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- Psychisch kranke Eltern, für Kinder (k)ein Problem?
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 118
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Psychisch kranke Menschen... ja, die haben bestimmt auch Angehörige... Wenn von Angehörigen psychisch kranker Menschen die Rede ist, wird von Eltern, Geschwistern oder Partnern gesprochen. Psychisch kranke Menschen haben aber auch Kinder und diese Kinder sind vielfach minderjährig. In diesem Buch wird die Anzahl der in Deutschland lebender Kinder angeführt, die ein oder zwei psychisch kranke Elternteile haben und ob sie bei ihren Eltern leben. Die Gestaltung des Zusammenlebens wird dargelegt und die Auswirkungen der Erkrankung auf die Lebenssituation und die Entwicklung der Kinder angeführt. Im Zentrum der Betrachtung stehen die konkreten Strategien, die diese Kinder wählen oder vielmehr die ihnen zur Verfügung stehen um ihre spezielle Lebenssituation zu bewältigen. Zudem wird der Frage nachgegangen, welche familiären Bewältigungsmuster dazu beitragen, Konflikte in der Familie zu bearbeiten und zu bewältigen. Besonders wichtig für die Soziale Arbeit ist die Frage, was sich hieraus für die Gestaltung der Hilfssysteme ableiten lässt. Für die Soziale Arbeit stellt sich insbesondere die Frage nach den Kindern, die eine psychische Erkrankung der Eltern unbeschadet überstehen obwohl sie zu einer Risikogruppe gehören. Yvonne Behla ist es besonders wichtig, zu verdeutlichen, dass die meisten Kinder resilient gegenüber psychischen Erkrankungen der Eltern sind. In diesem Buch wird besonders auf schützende Faktoren und die Unterstützung und Förderung durch die Soziale Arbeit hingewiesen.
Kapitel 2.3, Psychische Erkrankungen sind Familienerkrankungen: Jegliche Lebensereignisse, die im sozialen System der Familie nachdrückliche Veränderungen mit sich bringen, können zu einem Stress- oder Belastungsfaktor für die gesamte Familie werden. Die Familie ist lange Zeit bevor eine psychische Erkrankung diagnostiziert wird, involviert. Die Familiemitglieder erkennen, dass sich die Betroffene ungewöhnlich verhält: Sie zieht sich zurück, wirkt abwesend und tut vielleicht Dinge, die nicht nachvollziehbar sind. Außerdem schläft sie nicht mehr wie gewohnt und ist mit einfachsten Aufgaben überfordert. Mit den Symptomen einer Erkrankung gehen vielfältige Verhaltensweisen einher, die das Familienleben beeinträchtigen. Familienmitglieder fragen sich, ob die erkrankte Person Dinge nicht kann oder nicht will. Psychische Erkrankungen können bei allen Beteiligten zu beträchtlichen Belastungen und lebensweltlichen Veränderungen führen. Der Begriff Lebenswelt wurde von E. Husserl (1859-1938) eingeführt. Unter Lebenswelt versteht man die vorwissenschaftliche, dem Menschen selbstverständliche Wirklichkeit, die ihn umgibt. Die Lebenswelt erhält ihr Gepräge durch das persönliche Erleben seines alltäglichen, direkten Umfeldes durch den Menschen, aus dem er seine Primärerfahrungen bezieht, die ihm Handlungssicherheit verleihen . Die Eltern fühlen sich häufig mit Erziehungsaufgaben und ihrer Rolle überfordert und zwar besonders in Akutkrisen. Hinzu kommt die Besorgnis, dass ihnen die Kinder weggenommen werden könnten. Der gesunde Elternteil hat bei der Bewältigung dieser Situation Schwierigkeiten: Unsicherheiten im Umgang mit der Krankheit und Schuldgefühle gegenüber den Kindern und dem Partner können auftreten. In Akutkrisen sind sie mehr als sonst gefordert, weil sie sich meist nicht nur allein um die Erziehung der Kinder und die Organisation des Familienalltages kümmern müssen, sondern ferner um den erkrankten Partner. Dieser Begriff Erziehung umfasst zunächst alle planmäßigen Einwirkungen von innen (Selbstreflexion) und außen. Diese sollen den Mensche darin unterstützen, seine Potentiale und Kräfte zu entfalten oder seine Haltungen, Eigenschaften und Einstellungen zu verändern. Erziehung zielt auf die Individuation (Entwicklung und Wachstum) und auf die soziale Dimension (Eingliederung) des Menschen ab. Zusätzliche Belastungen, wie Trennungen oder familiäre Umbrüche kommen ebenso auf die Kinder zu. Ein Autor berichtet von Studien, aus denen hervorgeht, dass in einem überdurchschnittlich hohen Maße Beziehungsabbrüche und Trennungen diese Familien treffen. In den Familien, in denen die Mutter erkrankt ist, werden die Kinder, im Sinne einer Parentifizierung, oft zu Eltern oder Partnern. Sie versorgen die Mutter, kümmern sich um den Haushalt und versuchen in irgendeiner Weise die Wahnwelt der psychotischen Mutter zu verstehen. Sie setzen alles daran, das normale Familienleben aufrechtzuerhalten. Sie verhalten sich viel erwachsener als andere Kinder. Der Preis dafür ist der Verlust der Kindlichkeit und letzten Endes der Kindheit selbst. Unter Kindheit verstehen wir die gesellschaftliche Ausdifferenzierung der kindlichen Lebensphase sowohl zum Zweck des Schutzes vor früher ökonomischer Ausbeutung, vor allem aber zur Ermöglichung eines pädagogischen Entwicklungs- und Schonraums(....) . Die zumeist starke Belastung der Angehörigen durch eine psychische Erkrankung wirkt sich auf das Familienklima aus, welches häufig emotional aufgeladen ist. Es äußert sich sowohl in Feindseligkeit als auch in Überfürsorglichkeit gegenüber der erkrankten Person. Die Expressed Emotions-Forschung zeigte, dass eine hohe emotionale Spannung ( high expressed emotion ) in einer Familie das Rückfallrisiko von an Schizophrenie erkrankten Menschen deutlich erhöht. Diese emotionale Spannung ist ein Ausdruck der betreuungsbedingten Belastung der Familie. Ein Forscher hat bereits 1962 in seiner Studie den Einfluss des Familienlebens auf den Verlauf schizophrener Erkrankungen aufgezeigt. Die emotionale Tönung des Familienmilieus ist entscheidend für die zukünftige Entwicklung eines an Schizophrenie erkrankten Menschen nach der Klinikentlassung. Andere beschreiben anhand ihrer Studien charakteristische Kommunikationsstile in Familien schizophrener Patientinnen. Der Schlüsselbegriff in diesem Kontext ist Emotional Involvement . Dieser wird gewöhnlich mit emotionalem Engagement übersetzt, welches niedrig oder hoch sein kann. Familien mit niedrigen EE-Werten (Express emotion Werte) gestatteten der Patientin Rückzugsmöglichkeiten und pflegten einen rücksichtsvollen, toleranten Umgang. Familien mit hohen EE-Werten reagierten gereizt und verständnislos. Sie versuchten immer auf die Patientin einzuwirken und sie in ihrer Selbständigkeit einzuschränken. Somit bestätigt sich, dass das familiäre Klima und der Umgang mit dem psychisch kranken Familienmitglied Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Erkrankung haben. Oftmals steht die psychische Erkrankung eines Elternteils in Wechselwirkung zu weiteren psychosozialen Belastungsfaktoren, wie länger andauernde Trennungen, eheliche Konflikte, familiäre Disharmonie, Unzufriedenheit und soziale Isolation. In diesen Familien treten Kommunikationsstörungen auf, die als wichtige Charakteristika von Familien mit einem schizophren erkrankten Mitglied angesehen werden. Die biologische Psychiatrie und die High-Risk-Forschung nehmen eine starke genetische Komponente bei der Entstehung schizophrener Erkrankungen an. Die sozialpsychiatrische Familienforschung geht von einem reaktiven Modell aus, in dem die Familiendynamik und Familienstruktur vordergründig untersucht werden. Familiendynamische Ansätze gehen im Ursprung von einem psychoanalytischen Denken aus. Die Krankheitsentstehung wird nicht als intrapsychischer, sondern als ein intrafamiliärer Vorgang angesehen. Jedoch haben sich diese als wesentlich angesehene Faktoren nicht als spezifisch für Schizophrenie erwiesen. Sie sind empirisch schwer prüfbar. Somit wurde versucht, die Kommunikationsabweichung als auch die Auswirkung auf die Kinder genauer zu erfassen. Die elterlichen Kommunikationsabweichungen hängen eng mit den Kernsymptomen der Schizophrenie zusammen. Die kognitive Desorganisation der Kinder reflektiert auf einem individuellen Niveau das familiäre Muster der irrationalen und verwirrenden Kommunikation. Nicht nur innerhalb der Familie treten Konflikte und Schwierigkeiten auf. Nach außen hat die Erkrankung eine abgrenzende/ausgrenzende Wirkung. Inwieweit die Erkrankung tabuisiert wird und ob die Familie sich von der Außenwelt isoliert bzw. isoliert wird, beschreibt der nachfolgende Teil. Tabuisierung und Isolation: Genauso wie die Betroffene in ihrem Symptomgefängnis isoliert ist, so isolieren sich auch die Angehörigen. Auf Geburtstagsfeiern bei der Verwandtschaft wird verzichtet und der Kontakt zu Nachbarn und Freunden wird stetig abgebaut bis die Familie von der Außenwelt abgeschlossen ist. Ein soziales Leben der Familie findet so nicht mehr statt. In jeder Familie sind unausgesprochene Übereinkünfte vorhanden, die die Repräsentation nach innen und außen regeln. In den betroffenen Familien wird in den meisten Fällen ein Kommunikationsverbot nach außen ausgesprochen. Die Kinder sprechen mit niemandem über Probleme oder über die Erkrankung. Sie glauben teilweise von sich aus, dass sie mit niemandem darüber sprechen dürfen. Dadurch wissen die Kinder nicht, an wenn sie sich wenden können oder dürfen. Die Familie konstruiert eine Wirklichkeit , die sich aus eigenen Überzeugungen, Vorannahmen und soziale Strukturen zusammensetzt. Nicht vorhersehbare Ereignisse verunsichern das Familiensystem und werden entweder konstruktiv offen nach außen bearbeitet oder verschwiegen und nur intrafamiliär diskutiert. Da eine befürchtete kritische Sicht der Umwelt in einer Krisensituation als bedrohlich empfunden wird, verringert sich die Kommunikation nach außen. Ein Abbruch der Kontakte zum sozialen Umfeld ist ein sehr häufig beobachtbares Phänomen und geht nicht nur von der Familie aus. Aufgrund des unangenehmen Verhaltens des erkrankten Elternteils, zieht sich die Umgebung zurück. Eine Aufrechterhaltung der Beziehung zur Familie wird als unerfreulich und schwierig empfunden. Die Tabuisierung der Krankheit, die dadurch fehlende Aufklärung der Kinder und die soziale Ausstoßung des erkrankten Elternteils führen bei den Kindern zu Gefühlen der Isolation. Die Folge ist, dass die Kinder in zwei Welten leben: Innerhalb der Familie und in der Welt außerhalb der Familie. Die Welten bleiben einander fremd, sodass aus Sicht der einen Welt die Kinder sich als fremd gegenüber der anderen empfinden. Die Eltern der Kinder sind fast immer davon überzeugt, dass sie die Kinder schützen müssen. Sie sprechen deshalb aus falscher Rücksichtnahme nicht über die Erkrankung. Eine offene Auseinandersetzung findet kaum statt. Die Kinder schaffen folglich ihre eigenen Erklärungen, welche größtenteils schlimmer sind als die Realität. In den vorangegangenen Ausführungen stellte sich heraus, dass eine psychische Erkrankung immer das gesamte Familiensystem trifft. Besonders deutlich wurde, dass die Familie von der Außenwelt isoliert wird und sich selbst zurückzieht. Unsicherheiten im Umgang mit der Erkrankung wurden deutlich. Die Kinder beginnen in zwei Welten zu leben. Die Tabuisierung und Isolation der Kinder führt dazu, dass die Kinder nicht über die Erkrankung des Elternteils sprechen. Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird thematisiert, welche weiteren Auswirkungen eine psychische Erkrankung auf die Lebenssituation der Kinder hat.
Yvonne Behla, Dipl. Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin und Erzieherin. Tätig vor dem Studium im Bereich der Kindertagesstätten. Studium der Sozialarbeit/Sozialpädagogik an der Fachhochschule Hannover, Fakultät für Diakonie, Gesundheit und Soziales. Abschluss 2007 als Dipl. Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin (FH). Das Berufspraktikum absolvierte Yvonne Behla im Bereich der ambulanten Betreuung psychisch erkrankter Menschen und in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Derzeit ist sie beim Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes Hamburg beschäftigt.
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