß, oder um wirtschaftliche Disziplin geht. Der Begriff Sozialdisziplinierung umschreibt mit Oestreich einen historischen Prozess, durch den ein Konsens über das Wertesystem herbeigeführt wurde. Disziplin beinhaltet entsprechend nicht nur das von ‘oben Geforderte’ (Befehl und Gehorsam), sondern genauso das von ‘unten Geübte’ (Änderung des moralischen Bewusstseins und des sittlichen Verhaltens). Max Weber greift den semantischen Kerninhalt des Konstruktes Sozialdisziplinierung auf und stellte die Disziplin den Konzepten von Herrschaft und Macht gegenüber: § 16. Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden Disziplin soll heißen die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei [...] Menschen zu finden. Der [...] Begriff der »Herrschaft« muß daher ein präziserer sein und kann nur die die Chance bedeuten: für einen Befehl Fügsamkeit zu finden. [...] Der Begriff der »Disziplin« schließt die »Eingeübtheit« des kritik- und widerstandslosen Massengehorsams ein. Demnach ist Macht nicht als Bezeichnung für soziale Dauergebilde geeignet, sondern für dynamische Situationen. Herrschaft dagegen bezeichnet eine deutlich stärker ausgeprägte und fixierte soziale Beziehung. Disziplin ist also erfolgreich praktizierte Herrschaft im weiteren Sinne. In Anlehnung daran definiert Stefan Breuer Sozialdisziplinierung wie folgt: Sozialdisziplinierung bezeichnet Totalisierung jener Disziplinierungstechniken, mit deren Hilfe abweichendes Verhalten schon in der Wurzel ausgerottet wird. Sie beschränkt sich deshalb nicht auf formelle oder informelle Reaktionen oder Sanktionen, obwohl sie diese natürlich nicht entbehren kann. Die Sanktion bildet gleichsam nur den stets präsenten Horizont, innerhalb dessen ein komplexes Gefüge von Mechanismen der Formierung, der Abrichtung, der Einübung von Motiven und Verhaltensmuster am Werk ist. Sozialdisziplinierung ist deshalb der Sozialisation sehr nahe, wenn man hierunter die Übernahme von Normen und Rollenerwartungen einer Gruppe durch ein Individuum versteht. [...] Sozialdisziplinierung ist Sozialisation in eine Gesellschaft, die durch asymmetrische Kombination ihrer Elemente, d.h. um mit Weber zu reden: durch Herrschaft gekennzeichnet ist. 3.2, Fabrikordnungen im Kontext der Sozialdisziplinierung: Möchte man also Fabrikordnungen in diesen Kontext einordnen, müssen sie gewisse Kriterien erfüllen, um als Mittel der Sozialdisziplinierung in Frage zu kommen. Wenn Normen, Verhaltensansprüche, Rollenerwartungen etc. von den Fabrikarbeitern als reale Lebens- wirklichkeit jeweils individuell für sich verinnerlicht werden, dann besteht kein Gegensatz mehr zwischen individuellem Verhalten und der sozialen Ordnung. Sozialdisziplinierung beschreibt dann für den vorliegenden Zweck einen Vorgang, in dem ein Verhalten mit Sanktionsmechanismen dahingehend verändert wird, dass die Sanktionen im Idealfall obsolet werden und die Sanktionen als Herrschaftsinstrument internalisiert werden. Dies bedeutet in den vorliegenden Fällen also, dass das Sanktionspotenzial der Fabrikordnungen zwar vorhanden ist, aber nicht mehr in Form von Bestrafungen faktisch wirksam wird. Stellen Fabrikordnungen dahingehend ein Instrument der Herrschaft (der Fabrikbarone und im übertragenen Sinne möglicherweise auch der Saalmeister) dar, mit dessen Einsatz Herrschaftsträger Normen implementieren (die Verhaltensansprüche in den jeweiligen Ordnungen), die derartig antrainiert werden, dass sie im Prozess der Internalisierung letztlich vom Arbeitsplatz und der Fabrikdisziplin unabhängige Normen bzw. Werte darstellen? 4, Analyse der Arbeitsordnung im Hinblick auf Sozialdisziplinierung – Kontrollieren, Überwachen und Strafen? 4.1, Arbeitsordnung, Fabrikordnung, Fabrikreglement und Fabrikgesetze: Die Rahmenbedingungen zur Einordnung von Fabrikordnungen wurden bereits erarbeitet, nun gilt es Zweck und Möglichkeiten der Ordnungen zu untersuchen. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den festgesetzten Umgangsformen und den funktionalen Vorgängen, die dazu dienten, einen verbindlichen Arbeitsrahmen in der Fabrik zu schaffen. Hauptaugenmerk soll dabei auf die soziale Disziplinierung und deren Wirkungsbereich gelegt werden, bzw. auf die implementierten Normen, um letztendlich die Frage beantworten zu können, ob die Industrialisierung über eiserne Disziplin erkauft wurde. 4.1.1, Vorläufer von Arbeitsordnungen? Das Konzept von Normenimplementierung ist jedoch nicht exklusiv auf die Industrialisierungsphase beschränkt, geschweige denn auf die Arbeiter in den Fabriken. Verordnungen oder Regulative, die Rechte und Pflichten festhalten - sei das nun für Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Bürger, Mitglieder einer bestimmten Gruppe, Handwerker oder ganz allgemein für das Leben in bestimmten Milieus - gibt es in mannigfaltigen Ausprägungen. Von ähnlicher Natur sind Zunftordnungen, die zum Beispiel – hier nur exemplarisch aufgeführt – in den Bäckerzünften Richtwerte für Backwarenqualität und -quantität festsetzten, ebenso welche Bäcker überhaupt ihre Waren zum Kauf anbieten durften und zu welchem Zeitpunkt dies erlaubt war. In Roth bei Nürnberg wurde beispielsweise vom Stadtmagistrat im Jahr 1838 Arbeitszeit und Arbeitslohn von Maurern und Zimmerleuten festgesetzt und bei Nichtbefolgung der Ordnung mussten ‘Contravinienten aber in die festgesetzte Strafe verurtheilt werden’.
Bernhard Weidner, B.A. wurde 1987 in Bayreuth geboren. Sein Studium der Geschichte und der Anglistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen schloss der Autor im Jahre 2014 mit dem akademischen Grad des Bachelors of Arts und dem bayerischen Staatsexamen erfolgreich ab.
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