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- Mädchenkriminalität - Auf der Suche nach Identität, Selbstwert und Anerkennung: Eine biografische Fallrekonstruktion von drei kriminellen Mädchen nach G. Rosenthal
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 132
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Studie zeigt mithilfe einer Analyse biografischer Interviews, dass die Kriminalität von Mädchen nicht nur unter dem Aspekt ihrer statistischen Unterrepräsentanz oder mit der Herausarbeitung typisch weiblicher oder männlicher Sozialisationsbedingungen zu betrachten ist, sondern vielmehr der Gesichtspunkt in seiner Gesamtheit betrachtet werden sollte. Es kann dabei festgestellt werden, dass die Ebene der Eltern-Tochter-Beziehung und die Faktoren Überforderung und Anerkennung in der Entwicklung von delinquentem Verhalten bei Mädchen eine entscheidende Rolle spielen. In dem vorliegenden Buch werden mithilfe von narrativen Interviews und der biografischen Fallrekonstruktion nach Gabriele Rosenthal die verschiedenen biografischen Lebensphasen von jungen Frauen rekonstruiert, analysiert und dem Leser näher gebracht.
Textprobe: Kapitel 2.3.3, Aktuelle Ansätze: Die bisher dargestellten Strömungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Erklärung von Frauenkriminalität, müssen sich aber der Kritik stellen, dass insbesondere die feministischen Strömungen Stereotypisierungen hervor rufen und die klassischen Erklärungsansätze männerdominiert ausgerichtet sind. Innerhalb der feministischen Strömungen ist jedoch ein erster Paradigmenwechsel zu erkennen. Sowohl Seus, Althoff, als auch Mischau, Vertreter der kritischen Kriminologie, lösen sich von Stereotypisierungen und betrachten innerhalb des Diskurses die Vielzahl von Einflüssen auf die Identität von Frauen und deren Herausbildung von Kriminalität. Dabei geht es nicht, um eine bloße Betrachtung der gesellschaftlichen Einflüsse auf die Identitätsbildung, sondern um die inneren und äußeren Einflüsse und deren Bedingungsfaktoren. Vorherige Diskussionsstränge, die sich lediglich auf typisch weibliche und typisch männliche Merkmale, emanzipative bzw. traditionelle Orientierungen beziehen, seien unbefriedigend, da die Erklärung von Mädchenkriminalität ‘multidimensionale und komplexe Zusammenhänge’ besitze. Neuere Ansätze in Bereichen von Freundschaftsbeziehungen und Peers: Es wird zunehmend die hohe Relevanz von freundschaftlichen Beziehungen unter Mädchen und jungen Frauen analysiert. In der Diskursanalyse von Natland folgert sie, dass Gewalt von Mädchen ein Weg ist, ihre Weiblichkeit zu konstruieren. Dafür betrachtet sie insbesondere die Ebene der Peers und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Mädchen und stellt fest, dass sich bei gewalttätigen jungen Frauen die traditionellen Werte von Freundschaften verändert haben und Gewalt innerhalb der Freundschaften nicht ausgeschlossen werden kann. Auch Heeg erkennt, dass Gewalt für Mädchen auch eine Form der Beziehungsarbeit ist. Hauptsächlich die freundschaftliche Beziehung zwischen Mädchen kann für die Entwicklung, insbesondere in der Adoleszenz, von besonderer Bedeutung sein. Kast stellt in ihrer Ausarbeitung fest, dass gerade die Verbindung von ‘besten Freunden’ sehr intensive und wertevermittelnde Arbeit leistet. Die Beziehung zur ‘besten Freundin’ wirkt sowohl auf die Entwicklung einer eigenen Identität als auch auf die Sättigung und Bedienung der emotionalen Bedürfnisse. Aus diesen positiven Aspekten sind aber genauso die negativen Auswirkungen auf die Entwicklung zu beschreiben, wie zum Beispiel Verlustängste, Verdrängungseffekte, Übernahme von nicht selbstgewählten Rollenleitbildern, Frustration sowie Synergieeffekte, die mitunter in Kriminalität münden können. Möller stellt in seiner Untersuchung fest, dass Mädchen aus anderen Gründen Gewalt anwenden als junge Männer und dass Gewaltakzeptanz schon lange keine ‘männliche Sache’ mehr ist. Sie üben ihre Aggressionen meist nicht im Gruppenkontext aus, sondern eher als Einzeltäterinnen gegenüber anderen Mädchen. Diese These können Bruhns/Wittmann sowie andere nicht bestätigen und schreiben der Gruppe eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Gewaltbereitschaft zu. Mädchen spielen keine untergeordnete oder passive Rolle in ihren Peers. Im Gegenteil, sie beteiligten sich auch bei körperlichen Auseinandersetzungen, demonstrieren Selbstbewusstsein und üben einen gewissen Konformitätsdruck auf ‘schwächere’ Mitglieder aus. Im Gegensatz zu den männlichen Mitgliedern in der Gruppe wurden sie kaum von Strafverfolgungsinstanzen verfolgt. Bruhns und Wittmann erkennen jedoch, dass besonders die Diskussion über die Differenzen zwischen Hell- und Dunkelfeld und die Konzentration auf weibliche Jugendliche sowie deren Kriminalität ohne Hinzuziehung männlicher Kriminalität als Vergleich unbefriedigend ist. Bruhns sieht in den Auseinandersetzungen in familiären, partnerschaftlichen und in den Peer-Gruppen, in Wechselbeziehungen mit den gesellschaftlichen Erwartungen, die Ursachen für die Entstehung von inneren Konflikten bei Mädchen. Peers spielen in diesem Zusammenhang häufig gleichzeitig die Rolle einer Ersatzfamilie und die des haltgebenden Freizeitpartners. Sie geben ihren Mitgliedern die Möglichkeit ein eigenes Selbstverständnis aufzubauen. Die Mädchen, die dann gewalttätig werden, bauen ihre Spannungen ab und wollen ihrem Opferstatus, dem Ohnmachtsgefühl und der fehlenden Anerkennung entfliehen. Sie suchen ihren eigenen Selbstwert und den Respekt in der Gesellschaft, in der Familie und in ihrer Peer, zeigen dabei aber auch oft Größenphantasie. Seus geht mit der These überein, dass Mädchen, die sich in Cliquen bewegen, meist kriminelles Verhalten zeigen und die Gefühle von Macht und Stärke genießen. Der Gruppenkontext verstärkt die Gewaltbereitschaft bei Mädchen, um den eigenen Status zu erhöhen und Anerkennung samt Zugehörigkeit zu erlangen. Bei Gewaltausübungen innerhalb der Peer greifen sie auf erlernte Muster aus der Familie zurück. Zusammenfassend erhalten Peers zwar eine Rahmenfunktion zur Entwicklung von Problemlösungsstrategien und die Funktion als ‘Katalysator’, haben aber keine Hauptverantwortlichkeit. Die ‘grundlegenden Ressourcen’ liegen immer noch im Elternhaus. Diese Einflüsse sollen in einem weiteren Abschnitt zu den aktuellen Ansätzen näher erläutert werden. Neuere Ansätze über die sozialen Erfahrungen krimineller Mädchen: Seus gibt einen entscheidenden Anreiz, in dem sie darauf hinweist, dass Mädchen nicht bessere Menschen, als Jungen sind, Männlichkeit nicht gleich Gewalt bedeutet, sondern sowohl Jungen als auch Mädchen vielfältige Lebenswelten haben. Den Begriff der vielfältigen Lebensweisen greift Hartmann ebenfalls auf, indem sie in ihrem Werk das Vorhandensein von Pluralismus und Vielfältigkeit in der Entwicklung verschiedener Lebensformen darstellt, aber ebenso die gesellschaftlichen Grenzen und Leitlinien für diese Entwicklung manifestiert. Wie Seus erkennt sie die Grenzen der Kindesentwicklung in den Erwartungen des sozialen Umfeldes. Seus geht noch eine Ebene weiter und sieht darin die Entwicklung von weiblicher Kriminalität. Der sozialen Ebene der Erziehung wird ein entscheidender Faktor für die Entwicklung von kriminellem Verhalten bei Mädchen zugeschrieben. So wirken sich emotionale und zeitliche Vernachlässigung negativ auf die Entwicklung aus. Insbesondere der Bezug zur Mutter ist sehr gering und die Mädchen werden ihrer selbst überlassen. Die Mutter fällt als Bezugsperson aus, obwohl sie in der Beziehung zur Tochter eine wichtige Rolle einnehmen müsste, weil sie den größten Einfluss auf sie hat. Der Vater wird als negativ besetzte Bezugsperson wahrgenommen. Einher geht dies mit Akzeptanzproblemen und dem Kampf gegen zugeschriebene Weiblichkeitsbilder. Möller sieht in dem ‘doppelten Identitätskonflikt’ eine entscheidende Weiche für die Entwicklung von kriminellen Verhalten. Auf der einen Seite der Wunsch nach Unabhängigkeiten und der Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit und auf der anderen Seite der Kampf gegen geschlechtsspezifische Zuschreibungen. Ziel der Mädchen ist es, ‘als eigenständiger Mensch mit Handlungs- und Orientierungssicherheit öffentlich auftreten zu können.’ Besonderen Stellenwert hat bei den aktuellen feministischen Erklärungsansätzen und Strömungen die Beziehung der Mutter und der Tochter. Die Orientierungsarbeit der Mutter leistet einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung von Lebensentwürfen. Inwieweit sich dieser Einfluss differenziert auf die Entwicklung von Kriminalität auswirkt, ist noch weitestgehend unerforscht. Es ist bekannt, dass sich die Tochter an der Mutter orientiert, insbesondere, wenn das Mädchen nur mit der Mutter aufwächst und von ihr Verhaltensweisen erlernen kann. Ebenso wirkt sich eine gestörte Beziehung zwischen Tochter und Mutter entwicklungshemmend aus, ungeklärt ist derzeitig, inwieweit dies für den Kriminalisierungsprozess elementar ist. Erste Erklärungsansätze bietet hierzu Helmut Hirtenlehner, der 2009 in einer Schülerbefragung in Österreich das Strukturmodell der Power-Control-Theory überprüfte. Er stützt sich auf die Hypothese, dass in der Instrument-Objekt-Beziehung, wobei das Instrument die Eltern und das Objekt die Kinder widerspiegeln soll, die Mutter gegenüber dem Vater eine Vormachtstellung einnimmt. Resultierend daraus behauptet er, dass in patriarchalischen Familien eine größere Kluft zwischen den Kriminalitätsunterschieden von Jungen und Mädchen existiert als in egalitären Familien. Diesen Ansatz kann er in seiner Untersuchung bestätigen. In egalitären Familien, wo entweder beide Eltern beruflich eingespannt sind oder eine alleinerziehende elterliche Versorgung stattfindet, wirkt sich das kriminalitätsreduzierend auf die Söhne, aber im Gegenzug kriminalitätsfördernd auf die Töchter aus. Die Ursache läge darin, dass Mütter in patriarchalisch organisierten Familien mehr die Töchter als die Söhne kontrollieren, in egalitär ausgerichteten Familien machen sie dagegen keinen Unterschied. Väter in egalitären Familien hingegen kontrollieren ihre Söhne mehr als die Mädchen. Zusammenfassend stellt Hirtenlehner fest, dass sich elterliche Kontrolle auf die Risikofreudigkeit der Kinder auswirkt und dadurch unmittelbar auf deren kriminelles Verhalten. Insbesondere die mütterliche Fürsorge hat eine kriminalitätsreduzierende Wirkung. Er nimmt an, dass durch eine Verbreitung von egalitären Familien eine Annäherung der Kriminalitätsbelastung von Jungen und Mädchen stattfinden wird. Offen bleibt, ob dieses Modell auch auf alleinerziehende Mütter, die nicht beruflichen eingebunden sind und sich patriarchisch um den Haushalt kümmern, anzuwenden ist. Dieses Schema ist heutzutage kein seltenes und sollte einer eigenen Betrachtung unterzogen werden. Welche Formen der Kontrolle kriminalitätsbegünstigend sind bleibt bei Hirtenlehner ebenfalls offen.
Melanie Rubach, M.A., wurde 1986 in Berlin geboren. Ihr Studium der Kriminologie und Polizeiwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum schloss die Autorin im Jahre 2013 erfolgreich ab. Bereits vor ihrem Studium sammelte sie Erfahrungen als Polizeikommissarin und Sozialarbeiterin. Interessiert an Bildungsprozessen und kriminalpräventiven Mechanismen begann die Autorin eine private Berufsschule in Berlin aufzubauen, an der sie derzeitig als Schulleiterin arbeitet. Mithilfe ihrer Position arbeitet sie an Konzepten, Themenfelder der Kriminologie in Ausbildung und kriminalpräventiven Projekten zu integrieren.
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