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- Lernen nach Montessori im Spiegel der Neurowissenschaften: Lassen sich die Annahmen und Prinzipien der Pädagogik Maria Montessoris durch neurowissenschaftliche Erkenntnisse zum Themenbereich Lernen bestätigen?
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Maria Montessoris reformpädagogischer Ansatz gehört unbestritten zu den pädagogischen Klassikern. Er bezeichnet eine ab 1906 entwickelte Bildungsmethodik und -philosophie für Kindergärten und Schulen und genießt auch heute noch eine beträchtliche Relevanz. Die Ergebnisse der Neurowissenschaften hingegen drängen erst seit den letzten Jahren zunehmend in die pädagogische Fachöffentlichkeit und Theorieentwicklung, da ihnen technische Fortschritte Möglichkeiten eröffneten, Aussagen zu Bedingungen des Lernens zu treffen. Montessori erstellte ihr didaktisches Konzept aufgrund von Beobachtungen und Erfahrungen. Die Neurowissenschaften betrachten die physischen Voraussetzungen von Lernen und die physischen Prozesse, welche beim Lernen ablaufen. Es handelt sich also um eine gänzlich andere Herangehensweise, umso spannender ist es daher zu untersuchen, ob bei den Ergebnissen Ähnlichkeiten und Parallelen zu finden sind.
Textprobe: Kapitel 4.1.1, Innerer Bauplan, Vorbereitete Umgebung und Freiheit bei Montessori: Verdacht der Gendetermination: Bei Montessori finden sich Aussagen, welche eine Gendetermination, das heißt, eine Bestimmung des Menschen, seiner psychischen und physischen Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten, nahelegen: ‘Der Erzieher muss erkennen, dass im Kinde, wie schon im kleinsten Lebewesen, eine Entwicklungsrichtung abgelegt ist, die stärker ist als alle Einwirkung von außen’ (Montessori, M.: 1996, 41). Montessori entwickelt die Vorstellung eines ‘Inneren Bauplans’: ‘Es (das Kind, die Verf.) verfügt über einen inneren Bauplan der Seele und über vorherbestimmte Richtlinien seiner Entwicklung’ (In Böhm, W. 1971, 122). Diese Vorstellung eines ‘Inneren Bauplans’ führte zum Vorwurf des Biologismus. Nach Schulz (-Benesch) stehen vor allem Buck und Langeveld für diese Kritik. Es klingen auch tatsächlich Aussagen wie ‘Das Leben ist eine herrliche Göttin, die immer vorwärtsschreitet und die Hindernisse zertritt, die die Umwelt ihrem Siegeszug in den Weg stellt.’ (Montessori, M. In: Schulz- (Benesch), G.: 1961, 25), oder, in Bezug auf Erziehung: ‘…das Kind allein ist der Bildner seiner Persönlichkeit. Schöpferischer Wille drängt es zur Entwicklung. Noch ist im kleinsten Kind die Zeichnung des Charakters nicht sichtbar, aber in ihm ruht, wie in der Zelle, die ganze Persönlichkeit.’ (Montessori, M.: 1996, 9) ganz biologistisch. Im Zuge des Vorwurfs des Biologismus übt Anne Buck in ihrem Aufsatz ‘Gedanken zu Montessoris Erziehungstheorie’ Kritik an Montessoris Vorhaben, das Kind ‘an sich’ entdecken zu wollen, losgelöst von den Beziehungen und Wechselwirkungen zur Umwelt und an dem Anspruch Montessoris, es auch entdeckt zu haben. Und somit ist nach Böhm für Montessori auch ‘die Entscheidung gefallen, dass es diesen ‘an sich’ bestehenden Kern des Kindes gibt.’ (1971, 122). Das passt auch hervorragend zu Montessoris oben genannten Äußerungen über die Idee eines ‘Inneren Bauplanes’. Doch es ist grundsätzlich nicht möglich, das Kind isoliert von allen Umwelteinflüssen zu sehen, was auch Montessori nach Buck feststellt, wenn sie voller Widerspruch zu oben Zitiertem sagt: ‘Das gesunde Kind gleicht dem mythischen Menschen, von dem es heißt, Gott habe ihn nach seinem Ebenbild geschaffen. Diesen Menschen hat nie jemand gesehen’ (In: Böhm, W. 1971, 123). Buck bemängelt des Weiteren, dass Montessori das Kind ‘an sich’ und seine spontanen Äußerungen, also nach Montessori diese, welche auf den ‘Inneren Bauplan’ zurückzuführen sind, lediglich in Abhängigkeit mit ihrer Methode feststellt. Das kann jedoch keineswegs als die Entdeckung des Kindes ‘an sich’ genannt werden, denn die Methode ist nun eben ein Umweltreiz, welcher die inneren Regungen des Kindes zwar vielleicht hervorbringt, aber eben auch mitbestimmt. Sowohl Buck als auch Langeveld sehen dann auch bei Montessori die Forderung einer rein negativen Erziehung, also der Forderung einer bloßen natürlichen Entfaltung ohne Einwirkung des Erziehers, welche sich ja folgerichtig aus einem biologistischen Theoriekonzept ergeben muss. Auch hier scheinen manche Aussagen der Montessori diese Annahme zu bestätigen, so scheint sie die Rolle des Erziehers als eine passive anzusehen, wenn sie sagt: ‘… (er, die Verf.) soll ‘…der natürlichen Entwicklung keine Hindernisse in den Weg legen’ ((In: Schulz ( -Benesch ) , G. : 1961 , 25)) und sich vor allem mit der Frage beschäftigen, wie sich das Kind frei entwickeln kann. Zusammengefasst sieht Buck die Gefahren einer biologischen Pädagogik, als welche sie die Erziehung nach Montessori sieht, in folgenden Punkten: ‘Überbewertung der kindlichen Bedürfnisse, Verkennung der objektiven Ansprüche der Welt, Formung der Welt nach dem Maßstab des Kindes. Dazu kommt eine Entwertung der moralischen, ethischen und religiösen Werte.’ (zit. nach Schulz (-Benesch), 1961,128). Pädagogik könne ohne Werte jedoch nicht bestehen, weswegen Ordnungskriterien der Psychologie herangezogen würden, so etwa der Grad der Kontakte oder des Antriebes, was Anne Buck jedoch verurteilt. Diese verurteilende Interpretation des Begriffes des ‘Inneren Bauplans’ durch Anne Bucks missbilligt Schulz (-Benesch) jedoch, denn nach ihm besitzt dieser Terminus bei Montessori ‘kaum Bedeutung, und keineswegs dem von Buck verliehenen Sinne nach.’ (1961, 29). Verdacht der Umweltdetermination: Montessori betont immer wieder die Bedeutung einer vorbereiteten Umgebung, was im Gegensatz zum oben behandelten Aspekt des Verdachts der Erbdetermination den Verdacht einer Umweltdetermination hervorbringen könnte. Tatsächlich schreibt Montessori der Umgebung eine prägende Rolle zu, was sich allein aus der Tatsache ergibt, dass sie umfangreiches Sinnesmaterial entwickelt hat, um die Fähigkeiten des Kindes zu fördern. Doch wie oben gezeigt, sieht Montessori ebenso die prägende Macht der Anlage, weshalb der Verdacht einer bloßen Umweltdetermination widerlegt ist. Hieraus ergibt sich, dass Montessori eine Wechselwirkung beider Faktoren annehmen muss. Tatsächlich ist dieses auch durch ihre Schriften nachweisbar, was im Folgenden gezeigt wird. Fazit: Montessori nimmt eine Wechselwirkung beider Faktoren an. Nach Gerhard Klein ist die Annahme, dass Montessori an eine ausschließliche Selbstentwicklung des Kindes glaube und daher Erziehung lediglich als Kinderpflege auffasse, ebenfalls nicht haltbar, so resümiert er: ‘Montessori sieht das Kind mit Potenzialitäten ausgestattet (nebula), mit grundsätzlichen Möglichkeiten z.B. das Sprechen, das Gehen, das Rechnen zu erlernen, doch können diese Potenzialitäten sich nur entwickeln, wenn sie auf eine anregende Umwelt treffen.’ (Montessori-Vereinigung Deutschland e.V. (2005). Nach Langeveld finden sich Zitate, die die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Anlage und Umwelt herausstellen, vor allem in ihrer ersten pädagogischen Schaffensperiode: ‘The children are free in all their manifestations and are threated with much cordial affection.” (Montessori, M.: In Schulz- (Benesch), G.: 1961, 27) und weiter: ‘we have shown by experiment, that he (the child, die Verf.) develops through work, through liberty, and through love.” (Schulz- Benesch, 27). Das Kind brauche also sowohl die Freiheit, seinen inneren Neigungen und Bedürfnissen zu folgen, als auch Außenreize, welche es zur Arbeit bringe, um diese inneren Neigungen zu entfalten. Auch wenn Montessori auf die Aktivität des Kindes setzt, so wird doch deutlich, dass sie den Erwachsenen in die Pflicht nimmt, diese Selbsttätigkeit zu unterstützen. So klingen folgende Aussagen ganz anders, als die oben zitierten, welche eine passive Rolle des Erwachsenen nahelegten: ‘Die Freiheit des Kindes kann nicht darin bestehen, dass wir es `sich selbst überlassen`…’ und weiter: ‘Die Kinder tun zu lassen, was sie wollen, sie mit leichten Beschäftigungen zu ergötzen und beinahe zu einem Leben in einem Naturstaat zurückzuführen, ist weder richtig noch genügend’ (Montessori, M. In: Schulz (-Benesch, G.: 1961, 28). Freiheit bedeutet demnach bei ihr nicht Freiheit in einem biologistischen Sinne der Selbstentfaltung, sondern viel eher die Freiheit, dass sich das Kind nicht nach den Eigenarten der Erwachsenen ausrichten muss, sondern in seiner eigenen Weise Kind sein darf. Diese soll der Erwachsene anerkennen und die Erziehung danach gestalten, denn für Montessori steht das Kind im Mittelpunkt der Erziehung. Das Kind setzt bei Montessori gewissermaßen den Maßstab der Erziehung, was zu der Zeit Montessoris einen Paradigmenwechsel innerhalb der Pädagogik bedeutete. Hieraus lässt sich eventuell ihre drastische Ausdrucksweise erklären. Es ist anzunehmen, dass Montessori zu der bildhaften und drastischen Ausdruckweise griff, um dem so grundlegend neuen Theorieansatz Gehör zu verschaffen. So versteht auch Schulz- Benesch ihre oft biologistisch klingenden Äußerungen aus ihrem ‘…empathischen Schwung, der sie zu übertreibenden Formulierungen hinreißt’ (1961, 28), heraus. Den Vorwurf der Erbdetermination entkräftet Montessori selbst ganz klar, indem sie sagt: ‘ …Tiere…sind begrenzt auf ihre ererbten Eigentümlichkeiten…der Mensch kann alles tun’ (Schulz (-Benesch), 1961, 29) und der Kulturprozess ist für sie demnach ‘eine nicht durch die Natur festgelegte Entwicklung.’ (Schulz (-Benesch, G.: 1961, 29). In dieser Aussage klingt auch der dritte Faktor, den Montessori bei der Bestimmung des Menschen sieht, nämlich die individuelle Freiheit: Bedeutung der Freiheit: In Montessoris Erziehungskonzept wird eine Wechselwirkung zwischen Anlage und Umwelt bei der Bestimmung des Menschen angenommen, doch wird der Mensch nicht nur durch diese geprägt, vielmehr besitzt das Moment der Freiheit einen großen Stellenwert, denn ‘…Von jedem Tier können wir erraten, was aus ihm werden wird…Aber der Mensch ist zu allem fähig…(Montessori, M. In: (Schulz (-Benesch), 1961, 30). Die Freiheit ist von der Selbsttätigkeit des Menschen abhängig, woraus folgt:: ‘Die Entwicklung hängt von der Aktivität des Individuums…ab.’ (Montessori, M. In: Schulz (-Benesch), G.: 1961,30). So stellt nach Schulz (-Benesch) auch Montessoris gesamte Praxis ‘eine stete Herausforderung zur Entscheidung dar (stellt, die Verf.), eine Führung von der ‘gelebten’ zur ‘sittlichen Freiheit’ (Schulz (-Benesch), G.: 1961, 29). Tatsächlich spielt der Aspekt der Freiheit und der freien Wahl eine bedeutende Rolle, was in den Kapiteln 6.2 und 6.3 verdeutlicht wird. Folgen für die Erziehung: ‘Was ist die Aufgabe der Erziehung? In Geduld zu erwarten, dass die Phänomene in Erscheinung treten.’ (Montessori, 1996, 41). Diese Forderung unterstreicht wiederum den Verdacht eines Biologismus, doch sie wird ergänzt durch die Forderung nach Wissenschaftlichkeit: ‘Mit Liebe muss er (der Erwachsene, die Verf.) sein Werk beginnen. Aber nicht von einem unklaren Wunsch zum Guten darf er nur beseelt sein: Streng sachliche, methodische, wissenschaftliche Untersuchung muß ihm zur Seite stehen.’ (Montessori, M.: 1996, 41). Hier zeigt sich, dass die Selbstentwicklung des Kindes eben nicht gefordert wird, sondern dass eine von systematischen Prinzipien geleitete Erziehung notwendig ist. Allerdings bemängelt Montessori: ‘...in den meisten Fällen glaubt man auch heute noch trotz aller Forschung, dass der Erwachsene den Charakter eines Kindes formen kann, und dass es nicht nur die Aufgabe, sondern die Pflicht des Erziehers ist, diese Formung vorzunehmen. Dem Kind und seiner schöpferischen Kraft überlässt man den kleinsten Teil an dieser Bildungsarbeit.’ (Montessori, M.: 1996, 7). Hier wird das dritte Element der Bestimmung des Menschen deutlich, die individuelle Freiheit.
Edyta Maria Schmidt wurde 1983 in Tarnowitz, in Polen geboren. Ihr Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Koblenz- Landau schloss sie 2009 mit dem Diplom ab. Bereits während diesem beschäftigte sie sich mit den Prinzipien der Reformpädagogik nach Maria Montessori, aber auch mit den neurobiologischen Bedingungen des Lernens. In ihrer jetzigen Berufstätigkeit als Gruppenleitung einer vollstationären Mädchenwohngruppe arbeitet sie unter Einbezug der Prinzipien der Montessoripädagogik, um den Mädchen und jungen Frauen gelingendes Lernen in Bezug auf eine zunehmend eigenständige Lebensweise zu ermöglichen. Obwohl Montessori ihr Konzept für Kindergärten und Schulen erstellte, beweist sich hierbei dessen Allgemeingültigkeit durch die fruchtbare Anwendung auch im außerschulischen Kontext.
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